Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Mittwoch, 19. Mai 2010

Vaghe stelle dell'Orsa... (Sandra) 1965 Luchino Visconti

Inhalt: Sandra (Claudia Cardinale), inzwischen mit dem Amerikaner Andrew (Michael Craig) verheiratet, kehrt nach vielen Jahren wieder in ihr Heimatdorf Volterra in der Toscana zurück, weil ihr Vater, ein bekannter Wissenschaftler, dort geehrt werden soll. Sie selbst hatte ihn kaum gekannt, da er 1942 als Jude in Ausschwitz in der Gaskammer gestorben war.

In Volterra trifft sie nach langer Zeit auch ihren Bruder Gianni (Jean Sorel) wieder, einen angehenden Schriftsteller, mit dem sie ein inniges Verhältnis hatte. Vor allem der Konflikt mit ihrer Mutter (Marie Bell), einer ehemaligen Konzertpianistin, die später den Anwalt Gilardini (Renzo Ricci) geheiratet hatte, schweisste die Geschwister zusammen. Auch jetzt ist die Begrüssung der Mutter, die auf Grund ihrer psychischen Erkrankung entmündigt wurde und unter ärztlicher Aufsicht bei ihrem Mann lebt, mehr als frostig. Ihr Hass auf den jüdischen Anteil in ihren Kindern bricht wieder aus ihr heraus...

 

Als Visconti „Vaghe stelle dell’Orsa...“ 1965 in die Kinos brachte, stieß er damit auf Verwunderung, denn gegensätzlicher hätte sein Film im Vergleich zu seinem letzten, dem zwei Jahre zuvor erschienenen „Il gattopardo“, nicht ausfallen können. Schwelgte er dort in farbenprächtigen Panoramen, griff er hier wieder auf einen kräftigen Schwarz – Weiß - Kontrast zurück, umfasste er dort gedanklich mehrere Epochen voll gesellschaftspolitischer Relevanz, wirft er hier einen intimen Blick auf den Besuch einer jungen Frau in ihrem Heimatort nach einigen Jahren Abwesenheit. Die einzige Konstante schien Claudia Cardinale zu sein, die auch schon in „Rocco e suoi fratelli“ (Rocco und seine Brüder,1960) die weibliche Hauptrolle spielte, aber dieser Eindruck änderte sich schon bei dem ersten Blick auf ihr Gesicht. Fleckiger und grobkörniger hatte man die schöne Darstellerin bis dahin noch nicht gesehen.

Wie bewusst Luchino Visconti die Schwarz-Weiß-Technik verwendet, erkennt man schon an den ersten Szenen des Films, nachdem Sandra (Claudia Cardinale) und ihr amerikanischer Mann Andrew (Michael Craig) Genf in Richtung ihres toskanischen Heimatortes Volterra verlassen hatten. Am Abend zuvor hatten sie noch eine Cocktail-Party für ein internationales Publikum gegeben - eine Szene, die vor allem wegen ihres Erstarrens beim Spielen des Pianisten von Bedeutung ist – nun wirken die Bilder, die die Kamera aus einer subjektiven Sicht der Reisenden aufnimmt, mit schwachem Hell/Dunkel Kontrast überbelichtet. Der Himmel scheint wolkenlos weiß, Landschaft und Städte sind in ein grelles Licht getaucht, und erst als sie ihr Ziel erreichen und in den alten Palazzo ihrer Familie hinein treten, kehrt sich die Helligkeit in ihr Gegenteil. Damit betont Visconti die Schicksalhaftigkeit eines Geschehens, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

Gerade diese opernhafte Schwere und die nur von Klaviermusik begleitete Düsternis, mit der Sandras Familiengeschichte hier ausgebreitet wird, stellte den größten Unterschied zu Viscontis „Il gattopardo“ dar, der trotz aller Tragik und Konsequenzen emotional zurückhaltend
geblieben war, beherrscht von der souveränen Attitüde des Adeligen. Doch darin liegt letztlich die Parallele zwischen beiden Werken, die sich in ihrer Intention mehr ähneln, als die äußere Umsetzung Glauben machen will. Viscontis eigene adelige Herkunft, der er dank erheblicher Geldmittel auch seine künstlerische Freiheit verdankte, war ein ständiger Quell der Reibung zu seiner kommunistischen Haltung und seinen homosexuellen Neigungen, die alle seine Filme beeinflussten, hier - wie in „Il gattopardo“ - konkret thematisiert. Auch in seinem Beitrag zu „Boccaccio '70“ lag darauf schon der Schwerpunkt, allerdings mehr spielerisch umgesetzt.

Ähnlich zur Historie in „Il gattopardo“, beschreibt er auch in „Vaghe stelle dell’Orsa...“ den Niedergang einer herrschaftlichen Familie, an deren einstige Pracht nur noch der große Palazzo und die angrenzenden Gärten erinnern. Begreift man die Konsequenzen in „Il gattopardo“ als Ausblick auf die zukünftige Politik Italiens bis zur Machtergreifung der Faschisten, ist „Vaghe stelle dell’Orsa...“ die logische Fortführung dieser Thematik. Obwohl der Film in der damaligen Gegenwart spielt, liegt das ausschlaggebende Ereignis für die Handlung mehr als 20 Jahre zurück. Der Anlass für Sandras Rückkehr in ihre Heimatstadt, ist die Ehrung ihres Vaters mit einer Büste im Garten des Palazzo, der damit der Öffentlichkeit übergeben werden soll. 1942 war der berühmte jüdische Wissenschaftler in Auschwitz in der Gaskammer gestorben.

Nur langsam schlüsselt der Film die Konsequenzen daraus auf, die sich vor allem in der Szene manifestieren, in der Sandra ihre Mutter (Marie Bell) wieder trifft. Die ehemalige Konzertpianistin überhäuft sie mit ihrem Hass gegen alles Jüdische, beleidigt sie und hätte auch den Garten für die Ehrung ihres früheren Mannes nicht hergegeben, wenn sie auf Grund ihrer psychischen Erkrankung nicht entmündigt worden wäre. Sie lebt unter ärztlicher Aufsicht im Haus des Anwalts Gilardini (Renzo Ricci), den sie nach dem Krieg geheiratet hatte. Visconti lässt offen, ob sie selbst ihren Mann an die Faschisten auslieferte, aber macht kein Geheimnis aus der moralischen Situation, in der ihre Kinder aufwuchsen, die beim Tod ihres Vaters noch sehr klein waren.

In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle von Sandras Bruder Gianni (Jean Sorel) deutlich, dessen künstlerische, psychisch anfällige Seele dieser Konfrontation nicht gewachsen ist. Nur die Nähe zu seiner Schwester und der geheime Ort, an dem sie sich trafen, ließen ihn diese Situation überleben. Als er jetzt Sandra zum ersten Mal wieder trifft, wirkt er zunächst gefestigt, sich auf dem Weg zu einer Karriere als Schriftsteller befindend, aber seine innere Labilität kommt am Ort seiner Kindheit zunehmend zum Vorschein. In seiner filigranen Figur verarbeitet Visconti die Außenseitersituation eines Menschen, der nicht der sexuellen Norm entspricht – die inzestiöse Beziehung zu seiner Schwester ist ein Synonym zu Viscontis Homosexualität und erfährt hier ebenso Abscheu - vor allem durch die Mutter und den Stiefvater.

Entsprechend missverstanden, wenn nicht gar aus dem historischen Kontext heraus beleidigend, sind frühere deutsche Filmtitel wie „Die Triebhafte“ oder Inhaltsangaben, die von familiärer Dekadenz sprechen. Im Gegenteil steht Sandra in ihrer Selbstkontrolle und Souveränität in Nichts dem Fürsten in „Il gattopardo“ nach. Selbst als ihr Ehemann, überfordert von den sich hochschaukelnden Ereignissen, die Kontrolle verliert, bleibt sie ein Muster an Beherrschung, ohne dabei ihre Emotionen zu unterdrücken. In ihr verweist Visconti noch einmal auf den früher vorherrschenden Geist in der Familie, aber retten kann sie damit Niemanden mehr.

Offensichtlich wird dadurch auch seine Intention für die Wahl der künstlerischen Mittel, die in ihrer direkten Opposition zu der Farbenpracht in „Il gattopardo“ diesen wieder ähneln. Die Klaviermusik symbolisiert die ständige Anwesenheit der Mutter und vermittelt, ähnlich wie die dramatische Optik, nur eine äußerliche Emotionalität, während die Interaktion der Protagonisten von Kälte gekennzeichnet ist. Diese äußerliche Wucht lässt erst das Spannungsverhältnis deutlich werden, unter dem Sandra und ihr Bruder aufwuchsen, und damit ihre Stärke und seine Schwäche.

Viscontis Haltung zu den Geschwistern spricht aus dem Filmtitel, der leider nicht ins Deutsche übersetzt wurde. „Liebliche Sterne im Zeichen des großen Bären...“ - gleichzeitig der Titel von Giannis erstem Buch - zeugen von ihrer Schönheit, aber auch von ihrer Verlorenheit in der Unendlichkeit.

"Vaghe stelle dell'Orsa..." Italien 1965, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Suso Cecchi d'Amico, Darsteller : Claudia Cardinale, Jean Sorel, Michael Craig, Renzo Ricci, Marie Bell, Laufzeit : 100 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Luchino Visconti:

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Sehr interessanter Blog! Danke für die vielen gut geschriebenen Texte. Ich hoffe, dass IL SORPASSO früher oder später seinen Platz hier findet.

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.