Da Duelle verboten sind, hat sich das Problem schnell gelöst und Ussoni wird ausgewiesen, aber Livia verfällt zunehmend dem Charme des jüngeren Mannes und trifft sich heimlich mit ihm. Als sie wieder am verabredeten Ort auf ihn wartet, erscheint Mahler nicht. Auch ihr Versuch, ihn bei den anderen Offizieren anzutreffen scheitert. Zudem muss die Gedemütigte feststellen, dass ihre Haarlocke, die sie ihm in einem Anhänger geschenkt hatte, lieblos auf dem Tisch liegt.
Als sich die Ereignisse zwischen Italien und Österreich in Venedig zuspitzen, wird sie von ihrem Ehemann zu ihrem Landhaus in Sicherheit gebracht. Sie versucht Franz Mahler zu vergessen, aber plötzlich, während die Hunde noch anschlagen, steht er in ihrem Schlafzimmer...
"Senso" (Sehnsucht) wird filmhistorisch eine entscheidende Funktion zugeschrieben, denn nach verbreiteter Auffassung beendete Luchino Visconti damit die Phase des italienischen "Neorealismus", wie er sie mit "Ossessione" 1941 begonnen haben soll. Diese Meinung kann nur dem Versuch, zeitgenössische Entwicklungen greifbarer und damit katalogisierbar werden zu lassen, entsprungen sein, denn - unabhängig davon, dass der Realismus im italienischen Film weiter stilbildend blieb - handelt es sich bei "Senso" eher um einen Beginn als einen Abschluss in Viscontis Werk, denn hier setzte er sich das erste Mal intensiv mit der italienischen Geschichte und der Rolle des Adels auseinander - und damit mit seiner eigenen adeligen Herkunft.
"Senso" weist schon signifikante Parallelen zu "Il gattopardo" von 1963 auf. Da ist zum Einen der historische Hintergrund der Gründung eines vereinigten Italiens 1861, hier aus dem Blickwinkel Venedigs, dort von Sizilien aus gesehen, zum Anderen die Rolle des Adels innerhalb einer Entwicklung, die das Bürgertum stärkte, ihre eigene Machtposition aber schwächte. "Senso" ist zeitlich ein wenig später angesiedelt als "Il gattopardo", der die Anfänge der Vereinigung schildert, während Venedig und Triest noch von den Österreichern besetzt waren.

Während "Il gattopardo" seinen Blick deutlich weiter in die Zukunft legte, und negative Entwicklungen aufzeigte, deren Auswirkungen schon auf den Faschismus unter Mussolini hinwiesen, verblieb Visconti in "Senso" noch ganz in der damaligen historischen Situation. Ähnlichkeit besteht wiederum darin, die unterschiedliche Reaktion des Adels durch die handelnden Personen wider zu spiegeln. Während Ussoni ganz auf der Seite der Befürworter eines vereinigten Italiens gegen die österreichische Besatzungsmacht kämpft, hat sich der Graf Serpieri (Heinz Moog), Livias Mann, mit dieser arrangiert und hält sich heraus. Er ist zwar Patriot, aber er misstraut dem neuen italienischen Staat.
Der entscheidende Unterschied zu "Il gattopardo" liegt aber darin, dass die Rolle Ussonis oder des Grafen, die ganzen detailliert dargestellten Befreiungskämpfe und Schlachten, denen man das Prädikat "historischer Realismus" verlieh - als ob nicht alle Filme Viscontis diese Qualität aufweisen - letztlich nur die Funktion einer Nebenhandlung einnehmen, denn wirklich im Mittelpunkt steht die Liebesgeschichte zwischen der Gräfin Livia und dem österreichischen Offizier Franz Mahler. Darin liegt keine Abwertung der Historie, sondern Viscontis legitimer Versuch, sich einer wichtigen Entwicklungsphase weniger durch die Beschreibung historischer Fakten zu nähern, als sie auf diese Weise emotional erfahrbar werden zu lassen.


Zwar ist der deutsche Titel "Sehnsucht" nicht exakt übersetzt (wörtlich "Gefühl"), aber er trifft den Inhalt genau. Nur sollte man das nicht allein auf die Liebesgeschichte beziehen, die Visconti aus dem Blickwinkel der Frau schildert, denn diese bedeutet vor allem Flucht - aus einer Tradition, die sich überholt hat, aber auch vor einer Moderne, deren Auswirkungen man nicht kennt. Daraus erwächst eine Sehnsucht nach vermeintlicher Sicherheit, die Livia noch in eine Beziehung zu Franz treibt, als deren Scheitern schon lange offensichtlich ist, während dieser wie ein Selbstmörder auf sein Ende hin zuwandelt - in beiden manifestiert Visconti eine Zeit des Umbruchs, deren Folgen noch nicht absehbar sind.
"Senso" Italien 1954, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Suso Cecchi d'Amico, Camillo Boito (Roman), Darsteller : Alida Valli, Farley Granger, Heinz Moog, Rina Morelli, Massimo Girotti, Laufzeit : 114 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luchino Visconti:
"Rocco e i suoi fratelli" (1960)
"Boccaccio '70" (1962)
"Il gattopardo" (1963)
"Boccaccio '70" (1962)
"Il gattopardo" (1963)
"Vaghe stelle dell'orsa" (1965)
"Lo straniero" (1967)
"Le streghe" (1967)
"La caduta degli dei" (1969)
"Morte a Venezia" (1971)
"L'innocente" (1976)
"Lo straniero" (1967)
"Le streghe" (1967)
"La caduta degli dei" (1969)
"Morte a Venezia" (1971)
"L'innocente" (1976)
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