Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Donnerstag, 22. Oktober 2009

La commare secca (Die dürre Gevatterin) 1962 Bernardo Bertolucci

Inhalt : Eine Prostituierte wird tot, am Ufer des Tiber liegend, aufgefunden. Die römische Polizei vernimmt verschiedene männliche Zeugen, die im nahegelegenen Parco Paolino während der Tatnacht gesehen worden sind - einen Taschendieb, einen Geldeintreiber, einen jungen Soldaten aus dem Süden Italiens, einen Mann aus dem Norden Italiens, der Holzlatschen trägt, und einen Jugendlichen.

Jeder von ihnen erzählt seine eigene Version des Tages und der Nacht vor dem M
ord...

"La commare secca", in der römischen Umgangssprache die Bezeichnung für den To
d, verfügt über unterschiedliche Attribute, die Bernardo Bertoluccis ersten Film in der Wahrnehmung und damit Beurteilung vorbestimmt haben. Selbst das es sein erster Film wäre, wird - obwohl faktisch gegeben - in Zweifel gezogen, da der damals erst 21jährige nur als Ersatz - Regisseur vorgesehen worden war. In unterschiedlichen Publikationen wird deshalb "Prima della revoluzione" (Vor der Revolution) von 1964 gerne als sein erster "echter" Film bezeichnet, weil dazu auch das Drehbuch von ihm stammte.


Tatsächlich ist die Vorgeschichte von "La commare secca" eng mit Pier Paolo Pasolini verbunden, von dem die Story stammte, die er auch ursprünglich selbst verfilmen sollte. Pasolinis literarisches Werk wurde in den 50er Jahren von Bernardo Bertoluccis Vater unterstützt, weshalb der Sohn ihn gut kannte und ihn bei dessen ersten Film "Accattone" als Assistent unterstützte. Da Pasolini die Arbeiten an "Mamma Roma" im gleichen Jahr vorzog, lag die Konsequenz, "La commare secca" in die Hände des Regieneulings zu legen, durchaus nahe, denn Bertolucci war mit Pasolinis Thematik vertraut. Die Ähnlichkeit des Films zu "Accattone" und "Mamma Roma", hinsichtlich der Konzentration auf römische Randbezirke und ihre Bewohner - Arbeitslose, Herumtreiber, Prostituierte - ist auffällig, genauso wie die Arbeit mit Laiendarstellern, die eine größtmögliche Authentizität erzeugen sollte, worin auch wieder die Nähe zum "Neorealismus" erkennbar wird.

Neben dieser starken Bindung an Pasolinis Erfahrungen, die dieser hier konkret in der Person eines Homosexuellen verarbeitet, der von zwei jungen Männern am Tiber beraubt wird, und später Zeuge des Mordes wird, belastete den Film die thematische Nähe zu Korosawas "Rashomon", der schon 10 Jahre zuvor ebenfalls ein Verbrechen aus der Sicht verschiedener Menschen beschrieb. Auch wenn Bertolucci glaubhaft versicherte, den Film damals nicht gekannt zu haben, lag der Vergleich nahe, da in beiden Filmen die Aufklärung des Verbrechens letztlich keine Rolle spielt, sondern die Rücksch
lüsse auf die Psyche der Menschen und ihre von eigenen Bedürfnissen geprägte Sicht auf die Wahrheit. Vielleicht bedurfte es eines gewissen zeitlichen Abstands, um zu erkennen, dass "La commare secca" trotz dieser offensichtlichen Parallelen und Bezüge ein echter Bernardo Bertolucci Film geworden ist, dessen persönliche Handschrift bei der Umsetzung der pasolinischen Thematik ebenso zu erkennen ist, wie die Intention der subjektiven Schilderung des Ereignisses aus der Sicht mehrerer Personen, hier andere Ziele als in "Rashomon" verfolgt.

Schon die erste Kameraeinstellung verdeutlicht Bertoluccis Stil. Sie fängt eine Tiberbrücke von unten ein, erfasst Teile einer zerrissenen Zeitun
g, die herab geworfen wurden, und schwenkt, diese begleitend, zum Boden, wo die Leiche einer Frau am Ufer liegt. Nicht nur die Länge der Einstellung ist für Pasolinis Stil unüblich, auch die darin verborgene Symbolkraft, mit der Bertolucci optisch die in der Luft tanzenden Zeitungsschnipsel mit dem menschlichen Körper verbindet, betont dessen poetischen Stil. Dieser wird fortgesetzt, als die Kamera einen sehr jungen Mann erfasst, der aus einem heruntergekommenen Gebäude über Brachland zum Parco Paolino läuft, der in der Nähe des Leichenfundortes, seitlich des Tibers liegt. Mit einer sehr langen Kamerafahrt erfasst Bertolucci die gesamte Szenerie und vermittelt damit dem Betrachter einen Überblick, ganz im Gegensatz zu Pasolini, der in „Accattone“ kaum einmal übergeordnete Einblicke gewährte.

Die Ähnlichkeit zu „Rashomon“ beschränkt sich auf wenige, eher äußerliche Details. Wie in Kurosawas Werk bleiben zwar auch hier die Ermittler unsichtbar, aber in „La commare secca“ hört man ihre Stimmen, während in „Rashomon“ auch die Fragen, etwa die des Richters, von den Protagonisten selbst, in einer Art Wiederholung, gestellt werden. „Rashomon“ setzt die subjektiven Erzählungen der Zeugen unmittelbar in Bildern um, Bertolucci zeigt dagegen die wahren Vorkommnisse, die die Aussagen punktuell als Lügen entlarven. Die sich daraus ergebende Intention kann unterschiedlicher kaum sein. Kurosawa ging es um Begriffe wie Subjektivität und Wahrheit, während Bertolucci und Pasolini an den Charakteren interessiert sind. Die Differenz zwischen deren Aussagen und ihrem tatsächlichen Verhalten, lassen erst Rückschlüsse auf diese zu. Wie falsch der Vergleich zwischen „Rashomon“ und „La commare seca“ ist, zeigt sich am entscheidenden Detail – alle Aussagen in „Rashomon“ beziehen sich konkret auf das Verbrechen, wenn auch in unterschiedlicher Form, in „La commare secca“ hat dagegen nur ein Zeuge das Verbrechen erlebt – der Mörder. Alle Anderen erzählen einfach nur von ihrem vorangegangenen Tag und der folgenden Nacht.

Dadurch bekommt der Film einen leichten, manchmal komischen Gestus. Der junge Tagedieb, der beim Klauen erwischt wird und eine Abreibung erhält, der Geldeintreiber, der sich als coolen Typen mit Cabrio präsentiert obwohl er dieses nur seiner Chefin verdankt, der junge Soldat aus dem Süden, der die jungen Frauen belästigt, der Besucher aus dem Friaul (Pasolinis Heimat) oder die beiden Teenager, die zwei junge Mädchen im Park kennen lernen – sie alle versuchen ihren Status zu überhöhen, ihre kleinen Gaunereien zu verheimlichen oder schlicht Peinlichkeiten zu verbergen. Es entsteht ein komplexes Bild einer Lebensart, die durch Armut geprägt ist und die mit jeder Gelegenheit versucht, dieser zu entkommen. Die Tragik dahinter wird nicht nur im fehlenden Selbstbewusstsein erkennbar, sondern auch an der schmalen Grenze zum Tod.

Nachdem die beiden Teenager einen homosexuellen Mann beraubt hatten, um die Zutaten für ein Nudelgericht bezahlen zu können, die sie den Mädchen für ein gemeinsames Essen mitbringen sollten, ertrinkt Einer von ihnen aus Angst vor der Polizei bei seiner Flucht durch den Tiber. Der Mann wiederum wurde nur deshalb Zeuge des Mordes, weil er sich nach dem Raub allein am Tiber befand, wo auch die nicht mehr junge Prostituierte in der Regel mit ihren Freiern hinging. An ihrer Person wird deutlich, dass es Bertolucci nicht um ein Puzzle aus subjektiven Eindrücken ging, denn er zeigt parallel zu den Zeugenaussagen deren Werdegang von ihrem ärmlichen Zuhause bis zum Straßenstrich, wo sie in einer frühen Stunde ihren Mörder trifft. Doch selbst dessen Tat ist letztlich nur ein Unfall, aus dem Affekt und der Achtlosigkeit gegenüber ihrer Person entstanden.

Die Stadt Rom, die in diesem Randbezirk lebenden Menschen und ihre Lebensweise s
ind in ihrer dichten Charakterisierung sicherlich ein typischer Pasolini, aber Bertoluccis Interpretation nimmt dieser einen Teil ihrer Ernsthaftigkeit. Trotz aller darin verwobenen Tragik, überrascht das hohe Tempo des Films, dem auch zum Schluss, als der Mörder ganz genregerecht von der Polizei verhaftet wird, nichts pathetisches anhaftet. Die religiösen Bezüge, die ein wesentlicher Wesenszug Pasolinis sind, fehlen hier fast völlig und insgesamt wirkt der Film, trotz der inhaltlichen Verwandtschaft zu „Mamma Roma“ und „Accattone“, weniger fatalistisch und Lebens bejahender, was im letzten Bild kulminiert. Es zeigt ein Steinrelief mit dem Tod, „La commare secca“, als Skelett mit Engelsflügeln – ein Symbol dafür, das der Tod zum Leben gehört.

"La commare secca " Italien 1962, Regie: Bernardo Bertolucci, Drehbuch: Pier Paolo Pasolini, Darsteller : Carlotta Barilli, Alvaro D'Ercole, Giancarlo De Rosa, Silvio Laurenzi, Wanda Rocci, Laufzeit : 92 Minuten

- weitere im Blog besprochene Filme von Bernardo Bertolucci :

"Amore e rabbia" (1969)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.