Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Sonntag, 29. Juli 2012

I mostri (Die Monster) 1963 Dino Risi


Inhalt: Kaleidoskop der italienischen Gesellschaft Mitte der 60er Jahre, zusammengesetzt aus 20 Episoden unterschiedlicher Länge:





1. L'educazione sentimentale (Herzensbildung)

Ein Vater (Ugo Tognazzi) erzieht seinen kleinen Sohn (Ricky Tognazzi) zu rücksichtslosem und egoistischen Verhalten und erfährt 10 Jahre später die Konsequenz am eigenen Leib.

2. La Raccomandazione (Die Empfehlung)

Ein arroganter, selbstherrlicher Schauspieler (Vittorio Gassman), der seine Umgebung rücksichtslos behandelt, empfiehlt sich selbst am Telefon in bescheidener, unterwürfiger Form.

3. Il mostro (Das Monster)

Nachdem sie den Mörder seiner fünf Kinder gefasst haben, lassen sich zwei Polizisten (Tognazzi, Gassman) grinsend mit dem kleinen Mann, fast verdeckt zwischen ihnen stehend, für die Presse fotografieren.

4. Come un padre (Wie ein Vater)

Ein junger Ehemann (Lando Buzzanca) hat untrügliche Beweise dafür, das ihn seine Frau, mit der er erst kurze Zeit verheiratet ist, betrügt, und bittet seinen besten Freund (Ugo Tognazzi) um Rat. Diesem gelingt es wortreich seinen Freund zu beruhigen und schickt ihn mit dem Versprechen nach Hause, sich selbst darum zu kümmern. Als der junge Mann endlich gegangen ist, geht er wieder in sein Schlafzimmer, wo die Ehefrau seines Freundes schon auf ihn wartet.

5. Presa della vita (Aus dem Leben gegriffen)

Eine Gruppe einfacher Männer entführt eine alte Frau (Maria Mannelli) auf den Straßen Roms, um sie auf einer mondänen Party mit einem Rollstuhl schreiend in einen Pool zu schmeißen. Wie es sich herausstellt ist der avantgardistische Regisseur (Vittorio Gassman) mit der Szene am Pool nicht zufrieden, woraufhin die Männer wieder fortgehen, um eine weitere alte Frau zu entführen - für die 14. Einstellung.

6. Il povero soldato (Der arme Soldat)

Batacchi (Ugo Tognazzi), ein wehrpflichtiger Soldat, kommt nach Rom, um seine ermordete Schwester zu identifizieren. Während die Zeitungen mit großen Lettern über den geheimnisvollen Mord berichten und das Schicksal des armen Soldaten betrauern, versucht dieser das Tagebuch der Prostituierten, in der ihre Kontakte mit bekannten Persönlichkeiten vermerkt sind, gewinnbringend bei einer Zeitung zu verscherbeln.

7. Che vitaccia! (Was für ein Hundeleben!)

Als der mittellose Familienvater (Vittorio Gassman) wieder in die Barracke zurückkommt, in der seine kinderreiche Familie haust, sieht er einen Arzt am Bett eines seiner Kinder sitzen, der darauf hinweist, das es dringend Antibiotika benötigt. Mitleiderregend klagt er dem Arzt sein schwierige Situation und zeigt seine leeren Taschen, bevor er sich wieder auf sein Moped schwingt und zum Fußballstadion fährt, wo er laut schreiend seine Mannschaft anfeuert.

8. La giornata dell'onorevole (Der Tag eines Abgeordneten)

Ein Abgeordneter der christlichen Partei (Ugo Tognazzi) wird vormittags in seinem Büro von einem General erwartet, der ihm dringend von einem politischen Skandal berichten will. Doch der Abgeordnete lässt ihn unter dem Vorwand, keine Zeit zu haben, bis zum späten Abend warten, während er der alltäglichen Arbeit eines Politikers nachgeht - mit Auftritten bei Volksfesten und ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen. Als er spät zurückkehrt, ist der 70jährige General zu geschwächt, um ihm noch berichten zu können. Er kippt um und wird in die wohl verdiente Pension geschickt.

9. Latin Lovers (amanti latini)

Während die Frauen gerne über Architektur reden, haben ihre feurigen Liebhaber eher deren körperlichen Vorzüge im Blick. Auch die beiden sonnengebräunten Südländer (Tognazzi, Gassman) versuchen sich an einer schwarzhaarigen Schönen, die zwischen ihnen sitzt. Als diese aufsteht, berühren sich ihre Hände. Auch als sie bemerken, das sie sich gegenseitig anfassen, halten sie weiter Händchen.

10. Testimone volontario (Der freiwillige Zeuge)

Als Pilade Fioravanti (Ugo Tognazzi) sich freiwillig als Augenzeuge in einem Mordprozess meldet, voller Stolz und bewundert von seiner Ehefrau, erwirkt der Anwalt (Vittorio Gassman) des Angeklagten einen Tag Aufschub. Er beauftragt einen windigen Detektiv, möglichst viel persönliches über den Zeugen heraus zu bekommen, um ihn am nächsten Tag vor dem voll gefüllten Saal und dessen Ehefrau diskreditieren zu können.

11. I due orfanelli (Zwei Waisen)

Während ein junger Blinder (Daniele Vargas) traurige Lieder zur Gitarre singt, sammelt ein Bettler (Vittorio Gassman) Geld bei den Passanten. Einer der Spender macht ihn darauf aufmerksam, dass dem jungen Mann von einem berühmten Augenarzt geholfen werden könnte und übergibt ihm eine Karte des Arztes. Der Bettler bedankt sich jovial, lässt die Karte verschwinden und weist seinen Kumpanen an, schnell den Ort zu wechseln.

12. L'agguato (Der Hinterhalt)

Ein Polizist versteckt sich hinter einem Kiosk, vor dem ein Halteverbot gilt. Jedes Mal, wenn ein Fahrer sich unbeobachtet glaubt und kurz anhält, um sich eine Zeitung zu kaufen, schlägt er heimlich zu und steckt einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer.

13. Il sacrificato (Das Opfer)

Der schon etwas ältere Frauenheld (Vittorio Gassman) beendet nach sechs Jahren die Beziehung zu seiner heimlichen Geliebten (Rika Dialina), weil er sie als verheirateter Mann nicht mehr länger hinhalten will. Er opfert sich für sie, damit sie endlich eine Familie gründen kann, und verabschiedet sich von der weinenden jungen Frau. Um kurz danach bei seiner neuen Geliebten aufzutauchen, nicht ohne seiner Ehefrau mitteilen zu lassen, das er an diesem Abend verhindert ist.

14. Vernissage (Ausstellung)

Ein Mann (Ugo Tognazzi) geht stolz in ein Autohaus, um einen neuen Fiat 600 auf Kredit zu kaufen, den er gleich mitnehmen kann. Seiner Frau erklärt er am Telefon, das Autos kein Luxus mehr sind, sondern eine Notwendigkeit des Alltags, von der die ganze Familie profitiert. Stolz setzt er sich ans Steuer, zieht die neuen Lederhandschuhe an und fährt zum römischen Straßenstrich, wo er die Prostituierte seiner Wahl gleich in seinem neuen Auto mitnimmt.

15. La Musa (Die Muse)

Während die Jury noch darüber diskutiert, wer in diesem Jahr den Literaturpreis erhält, hat sich die Präsidentin (Vittorio Gassman) schon entschieden, was sie mit wohl gewählten Worten begründet. Es handelt sich um einen jungen Mann, der abends zu ihr kommt und auch in ihr Bett darf.

16. Scenda L'oblio (Alles versinkt in Vergessenheit)

Ein Paar sieht sich einen Film an, der während des zweiten Weltkriegs spielt und in dem die Bewohner eines Dorfes, Männer, Frauen und Kinder, vor einer Mauer von der Waffen-SS hingerichtet werden. Daraufhin bemerkt der Mann (Ugo Tognazzi) zu seiner Frau, das ihm die Mauer gefällt, die er sich auch gut als Begrenzung ihres Gartens vorstellen kann. Seine Frau pflichtet ihm bei.

17. La strada e' di tutti (Die Straße gehört allen)

Als er über einen Zebrastreifen geht, regt sich der provozierend langsam gehende Mann (Vittorio Gassman) über die Autofahrer auf, die zu nah und schnell heranfahren, um kurz danach in seinem Fiat rücksichtslos davon zu rasen.

18. L'oppio dei popoli (Das Opium des Volkes)

In aller Ruhe empfängt eine Frau (Michele Mercier) ihren Liebhaber, während ihr Mann (Ugo Tognazzi) so sehr vom Fernsehen gebannt ist, das er deren Schäferstündchen nicht bemerkt.

19. Il testamento di Francesco (Das Testament des heiligen Franziskus)

Eitel lässt sich ein Mann (Vittorio Gassman) vor seinem Auftritt schminken und maniküren, dabei penibel auf das kleinste Detail zu achten, bevor er als Mann der Kirche im Fernsehen das Wort des Franziskus salbungsvoll und bescheiden vorträgt.

20. La nobile arte (Die vornehme Kunst)

Ein abgehalfterter Box-Promoter (Ugo Tognazzi) überredet einen gealterten, einfach gestrickten Boxer (Vittorio Gassman), der sich schon vor fünf Jahren zur Ruhe gesetzt hatte und mit seiner Frau ein Restaurant am römischen Strand führt, dazu, wieder in den Ring zu steigen. Bei dem Kampf wird er so oft niedergeschlagen, dass er danach mit dem Gemüt eines Kleinkinds an den Rollstuhl gefesselt ist.


Viele Episodenfilme besitzen oft sehr allgemein gehaltene Filmtitel, um unterschiedlich ausgerichtete Kurzfilme unter einem Dach zusammenfügen zu können. Der generelle Ansatz von "I mostri" (Die Monster) war dagegen Programm, denn Regisseur Dino Risi und seine Autoren Ettore Scola und Ruggero Maccari nutzten ihn für einen Rundumschlag auf die italienische Gesellschaft, dabei unterschiedliche Facetten zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammensetzend. Die dem Alltag entnommenen Geschichten entwickeln ihren unfreiwilligen Humor aus dem Standpunkt, von dem aus der Betrachter den Agierenden bei ihrem Kampf um den eigenen Vorteil zusieht – ein Humor, der im Hals stecken bleibt.

Im italienischen Film wurde „I mostri“ zu einem stehenden Begriff für alltägliche Monstrositäten und erfuhr im Jahr 1977 mit „I nuovi mostri“ (deutscher Titel „Viva Italia“, wörtlich „Die neuen Monster“) eine zeitgemäße Fortsetzung. Erneut unter Mitwirkung von Dino Risi, den Hauptdarstellern Ugo Tognazzi und Vittorio Gassman sowie den Autoren Ruggero Maccari und dem inzwischen auch am Regie-Pult aktiven Ettore Scola, der mit "Se permettete parliamo di donne" (1964) unmittelbar nach "I mostri" noch einen eigenen Beitrag im selben Geiste beisteuerte. Die ursprüngliche Idee stammte von Elio Petri, der die erste Fassung des Drehbuchs schrieb, die Weiterarbeit allerdings aufgab, nachdem Alberto Sordi seine Teilnahme an dem Film abgelehnt hatte. Stattdessen drehte Petri mit Sordi im selben Jahr „Il maestro di Vigevano“ (Der Lehrer aus Vigevano,1963), zu dem Agenore Incrocci („Age“) und Furio Scarpelli das Drehbuch verfassten - ebenfalls beteiligt an „I mostri“. Eine enge Zusammenarbeit vieler Filmschaffender, die darin gipfelte, dass Alberto Sordi und Mario Monicelli beim Nachfolger "I nuovi mostri" mit an Bord waren.

Für Risi, Scola und Gassman war "I mostri" eine inhaltliche Fortführung ihrer gemeinsamen Vorgängerfilme "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven) und "Il sucesso" (1963), deren beißende Komik die Schattenseiten der äußerlich so fröhlichen italienischen Lebensart auslotete. Erweitert um Ugo Tognazzi setzten sie die Sezierung der italienischen Gesellschaft Anfang der 60er Jahre noch umfassender fort. In zwanzig Kurzfilmen unterschiedlicher Länge, spielten Tognazzi und Gassman abwechselnd, einige Male auch gemeinsam, typische Zeitgenossen und ihre nicht weniger typischen Verhaltensmuster. Die zwanzig Filme, von denen einige mit einer Laufzeit von weniger als einer Minute sehr kurz sind, herausgelöst zu betrachten, wäre nicht gerecht, da sie ihre Wirkung erst im Zusammenspiel mit den anderen Filmen entfalten.

Die kurze Szene am Strand, in der Tognazzi und Gassman als braungebrannte „Latin Lovers“ (9.Episode) jeweils versuchen, eine dunkelhaarige Schöne anzubaggern, um - nachdem sie sich verzogen hatte - miteinander Händchen zu halten, erscheint aus dem Zusammenhang gerissen albern, wie auch die Story von dem hinterhältigen Polizisten, der sich hinter einem Zeitungskiosk versteckt, um Falschparkern unbemerkt ein Knöllchen zu verpassen, wenn diese gerade eine Zeitung kaufen (12.Episode). Auch die Anspielungen auf den zeitgenössischen Film und dessen Protagonisten – von Risi schon in „Il sorpasso“ gerne gepflegt – entfalten ihre Wirkung erst durch die Verzahnung mit den anderen Szenen. Gassman spielte in der 5.Episode Federico Fellini, der alte Frauen auf Roms Straßen entführen lässt, um sie auf einer inszenierten Party möglichst authentisch mit dem Rollstuhl in einen Swimming-Pool schmeißen zu lassen, und Ugo Tognazzi fällt als Kinobesucher in der 16. Episode beim Anblick einer standrechtlichen Erschießung durch ein SS.-Kommando vor einer Mauer nur die Gestaltung seines Gartens mit einer ähnlichen Mauer ein. Diese kurzen absurd wirkenden Episoden lassen erst im Zusammenspiel den alltäglichen Wahnsinn erkennen, der auch positive Ansätze zu verbiegen weiß.

Neben bewusst zugespitzten Filmen wie die 18.Episode, in der der Ehemann das Schäferstündchen seiner Frau mit ihrem Geliebten nicht bemerkt, nicht einmal als dieser einen Drink aus dem Wohnzimmer holt, weil er intensiv glotzend vor dem Fernseher hockt - damals ein noch als bedrohlich empfundener Eingriff in das menschliche Sozialverhalten - stehen Filme von genau beobachteter Realität. Auf diese Weise verschwinden die Grenzen zwischen Übertreibung und Normalität, wie es im Alltag ständig geschieht. „Der Tag eines Abgeordneten“, die 8.Episode, beschreibt den Tagesablauf eines Politikers der christlichen Partei, der Hände schüttelnd von einem Termin zum anderen wechselt, obwohl er weiß, das ein honoriger General in seinem Büro auf ihn wartet, um ihn über einen politischen Skandal zu unterrichten. Diese Situation – hier der Auftritt bei Volksfesten und Vereinssitzungen, dort eine wichtige Angelegenheit, die warten muss – war so real, dass ein wichtiger Produzent absprang. Die Anspielung auf die damalige politische Situation, als die Christliche Partei nach außen behauptete, gegen Protektion und Bestechung vorgehen zu wollen, war zu offensichtlich.

Allerdings zielten nur wenige der Episoden unmittelbar auf den Zeitkontext, sondern beschrieben generelle Verhaltensmuster, die sich bis heute nicht geändert haben. Besonders in der Analyse des zwischenmenschlichen Umgangs ist „I mostri“ entlarvend: die Verlogenheit bei der Beeendigung einer Beziehung, während die nächste Geliebte schon parat steht (13. Episode), das Hintergehen eines guten Freundes (4. Episode), das Unterlassen von Hilfeleistung zum eigenen Vorteil (11.Episode) oder das Ausnutzen einer Schwäche (20. Episode). Diese letzte Episode ist zudem ein Beispiel für einige längere Episoden, die eine in sich abgeschlossene Geschichten erzählen, in denen Gassman und Tognazzi meist gemeinsam agierten. Die darin verkörperten Charaktere sind komplexer angelegt wie der ehemalige Boxer, den Gassman in „La nobile Arte“ (20. Episode) verkörperte. Nur noch als Anhängsel seiner resoluten Ehefrau im Strand-Restaurant geduldet, ist er an sich schon eine tragische Figur, schwer gezeichnet von den vielen Kopftreffern seiner Karriere. Dass Tognazzi als erfolgloser Promoter ihn dazu überredet, noch einmal in den Ring zu treten, nutzt diese Situation rigoros aus, denn der alternde Boxer dürstet natürlich nach Anerkennung.

Auch in der 10. Episode „Testimone volontario“ entlarven sich zwei Charaktere erst durch ihre Interaktion. Tognazzi sagt als freiwilliger Augenzeuge in einem Mordprozess aus, nicht ohne Eitelkeit über seine herausgehobene Rolle vor Gericht. Doch der von Gassman gespielte Verteidiger arbeitet mit allen schmutzigen Tricks und setzt einen Privatdetektiv auf ihn an, um Tognazzi vor den Augen des Publikums zu diskreditieren. Die Schuldfrage des Täters spielt angesichts dessen Privatleben keine Rolle mehr. 

Aus dem Zusammenspiel längerer, auch für sich allein stehender Filme, und der vielen mosaikartigen Kurzfilme entstand das komplexe Bild einer gesellschaftlichen Sozialisation Anfang der 60er Jahre, das nur noch wenig Optimismus auf Veränderung übrig ließ. Episoden wie die 1., in der ein Vater seinen kleinen Sohn zu Egoismus und Hinterhältigkeit erzieht, um zehn Jahre später dessen Opfer zu werden, die 6.Episode, in der ein armer Wehrpflichtiger seine ermordete Schwester identifizieren soll, um kurz danach das Tagebuch der Prostituierten bei einer Zeitung verhökern zu wollen oder die 14.Episode, in der ein Mann gegenüber seiner Frau mit seriösen Argumenten seine Entscheidung verteidigt, ein Auto auf Kredit zu kaufen, um mit dem frisch erworbenen Kleinwagen zuerst zum römischen Straßenstrich zu fahren, ließen an der Entwicklung in Richtung Egozentrik keinen Zweifel.

Eine Entwicklung die alle Schichten betraf: vom Oberlehrer im Straßenverkehr (17.Episode „Die Straße gehört allen“) bis zum mittellosen Familienvater, der im Fußballstadion feiert, während seine Kinder erkrankt sind (7.Episode „Was für ein Hundeleben“). Für den Betrachter wird es schwer, sich dem in "I mostri" entstehenden Prototyp des modernen Menschen und dessen "monströsen" Verhaltensweisen zu entziehen. Wohin die Reise geht, offenbarte der Film schon in seiner 3. Episode. Zwei Polizisten (Tognazzi und Gassman) nehmen einen sehr kleinen Mann in ihre Mitte, der seine fünf Kinder ermordet haben soll, und grinsen feist in die Pressekamera, während der Verhaftete zwischen ihnen beinahe verschwindet. Es steht außer Frage, wer hier die eigentlichen Monster sind.

"I mostri" Italien, Frankreich 1963, Regie: Dino Risi, Drehbuch: Ettore Scola, Ruggero Maccari, Dino Risi, Elio Petri, Agenore Incrocci (Age), Furio Scarpelli  Darsteller : Vittorio Gassman, Ugo Tognazzi, Michèle Mercier, Marisa Merlini, Rika Dialina, Laufzeit : 117 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Dino Risi:

Dienstag, 24. Juli 2012

It started in Naples (Es begann in Neapel) 1960 Melville Shavelson


Inhalt: Michael Hamilton (Clarke Gable) kommt zum ersten Mal nach dem Krieg wieder nach Neapel, um die Erbschaftsangelegenheiten seines bei einem Unfall verstorbenen Bruders zu regeln. Der Anwalt will so schnell wie möglich wieder nach Philadelphia zurück, da er Land und Leuten in Italien sehr skeptisch gegenüber steht. Doch sein italienischer Anwaltskollege Mario Vitali (Vittorio De Sica) überrascht ihn damit, das sein Bruder gemeinsam mit einer Frau verunglückte und sie ihren 8jährigen Sohn Nando hinterließen, Hamiltons Neffen. Dieser lebt bei seiner Tante Lucia (Sophia Loren) auf Capri, weshalb sich Hamilton dazu entschließt, mit der Fähre hinüber zu fahren, um den Jungen einmal kennenzulernen. Die schöne Lucia selbst hatte ihm Vitali schon in Neapel bei einer Prozession durch die Altstadt vorgestellt, bei der sie als Königin mitwirkte.

Ihr Zuhause auf Capri wirkt zwar weniger königlich, aber offensichtlich ist Nando, den Hamilton vorher schon zufällig am Hafen trifft, sehr glücklich bei seiner Tante. Mit dem Eindruck, die Dinge erledigt zu haben, verabschiedet sich der Anwalt, um die letzte Fähre nach Neapel zu nehmen. Doch diese existiert nicht, weshalb er sich für eine Nacht ein Hotelzimmer nehmen muss. Als er am späten Abend durch die Gassen streift und einen Café trinken will, begegnet ihm wieder Nando, der raucht und Werbezettel für die Auftritte seiner Tante verteilt, auf denen diese leicht bekleidet abgebildet ist. Als er ihn nach seiner Schule fragt, antwortet er nur, diese würde zu früh für ihn beginnen. Misstraurig geworden, begibt er sich zu dem Etablissement und erlebt Lucia bei ihrem Auftritt. Er beschließt, dass sich doch etwas ändern muss...


Von den us-amerikanischen Filmen, in denen Sophia Loren die Hauptrolle spielte, ist "It started in Naples" (Es begann in Neapel) der italienischste. Nicht nur das Suso Cecchi D'Amico am Drehbuch mitwirkte, Vittorio De Sica eine wichtige Nebenrolle spielte und der Film in den römischen "Cinecittà" Filmstudios, sowie vor Ort in Neapel und auf Capri entstand, sondern Sophia Loren kam mit ihrer Rolle als junge Frau aus einfachen Verhältnissen wieder auf ihre Anfänge zurück. Damit schloss sich der Kreis, denn Vittorio De Sica hatte die in Neapel aufgewachsene Loren in "L'oro di Napoli" (Das Gold von Neapel, 1954) in einer Rolle (Episode "Pizze a credito") besetzt, die sie in "Es begann in Neapel" variierte.

Mit Regisseur Melville Shavelson hatte sie zuvor schon in den USA "Houseboat" (1958) gedreht, dort aber eine Italienerin aus gutem Hause verkörpert, während sie jetzt wieder die lebenslustige Süditalienerin gab, die ihre optischen Vorzüge einzusetzen weiß. Ihr Lebenswandel im Film wirkt entsprechend wenig solide, auch weil sie im knappen Trikot nachts zum Vergnügen der Touristen singt und tanzt. In "L'oro di Napoli" hatte sie noch einen heimlichen Liebhaber und ihre Beweggründe waren durchaus egoistischer Natur, aber diese Freizügigkeit war im amerikanischen Kino dieser Zeit nicht möglich, weshalb sich Shavelson eine ziemlich hanebüchene Konstruktion ausdachte.

Als der Anwalt Michael Hamilton in Neapel ankommt, will er nur so schnell wie möglich die Erbschaftsangelegenheiten seines vor 10 Jahren nach Italien ausgewanderten Bruders erledigen. Sein Kollege Mario Vitale (Vittorio De Sica) möchte ihm Neapel und Umgebung zeigen, aber Hamilton lehnt ab, da er glaubt, dass das einzige Interesse der Italiener darin liegt, Touristen auszunehmen, weshalb er auch der freundlichsten Geste misstraut. Aus dem Off kommentiert er entsprechend ironisch Land und Leute, besonders deren Hang zum bequemen Leben. Doch sein Plan wird erschüttert, als er erfährt, das sein noch in den USA verheirateter Bruder mit einer Frau verunglückte und sie einen 8jährigen Sohn hinterließen, seinen ihm bisher unbekannten Neffen Nando (Marietto).

Zu Beginn des Films gibt Italien nicht nur in der Meinung Hamiltons ein sehr leichtfertiges Bild ab, in das das Leben seines Bruders hervorragend passt. An diesem Punkt kommt auch Sophia Loren ins Spiel, der als Tante von Nando das Sorgerecht übertragen wurde. Als Hamilton sie auf Capri besucht, um seinen Neffen kennen zu lernen, fügt sich alles ins voreingenommene Bild - sie schläft tagsüber, da sie bis zum frühen Morgen im Nachtclub auftritt, und der ihr anvertraute Junge verteilt nicht nur Werbezettel mit der Leichtbekleideten, sondern raucht und geht nicht zur Schule, da er ihren Schlafrhythmus angenommen hat.

Das dieser äußerlich anzügliche, unsolide Eindruck relativiert werden musste, wird schon daran deutlich, das Lucia (Sophia Loren) die Tante des Jungen ist, nicht seine Mutter, was wesentlich realistischer gewesen wäre. Nicht nur weil dem Jungen keinerlei Trauer hinsichtlich des Todes seiner Eltern anzumerken ist, obwohl dieser noch nicht lange zurückliegen kann, sondern weil seine leibliche Mutter  - außer zu Beginn durch den Anwalt - nie erwähnt wird, weder von ihm, noch von Lucia, ihrer Schwester. Nandos Vater, der Bruder Hamiltons, und dessen Liebe zum Feuerwerk, bleiben ein wichtiges Thema im Film, aber die Mutter, traditionell die wichtigste Person, scheint nie existiert zu haben.

Ganz offensichtlich war es für die Story zwar notwendig, das Nando zu Lucia ein sehr enges Verhältnis hat, um den Kampf um ihn glaubwürdig darstellen zu können, aber als Mutter hätte sie ein uneheliches Kind gehabt und viele Jahre eine wilde Ehe mit Hamiltons Bruder geführt, womit eine Liebesbeziehung zwischen den beiden Protagonisten nicht mehr möglich gewesen wäre. Auch sonst wandelt sich die schöne Lucia schon bald in ein sehr anständiges, jungfräuliches Mädchen, deren nächtliche Auftritte rein künstlerischer Natur sind und die selbstverständlich keinerlei Männerbekanntschaften hat. Stattdessen geht sie auf den Rat des Anwalts Vitale ein, sich nicht um den Jungen zu streiten, sondern mit dem 30 Jahre älteren Michael Hamilton zu vertragen. Auch dieser wird entsprechend eingewiesen und es beginnen gemeinsame Tage auf Capri, die den schönsten Italien-Urlaub in den Schatten stellen - natürlich trotz aller Liebe immer mit respektvollem Abstand, wie es sich gehört.

Ähnlich unglaubwürdig gestaltet sich auch der private Hintergrund des Anwalts, der kurz vor seiner Hochzeit in Philadelphia steht. Dass er diese um einen Tag verschieben muss, wie er seiner Verlobten am Telefon mitteilt, da er von Capri aus keine Fähre mehr zurück zum Festland bekam, kann man nur wohlwollend als dramaturgisches Schelmenstück ansehen. Hamilton wird zu Beginn so konservativ beschrieben, dass es nicht vorstellbar ist, dass er so unmittelbar vor seiner Hochzeit eine Reise nach Italien unternehmen würde. Wirklich ernst hatten die Drehbuchautoren die Verlobte sowieso nicht genommen, weshalb er die Beziehung mit ihr wenig später aufkündigt, als sie ihn am Telefon zu sehr nervt. „Es begann in Neapel“ lässt keinen Aspekt aus, der das Zusammenkommen zweier Menschen erschweren könnte, egal wie sehr das Drehbuch dafür getreten werden musste.

Umso erstaunlicher ist es, wie souverän Sophia Loren und Clarke Gable darüber hinweg spielen. Gable nimmt man den stocksteifen Anwalt sowieso nicht ab, so lässig bewegt er sich von Beginn an zwischen den vielen Menschen. Auch sein Umgang mit der schönen Lucia zeugt von weltmännischem Auftreten, während Sophia Loren der Spagat zwischen erotischer Versuchung, liebender Mutter (hier Tante) und anständigem Mädchen perfekt gelingt. Der Film verdankt seinen Erfolg der Tatsache, dass die beiden Hauptdarsteller so überlebensgroß sind, das die Drehbuchkonstruktionen dahinter einfach verschwinden. Und er verdankt seinen Erfolg einem Blick auf Italien, das von Sonne und Meer, immer gutgelaunten und dem Leben positiv gegenüber stehenden Menschen geprägt ist – ein Leben voller Amore und anderen großen Gefühlen. Selbst wenn es im Film um die ernsthafte Thematik eines Sorgerechtsstreits vor Gericht geht, muss selbst der Anwalt der Klägerseite, als von Emotionen erfüllter Italiener, die Partei der Mamma - pardon, der Tante! – ergreifen.

Diese wenig realistische, ironiefreie und familientaugliche Sichtweise, auch wenn sie italienische Charakteristika aufgreift und ein wenig die amerikanische Lebensart karikiert (besonders im von Sophia Loren gesungenen Lied "Tu vuó fa l'americano"), könnte man leicht als typische Hollywood-Komödie abtun, aber sie wurde stilbildend auch für viele italienische Filme, besonders in der Zusammenarbeit zwischen Vittorio De Sica und Sophia Loren. In "La riffa" (Episode aus "Boccaccio '70", 1962), "Ieri, oggi e domani" (Gestern, heute und morgen, 1963) und "Matrimonia all'italiana" (Hochzeit auf italienisch, 1964) variierten sie mehrfach die Rolle der Lucia, immer eingebettet in ein pseudo-realistisches Umfeld. Im Vergleich zu den Filmen der „Commedia all’italiana“ wie etwa Mario Monicellis „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958), die hinter dem Humor und der optimistischen Lebensart auch die Schattenseiten spüren ließen, blieben De Sicas Filme dieser Phase von unterhaltender Harmlosigkeit, bewahrten sich aber noch einen Rest an ironischer Distanz. „Es begann in Neapel“ kann dagegen nur mit seinen beiden Hauptdarstellern aufwarten, die mit Hilfe gut aufgelegter Nebendarsteller das verlogene Kind irgendwie schaukeln.

"It started in Naples" USA 1960, Regie: Melville Shavelson, Drehbuch: Melville Shavelson, Suso Cecchi D'Amico, Darsteller : Sophia Loren, Clarke Gable, Vittorio De Sica, Marietto, Paolo Carlini, Laufzeit : 97 Minuten

Dienstag, 17. Juli 2012

Django 1966 Sergio Corbucci


Inhalt: Ein Mann (Franco Nero), der zu Fuß einen Sarg hinter sich her zieht, wird Zeuge, wie Mitglieder einer mexikanischen Gang eine junge Frau überwältigen, fesseln und auszupeitschen beginnen. Bis sie von amerikanischen Männern plötzlich erschossen werden. Doch diese wollten keineswegs die Gefangene befreien, sondern bereiten ein Kreuz vor, an das sie sie als Verräterin ihrer Rasse binden wollen, weil sie sich mit Mexikanern eingelassen hätte.

Inzwischen hat sich der unbekannte, schwarz gekleidete Mann mit seinem Sarg der Szene genähert und drückt sein Missfallen über das Verhalten der Männer aus. Diese drohen ihm, aber er erschießt sie, ohne das sie reagieren können. Er stellt sich Maria (Loredana Nusciak) als „Django“ vor, verspricht sie zu schützen und nimmt sie mit an einen kleinen Ort, wo er ihr in dem Saloon das Zimmer einer der Animierdamen besorgt. Nur wenig später kündigen sich Colonel Jackson und seine Männer an, die zuvor aus Spaß wehrlose Menschen abgeknallt hatten. Die Anwesenheit Djangos weckt sofort ihr Misstrauen…


In den frühen 70er Jahren gab es einen harmlosen Kinderwitz, der gerne erzählt wurde:

Django betritt eine Straßenbahn. Kurz darauf kommt der Fahrkartenkontrolleur auf ihn zu und bittet ihn um seine Fahrkarte, worauf Django mit tiefer brummiger Stimme entrüstet antwortet „Django kauft keinen Fahrschein!“ – (längere Pause) - „Django hat eine Monatskarte!“

Ohne Django gesehen zu haben, wusste man auch als Kind, wie absurd ein solcher Wortwechsel war, denn sein Name war ein Markenzeichen, ein Synonym für Härte und Coolness. Daran wird deutlich, dass Sergio Corbucci - gemeinsam mit seinem Bruder Bruno, der am Drehbuch mitwirkte - eine Marke erschaffen hatte, die ins Bewusstsein der Gesellschaft eingedrungen war. Aus der heutigen Sicht wirkt das erstmalige Auftauchen dieser Figur wie eine Revolution im Western - weg vom amerikanischen Vorbild, hin zu einer schäbigen Realität mit herunter gekommenen Orten, durch die schlammige Straßen führten.

Tatsächlich hatte die Entwicklung in Richtung des Italo-Western schon deutlich früher begonnen. Auch im amerikanischen Western der späten 50er und frühen 60er Jahre hatten die Helden langsam ihren Glorienschein verloren. Klassiker wie „Weites Land“, „Rio Bravo“ oder „Die 4 Söhne der Katie Elder“ vermittelten schon einen staubigen Westen, in dem der Held sich mit Alkoholproblemen und seiner bürgerlichen Umgebung herumschlagen musste. Und Sergio Leone hatte 1964 Clint Eastwood in „Per un pugno di Dollari“ (Für eine Handvoll Dollar) als coolen Helden eingeführt, der überirdisch schießen konnte und dem moralische Bedenken fremd waren. Dagegen wirkt „Django“, für den Corbucci den damals noch unbekannten Franco Nero verpflichtete, wie eine ehrliche Haut. Seine Beweggründe sind moralisch nachvollziehbar und er verwandelt sich zunehmend von einem coolen Revolverhelden zu einem Märtyrer.

Django ist eine ins Extreme gesteigerte, aus schon bekannten Versatzstücken zusammen gesetzte Figur, die auf die Komödien - und Historienfilm - Vergangenheit Corbuccis zurückzuführen ist. In den späten 50er und frühen 60er Jahren wechselten sich Filme mit antiken Helden wie „Il figlio di spartacus“ (Der Sohn des Spartacus, 1963) mit einer Vielzahl von Komödien ab, in denen meistens Totò die Hauptrolle spielte – unter anderen „Totò, Peppino…e la dolce vita“ (Toto, Peppino und das süße Leben, 1961), eine Persiflage auf Fellinis Film – bis sich Corbucci an seinen ersten Western wagte. „Massacro al grande Canyon“ (Keinen Cent für Ringos Kopf, 1964) drehte er noch unter dem Pseudonym Stanley Corbett als Co-Regisseur, bevor er mit „Minnesota Clay“ (1964) seinen ersten Western unter eigenem Namen heraus brachte, der sich noch am us-amerikanischen Genre orientierte.

Bei „Django“ nahm er wieder die Mithilfe seines Bruders in Anspruch, der sich zuvor vor allem als Drehbuchautor von Komödien einen Namen gemacht hatte. Vielleicht war es diese Zusammenarbeit, die sich noch einmal bei „Il grande silenzio“ (Leichen pflastern seinen Weg, 1968) wiederholte, die zur Geburt eines künstlichen Heldentypus führte, der zum Markenzeichen des Italo - Western wurde, obwohl Corbucci an dessen Entwicklung bis zu „Django“ nicht beteiligt war. Seine späteren Western "Navajo Joe" (1966), „Il Mercenario“ (Mercenario – der Gefürchtete, 1968) oder „Il grande silenzio“ verfügten nicht nur über vielschichtigere Charaktere, sondern waren gesellschaftskritischer angelegt, wie auch „Il bestione“ (Die cleveren Zwei, 1974), einem Film, der zwar in der italienischen Gegenwart spielte, aber über einen ähnlichen Gestus verfügte. „Django“ wirkt dagegen fast comichaft in seiner eindeutigen Stilisierung, nahe an einer Persiflage auf den idealtypischen Italo – Westernhelden. Diese Vereinfachung der Symbole und die damit verbundene Gewalt hatte es zuvor in dieser Eindeutigkeit im Western noch nicht gegeben.

Django ist nicht nur ein wortkarger Pistolero, der zu Fuß unterwegs ist, sondern er verbreitet Schrecken wie der leibhaftige Tod, der einen Sarg hinter sich her schleift. Allein schon diese Konstellation, die jeder praktischen Erwägung in einer archaischen Umgebung spottet, ist pure Übertreibung, auch wenn der Sarg ein praktisches Geheimnis birgt. Überleben kann er mit diesem Ballast nur, weil jede seiner Bewegungen langsam und überlegt ist, außer er wird gezwungen zu schießen – dann ist er der Schnellste und Treffsicherste. Doch anders als es seine Optik und sein anfängliches Verhalten vermuten lassen, kann er vom Charakter her mit den strahlenden Helden des amerikanischen Edelwestern problemlos mithalten. Schon zu Beginn, als er die gefangen genommene Maria (Loredana Nusciak) befreit, wird deutlich, dass er seine Fähigkeiten ausschließlich gegen bösartige Verbrecher wendet, die allerdings deutlich in der Mehrzahl sind.

Einzig seine kompromisslose Art, ohne Vorwarnung zu schießen, könnte man als Kritikpunkt an seinem eindimensionalen Charakter ansehen, aber das relativiert sich unmittelbar angesichts der zahlenmäßig überlegenen Horde, der er gegenüber steht. Normale Verbrecher hätten dafür nicht ausgereicht, so das Corbucci gleich eine Armada an sadistischen Schweinen auflaufen lässt, die wehrlosen Menschen aus Spaß in den Rücken schießen. Menschliche Regungen sind diesen von Colonel Jackson (Eduardo Fajardo) angeführten Rassisten, die in ihrem Fanatismus und ihren roten Kapuzen an den Ku-Klux-Klan erinnern, selbstverständlich fremd. Auch die mexikanische Gang, die sich mit Jacksons Truppe um dasselbe Terrain streitet, führt sich gleich standesgemäß ein, indem deren Chef, General Hugo (José Bódalo), dem bigotten Prediger des Ortes dessen eigenes Ohr verfüttert.

Nur Django scheint sich bei dessen Auftauchen plötzlich zu verändern. Nicht nur, das ihn mit dem mexikanischen General, der im eigenen Land nicht mehr willkommen ist, scheinbar freundschaftliche Gefühle verbinden, auch sonst verliert er seine bisherige Überlegenheit und handelt bei seinen Aktionen seltsam unprofessionell. Die gesamte Episode mit General Hugo und seinen Männern wirkt im Gesamtkontext unmotiviert und auch die Anspielungen auf eine Revolution in Mexico bleiben wenig differenziert (anders als in Damiano Damianis „Quien sabe?“ (Töte Amigo!, 1966) oder in seinem eigenen Film "Il Mercenario"). Corbucci nutzt diese Szenerie nur, um Django vom coolen Revolvermann zum Märtyrer werden zu lassen, der versucht, ein altes Trauma zu überwinden.

Mit einer Realität, wie sie in Sergio Leones oder Corbuccis späteren Western in ihrer schmutzigen Optik auch immer erfahrbar blieb, hat das wenig zu tun, genauso wie Djangos hehrer Charakter wenig mit Leones egoistischen und den menschlichen Dingen zugetanen Protagonisten gemeinsam hat. In „Django“ gilt nur das Gesetz des Stärkeren im Kampf „gut“ gegen „böse“ in einer gesetzlosen Umgebung, in der jeder Mensch, der sich nicht wehren kann, schon Opfer ist. Die Abläufe bleiben vorhersehbar und die klischeehaften Dialoge sind in ihrer Ernsthaftigkeit teilweise unfreiwillig komisch. Einzig der Inhalt des Sarges bleibt eine gewisse Zeit ein Rätsel.

Ob die Corbucci - Brüder die Figur des „Django“ selbst nicht ganz ernst nahmen, bleibt fraglich, denn die beeindruckenden Bilder sind von morbider Qualität und die Musik, besonders der Titelsong, verbreitet cooles Sixty-Feeling. Es gelang ihnen der seltene Fall, mit ihrem Film einen Typus zu kreieren, der sich von seiner filmischen Vorlage löste und bis in die Gegenwart überdauerte – wahrscheinlich hätte ein zu komplexer Film mit vielschichtigen Charakteren dabei nur gestört.

"Django" Italien / Spanien 1966, Regie: Sergio Corbucci, Drehbuch: Sergio Corbucci, Bruno Corbucci, Darsteller : Franco Nero, Loredana Nusciak, Eduardo Fajardo, José Bódalo, Ángel Álvarez, Laufzeit : 88 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Corbucci:

Donnerstag, 12. Juli 2012

Le samouraï (Der eiskalte Engel) 1967 Jean-Pierre Melville


Inhalt: Jef Costello (Alain Delon) verlässt seine karge Wohnung, die er nur mit einem kleinen Vogel in einem Käfig teilt, und begibt sich auf die Straßen von Paris. Dort öffnet er einen Citroen und probiert in Ruhe seine Zündschlüssel aus, bis er den passenden findet. Mit dem gestohlenen Wagen fährt er in die Garage eines Spezialisten, der ihn mit einer Waffe versorgt und neue Nummernschilder anschraubt.

Danach besucht er Jane Lagrange (Nathalie Delon) in ihrer Wohnung, um mit ihr sein Alibi abzustimmen. Er erfährt von ihr, dass ihr wohlhabender Geliebter um zwei Uhr nachts vorbei kommt, um sich später für denselben Zeitpunkt bei einer Pokerrunde anzumelden. In den Hinterräumen eines Pariser Nachtclubs erschießt er die Zielperson, wird aber beim Betreten und Verlassen des Gebäudes von mehreren Zeugen gesehen, genauer von der Pianistin Valerie (Cathy Rosier), die ihm unmittelbar nach der Tat gegenüber steht. Ruhig verfolgt Costello weiter seinen Plan, fährt zu der Wohnung von Jane Lagrange, um den Hausflur in dem Moment zu verlassen als ihr Geliebter diesen betritt. Wenig später wird er von der Pariser Polizei als einer von vielen Verdächtigen bei der Pokerrunde verhaftet…


Als "Le samouraï" (Der eiskalte Engel) 1967 in die Kinos kam, bedeutete dieser Film nichts weniger als eine Zäsur  - sowohl in Jean-Pierre Melvilles Filmschaffen, als auch für das Genre des Kriminalfilms schlechthin. So einflussreich der Film für viele Filmschaffende wurde, so missverständlich wurde der Umgang mit diesem Werk, dessen tatsächliche Qualitäten von einer Vielzahl an Fehlinterpretationen überdeckt wurden, die schon mit dem deutschen Titel begannen. Auch der Filmtitel des italienischen Co-Produzenten "Frank Costello, faccia d'angelo" bezieht sich auf das schöne Gesicht Alain Delons, verzichtet aber immerhin auf den unzutreffenden Zusatz "eiskalt" ("In Japan hat der Film seinen Namen behalten, wohingegen man ihn in Italien als "Frank Costello, faccia d'angelo" herausbrachte - weil es der Name eines amerikanischen Gangsters ist. Diese Hunde!" J.P. Melville in "Kino der Nacht").

Dabei weist Melville mit dem Originaltitel auf das ehrenhafte, einem strengen Kodex folgende Verhalten hin, dem sich jeder Samurai bedingungslos unterwirft. In der japanischen Legende der "47 Samurai" bilden das Tötungsdelikt und die Konsequenz daraus für den Täter eine untrennbare Einheit, aber Melvilles Interpretation eines solchen Individuums innerhalb der westlichen Sozialisation, musste auf den Versuch treffen, dessen Verhalten mit bekannten psychologischen Mustern zu erklären. Begriffe wie Einsamkeit, Todessehnsucht, Bindungsunfähigkeit oder Gefühlskälte wurden in die regungslos scheinenden Gesichtszüge Alain Delons hinein interpretiert, dabei verkennend, das sie sich nur in ihm spiegeln, letztlich Ausdruck der ihn umgebenden Gesellschaft sind.


Die äußere Form:

Als besonders bemerkenswert gelten die ersten zehn Minuten des Films, in denen kein Wort gesprochen wird. Abgesehen davon, das sich Jef Costello (Alain Delon) zu Beginn den Vorbereitungen seines Attentats widmet, wobei er nur einem Mann begegnet, der ihm gefälschte Nummernschilder an den gestohlenen Wagen schraubt, zeigt sich darin der typische Stil Jean-Pierre Melvilles. Bei ihm liegt die Konzentration auf der Handlung, während die Dialoge auf ein notwendiges Minimum beschränkt werden. Auch im zuvor gedrehten „Le deuxième souffle" (Der zweite Atem, 1966) fällt in den ersten sieben Minuten kein Wort, obwohl dort drei Männer gemeinsam aus dem Gefängnis ausbrechen, aber wenn es einmal zu längeren Dialogen kommt - in der Regel eher in der Form von Monologen - dann verfolgen die Ausführenden damit immer einen perfiden Plan.

In diesem Stilmittel wird zudem der Einfluss auf Quentin Tarantino deutlich, der in seinen Filmen allerdings wesentlich mehr davon Gebrauch machte, denn man sollte sich in den eloquenten, äußerlich freundlichen Worten, für die in „Le samouraï"  der Kommissar (François Périer) zuständig ist, nicht täuschen. Er schleicht sich von hinten an und will seinen Gegner einlullen, verfolgt dabei aber immer egoistische Ziele ("Der von Périer gespielte Kommissar ist eine sehr subtile, sehr abgebrühte Figur" J.P. Melville in "Kino der Nacht"). Costellos sparsame Sätze sind dagegen von klarer Aufrichtigkeit. Mit diesen Gegensätzen arbeitete Melville auch schon in „Le deuxième souffle", wurde in seinen späteren Filmen aber immer reduzierter. In seinem letzten Film „Un flic" (Der Chef, 1972) verzichtete er auf jeden ausführlichen Dialog - Straftäter und Strafverfolger agierten auf einer Ebene, persönliche Befindlichkeiten wurden nicht mehr ausgetauscht. Auch in der Strenge der äußeren Form und den Anspielungen auf den amerikanischen „Film noir" reiht sich „Le samouraï" in Melvilles Schaffen ein, nicht aber in der Anlage seiner Hauptfigur.


Jef Costello, der Profi-Killer:

Coole, kontrolliert handelnde Protagonisten waren seit „Le silence de la mer“ (Das Schweigen des Meeres, 1949) ein fester Bestandteil in Melvilles Werk, Emotionen zeigten sich nur in Nuancen, blieben dafür aber umso prägnanter. Auch der Vorgänger Jef Costellos, der von Lino Ventura verkörperte Gustave in „Le deuxième souffle", zeichnete sich durch Zurückhaltung aus, war aber in seinem Charakter noch nachvollziehbar. Werte wie Freundschaft und Zuverlässigkeit hatten für ihn höchste Priorität, blieben immer Grundlage seines Handelns, auch wenn er dafür Töten musste.

Betrachtet man Melvilles spätere Kriminaldramen wird der zunehmende Hang zum Fatalismus deutlich, der sich in dem sinnlosen Ende von „Le deuxième souffle" schon andeutete. In „Le cercle rouge“ (Vier im roten Kreis, 1971) kommen keine alten Kameraden mehr zusammen, um ein Ding zu drehen, sondern begegnen sich demoralisierte Männer ohne Zukunftsaussichten. Sie agieren nur noch um der Aktion willen, was Melville in seinem leider letzten Film „Un flic“ (Der Chef, 1972) weiter zuspitzt. Die Hintergründe einer Story und die Intentionen der Handelnden entwickelte Melville in seinen Filmen grundsätzlich erst aus dem Geschehen heraus, aber in „Un flic“ lässt er auch bei fortschreitender Handlung keine emotionalen Motive mehr erkennen. Weder auf der Seite der Unterwelt, noch der Polizei – nicht einmal in den Liebesbeziehungen.

Frauen spielten in Melvilles späten Filmen keine Hauptrolle mehr, ihre Interaktionen mit den männlichen Protagonisten blieben aber wesentlich für den Charakter seiner Filme. In „Le deuxième souffle" hatte Gustave noch eine echte Partnerin an seiner Seite, die nach seinem Gefängnisausbruch weiter zu ihm hielt, einen Vorzug, über den Alain Delon als Corey in „Le cercle rouge“ nach seiner Entlassung nicht mehr verfügte. Dass seine Freundin inzwischen ein Verhältnis mit seinem ehemaligen Partner begonnen hatte, erzeugte schon keine emotionale Reaktion mehr bei ihm. In „Un Flic“ teilte Delon - diesmal in der Rolle des Polizisten - seine Geliebte mit dem von ihm verfolgten Nachtclub-Chef, aber diesem fast beiläufigen Dreiecksverhältnis fehlte die emotionale Tiefe.

Innerhalb dieser Entwicklung nimmt „Le samouraï" eine Sonderrolle ein, die wie ein Einschnitt wirkt, in seiner Ästhetik und im Storyaufbau, Melvilles Intentionen aber in Reinform zusammen fasst. Es ist weniger die Rolle des Profi-Killers, die eine Ausnahme zu seinen sonstigen Gangstertypen bildet, als der damit verbundene völlige Verzicht auf die Beschreibung eines Umfelds und einer Vergangenheit. Interpretationen in der Hinsicht, dass Costello zum ersten Mal einen Fehler macht bei der Umsetzung eines Auftrags, oder das die Anwesenheit des Kanarienvogels in seiner nur mit den notwendigsten Dingen eingerichteten Wohnung, auf seine Unfähigkeit zu menschlichen Kontakte hinweist, unterliegen rein der Fantasie des Betrachters, der versucht, die Figur des Jef Costello mit vertrauten Maßstäben zu erfassen. Im Film selbst gibt es dafür keine Hinweise. ("Jef Costello ist weder ein Gauner noch ein Gangster. Er ist "rein" in dem Sinne, das ein Schizophrener nicht weiß, dass er ein Krimineller ist..." "Ich habe bewusst davon Abstand genommen, ihn zu einem traumatisierten Fallschirmjäger mit Kampferfahrung in Indochina oder Algerien zu machen, der gelernt hat, im Auftrag der Regierung zu töten." J.P. Melville in "Kino der Nacht").

Im Gegenteil stellt sich die Frage, ob Jef Costello tatsächlich einen Fehler begeht, als er seinen Auftragsmord in einem Pariser Nachtclub ausführt. An der Genauigkeit, mit der er sein Alibi vorbereitet, wird deutlich, dass er schon zuvor von eventuellen Zeugen ausging. Damit, das eine Person – in diesem Fall die Pianistin Valerie (Cathy Rosier) – ihn in dem stark frequentierten Club genauer ansieht, musste er rechnen, doch keinen Moment beabsichtigt er deshalb, die Zeugin zu ermorden. Duccio Tessari lässt Alain Delon in „Tony Arzenta“ (Tödlicher Hass, 1973) in einer vergleichbaren Interpretation des Profi-Killers anders handeln – fast bedauernd erschießt er einen zufällig hinzu gekommenen Zeugen. Melville zieht diese Möglichkeit nicht in Erwägung, da sie Costellos moralischer Instanz nicht entspricht. In der Einschätzung ihrer Person liegt er zudem richtig, denn Valerie verrät ihn nicht bei der späteren Gegenüberstellung. Auch der Kommissar zweifelt nicht an ihren Worten, sondern an denen von Jane Lagrange (Nathalie Delon), der Costello sein Alibi verdankt.

Die Interpretation, Costello hätte einen Fehler gemacht, lässt sich bei genauer Analyse nicht halten, denn nicht sein Verhalten, sondern das seiner Auftraggeber setzt ihn zunehmend unter Druck. Verunsichert von der polizeilichen Untersuchung, versuchen diese ihn bei der Geldübergabe erschießen zu lassen, was zwar misslingt, aber den weiteren Verlauf bestimmt. Costello reagiert damit auf deren unehrenhaftes Verhalten, aber nicht mehr im Stil von Gustave, der sich in „Le deuxième souffle" für die Unterstellung, er wäre ein Verräter, rächt, sondern aus seiner inneren Konsequenz heraus, die der am Moralkodex der Samurai orientierten stilisierten Figur entspricht. Deutlich wird das auch darin, dass Costello nie unnötig Gewalt ausübt. Der Handlanger, der ihn bei der Geldübergabe töten sollte und ihn am Arm verletzte, wird von ihm nicht getötet, nachdem er von ihm erfahren hatte, wer tatsächlich hinter dem Auftrag steckt. Wie wenig das Attribut „eiskalt“ im deutschen Filmtitel gerechtfertigt ist, verdeutlicht sich auch an seinem Umgang mit den Frauen, der jederzeit respektvoll bleibt. Das Jane Lagrange selbst unter größtem psychischem Druck ihre Loyalität zu Costello bewahrt, lässt sich nicht mit Abhängigkeiten erklären ("Nun ist aber das einzige Alibi, auf das du im Leben zählen kannst, das der Frau, die dich liebt" J.P. Melville in "Kino der Nacht") so wie ihn mit Valerie auch keine unglückliche Liebesbeziehung verbindet ("Allein der Tod kann ihn zum Verlierer machen, aber das ist ein unweigerlicher Schritt, und Jef verliebt sich in seinen Tod" J.P. Melville in "Kino der Nacht"). Im Gegenteil sind seine Beziehungen zu ihnen von der gleichen stringenten Klarheit wie seine sonstigen Handlungen. Sein Alleinsein und spartanischer Lebensstil ist selbst gewählt und kein Ausdruck von unerfüllten Wünschen.

„Le samouraï" wurde ein zutiefst moralischer Film, mit einem Profi-Killer als maßgebender Instanz. Während seine Umgebung keine hinterhältige Methode auslässt - unabhängig davon, ob es sich um die Unterwelt handelt oder die ihn verfolgende Polizei - bleibt Costello immer seinem Kodex treu. Bis zu einem Ende, das nicht aus dem Gefühl der Ausweglosigkeit geschieht, sondern in der Verantwortung gegenüber dem eigenen Handeln. So wie die „47 Samurai“, die viele Jahre benötigten, ihren Herrn zu rächen, um nach der Tat ihren Tod als Konsequenz daraus zu akzeptieren.

Entsprechend falsch ist auch die Annahme, Alain Delon hätte seine zwei weiteren Rollen in Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Melville ähnlich interpretiert, denn diesem gelang mit „Le samouraï" ein in Stil und Inhalt nahezu perfekter Film, mit einem Hauptdarsteller, dessen klare, ebenmäßige Gesichtszüge noch einen Rest an Anstand ausdrückten. Der von Delon gespielte Kommissar in „Un flic“ hatte dagegen jede moralische Relevanz verloren.

"Le samourai" Frankreich / Italien 1967, Regie: Jean-Pierre Melville, Drehbuch: Jean-Pierre Melville, Georges Pellegrin, Darsteller : Alain Delon, Nathalie Delon, Francois Périer, Cathy Rosier, Jacques Leroy, Laufzeit : 101 Minuten


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"Un flic" (1972)

Dienstag, 3. Juli 2012

Malizia 1973 Salvatore Samperi


Inhalt: Zur Beerdigung der Ehefrau Ignazios (Turri Ferro), einem angesehenen Unternehmer im sizilianischen Catania, kommt die halbe Stadt zusammen, aber dem Witwer und seinen drei Söhnen fällt es schwer, Trauer zu empfinden. Zu streng war das frühere Regiment der Verstorbenen. Vor allem der 15jährige Nino (Alessandro Momo), der mittlere Sohn, kann kaum den Blick von dem Hinterteil einer Witwe wenden, die sich offensichtlich an seinen Vater heranmacht. Als er auf der Heimfahrt neben ihr beengt im Fonds des Autos sitzt, nutzt er die Gelegenheit und fasst zwischen ihre Oberschenkel, was sie gerne über sich ergehen lässt.

Doch als der Vater und seine drei Söhne endlich wieder vor ihrem Haus stehen, wissen sie erst einmal nicht, wie es wieter geht. Umso überraschter sind sie, als ihnen Angela (Laura Antonelli) die Tür öffnet, die ihnen schon ein Mahl zubereitet hatte. Sie war noch von der Mutter vor deren Tod als Hausmädchen engagiert worden und erweist sich schon nach wenigen Tagen als in jeder Hinsicht perfekt. Nicht nur ihre Fähigkeiten als Hausfrau und ihr liebevoller Umgang mit den Söhnen, besonders ihre optischen Vorzüge, lassen schnell in Ignazio den Wunsch heranreifen, sie zu ehelichen. Doch nicht nur er hat weitreichende Wünsche an die schöne, unschuldige Angela…


Als Laura Antonelli von Salvatore Samperi 1973 in "Malizia" besetzt wurde, hatte sich die studierte Lehrerin, die erst mit Mitte 20 begonnen hatte, als Schauspielerin zu arbeiten, schon einen gewissen Ruf als erotische Versuchung erarbeitet. Mit "Malizia" gelang ihr der endgültige Durchbruch, der Mitte der 70er Jahre sogar dazu führte, sie als legitime Nachfolgerin von Sophia Loren und Gina Lollobrigida im italienischen Film anzusehen. Aus heutiger Sicht eine schwer nachvollziehbare Sichtweise, die viel über den gesellschaftlichen Wandel der Sexualität in den 70er Jahren aussagt.

Ihre unterschiedliche Art an Schönheit ist dabei weniger von Bedeutung - hier Sophia Loren, die üppige Süditalienerin mit dem kräftigen, wallenden Haar, dort die zarte, fast blasse Laura Antonelli - sondern wie diese in den filmischen Kontext integriert wurde. Sophia Loren spielte Frauen, die offensiv sexuell auftraten, die den Männern den Kopf verdrehten oder sogar als Prostituierte arbeiteten ("Ieri, oggi e domani" (Gestern, heute und morgen, 1963)). Trotzdem blieb sie immer moralisch integer. Nur so war es in ihren meist komödiantisch angelegten Filmen möglich, ihre offensive sexuelle Ausstrahlung zu nutzen. Ein Umgang mit der Sexualität, der die Verlogenheit einer nach außen behaupteten Moral kennzeichnete, wie sie in den 50er/frühe 60er Jahren noch opportun war. Eine Haltung, die Anfang der 70er Jahre noch keineswegs überwunden war.

Die in den 60er Jahren eintretende Liberalisierung hatte zwar die Akzeptanz konkreter Sexualität im Kinofilm erhöht, dem Schuddel-Image konnten Nacktdarstellungen im Film, Anfang der 70er Jahre, aber nur im Zusammenhang mit einer artifiziellen Thematik entgehen. Samperis "Malizia", der auch im Wettbewerb der Berlinale lief, ist dieses Bestreben anzumerken - besonders in der Anlage des Hausmädchens Angela. Laura Antonelli spielte sie sexuell zurückhaltend mit einer naiv, unschuldigen Ausstrahlung. Eine Umkehrung der Rollen Sophia Lorens, die ein Versprechen gab, das sie nicht hielt, während in "Malizia" die Erotik unterschwellig entsteht und aus Angela ein Objekt der sexuellen Begierde werden lässt.

Auch am im Film behaupteten Alter im Bezug zum tatsächlichen Alter der Darstellerinnen lässt sich der Unterschied in der charakterlichen Anlage erkennen. Sophia Loren spielte Frauen, die oft deutlich älter waren als sie ("La ciociara" (Und dennoch leben sie, 1960)) und sehr selbstbewusst mit Männern umgehen konnten, während Laura Antonelli in "Malizia" glaubwürdig eine junge, unerfahrene Frau Anfang 20 verkörperte, obwohl sie schon über 30 Jahre alt war. Ihr Typus ähnelt dem von Leonora Fani, mit der Samperi 1977 "Nenè" drehte, und der den alten Männertraum bedient, ein jungfräuliches Mädchen zu erobern. Aus heutiger, an direkte Sexualität gewohnter Sicht wirkt diese Charakterisierung besonders erotisch, war aber den damaligen moralischen Normen geschuldet, wollte man sich nicht dem Verdacht billiger Sexfilme aussetzen. Wie sehr Laura Antonellis Image trotzdem von ihren Nacktdarstellungen beeinflusst wurde, wird an der bis heute bestehenden Verwunderung darüber deutlich, warum Luchino Visconti sie in
"L'innocente" (Die Unschuld, 1976) besetzt hätte. Er hatte ihre Ausstrahlung begriffen.

"Malizia" (wörtlich "Bosheit", seltsamerweise nicht ins Deutsche übersetzt, als wäre es ein Eigenname) fälschlich als erotische Komödie (Commedia sexy all'italiana) einzuordnen ist ebenfalls diesem Umstand zu verdanken. Tatsächlich handelt es sich um ein Sittengemälde der sizilianischen Gesellschaft, Mitte der 60er Jahre. Samperi verzichtete auf einen genauen Zeitpunkt, aber die Selbstverständlichkeit, mit der hier die Familie schon ihre Abende vor dem Fernseher verbringt, lässt auf die 60er Jahre schließen. Das Leben des zur gehobenen Bürgerschicht in Catania gehörenden Tuchhändlers Ignazio (Turri Ferro) und das seiner Familie ist noch von klaren, patriarchalischen Strukturen geprägt, die Samperi für seine Story um Angela benötigt. 

Die Beerdigung seiner Frau und Mutter seiner Söhne, wird von Ignazio angemessen begangen, aber der Film macht kein Geheimnis daraus, das sie sich zum Trauern zwingen müssen. Ohne das Samperi die Verstorbene genauer charakterisiert, wird deutlich, das diese als moralische Instanz in der Familie galt. "Malizia" entwirft das Bild einer Gesellschaft im Wandel - äußerlich gelten noch die konservativen Regeln, während die Moderne schon in die Köpfe dringt. Das Verhalten des Familienvaters ist signifikant für diesen Zwiespalt - er bittet die deutlich jüngere Angela, die noch von seiner Frau vor deren Tod als Hausmädchen engagiert wurde, bald schon um ihre Hand, da sie nicht nur als Hausfrau und in der Betreuung seiner Söhne überzeugte, sondern besonders durch ihre anmutige Schönheit. Im Bewusstsein, sich damit einen ungehörigen Wunsch zu erlauben und immer begleitet vom schlechten Gewissen gegenüber seiner verstorbenen Frau, hält er die Regeln des Anstands bei der Eheanbahnung ein, bleibt in Abstand zu Angela (bis auf einen kurzen Ausrutscher), bespricht sich mit dem Pfarrer und muss vor allem seine strenge Mutter (Lilla Brignone) überzeugen, für die die Heirat mit einer Angestellten nicht standesgemäß ist. Angela bleibt keine andere Chance, als in die Heirat einzuwilligen, will sie gesellschaftlich aufsteigen. Dieser Handlungsstrang bildet zwar nur den Hintergrund der eigentlichen Story, ist aber für die Verortung der Protagonisten notwendig. 

Ignazio hat drei Söhne, aber im Mittelpunkt steht die Konfrontation von Nino, einem 15jährigen Schüler (Alessandro Momo, damals 17, der ein Jahr später bei einem Motorradunfall starb) mit dem Hausmädchen. Eine Auseinandersetzung mit seinem heiratswilligen Vater findet nicht statt, denn dieser ahnt nichts von den Machenschaften seines Sohnes. Daran wäre Nino auch nicht gelegen, dessen Verhalten allein auf der selbstverständlichen Arroganz eines Sohnes aus privilegiertem Hause basiert, der seine sexuellen Erfahrungen nicht bei den gleichaltrigen Mädchen, die später als Jungfrauen in die Ehe geführt werden sollen, sondern bei älteren, erfahrenen Frauen sucht. Mit romantischen Gefühlen hatte das wenig zu tun. Ein klassisches Motiv in vielen erotischen Filmen dieser Zeit ("Lezioni private" (Private Lessons, 1975), "L'insegnante" (Die Bumsköpfe, 1975)), meistens modern und komödiantisch interpretiert. Samperi lag dagegen an einer zwar unterhaltenden, im Kern aber ernsthaften Umsetzung im zeitlichen und räumlichen Kontext. 

Aus heutiger Sicht wird oftmals mit Verwunderung hinterfragt, warum sich Angela von Nino zunehmend in die Enge treiben lässt, sich nur mit Worten gegen den wenig freundlichen Jugendlichen wehrt. Doch ihre gesellschaftliche Position erlaubt keinen vehementen Widerspruch und spätestens mit ihrer Einwilligung in die Hochzeit mit dessen Vater und damit der Chance auf einen persönlichen Aufstieg, wird sie erpressbar.

Trotz des stimmigen Sittengemäldes einer noch archaisch anmutenden Gesellschaft an der Schwelle zur Moderne, kann auch "Malizia" nicht verbergen, dass er für ein Publikum der 70er Jahre entworfen wurde. Letztlich nutzte Samperi die Thematik für ein Spiel mit gesellschaftlichen Konventionen, um erotische Fantasien um eine schöne Frau auszuleben, die zwar zurückhaltend, aber nie unterwürfig agiert. Eine einfache Hausangestellte hätte das damals nicht gewagt. "Malizia" ist ein schön gefilmtes, gut gespieltes Werk, zudem stimmig in Szene gesetzt, in seiner männlich geprägten sexuellen Ausrichtung und Erfüllung entsprechender Erwartungshaltungen aber noch ganz dem verklemmten Zeitgeist der frühen 70er Jahre verpflichtet.

"Malizia" Italien 1973, Regie: Salvatore Samperi, Drehbuch: Salvatore Samperi, Ottavio Jemma, Alessandro Parenzo, Darsteller : Laura Antonelli, Turi Ferro, Alessandro Momo, Tina Aumont, Lilla Brignone, Laufzeit : 93 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Salvatore Samperi:

"Peccato veniale" (1974)
"Scandalo" (1976)
"Nenè" (1977)

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.