Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 2. April 2011

La decima vittima (Das zehnte Opfer) 1965 Elio Petri

Inhalt:  Caroline Meredith (Ursula Andress) wird von einem Mann verfolgt, der mitten in New York auf sie schießt. Das stört sie allerdings genauso wenig, wie den Polizisten, der nur überprüft, ob der Schießwütige auch die notwendige Lizenz als "Jäger" hat. Nachdem er diese vorgezeigt hatte, darf er Caroline weiter verfolgen, die ihn geschickt in einen "Masochisten-Club" lockt. Dort erkennt er nicht, dass es sich bei ihr um die Striptease-Tänzerin handelt, weshalb sie ihm so nah kommt, dass sie ihn mit zwei Pistolen aus ihrem BH erschießen kann. Damit hat Caroline auch ihre neunte Aufgabe erfüllt, weshalb sie nur noch einmal als Jägerin erfolgreich sein muss, um eine Million Dollar Preisgeld zu verdienen.

Bei ihrem "Opfer" handelt es sich um Marcello Polletti in Rom, der von den Computern ausgewählt wurde. Er hatte gerade zuvor einen deutschen Reiter als Jäger getötet, und befindet sich nun wieder in der "Opfer" - Situation, in der er seinen Gegner nicht kennt. Er muss darauf achten, nicht überraschend erschossen zu werden, darf aber gleichzeitig auch nicht den Falschen erschießen, da er sonst 30 Jahre lang ins Gefängnis muss. Als er Caroline, die mit ihrer Crew nach Rom geflogen ist, kennen lernt, ahnt er noch nicht, dass sie ihn töten will...


Wie bestimmte Informationen zustande gekommen sind, die dann bis in die Gegenwart ohne sie zu hinterfragen weiter getragen werden, lässt sich im Nachhinein oft nur schwer feststellen. Vielleicht lag es an der deutschen Synchronisation, die die Handlung einfach in das Jahr 2066 und damit um hundert Jahre in die Zukunft versetzte. Tatsächlich gibt es in "La decima vittima" (Das zehnte Opfer) weder eine Jahresangabe, noch einen Hinweis auf eine zukünftige Entwicklung, sondern nur die Zustandsbeschreibung einer Gegenwart, die futuristische Züge an sich hat.

Man könnte das als nebensächlich erachten, aber das Versetzen einer Handlung in eine so weit entfernte Zukunft, hat zur Folge, dass die Betrachter das Geschehen nur als fiktiv, und damit ohne Bezug zur Gegenwart ansehen. Zwar hatte Elio Petri für sein Drehbuch die Erzählung "La settima vittima" (Das siebte Opfer) des Science-Fiction Autors Robert Sheckley zur Grundlage genommen, und damit dessen Idee von legitimen Morden innerhalb klarer Spielregeln zur Kanalisation von Aggressionen aufgenommen, erweiterte diesen Gedanken aber so stark, dass Sheckley später - wiederum auf der Basis des Films - noch den Roman "Das zehnte Opfer" herausbrachte. Das lässt deutlich werden, das "La decima vittima" weniger die Verfilmung einer literarischen Vorlage ist, als das genuine Werk Elio Petris - und dieser zielte in seinen Filmen immer auf die Gegenwart.

Wenn es dafür noch eines Beweises gebraucht hätte, dann liefert diesen die Ausstattung und das gewählte Ambiente. Die futuristische Wirkung erzielte Petri nur mit der Verwendung des damals aktuellen Designs. Einzig die unmittelbar mit dem Spiel zusammen hängenden Computer, wurden speziell für den Film entworfen. "La decima vittima" sog sämtliche aktuellen Design-Strömungen der Zeit, Mitte der 60er Jahre, in sich auf, die den damals vorherrschenden Optimismus, und damit einen unbedingten Zukunftsglauben in solcher Konsequenz verkörperten, dass die Anmutung des Films noch aus heutiger Sicht hyper-modern wirkt. Das gilt auch für die Optik der beiden Hauptdarsteller - Ursula Andress und Marcello Mastroianni - aber die gesellschaftliche Sozialisation der 60er Jahre blieb deutlich hinter diesem futuristischen Ambiente zurück.

Shekley's Idee eines Spiels, in dem legitim gemordet werden darf, war Anfang der 50er Jahre unter dem Eindruck des zweiten Weltkriegs entstanden. So lässt Petri im Film die These verlauten, dass Hitler nicht mit dem Krieg begonnen hätte, hätte er schon die Möglichkeit gehabt, derart seine Aggressionen auszuleben. Doch diese Bemerkung wirkt in Petris Film eher wie eine Reminiszens an Shekley's Original, als das sie viel mit seinem Film zu tun hätte. Denn aggressiv ist hier Niemand. Im Gegenteil wirkt schon der Beginn spielerisch, wenn sich Caroline (Ursula Andress) immer neckisch als Opfer zur Verfügung stellt, um dann den Schüssen ihres Jägers leichtfüssig auszuweichen, bevor sie ihn in einem New Yorker Masochisten-Club quasi mit ihren Brüsten niederstreckt. Damit hat sie fast ihr Ziel, eine Million Dollar zu gewinnen, erreicht, denn jetzt muss sie nur noch einmal als Jäger antreten, nachdem sie zuvor schon neun Runden, darunter fünfmal als Opfer, überstanden hatte.

Als ihr Opfer - allerdings erst in seiner siebten Runde - wurde Marcello Polletti (Marcello Mastroianni) von den Computern ausgewählt, nachdem dieser zuvor einen deutschen Reiter per Bombe umbrachte, die dieser durch zackiges Hackenzusammenschlagen selbst auslöste. Schon in dieser ironischen Tötungsart wird Marcellos eher ruhiges, keineswegs aggressives Wesen deutlich. Er hatte sich bei diesem Spiel nur angemeldet, um die Trennung von seiner aktuellen Frau bezahlen zu können. Olga (Elsa Martinelli), seine zukünftige Frau, wartet schon auf die Annullierung der Ehe.

Bei Elio Petri wandelt sich der zynisch geplante Aggressionsabbau zu einer Auseinandersetzung über die menschliche Sozialisation, speziell über das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Es ist eine veritable Fehlinterpretation, die aufkeimenden Gefühle zwischen Meredith und Marcello als unvorhergesehenen Faktor der Menschlichkeit im seelenlosen Charakter des Mord-Spiels anzusehen, denn bei Petri geht es gar nicht um den Moment des Tötens, der wie ein Nebenprodukt wirkt und keinerlei Emotionen auslöst, sondern ausschließlich um dessen Begleiterscheinungen. Wer die beginnende Beziehung zwischen Meredith und Marcello als romantisch empfindet, hat nicht begriffen, dass hier alles zu einer Inszenierung gehört, aus der sich jeder Beteiligte den möglichst größten materiellen Vorteil verspricht. So makaber die Momente wirken, wenn die Polizei nach einem Tötungsdelikt nur prüft, ob die Spielregeln auch korrekt eingehalten wurden, wirklich modern und für seine Zeit sehr weit voraus gedacht, ist der Film in den Momenten, in denen noch Werbesprüche aufgesagt werden, bevor man abdrückt, um dabei - zusätzlich zum ausgelobten Preisgeld - Gewinn einzustreichen.

"La decima vittima" leistet sich über die gesamte Laufzeit einen schnellen, spielerischen Rhythmus, der nur scheinbar satirisch ein makaberes Zukunftsszenario durchspielt. Hinter seiner unterhaltenden Fassade verbirgt sich ein zutiefst pessimistischer Blick auf eine Gegenwart, in der der kapitalistische Zukunftsglaube und die sozialen Verhältnisse immer weiter auseinander driften. In dieser Intention wird auch die Linie zu späteren Werken wie "La classe oparia va in paradiso" (Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies) von 1971 erkennbar, in der letztlich nicht weniger absurd die Abkehr der italienischen Gesellschaft von Petris kommunistischen Idealen verdeutlicht werden. Wer die am Ende vollzogene Hochzeit der beiden Protagonisten, bei vorgehaltener Pistole, deshalb noch für ein Happy-End hält, glaubt auch daran, dass wirklich Blumen daraus hervor schießen - Elio Petris ganz spezielle Version des "Flower-Power".

"La decima vittima" Italien 1965, Regie: Elio Petrio, Drehbuch: Elio Petri, Tonino Guerra, Ernesto Gastaldi, Robert Sheckley (Erzählung), Darsteller : Ursula Andress, Marcello Mastroianni, Salvo Randone, Elsa Martinelli, Luce Bonifassy, Laufzeit : 92 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Elio Petri:

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Bretzelburger,

weil ich mich gerade selbst mit Elio Petri und LA DECIMA VITTIMA beschäftige, habe ich ein paar kleine Anmerkungen zu deinem Text:

1. Du schreibst: "das Versetzen einer Handlung in eine so weit entfernte Zukunft, hat zur Folge, dass die Betrachter das Geschehen nur als fiktiv, und damit ohne Bezug zur Gegenwart ansehen". Dem würde ich widersprechen wollen. Es ist ja eine typische Eigenschaft der Anti-Utopie (und eigentlich der Science Fiction generell), dass sie sich auf die Gegenwart bezieht, indem sie bestimmte Züge überhöht und auf eine mehr oder weniger ferne Zukunft projiziert. Der Zusatz der deutschen Fassung ist zwar unnötig, ändert m. E. aber nichts am Gesamteindruck des Films: Der Zuschauer erkennt ja "seine" Realität wieder.

2. Es ist nicht der Moderator des Masoch Club, der die Behauptung aufstellt, Hitler würde heute am Spiel teilnehmen und der Zweite Weltkrieg so nicht mehr stattfinden können. Das wird später bei einem Vortrag gesagt, den sich Zuschauer im Ministerium der großen Jagd anhören (in der Szene, in der Marcello seinen Gewinn abholen will).

3. Zwar stimme ich dir bzgl. der Diagnose des Pessimismus zu, auch zu deiner Aussage, es gehe nicht wirklich um das Töten: Aber ich habe Probleme mit deiner Behauptung, die Beziehung zwischen Caroline und Marcello komme allein aus materiellen Erwägungen der beiden zustande. Vielleicht liegt das Problem auch nur in einer etwas unscharfen Formulierung. Mann kann zwar nicht wirklich von einer romantischen Bindung beider Personen sprechen, da stimme ich dir zu, doch liegt das m. E. weniger in einer bewussten bewussten Weigerung begründet, sondern in einer gesellschaftlichen Konditionierung. Die Menschen haben es verlernt zu lieben und Gefühle zuzulassen. Das beide sich genau danach sehnen, wird aber mehrfach deutlich: etwa in Marcellos Frustration, dass seine Frauen ihn nur ausnutzen, oder in Carolines Aggression gegen Männer.

Bretzelburger hat gesagt…

Erst einmal vielen Dank für die ausführlichen Anmerkungen.

zu 1.Ich bin weniger optimistisch, hinsichtlich der Tatsache, das der Zuschauer "seine" Realität erkennt. Im Prinzip hast du recht, aber wenn man sich die aktuellen Bemerkungen zur DVD-Veröffentlichung des Films ansieht, erkenne ich da nur etwas von "Science-Fiction", kaum Jemand begreift den Film als Kritik an der Gegenwart, sondern als höchstens als "cultige" Zukunftsvision. Durch das Versetzen in das angebliche Jahr 2066 wird diese Haltung noch bestärkt.

zu 2. Ich habe das korrigiert, danke.

zu 3. Ich formuliere das hier etwas ausschließlich - sicherlich haben beide Protagonisten auch Sehnsucht nach Emotionen, aber geprägt von den anderen Petri-Filmen habe ich den Eindruck gewonnen, dass dieser Aspekt eher nebensächlich, wenn nicht gar zerstörerisch ist.

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.