
Ausgeliefert zu sein ist für den Mitteleuropäer der Gegenwart ein eher seltenes Gefühl, aber kurz nach dem 2.Weltkrieg gab es viele Flüchtlinge, die ihrer Heimat entfremdet waren. Die Litauerin Karin Bjösen (Ingrid Bergman), die vor dem Krieg als Diplomatentocher zu den privilegierten Bevölkerungsschichten gehörte und nicht mehr in ihr Heimatland zurück kann, befindet sich in einem Lager und hofft auf ein Visum für Argentinien. Während ihrer Lagerzeit hatte sich die schöne Frau mit dem italienischen Soldaten Antonio angefreundet, der jetzt um ihre Hand anhält. Sie zögert, aber als das Visum abgelehnt wird, heiratet sie Antonio noch im Flüchtlingslager, um ihrer Rechtlosigkeit zu entkommen. Mit ihm zusammen fährt sie in dessen Heimat - der Vulkaninsel „Stromboli“.


Innerhalb dieser abgeschlossenen Welt wirkt Karin wie ein Fremdkörper. Ingrid Bergman spielte sie nicht als Leidende oder gar als Opfer, sondern jederzeit selbstbewusst - eine für eine Frau hier vollkommen ungewohnte, provokante Verhaltensweise. Als sie die ärmliche Situation auf der Insel bemerkt, will sie diese sofort wieder verlassen und macht ihrem Mann Antonio, der sich alle Mühe gibt, heftige Vorwürfe. Schon in einer frühen Szene wird Karin von dem Vertreter der argentinischen Botschaft als verlogen bezeichnet - ein Eindruck, der sich zunehmend zu bestätigen scheint. Scheinbar unternimmt Karin alles nur zu ihrem eigenen Vorteil. Als Tochter aus gutem Hause war sie es gewohnt, dass alles für sie bereitet war, und ist geradezu süchtig danach, die durch die Kriegswirren verloren gegangene Grundlage wieder zu erlangen. Dagegen ist sie weder an ihrem Mann, zu dem sie keine körperliche Nähe herstellt, noch an der Situation der Inselbewohner interessiert.

Das entstehende Verhalten der Anwohner gegenüber dem "Eindringling" blieb trotz der wachsenden Aggression dank Rossellinis sachlicher und unaufgeregter Inszenierung nachvollziehbar. Die Bewohner von „Stromboli“ werden von ihm nicht als Verweigerer gegenüber der "Moderne" charakterisiert, sondern zeigen auch Bereitschaft zur Anpassung..Anders als Karin, die nicht zum Opfer der Inselbewohner oder der schwierigen Verhältnisse wird, sondern ihrer Beharrung auf alte Muster. Trotzdem gelang es Ingrid Bergman diesem sperrigen Charakter in ihrer Angst und wachsenden Verzweiflung Sympathien zu verleihen.

"Stromboli" Italien 1950, Regie: Roberto Rossellini, Drehbuch: Roberto Rossellini, Darsteller : Ingrid Bergman, Mario Vitale, Renzo Cesana, Mario Sponzo, Laufzeit : 97 Minuten
- weitere im Blog besprochene Filme von Roberto Rossellini :
"Roma, citta apertà" (1945)
"Viaggio in Italia" (1954)
"Amori di mezzo secolo" (1954)
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