Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Dienstag, 8. Juni 2010

IL deserto rosso (Die rote Wüste) 1964 Michelangelo Antonioni

Inhalt: Giuliana (Monica Vitti) hatte vor einigen Wochen einen Unfall, der zwar nur geringe Folgen nach sich zog, ihr aber einen solchen Schock versetzte, dass sie vier Wochen im Krankenhaus bleiben musste und immer noch darunter leidet. Während ihr Mann Ugo, als verantwortlicher Leiter einer Fabrikanlage zusätzlich durch einen Streik der Belegschaft in Anspruch genommen, ihre Anfälle pragmatisch angeht, verhält sich Corrado Zeller (Richard Harris), ein Kollege ihres Mannes, deutlich sensibler.

Sofort begeistert von der schönen Frau, will er sie näher kennenlernen und begreift zunehmend ihren Zustand der inneren Zerrissenheit. Doch auch Corrado selbst leidet unter dem Zwang zur Anpassung und gerät in seinen Reaktionen ihr Gegenüber in Schwierigkeiten…



Drei Frauen und drei Männer räkeln sich in einem engen Raum auf einer Matratze. Blicke begegnen sich, ein Kleid wird geöffnet, Berührungen werden angedeutet. Das anzügliche Gespräch dreht sich um ein Aphrodisiakum und dessen Wirkung. Nachdem eine der Frauen es spontan zu sich genommen hat, verkündet sie laut, jetzt mit einem Mann schlafen zu wollen.

Diese zentrale Szene steht beispielhaft für das eigentliche Thema des Films - die menschlichen Emotionen. Das klingt widersprüchlich, da Michelangelo Antonioni im Ruf steht, der Form den Vorzug vor dem Inhalt zu geben. Seine grafischen, immer bis ins Detail gestalteten Bilder, strahlen eine Perfektion aus, die einen gegensätzlichen Eindruck vermitteln - innere Leere und Gefühlskälte. In "La notte", dem Mittelteil seiner zuvor entstandenen Trilogie, brachte er diese Optik zur Perfektion, aber schon in "L'eclisse", dem Schlußteil, spürte man das Brodeln unter der Oberfläche, dass sich in "Il deserto rosso" zum inneren Orkan verstärkte.


Antonioni verwendete erstmals Farbe in einem Film, um diesen Zustand auch optisch zu unterstreichen. Verbunden mit den Bildern von technischen Anlagen - womit er auf die Gestaltung seines Dokumentarfilms von 1949 "Sette canne, un vestito" zurückgreift - entsteht ein explosives Gemisch aus Lärm, Feuer und Rauch, dass noch durch eine Filmmusik betont wird, die fast ausschließlich aus Geräuschen besteht. Das Ergebnis des ungehinderten Absonderns industriellen Mülls ist eine zerstörte Umwelt, die sich in eine ölverseuchte, rötlich schimmernde Wüste verwandelt hat.


Das einzige Grün zeigt sich auf dem Mantel Giulianas (Monica Vitti), als sie mit ihrem Sohn an den Streikenden vorübergeht, die vor den Toren der Fabrikanlage stehen. Ihr Mann Ugo (Carlo Chionetti) ist leitender Ingenieur der Anlage, was sie nicht daran hindert, einen der Streikposten um dessen schon angebissenes Brot zu bitten. Ihr kleiner Sohn weigert sich, davon zu essen, aber sie beißt begierig hinein. Ihr grüner Mantel kann nicht verbergen, dass es in ihrem Inneren rot glüht.

Monica Vitti lässt diese Frau langsam vor dem Auge des Betrachters entstehen. Es beginnt mit einer Geschichte über einen Unfall, den sie vor einigen Wochen hatte. Dabei war es nur zu geringen Verletzungen gekommen, aber Giuliana hatte einen Schock erlitten, von dem sie sich nur langsam erholt. Immer wieder wird sie von Anfällen ergriffen, leidet unter Schlaflosigkeit und versucht krampfhaft, das Gefühl innerer Zerrissenheit in den Griff zu bekommen. Für einen Außenstehenden wirken diese Reaktionen, da der Unfall selbst kaum Folgen hatte, wenig nachvollziehbar - und Antonioni hatte dafür ausgerechnet Giulianas Ehemann Ugo auserkoren. Er wählte für diese Rolle einen Laien, um damit dessen fehlendes Einfühlungsvermögen noch zu betonen. Ugo bleibt entsprechend blass, argumentativ immer sachlich und verschwindet bald.


Ganz anders dagegen sein Kollege Corrado Zeller (Richard Harris), der sofort von Giuliana begeistert ist, und versucht, sie näher kennenzulernen. Dabei kommt es zu einer ersten Begegnung in ihrem neuen Ladengeschäft, dass sie schon angemietet hat, ohne zu wissen, was sie dort verkaufen will. Antonioni gestaltet diese Sequenz fast farblos - in einem Einheitsgrau, aus dem jedes Leben gewichen zu sein scheint. Als Giuliana Corrado erzählt, dass sie ihr Geschäft blau und grün anstreichen will, wird daraus ihr Wunsch nach Anpassung deutlich. Diese gedeckten Farben passen zu der farblosen Umgebung.

Corrado verfügt einerseits über genügend Sensibilität, um den inneren Zustand Giulianas zu begreifen, wirkt andererseits seltsam gehemmt. Auch wenn er gut ausdrücken kann, was ihn bewegt, ist seine Körpersprache gegenteilig. Dabei ist Richard Harris optisch der Prototyp eines starken, selbstbewussten Mannes, betont noch durch seine klaren Gesichtszüge und die akkurat gescheitelte Frisur. Trotzdem ist seine Haltung immer leicht gekrümmt und auch seinem Vorgehen gegenüber Giuliana fehlt die letzte Konsequenz. In seiner Figur zeigen sich ähnliche Unterdrückungsmechanismen beim Versuch, sich der gesellschaftlichen Norm anzupassen. Corrado gelingt dieses zwar besser als Giuliana, aber die Liebesszene, die irgendwann doch zwischen ihnen entsteht, ist in ihrer gequälten Verkrampftheit kaum zu ertragen, und letztlich ein deutliches Anzeichen für sein Versagen. Hätte er tatsächlich Giulianas inneren Zustand begriffen – und damit auch seinen eigenen – hätte es nicht dazu kommen dürfen.


"Il deserto rosso" deshalb als Studie einer depressiven Frau aufzufassen, ist viel zu kurz gedacht, denn Antonioni und sein Mitautor Tonino Guerra begreifen die gesamte Gesellschaft als depressiv. Tatsächlich ist Giulianas Reaktion noch am nächsten an ihrem inneren Empfinden, denn angesichts der Bilder, die Antonioni beispielhaft für den Zustand der menschlichen Sozialisation vor dem Auge des Betrachters ausbreitet, bekommt ihr Verhalten 
geradezu normale Züge. Doch Antonioni wäre nicht Antonioni, wenn er die Möglichkeit einer menschlichen Eruption in Erwägung gezogen hätte. Diese bleibt den Maschinen und Fabrikanlagen vorbehalten, während seine Protagonisten weiter den Weg der Anpassung gehen. Antonioni gelingen dabei grandiose Bilder, aber die Qualität des Films auf seine Form zu reduzieren, wäre ungenügend. Im Gegenteil sind diese Bilder, obwohl sie Fabrikanlagen und deren Auswirkungen zeigen, gleichzeitig von überwältigender Schönheit - eine Versinnbildlichung der Unterdrückung menschlicher Emotionen und Bedürfnisse.


In einer der schönsten Szenen des Films, vermittelt Antonioni für einen Augenblick eine Alternative. Giuliana erzählt ihrem krank im Bett liegenden Sohn das Märchen von einem Mädchen, dass ihre Tage immer allein in einer wunderschönen Bucht verbringt. Sie mag ihre Altersgenossen nicht, da diese sich schon wie Erwachsene benähmen. Eines Tages nähert sich ein geheimnisvolles, scheinbar leeres Boot der Bucht, dass in dem Moment wieder abdreht, als das Mädchen es fast schwimmend erreicht hätte. Äußerlich ist nichts geschehen, aber plötzlich erklingt eine Stimme, die eine seltsame Melodie in einer atonal klingenden Tonfolge singt (die einzige begleitende Melodie des gesamten Films). Das Mädchen versucht herauszubekommen, woher die Stimme kommt und entdeckt, dass die Felsen, die sie bisher nicht beachtete, menschliche Züge haben. Von dort kommt die immer angenehmer klingende Melodie. Als ihr Sohn Giuliana fragt, welcher Felsen denn gesungen hätte, antwortet sie "Alle!".

"Il deserto rosso" Italien 1964, Regie: Michelangelo Antonioni, Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Tonino Guerra, Darsteller : Monica Vitti, Richard Harris, Carlo Chionetti, Xenia Valderi, Aldo Grotti, Laufzeit : 105 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Michelangelo Antonioni:

"Gente del Po" (1943)
"Superstizione" (1949)
"Sette canne, un vestito" (1949)
"Cronaca di un amore" (1950)
"I vinti" (1952)
"L'amore in città" (1953)
"Il grido" (1957)
"L'avventura" (1960)
"La notte" (1961)
"L'eclisse" (1962)

Freitag, 4. Juni 2010

La banda Vallanzasca (Vallanzasca's Gang) 1977 Mario Bianchi

Inhalt: Als man sie für den Tod eines Häftlings verantwortlich machen will, nutzen Roberto (Enzo Pulcrano) und Italo (Gianni Diana) die Gunst der Stunde, überwältigen zwei Wärter und fliehen aus dem Gefängnis. Zwar können sie sich erfolgreich absetzen, aber als sie sich Waffen bei einem Kontaktmann Robertos besorgen, geraten sie erneut in Schwierigkeiten. Allerdings nicht ganz unverschuldet, denn ihre Idee gleich noch die Hochzeitsgesellschaft auszurauben, stößt schnell auf den überlegenen Widerstand der Leibwächter des Gangsterbosses, dessen Tochter gerade vermählt wurde.

Als diese sie fertig machen wollen, kommt ihnen überraschend eine andere Bande zu Hilfe, die sie aus der Gewalt der Gangster befreit. Auch das geschah nicht ganz uneigennützig, denn ihr Interesse gilt den beiden Ausbrechern, die für sie ein paar Jobs erledigen sollen. Als die Beiden, frisch ausstaffiert mit Anzügen und neuen Papieren, auf dem Weg zu ihrem Zielort sind, geraten sie in eine Polizeikontrolle...


 
Mario Bianchis Intentionen, mehr als 30 Jahre nach Entstehung des Films "La banda Vallanzasca", exakt zu beschreiben, bleibt Spekulation, aber es gibt genügend Anzeichen dafür, dass den sonst eher der leichten erotischen Kost zugewandten Regisseur, der später auch einige Hardcore-Pornos drehte, die realen Ereignisse in Italien, Mitte der 70er Jahre, ebenfalls nicht kalt ließen.

Ganz konkret spricht er in dem abschließenden Kommentar eines Polizisten die chaotischen, letztlich sogar die Demokratie gefährdenden, Verhältnisse in Italien an, provoziert durch eine ausufernde, unkontrollierbar werdende Kriminalität. Mit dieser Aussage adelte er eine Handlung, die zuvor in wüster Form einen kriminellen Akt an den anderen reihte, ohne das die Polizei jemals Herr der Lage wurde. Das es sich dabei nicht um einen bloßen Etikettenschwindel handelt, wird an weiteren Details deutlich, vor allem am Titel des Films.

Bei Renato Vallanzasca handelte es sich um einen Verbrecher, der in den 70er Jahren in Italien Berühmtheit erlangte. Schon sehr jung kriminell aufgefallen, erhielt er den Spitznamen "Der schöne René", wegen seines angenehmen Äußeren und seines Erfolgs bei Frauen. Tatsächlich nutzte er das gestohlene Geld vor allem für einen luxuriösen Lebensstil, was ihm Sympathien in der Bevölkerung einbrachte. Als knallharter Gangsterboss fiel er weniger auf, auch wenn er wegen mehrerer Morde, an denen er beteiligt gewesen sein soll, bis heute im Gefängnis sitzt. Deshalb klingt es vordergründig merkwürdig, dass Bianchi seinen Namen für einen Film nutzt, in dem Vallanzasca gar nicht vorkommt.

Sicherlich setzte er damit auch auf die damals vorhandene Popularität, aber dessen Name steht hier symbolisch für eine anonyme Eminenz, die im Hintergrund die Fäden zieht, während alle anderen Personen wie Schachfiguren handeln, auf die bei Bedarf verzichtet werden kann. Obwohl "La banda Vallanzasca" sonst geradlinig und wenig geheimnisvoll daher kommt, bleibt er in diesem Punkt verschwiegen, womit Bianchi die paranoide Atmosphäre noch betont. Wie ernst es ihm damit ist, wird auch an den für seine Verhältnisse sehr sparsam eingesetzten, zwei Soft - Erotik - Szenen deutlich, die in manchen Fassungen zurecht herausgeschnitten wurden. Vor allem das kopulierende Paar, dass sich ausgerechnet den Fluchtort der beiden entflohenen Häftlinge für sein Liebesspiel aussuchte, ist überflüssig. Robertos (Enzo Pulcrano) Wutanfall, als er sie bemerkt, ist nicht nur kontraproduktiv, sondern passt auch gar nicht zu seinem sonst souveränen Charakter.


Er war zuvor mit seinem Zellenkumpel Italo (Gianni Diana) aus dem Stadtgefängnis ausgebrochen, als die Wärter versuchten, ihnen einen Mord an einem Mithäftling zu unterschieben, der im Auftrag eines Gangsterbosses von gedungenen Tätern ermordet worden war. Bianchi legt in seinem Film ein eigenwilliges Tempo vor, indem er Szenen, in denen es vor Action nur so kracht, weshalb es an deren innerer Logik teilweise hapert, mit langen Passagen verbindet, in denen die Protagonisten ausführlich dabei gezeigt werden, wie sie Auto oder Bus fahren oder schlicht zu Fuß unterwegs sind. Diese sind von rhythmischer, aktueller Musik unterlegt, die dem Film eine dynamische Mischung aus Realität und Fiktion verleihen, in deren Mittelpunkt Roberto steht, der versucht seinen eigenen Weg zu gehen.

Letztlich erhält er von dem ominösen Bandenchef den Auftrag, eine Tochter aus gutem Hause zu entführen, um ein Lösegeld zu erpressen - eine Szenerie, die deutliche Parallelen zu dem ein Jahr zuvor erschienenen "La Orca" von Eriprando Visconti aufweist, ohne über dessen psychologisches Feingefühl zu verfügen. Bei Bianchi ist - wie der gesamte Film schon zuvor - alles grober - die zur Schau gestellte Nacktheit des Opfers, der geile, hässliche Kumpan, der sie immer belästigt (obwohl völlig unnachvollziehbar eine weibliche Kontaktperson sogar mit ihm ins Bett geht) und auch die oberflächlich bleibenden Sympathien zwischen der jungen Frau und Roberto, der sich zunehmend für sie einsetzt. Doch in der Grundaussage ähneln sie sich wieder. Wie in "La orca", werden die Entführer von den Hintermännern wochenlang hingehalten und erhalten keine Informationen über die Lösegeldübergabe.

"La banda Vallanzasca" verfügt in den einzelnen Actionszenen sicherlich über ein gewisses Trash - Potential, aber insgesamt vermittelt er eine überzeugende paranoide Atmosphäre. Hauptdarsteller Enzo Pulcrano kann Sympathien als Einzelkämpfer erwerben, der innerhalb einer kriminellen Gesellschaft noch über einen Rest von Moral verfügt. Und auch wenn der Film nicht völlig Bianchis sonstige Gepflogenheiten verleugnet, überrascht "La banda Vallanzasca" mit seiner konsequenten Sichtweise.

"La banda Vallanzasca" Italien 1977, Regie: Mario Bianchi, Drehbuch: Mario Bianchi, Darsteller : Enzo Pulcrano, Gianni Diana, Stefania D'Amario, Antonella Dogan, Franco Garofalo, Laufzeit : 95 Minuten

Mittwoch, 19. Mai 2010

Vaghe stelle dell'Orsa... (Sandra) 1965 Luchino Visconti

Inhalt: Sandra (Claudia Cardinale), inzwischen mit dem Amerikaner Andrew (Michael Craig) verheiratet, kehrt nach vielen Jahren wieder in ihr Heimatdorf Volterra in der Toscana zurück, weil ihr Vater, ein bekannter Wissenschaftler, dort geehrt werden soll. Sie selbst hatte ihn kaum gekannt, da er 1942 als Jude in Ausschwitz in der Gaskammer gestorben war.

In Volterra trifft sie nach langer Zeit auch ihren Bruder Gianni (Jean Sorel) wieder, einen angehenden Schriftsteller, mit dem sie ein inniges Verhältnis hatte. Vor allem der Konflikt mit ihrer Mutter (Marie Bell), einer ehemaligen Konzertpianistin, die später den Anwalt Gilardini (Renzo Ricci) geheiratet hatte, schweisste die Geschwister zusammen. Auch jetzt ist die Begrüssung der Mutter, die auf Grund ihrer psychischen Erkrankung entmündigt wurde und unter ärztlicher Aufsicht bei ihrem Mann lebt, mehr als frostig. Ihr Hass auf den jüdischen Anteil in ihren Kindern bricht wieder aus ihr heraus...

 

Als Visconti „Vaghe stelle dell’Orsa...“ 1965 in die Kinos brachte, stieß er damit auf Verwunderung, denn gegensätzlicher hätte sein Film im Vergleich zu seinem letzten, dem zwei Jahre zuvor erschienenen „Il gattopardo“, nicht ausfallen können. Schwelgte er dort in farbenprächtigen Panoramen, griff er hier wieder auf einen kräftigen Schwarz – Weiß - Kontrast zurück, umfasste er dort gedanklich mehrere Epochen voll gesellschaftspolitischer Relevanz, wirft er hier einen intimen Blick auf den Besuch einer jungen Frau in ihrem Heimatort nach einigen Jahren Abwesenheit. Die einzige Konstante schien Claudia Cardinale zu sein, die auch schon in „Rocco e suoi fratelli“ (Rocco und seine Brüder,1960) die weibliche Hauptrolle spielte, aber dieser Eindruck änderte sich schon bei dem ersten Blick auf ihr Gesicht. Fleckiger und grobkörniger hatte man die schöne Darstellerin bis dahin noch nicht gesehen.

Wie bewusst Luchino Visconti die Schwarz-Weiß-Technik verwendet, erkennt man schon an den ersten Szenen des Films, nachdem Sandra (Claudia Cardinale) und ihr amerikanischer Mann Andrew (Michael Craig) Genf in Richtung ihres toskanischen Heimatortes Volterra verlassen hatten. Am Abend zuvor hatten sie noch eine Cocktail-Party für ein internationales Publikum gegeben - eine Szene, die vor allem wegen ihres Erstarrens beim Spielen des Pianisten von Bedeutung ist – nun wirken die Bilder, die die Kamera aus einer subjektiven Sicht der Reisenden aufnimmt, mit schwachem Hell/Dunkel Kontrast überbelichtet. Der Himmel scheint wolkenlos weiß, Landschaft und Städte sind in ein grelles Licht getaucht, und erst als sie ihr Ziel erreichen und in den alten Palazzo ihrer Familie hinein treten, kehrt sich die Helligkeit in ihr Gegenteil. Damit betont Visconti die Schicksalhaftigkeit eines Geschehens, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

Gerade diese opernhafte Schwere und die nur von Klaviermusik begleitete Düsternis, mit der Sandras Familiengeschichte hier ausgebreitet wird, stellte den größten Unterschied zu Viscontis „Il gattopardo“ dar, der trotz aller Tragik und Konsequenzen emotional zurückhaltend
geblieben war, beherrscht von der souveränen Attitüde des Adeligen. Doch darin liegt letztlich die Parallele zwischen beiden Werken, die sich in ihrer Intention mehr ähneln, als die äußere Umsetzung Glauben machen will. Viscontis eigene adelige Herkunft, der er dank erheblicher Geldmittel auch seine künstlerische Freiheit verdankte, war ein ständiger Quell der Reibung zu seiner kommunistischen Haltung und seinen homosexuellen Neigungen, die alle seine Filme beeinflussten, hier - wie in „Il gattopardo“ - konkret thematisiert. Auch in seinem Beitrag zu „Boccaccio '70“ lag darauf schon der Schwerpunkt, allerdings mehr spielerisch umgesetzt.

Ähnlich zur Historie in „Il gattopardo“, beschreibt er auch in „Vaghe stelle dell’Orsa...“ den Niedergang einer herrschaftlichen Familie, an deren einstige Pracht nur noch der große Palazzo und die angrenzenden Gärten erinnern. Begreift man die Konsequenzen in „Il gattopardo“ als Ausblick auf die zukünftige Politik Italiens bis zur Machtergreifung der Faschisten, ist „Vaghe stelle dell’Orsa...“ die logische Fortführung dieser Thematik. Obwohl der Film in der damaligen Gegenwart spielt, liegt das ausschlaggebende Ereignis für die Handlung mehr als 20 Jahre zurück. Der Anlass für Sandras Rückkehr in ihre Heimatstadt, ist die Ehrung ihres Vaters mit einer Büste im Garten des Palazzo, der damit der Öffentlichkeit übergeben werden soll. 1942 war der berühmte jüdische Wissenschaftler in Auschwitz in der Gaskammer gestorben.

Nur langsam schlüsselt der Film die Konsequenzen daraus auf, die sich vor allem in der Szene manifestieren, in der Sandra ihre Mutter (Marie Bell) wieder trifft. Die ehemalige Konzertpianistin überhäuft sie mit ihrem Hass gegen alles Jüdische, beleidigt sie und hätte auch den Garten für die Ehrung ihres früheren Mannes nicht hergegeben, wenn sie auf Grund ihrer psychischen Erkrankung nicht entmündigt worden wäre. Sie lebt unter ärztlicher Aufsicht im Haus des Anwalts Gilardini (Renzo Ricci), den sie nach dem Krieg geheiratet hatte. Visconti lässt offen, ob sie selbst ihren Mann an die Faschisten auslieferte, aber macht kein Geheimnis aus der moralischen Situation, in der ihre Kinder aufwuchsen, die beim Tod ihres Vaters noch sehr klein waren.

In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle von Sandras Bruder Gianni (Jean Sorel) deutlich, dessen künstlerische, psychisch anfällige Seele dieser Konfrontation nicht gewachsen ist. Nur die Nähe zu seiner Schwester und der geheime Ort, an dem sie sich trafen, ließen ihn diese Situation überleben. Als er jetzt Sandra zum ersten Mal wieder trifft, wirkt er zunächst gefestigt, sich auf dem Weg zu einer Karriere als Schriftsteller befindend, aber seine innere Labilität kommt am Ort seiner Kindheit zunehmend zum Vorschein. In seiner filigranen Figur verarbeitet Visconti die Außenseitersituation eines Menschen, der nicht der sexuellen Norm entspricht – die inzestiöse Beziehung zu seiner Schwester ist ein Synonym zu Viscontis Homosexualität und erfährt hier ebenso Abscheu - vor allem durch die Mutter und den Stiefvater.

Entsprechend missverstanden, wenn nicht gar aus dem historischen Kontext heraus beleidigend, sind frühere deutsche Filmtitel wie „Die Triebhafte“ oder Inhaltsangaben, die von familiärer Dekadenz sprechen. Im Gegenteil steht Sandra in ihrer Selbstkontrolle und Souveränität in Nichts dem Fürsten in „Il gattopardo“ nach. Selbst als ihr Ehemann, überfordert von den sich hochschaukelnden Ereignissen, die Kontrolle verliert, bleibt sie ein Muster an Beherrschung, ohne dabei ihre Emotionen zu unterdrücken. In ihr verweist Visconti noch einmal auf den früher vorherrschenden Geist in der Familie, aber retten kann sie damit Niemanden mehr.

Offensichtlich wird dadurch auch seine Intention für die Wahl der künstlerischen Mittel, die in ihrer direkten Opposition zu der Farbenpracht in „Il gattopardo“ diesen wieder ähneln. Die Klaviermusik symbolisiert die ständige Anwesenheit der Mutter und vermittelt, ähnlich wie die dramatische Optik, nur eine äußerliche Emotionalität, während die Interaktion der Protagonisten von Kälte gekennzeichnet ist. Diese äußerliche Wucht lässt erst das Spannungsverhältnis deutlich werden, unter dem Sandra und ihr Bruder aufwuchsen, und damit ihre Stärke und seine Schwäche.

Viscontis Haltung zu den Geschwistern spricht aus dem Filmtitel, der leider nicht ins Deutsche übersetzt wurde. „Liebliche Sterne im Zeichen des großen Bären...“ - gleichzeitig der Titel von Giannis erstem Buch - zeugen von ihrer Schönheit, aber auch von ihrer Verlorenheit in der Unendlichkeit.

"Vaghe stelle dell'Orsa..." Italien 1965, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Suso Cecchi d'Amico, Darsteller : Claudia Cardinale, Jean Sorel, Michael Craig, Renzo Ricci, Marie Bell, Laufzeit : 100 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Luchino Visconti:

Mittwoch, 12. Mai 2010

Genova a mano armata 1976 Mario Lanfranchi

Inhalt: Der "Amerikaner" (Tony Lo Bianco) hat Schwierigkeiten - erst wird er im Hausflur zusammen geschlagen, dann versucht ein Auto ihn abzudrängen, bevor eine Maschinengewehrsalve auf ihn abgefeuert wird. Die Polizei greift nicht ein. Im Gegenteil will Commissario Logallo (Adolfo Celi), der ihn von früher her kennt, als der "Amerikaner" selbst noch Polizist war, von ihm wissen, an welchem Fall er in Genua als Privatdetektiv arbeitet. Und am liebsten würde er ihn sofort in die USA zurückschicken.

Erst nach längerem Widerstreben, erzählt ihm der "Amerikaner", dass er von Marta Mayer (Maud Adams) beauftragt wurde, herauszubekommen, wer ihren Vater entführt und ermordet hatte. Zudem will sie die hohe Lösegeldsumme zurück haben, was offensichtlich Einigen missfällt...



Wenn zu Beginn ein Mann (Tony Lo Bianco) lässig durch die Gassen Genuas schlendert, täuscht dieser Eindruck. Commissario Logallo (Adolfo Celi) kennt ihn schon seit langem und lässt ihn beobachten. Er nennt ihn nur den "Amerikaner" - ein Ex-Polizist mit italienischen Vorfahren, mit dem er früher zusammen arbeitete und über dessen Anwesenheit in Genua er gerne mehr wissen möchte.

Als der "Amerikaner" wieder zu seiner Wohnung zurückkehrt, geht der Film gleich in die Vollen - er wird von einigen Männern erwartet, die ihn brutal zusammenschlagen, bevor ihr Boss, ein Gangster französischer Herkunft, die Asche seiner Zigarette auf den am Boden liegenden Mann fallen lässt. Regisseur und Autor Mario Lanfranchi lässt von Beginn keinen Zweifel daran entstehen, dass ein Tiefschlag nach dem anderen folgen wird, aber der "Amerikaner" wird nie mehr so am Boden liegen. Ab sofort bestimmt er die Handlung und auch seine gute Laune wird ihn nicht mehr verlassen.

Obwohl erst Ende 40, drehte Mario Lanfranchi mit "Genova a mano armata" 1977 seinen vorletzten Film und trat zum letzten Mal als Schauspieler auf. Bekannt wurde er schon in den 50er Jahren als Produzent und Regisseur, der die Karriere der Opernsängerin Anna Moffo, seiner zukünftigen Ehefrau, förderte. Mit ihr in der Hauptrolle inszenierte er eine Vielzahl von Opern für das Fernsehen oder den Film, aber parallel spielte er kleinere Rollen in diversen Actionfilmen und Italo-Western, bevor er mit "Sentenza di morte" selbst einen solchen umsetzte. Dieser Experimentierfreudigkeit blieb er treu, befasste sich noch mit einem Drama ("Il bacio") und einer frivolen Komödie ("La padrona è servita"), bevor er seinen ersten Poliziesco in Angriff nahm.

Diese Lust am Genre ist dem Film jeden Moment anzumerken, denn Lanfranchi hält sich nicht mit einer komplexen Story auf, sondern konzentriert sich auf ständige Action und witzige Dialoge. Verlassen kann er sich dabei auf seine beiden Protagonisten, denn wenn der Commissario und der "Amerikaner" aufeinander treffen, bleibt kein Auge trocken, egal wie verzwickt die Situation gerade ist. Beide scheinen sich in inniger Abneigung zugetan, retten sich auch mal gegenseitig das Leben, um im nächsten Moment wieder despektierliche Bemerkungen loszulassen. Während Adolfo Celi dabei eine gewohnt standfeste Figur macht, überzeugt Tony Lo Bianco durch hohe Geschwindigkeit, die nie ihre Lässigkeit verliert.

Ihm zur Seite gesellt sich noch Maud Adams als geheimnisvolle Auftraggeberin, deren Rolle von Beginn an so angelegt ist, dass man ihr kein Wort glaubt, aber gerne dabei zusieht. Mit ihr leistet sich der "Amerikaner" frivol angelegte Dialoge, die aber immer mit genügend Zynismus angereichert sind, womit der Charakter des Films ausreichend beschrieben ist. Lanfranchi macht entsprechend auch nicht vor Selbstjustiz halt, was angesichts der hohen Sterberate aber kaum ins Gewicht fällt und nur die Intention Lanfranchis unterstreicht, möglichst kein Genreelement auszulassen. Die fehlende Ernsthaftigkeit des Geschehens wird besonders deutlich, als sich der "Amerikaner" einen Schuss Heroin setzt, um so als Süchtiger in eine Klinik zu gelangen, in der er die Hintermänner einer Entführung vermutet, die er aufklären soll. Dort angekommen, hält ihn nichts mehr davon ab, gleich wieder aktiv zu werden, als wenn er zuvor ein leichtes Schlafmittel genommen hätte.

Über solche Logikschwächen kann man getrost hinwegsehen, ebenso wie die ständige Anwesenheit der Polizei am rechten Ort zur fast rechten Zeit etwas konstruiert wirkt, denn eine entscheidende Rolle spielt hier die Hafenstadt Genua, die zurecht im Titel erwähnt wird. Lanfranchi gelingt es überzeugend die Stadt in seine Verfolgungsjagden und Schiessereien mit einzubeziehen, so dass das irre Geschehen einen realen Bezugspunkt erhält. Genua wirkt dabei staubig und grau und vermittelt eine überzeugende 70er Jahre Atmosphäre mit seinen Hochstrassen, Industrieanlagen und Betonbauten.

"Genova a mano armata" ist kein raffiniert erzählter Polizei-Thriller, so wie ihm jegliche gesellschaftskritische Relevanz fehlt, sondern nutzt seinen stringent und ohne Anspruch auf Logik erzählten Handlungsfaden zur Aneinanderreihung von ständiger Action, die über alle Elemente verfügt, die man von einem Poliziesco erwartet. Regisseur Lanfranchi lebt sich hier voll aus und kann sich auf seine gut aufgelegten Darsteller verlassen, die insgesamt ein kurzweiliges Vergnügen bieten.

"Genova a mano armata" Italien 1976, Regie: Mario Lanfranchi, Drehbuch: Mario Lanfranchi, Darsteller : Tony Lo Bianco, Adolfo Celi, Maud Adams, Barbara Vittoria Calori, Howard Ross, Laufzeit : 83 Minuten

Samstag, 1. Mai 2010

Nenè (Nenè - Die Frühreife) 1977 Salvatore Samperi

Inhalt: Italien 1948, kurz vor den ersten freien Wahlen. Während die Priester ohne Umschweife die Wahl der Christdemokraten fordern und der Vertreter der kommunistischen Partei (Ugo Tognazzi) versucht, die nach dem Krieg entstandene Solidarität für seine Partei zu bündeln, hat der Vater (Tino Schirinzi) des 9jährigen Ju (Sven Valsecchi) andere Sorgen. Wie Vielen anderen auch, fehlt es ihm an Arbeit und Geld, weshalb seine aus einer reichen Familie stammende Frau (Paola Senatore) ständig über ihr Leben mit ihm nörgelt. Zudem haben ihm die Erlebnisse im Krieg stark zugesetzt, weshalb er schnell aufbraust und seine Rechte als Familienvater mit Autorität durchsetzt. Sowohl seine Frau als auch seine Tochter Pa (Vittoria Valsecchi) bekommen schnell den Stock zu spüren, nur mit seinem Sohn geht er liebevoll um.

Entsprechend bestimmt er auch, dass sie zusätzlich die 14jährige Tochter Nenè (Leonora Fani) seines im Sterben liegenden Bruders aufnehmen, obwohl Platz und Nahrungsmittel knapp sind. Vor allem für Ju erweist sich die Anwesenheit seiner Cousine als willkommene Bereicherung, denn seine zunehmende Neugier auf das weibliche Geschlecht, wird von ihr verständnisvoll erwidert...


Die ersten freien, demokratischen Wahlen in Italien am 18. April 1948 bilden den historischen Hintergrund, vor dem die Handlung in "Nenè" angesiedelt ist. Trotzdem ist dem Film seine Entstehung in den 70er Jahre deutlich anzumerken. Regisseur Salvatore Samperi, der nach Cesare Lanzas Roman auch das Drehbuch verfasste, blieb zwar inhaltlich im historischen Kontext, doch nicht nur die Parallelen zur Politik Italiens, sondern besonders der provokative Umgang mit der Sexualität verweisen auf die Entstehungszeit des Films. Zudem entsprachen die Frisuren der Kinder, aber auch des Friseurs „Baffo“ (Ugo Tognazzi) dem 70er Jahre Zeitgeschmack - für Samperi typisch, dem mehr Wert auf eine stimmige Atmosphäre legte, als auf die exakte Wiedergabe einer historischen Phase.

Obwohl im Film immer wieder die Auswirkungen des erst wenige Jahre zuvor beendeten 2. Weltkriegs erwähnt werden, vermittelte Samperi in "Nenè" von Beginn an ein Bild der italienischen Gesellschaft, das auch in der Entstehungszeit des Films vorstellbar gewesen wäre. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Ju (Sven Valsecchi), ein neunjähriger Junge, aus dessen Blickwinkel die Geschichte erzählt wird. Seine Neugierde, besonders seine erwachende Sexualität, trägt den gesamten Film. Während Ju ständig auf der Suche ist, die Umgebung erkundet und Fragen stellt, verweilen die übrigen Familienmitglieder in ihren tradierten Rollen. Seine Mutter (Paola Senatore), die sich mit dem Haushalt abplagt und versucht, mit dem wenigen Geld, dass ihr zur Verfügung steht, die Familie zu versorgen, beklagt dauernd ihr Schicksal. Sie stammt aus einer wohlhabenden Familie und wirft ihrem Mann vor, sie in diese Situation gebracht zu haben. Jus Vater (Tino Schirinzi), einerseits durch die Erlebnisse im Krieg traumatisiert, andererseits selbst frustriert über seine materiell schwache Position, versucht seine Rolle als Familienvorstand souverän auszufüllen, verfällt aber immer wieder in übertriebene Autorität, die er mit Stockschlägen auslebt. Auch Jus ältere Schwester Pa ist in ihrer Passivität, die ihre Mutter noch durch ihre Tiraden gegenüber Männern fördert, ganz dem konservativen Rollenmuster verpflichtet.

Ju wirkt dagegen wie der Vorbote einer Moderne. Der intelligente Junge, der von einer Frau privat unterrichtet wird, besiegt seinen Vater beim Schach – was dieser Zähne knirschend akzeptiert – befreundet sich mit einem farbigen Jugendlichen aus der Nachbarschaft an, und lebt offen seine Neugier auf den weiblichen Körper aus.


Allein durch die Tatsache, dass er als Sohn die Solidarität des Vaters genießt, der seine Aggressionen ausschließlich gegenüber den weiblichen Mitgliedern der Familie auslebt, kann sein Freiraum nicht erklärt werden. Viel mehr ist seine Rolle als Kommentar aus der Sicht eines intelligenten, aber noch unbelasteten Menschen zu verstehen. Zwar plappert auch er die Vorurteile seiner Umgebung nach – wie bei der ersten Begegnung mit Rodi (Alberto Cancemi ), dem „Mulatten“ – aber sie haben seinen Geist noch nicht vernebelt, weshalb er schnell davon ablässt und anders handelt. 

Neben Ju gibt es eine zweite „naive“ Rolle, die noch deutlicher auf die politische Situation in den 70er Jahren hinweist. Ugo Tognazzi spielt einen Barbier, der voller Enthusiasmus für die kommunistische Partei eintritt und zu den Wahlen am 18. April ein großes Fest veranstaltet, bei dem er den Wahlsieg feiern will. Diese Erwartungshaltung ergab sich aus der Solidarität zwischen den Widerstandskämpfern und der Bevölkerung nach dem 2.Weltkrieg. Fast zwingend schien die kommunistische Partei an der Reihe zu sein, angesichts eines jahrzehntelangen Rechtsradikalismus, der Italien ins Unglück gestürzt hatte, aber längst waren wieder andere Kräfte im Spiel - wie der Priester in der gut besuchten Ortskirche, der sehr deutlich werden lässt, welche Partei ein gläubiger Christ zu wählen hat. Dieses scheinbare Erstarken der kommunistischen Partei, die die Wahl überraschend klar gegen die Christdemokraten verlor, erinnerte auch an die Situation der Partei Mitte der 70er Jahre, als sie sich – ebenfalls vergeblich – ein zweites Mal der Regierungsverantwortung annäherte. Ugo Tognazzis abschließende Rede ist dann auch mehr ein Manifest der persönlichen Enttäuschung als des trotzigen Aufbegehrens. Sein Glauben an die Bevölkerung scheint verloren gegangen zu sein und es wäre interessant zu erfahren, warum er – trotz seiner prägnanten Rolle – in den Credits nicht aufgeführt wird.


Allerdings ist das symptomatisch für einen Film, der nach einer Figur benannt ist, die erst nach etwa 20 Minuten auf dem Bildschirm erscheint. Bei "Nenè" (Leonora Fani) handelt es sich um Jus 14jährige Cousine, die sein Vater kommen ließ, weil sein Bruder im Sterben liegt und ihre Mutter als gebürtige Deutsche wieder in ihr Heimatland zurückkehrte. Ganz schlüssig wirkt diese Konstellation nicht, angesichts einer Jugendlichen, die sich schon am ersten Abend recht offenherzig gegenüber ihrem kleinen Cousin zeigt. Der Film versucht zwar, ihr Außenseiterdasein zu betonen, das sich in der beginnenden Beziehung zu Rodi, ebenfalls einem Geächteten der Gesellschaft, manifestiert, aber Leonora Fani – in Wirklichkeit schon über 20 – überzeugt mehr mit frivol, unschuldiger Nacktheit als mit einem schweren Schicksal. Samperi entwirft ein erotisches Geplänkel, das zwischen schüchterner Annäherung unter Jugendlichen und Nenès offenem Umgang mit ihrem kleinen Cousin schwankt. Selbst in den 70er Jahren waren diese Handlungen noch provokativ, auch wenn Samperi sehr zurückhaltend in seiner Darstellung bleibt, während es kaum vorstellbar ist, dass Kinder und Jugendliche in der Nachkriegszeit so viel Freiraum hatten.

Durch die Vermischung eines zeitgenössischen gesellschaftskritischen Hintergrunds und einer Handlung, die Züge eines sensiblen 70er Jahre Erotikfilms aufweist, entsteht in "Nenè" eine diffuse Mischung aus zwei unterschiedlichen Genres, die erst in den letzten Szenen zueinander finden. Sicherlich wollte Samperi das komplexe Bild einer Gesellschaft entwerfen, die am Scheideweg zwischen Tradition und Moderne stand, aber eine Vielzahl unterschiedlicher Sichtweisen vom Kind über die Jugendliche bis zum desillusionierten Erwachsenen, ergab nicht automatisch ein komplexes Gesamtbild. Allerdings ist es Nenès amourösen Handlungen zu verdanken, dass der Film trotz seines realen Hintergrunds eine gewisse Leichtigkeit behält.

Wirklich in Erinnerung bleiben aber Tognazzis Schlussplädoyer und besonders der kleine Ju, dessen Neugier ihn unfreiwillig die Realitäten der Welt lehren lässt – am Ende des Films haben Beide ihre Naivität verloren.


"Nenè" Italien 1977, Regie: Salvatore Samperi, Drehbuch: Salvatore Samperi, Cesare Lanza (Roman), Darsteller : Leonora Fani, Tino Schirinzi, Paola Senatore, Alberto Cancemi, Laufzeit :  93 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Salvatore Samperi:

"Malizia" (1973)
"Peccato veniale" (1974)
"Scandalo" (1976)

Mittwoch, 21. April 2010

Viaggio in Italia (Liebe ist stärker) 1954 Roberto Rossellini

Inhalt: Der reiche englische Anwalt Axel Joyce (George Sanders) hat die Villa seines Großonkels in Italien geerbt und besucht nun gemeinsam mit seiner Frau Katherine (Ingrid Bergman) die neuen Besitztümer. Für ihn ist das eine lästige Aufgabe, denn er hat keine gute Meinung von Italien und seinen Einwohnern und versteht auch die Begeisterung seines Onkels nicht.

Seine Frau dagegen ist voll schwärmerischer Neugier, worin schon die Entfremdung zwischen den Partnern deutlich wird, die sich nur noch in verächtlicher Weise miteinander unterhalten. Einmal angekommen beginnen sie - zusätzlich durch ihre immer deutlich werdendere Trennung sensibilisiert und aufgewühlt - das Land Italien kennenzulernen. Beide können sich dem Einfluß nicht entziehen und sie beginnen sich zu verändern...
 


Als Roberto Rossellini "Viaggio in Italia" 1953 drehte, hatten sich entscheidende Parameter geändert. Stand er noch zu Beginn seiner neorealistischen Arbeiten, Mitte der 40er Jahre, ganz im Banne des eben zu Ende gegangenen Krieges ("Rom, offene Stadt", "Paisa", "Deutschland, Stunde Null"), hatte er sich schon in  "Stromboli"  1950 davon entfernt, indem er nicht mehr nur die unmittelbaren Folgen beschrieb, sondern seinen Blick auch auf die weitere Entwicklung in einer veränderten Welt warf, am Übergang zwischen Tradition und Moderne. Sicherlich spielte dabei auch die Beziehung zwischen ihm und dem Hollywood - Star Ingrid Bergman eine Rolle, die als solche schon die Konfrontation unterschiedlicher Pole symbolisierte.

Ging er mit ihr als Protagonistin in  "Stromboli"  scheinbar noch zurückhaltend vor, indem sie dort eine der vielen heimatlosen Vertriebenen nach dem Krieg spielte, ist sie in "Viaggio in Italia" schon ganz "Grand Dame" - die Ehefrau eines reichen Anwalts, der mit ihr im Rolls-Royce- Cabriolet durch das Nachkriegs - Italien reist, um sich das Erbe seines Onkels anzusehen. Betrachtet man Rossellinis Werk genau, überrascht dieser Schritt nicht, denn die ursprüngliche Intention seiner Filme lag in der realistischen Beschreibung von Missständen, während die 50er Jahre stark zukunftsorientiert waren - mit allen Unsicherheiten, die eine solche Entwicklung mit sich brachte.

Trotzdem wäre es falsch, "Viaggio in Italia" als Abkehr zum Neorealismus anzusehen, Rossellini entwickelte ihn nur konsequent weiter. Er nutzte den Blickwinkel des ausländischen Paares zu einer realistischen Betrachtung Italiens von zwei Gesichtspunkten aus. Schon auf der Fahrt im Rolls-Cabriolet wird ihre unterschiedliche Haltung deutlich. Während der erfolgreiche Anwalt Axel Joyce (George Sanders) nur abschätzige Bemerkungen für Land und Leute übrig hat und die Erbschaft nur als Belastung ansieht, weshalb er die Villa so schnell wie möglich verkaufen will, ist seine Frau Katherine (Ingrid Bergman) voller schwärmerischer Erwartungshaltung an Italien. Es wird deutlich, dass Beide ein denkbar schlechtes Verhältnis zueinander haben. Sämtliche Gespräche werden jeweils durch sarkastische Bemerkungen abgewürgt, was bei ihr zunehmend den Hass auf ihn schürt, während seine tatsächlichen Emotionen ungewiss bleiben.


Rossellini nutzt diese Haltungen, um in Konfrontation mit den beiden Protagonisten, Land und Leute einfach abzubilden. Dabei erzählt er im Grunde keine Geschichte. Ähnlich wie später bei Antonioni in "La notte" ist die Auseinandersetzung des Ehepaares und deren Verhalten das Vehikel für die Darstellung der Umgebung. Während Antonioni damit die Einsamkeit des modernen Menschen stilisierte, hält Rossellini quasi nur drauf, wenn Beide ihrer Wege gehen. Katherine besucht Museen und wichtige kulturelle Stätten in Neapel, Axel fährt auf die Insel Capri, zusammen besuchen sie die Ausgrabungsstätten von Pompeji (was wiederum Eriprando Visconti als Anspielung in seinem "Oedipus Orca" nutzte). Im Hintergrund ist immer wieder der Vesuv und das Mittelmeer zu sehen. Im Gegensatz zu  "Stromboli" , in dem der Vulkan die bedrohliche Atmosphäre versinnbildlichte, verzichtet Rossellini auf Bedeutungsschwere und Ideologie. Fast leicht ist er vor allem in seinen dokumentarischen Bildern des städtischen Lebens. Als zu Beginn Alex und Katherine im abendlichen Neapel vor ihr Hotel fahren, ist die ganze Kraft dieser mediterranen Abendstimmung mit den vielen sich auf der Straße befindlichen Menschen zu spüren. So überrascht es nicht, dass "Viaggio in Italia" in seiner Mischung aus Dokumentation und spielerischer Unbestimmtheit heute als Vorbote der "Nouvelle vague" gilt.

Es wird deutlich, daß Rossellinis eigentliche Hauptdarsteller Neapel und seine Bewohner - und damit weitgehend Italien selbst - sind. Das englische Ehepaar bleibt merkwürdig fremd, auch wenn sich ihre Ehekrise zuspitzt. Ihre Sturheit, trotz noch vorhandener Gefühle nicht aufeinander zugehen zu können, steht in immer größerem Gegensatz zur sonstigen Leichtigkeit, die das Land und seine Menschen ausstrahlen. Besonders Katherine wirkt immer ein wenig verknöchert und verschlossen, kaum in der Lage sich auszuleben und zu freuen. Axel versucht es eher mit Ablenkung, was ihm eine peinliche Abfuhr bei einer schönen Frau und ein aufschlussreiches Gespräch mit einer Prostituierten einbringt.
 

Dieses private Drama kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Viaggio in Italia" ein optimistischer Film wurde, denn trotz der vielen noch vorhandenen Missstände, liegt über allem die Kraft eines Landes, dem Rossellini die Zukunft zutraut - in seiner üblichen lakonischen Art. So ist auch das Ende zu verstehen, bei dem Alex und Katherine quasi von der Menge aufgesaugt werden und für einen Moment wieder zueinander finden. Der deutsche Titel "Liebe ist stärker" ist dabei ein veritables Missverständnis, denn nicht die Liebe ist hier stärker - über den tatsächlichen Ausgang der Ehekrise macht der Film keine Aussage - sondern das Land und seine Menschen.

"Viaggio in Italia " Italien 1954, Regie: Roberto Rossellini, Drehbuch: Roberto Rossellini, Vitaliano Brancati, Darsteller : Ingrid Bergman, George Sanders, Maria Mauban, Anna Proclemer, Paul Muller, Laufzeit : 100 Minuten

- weitere im Blog besprochene Filme von Roberto Rossellini :
  
"Roma, citta apertà" (1945)
"Stromboli" (1950)
"Amori di mezzo secolo" (1954)

Samstag, 17. April 2010

La visita (Der Besuch) 1963 Antonio Pietrangeli

Inhalt: Pina (Sandra Milo) wartet am Bahnhof ihres kleinen Ortes gespannt auf einen Besucher aus Rom, den sie bisher nur durch einen Briefwechsel kennt. Der Mittvierziger Adolfo (François Périer) hatte auf eine Zeitungsannonce reagiert, und nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie sich einmal persönlich kennenlernen sollten.

Schon etwas irritiert reagiert der Großstädter auf Pinas altertümliches Auto und die nicht befestigten Straßen, aber besonders das irre Verhalten eines männlichen Einwohners, genannt "Cucaracha" (Mario Adorf), der offen seine negative Meinung über den Besucher ausdrückt, lässt Adolfo, Mitarbeiter einer anspruchsvollen Buchhandlung, am Verstand der Landbevölkerung zweifeln. Aber da gibt es schliesslich noch die optischen Vorzüge Pinas und ihre möglichen Ersparnisse, die ihn erst einmal über eine, aus seiner Sicht, Vielzahl von Unzulänglichkeiten hinweg sehen lassen...



Pietrangelis Filme, deren Drehbücher er größtenteils in Zusammenarbeit mit Ettore Scola und Ruggero Maccari entwickelte, zeichnen sich durch ihre Leichtigkeit und Modernität aus, da sie die damaligen Modererscheinungen mit einbezogen. Zeitgenössische Schlager und zu aktueller Musik tanzende Menschen wurden in seinen Filmen zu wesentlichen Charakteristika in der Beschreibung der sich nach dem Krieg verändernden Sozialisation. Heiraten, Kinder oder Ehealltag standen nicht mehr im Vordergrund, sondern wurden zunehmend von Hedonismus und einer offeneren Sexualität verdrängt.

Tatsächlich befand sich diese Entwicklung in den frühen 60er Jahren noch in ihren Anfängen, aber Pietrangeli und seine Co-Autoren begriffen die Auswirkungen auf die Psyche des Einzelnen in einer Phase des Übergangs zwischen konservativen Wertvorstellungen der Zeit vor dem 2.Weltkrieg, die noch von Disziplin und Enthaltsamkeit geprägt waren, in eine Zukunft, die Wohlstand und Freiheit versprach. Durch den komödiantischen Grundton, der Pietrangelis Filme prägte, und den Verzicht auf die Darstellung konkreter Missstände, standen seine Filme im Ruch des gesellschaftskritischen Harmlosigkeit - zu Unrecht, denn Pietrangeli verband darin eine ironische, schonungslose Demaskierung alter Denkmuster, ohne die negativen Auswirkungen der zukünftigen Freiheiten zu vernachlässigen.

Die Beschränkung auf das Verhältnis Mann und Frau in der Beobachtung der sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse hat zudem aus heutiger Sicht den Vorteil, dass die hier geschilderten Ereignisse - losgelöst vom historischen Kontext – nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Dass die Protagonisten dabei fast immer ihr Lächeln im Gesicht behielten, sollte nicht über ihren wahren Gefühlszustand hinwegtäuschen - besonders für Ettore Scola blieb es auch in seinen eigenen Regie-Arbeiten ein Stilelement, dass entweder die Unfähigkeit im Erkennen der eigenen Situation oder selbstverliebte Arroganz symbolisierte. In seinem 1976 entstandenen Film "Brutti, sporchi e cattivi" trieb er es damit auf die Spitze. Auch "La visita" endet mit einem Lächeln im Gesicht seiner zwei Protagonisten, aber das sollte nicht über deren tatsächlichen Empfindungen hinwegtäuschen.


Die Story selbst ist schnell erzählt und behandelt ein modernes Phänomen – heute würde man es „Blind Date“ nennen. Anfang der 60er Jahre kam ein solches Treffen noch per Zeitungsannonce zustande. Pina (Sandra Milo) hatte mehrere Briefe auf ihre Anzeige erhalten und sich für Adolfo (François Périer), einen römischen Buchhändler, entschieden, den sie nach einem kurzen Briefwechsel zu sich aufs Land eingeladen hatte. „La visita“ beginnt, als der Zug in den Kleinstadtbahnhof einfährt und endet keine 24 Stunden später, wenn Adolfo wieder nach Rom zurückfährt. Die Stunden dazwischen werden fast ausschließlich aus der Sicht der zwei Protagonisten geschildert, ergänzt durch einige Bewohner der Kleinstadt, unter denen Mario Adorf als leicht verrückter Bewunderer Pinas, genannt „Cucaracha“, hervorsticht. Pietrangeli verzahnte die Kennenlernphase von Mann und Frau mit Blicken in das wahre Leben der Beiden, was die grundsätzliche Regel bestätigt, dass bei der Partnerwerbung Niemand die Wahrheit sagt.

Der sich intellektuell gebende Buchhändler aus der Großstadt, der unter seinem Chef leidet, macht von Beginn an kein Geheimnis aus seiner Haltung gegenüber der aus seiner Sicht rückständigen Landbevölkerung und deren Lebensgewohnheiten. Sobald die patente und selbstständige Pina ihm den Rücken kehrt, tritt er die Haustiere, verrückt Möbel und sinniert über ihre Ersparnisse. Zunehmend alkoholisiert verliert er die Kontrolle über sich, legt sich beim abendlichen Tanzvergnügen mit den anderen Dorfbewohnern an und beginnt, Pina zu befingern. Leicht könnte man den Film als einseitige Kritik am selbstgefälligen männlichen Geschlecht oder arroganten Großstädter verstehen, aber Pina ist nur äußerlich disziplinierter, hat heimlich einen verheirateten Geliebten und leidet vor allem unter ihrem Status, als Frau Mitte 30 noch keinen Mann zu haben. Ihre sehr geordnete kleine Welt vermittelt zudem wenig Bereitschaft, etwas Neues riskieren zu wollen.


Letztlich werden diese Unterschiede Makulatur, denn Mann und Frau, egal aus welchem Umfeld sie kommen, haben nur ein Ziel – die Durchsetzung eigener Wünsche und die Aufrechterhaltung des eigenen Selbstwertgefühls. Der zu Beginn eher komödiantisch angelegte Film, wird immer ätzender bei der Betrachtung eines Möchtegern – Paares, das - statt sich einer echten Auseinandersetzung zu stellen, die zu Veränderungen führen könnte - immer krampfhafter darum bemüht ist, aus der Sache noch irgendwie heil heraus zu kommen. So ist auch das abschließende Lächeln zu verstehen, dass beider Gesichter ziert, während parallel die belanglosen Texte zweier zukünftiger Briefe erklingen – sie haben es überstanden,
aber gelernt haben sie daraus nichts – weder über den Anderen, noch über sich selbst. 

"La Visita" Italien, Frankreich 1963, Regie: Antonio Pietrangeli, Drehbuch: Antonio Pietrangeli, Ettore Scola, Ruggero Maccari, Darsteller : Sandra Milo, Francois Périer, Gastone Moschin, Mario Adorf, Angela Minervini, Laufzeit : 104 Minuten

"Porträt Antonio Pietrangeli" 

- weitere im Blog besprochene Filme von Antonio Pietrangeli :

"Il sole negli occhi" (1953)
"Amori di mezzo secolo" (1954)
"Adua e le compagne" (1960) 
"La parmigiana" (1963) 
"Io la conoscevo bene" (1965)
"Le fate" (1966)
"Come, quando, perché" (1969)

Freitag, 2. April 2010

Roma l'altra faccia della violenza (Die blutigen Spiele der Reichen) 1976 Marino Girolami

Inhalt: Nach dem Einbruch in eine römischen Villa, bei dem zwei Frauen verletzt werden, kommt es bei der Verfolgung des Fluchtautos zu Schusswechseln. Commissario Carli (Marcel Bozzuffi) ,leitender Ermittler, muss erleben, wie mehrere seiner Polizisten dabei sterben. Dr. Alessi (Anthony Steffen) erleidet ein ähnliches Schicksal, als seine Tochter Carol (Roberta Paladini) bei einem Überfall auf eine Party erschossen wird. 

Die Polizei vermutet, dass es sich in beiden Fällen um die selben Verbrecher handelt, deren Spur in ein Armenviertel Roms führt. Doch während sie unter teilweise großen Verlusten und dem Widerstand der dort lebenden Bevölkerung die ersten Verhaftungen vornehmen, ermittelt Dr.Alessi auf eigene Faust, die ihn in ganz andere Kreise führt...


 
Regisseur Marino Girolami, der später mit Werken wie "Zombi Holocaust" (Zombies unter kannibalen, 1980) und diversen Sex - Komödien Berühmtheit erlangte, nutzte Mitte der 70er Jahre auch die über Italien hereinbrechende Welle der Gewalt, die ihren Ursprung vor allem in der Zuspitzung des politischen Konflikts hatte. Anders als etwa Damianis "Io ho paura", der diese Kriminalität als gezielte Verunsicherung analysierte, um konservativen Kräften die Legitimation zu verschaffen, Kontrollmechanismen über die Bevölkerung und damit eigene Interessen durchzusetzen, bedienten andere Filmemacher die Vorurteile und Ängste einer Gesellschaft, die die zunehmende Gewalt als Folge der Veränderungen der 60er und frühen 70er Jahre ansahen.

In dieser Phase kristallisierte sich eine neue, schwer einzuschätzende kriminelle Spezies heraus - von ihrem materiell sorgenfreien Leben gelangweilte Männer, die nur aus Spaß Verbrechen begingen. "Fango bollente" (1975) machte diese Täter inmitten einer saturierten Bürgerschicht aus, die fast ohne Risiko vorgehen konnten, weil man die Schuldigen in anderen Kreisen suchte, verzichtete dabei aber auf Wertungen innerhalb der Gesellschaft. Girolami hob dagegen den Konflikt zwischen Arm und Reich stärker hervor, indem er zwei Verbrechen aneinander fügte, die in ihrer unmittelbaren Gewaltausübung vergleichbar scheinen - zuerst geschieht ein Raub in einer Villa, bei dem zwei Frauen verletzt werden, kurz danach ein Überfall auf eine Party in einem herrschaftlichen Gebäude. Während nach dem Raub bei der Verfolgung des Fluchtautos mehrere Polizisten zu Tode kommen, wird bei dem Überfall eine junge Frau ohne näheren Grund erschossen.

Kommissar Carli (Marcel Bozzuffi) und seine Kollegen vermuten hinter beiden Verbrechen die selben vier Männer und machen sich mit brachialen Methoden an die Arbeit. Besonders Dr.Alessi (Anthony Steffen), erfolgreicher Unternehmer und Vater der ermordeten jungen Frau, setzt sie dabei unter Druck, ermittelt aber gleichzeitig auf eigene Faust. Während die Spur der Polizei in die Armenviertel Roms führt, findet Dr.Alessi heraus, dass vier junge Männer aus wohlhabenden Familien hinter dem Mord an seiner Tochter stecken. Ganz offensichtlich sind unterschiedliche Banden für die Verbrechen verantwortlich, aber die Polizei glaubt lange an ihre ursprüngliche Theorie und setzt einen jungen Mann, den sie im Armenviertel festgenommen hatten, so unter Druck, dass er in seiner Zelle Selbstmord begeht.

Mit Subtilität und feinen Charakterzeichnungen hat der Film wenig zu tun, sondern entwickelt von Beginn an ein hohes Tempo in den Szenenwechseln, mit dem gezielt Stimmung erzeugt wird. Neben den unterschiedlichen Verfolgungsjagden und Verhaftungen, die in der Regel in Blutbädern enden, sind es vor allem Klischees, mit denen die Gegensätze hoch gepusht werden. Im Armenviertel stürzt die gesamte Bevölkerung auf die Polizei ein, als diese die Verdächtigen verhaften wollen, so dass sie sich mit Maschinengewehrschüssen befreien muss. Hier wird der Eindruck materieller Not vermittelt, der die jungen Männer in die Kriminalität zwingt, was sich dann auch mit der späteren Verzweiflungstat des Gefangenen beweist.

Im Gegensatz dazu stehen die vier jungen Männer aus bürgerlich wohlhabenden Familien, deren Intentionen letztlich keine Rolle spielen. Sie sind einfach arrogante, sich ihrer überlegenen Stellung bewusste Sprösslinge, die nichts besseres zu tun haben, als mit ihren Motorrädern herum zu fahren, Mädchen aufzugabeln und sie dann zu vergewaltigen. Eventuelle Zeugen werden entweder eingeschüchtert oder gekauft, wie es auch bei dem Floristen geschah, der sie nach dem Überfall gesehen hatte. Dr.Alessi lässt sich davon nicht täuschen, wendet selber rohe Methoden an, um die Wahrheit heraus zu bekommen, und überzeugt dann die Polizei von seiner Theorie. Doch dann muss er feststellen, dass diese gegen die reichen Eltern, die mit Anwälten und falschen Alibis aufwarten können, keine Chance hat. Als er dazu noch selbst körperlich bedroht wird, nimmt er das Gesetz in seine eigenen Hände...

"Die blutigen Spiele der Reichen" ist trotz dieser Storyentwicklung kein klassischer Revenge-Thriller, denn Dr. Alessi selbst ist auch nur Teil einer dekadenten Gesellschaftsschicht, die ihre eigenen Gesetze macht, und verfügt nie über die Sympathien des Comissarios. Seine Selbstjustiz bekommt in diesem Zusammenhang einen selbstironischen Aspekt, da ihm seine eigene Verstrickung in den Tod seiner Tochter lange nicht bewusst wird. Letztlich bleibt "Roma l'altra faccia della violenza" ein klassischer Polizeifilm, der keinen Zweifel daran lässt, wer wirklich das Gesetz vertreten sollte.

Doch zu ernst sollte man die sozialkritische Attitüde in der Gegenüberstellung zweier Gesellschaftsschichten nicht nehmen, denn dafür ist es zu offensichtlich, worum es in diesem Film wirklich geht - ständige Action, angeheizt von gängigen Vorurteilen gegenüber jungen, reichen Schnöseln und deren Eltern, die ihre Erziehungspflichten vergessen. Tragik kann der Film, trotz der vielen dramatischen Ereignisse, keinen Moment entwickeln, aber die niederen Instinkte seiner Betrachter bedient er vortrefflich. 


"Roma l'altra faccia della violenza" Italien/Frankreich 1976, Regie: Marino Girolami, Drehbuch: Gianfrano Clerice, Vincenzo Mannino, Darsteller : Marcel Bozzuffi, Anthony Steffen, Ennio Girolami, Jean Favre, Sergio Fiorentini, Laufzeit : 104 Minuten

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.