Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Sonntag, 30. November 2014

Emanuelle e gli ultimi cannibali (Nackt unter Kannibalen) 1977 Joe D'Amato

Inhalt: Emanuelle (Laura Gemser) schmuggelt sich als Fotoreporterin in eine New Yorker Heilanstalt, mischt sich unter die Patienten und wird zufällig Zeugin, als eine junge Frau einer Krankenschwester die Brustwarze abbeißt und sie isst. Nachdem diese überwältigt und auf einer Liege festgeschnallt wurde, begibt sich Emanuelle heimlich in deren Zimmer und versucht sie mit Zärtlichkeiten zu beruhigen. Dabei entdeckt sie oberhalb der Vagina ein Tattoo, dass sie fotografiert.

In der Zeitungs-Redaktion gibt ihr der Chefredakteur den Tipp, den Anthropologen Marc Lester (Gabriele Tinti) aufzusuchen, um ihn nach der Bedeutung des Tattoos zu befragen. Der Professor reagiert sehr interessiert, denn es handelt sich um das Kennzeichen eines im Amazonas-Gebiet, weitab jeder Zivilisation lebenden Kannibalen-Stamms, bei dem die Frau aufgewachsen sein muss. Um seine Worte zu unterstreichen, zeigt er Emanuelle einen Dokumentarfilm, der deren Grausamkeit verdeutlicht. Trotzdem will die Fotoreporterin den Weg in die unbekannte Wildnis wagen und bittet den Professor, sie zu begleiten…



Gesteigerte Fleischeslust

Zärtlicher Abschied von New York
1977 hatte die Soft-Sex-Welle ihren Höhepunkt bereits überschritten. Unter dem vielsagenden Titel "Emmanuelle goodbye" kam der dritte und vorläufig letzte Teil der französischen "Emmanuelle" - Reihe in die Kinos, die seit ihrem Erscheinen 1974 zu einem bis heute stehenden Begriff für das Erotik-Film-Genre geworden war. Auch die indonesisch-niederländisch stämmige Laura Gemser hatte 1977 schon ihren vierten Film als "Emanuelle nera" (Schwarze Emanuelle) abgedreht, dem italienischen Pendant zur französischen "Emmanuelle", das aus rechtlichen Gründen auf ein "m" im Namen verzichten musste. Nicht der einzige Unterschied, denn Laura Gemser, die nach ihrem ersten Auftritt als "Emanuelle nera" (1975) auch eine Nebenrolle in "Emmanuelle: L'antivierge" (Emmanuelle 2 - Garten der Liebe (1975)) an der Seite Sylvia Kristels spielte, verkörperte einen gänzlich anderen Frauen-Typus. Als eigenständig agierende Fotoreporterin begibt sie sich zu den Brennpunkten der Welt.

Wie üblich haben es die wilden Tiere besonders auf Frauen abgesehen...
Eine Vorlage für Joe D'Amato, der ab der ersten Fortsetzung "Emanuelle nera: Orient reportage" (Black Emanuelle 2. Teil (1976)) Regie führte und spätestens mit der Übernahme auch des Drehbuchs bei Teil Vier ("Emanuelle - Perché violenza alle donne?" (Emanuela: Alle Lüste dieser Welt (1977)) die Reihe ganz in seinem Sinn gestaltete. Nicht nur, dass er ohne Laura Gemsers Mitwirkung mit nachträglich integrierten expliziten Sex-Szenen für alternative Fassungen sorgte, um der zunehmend aufkommenden Konkurrenz durch den Pornofilm zu begegnen, thematisch wusste er geschickt Exploitation mit Erotik zu einem Sensationsversprechen zu verbinden. Zwar steht seine Orientierung an Ruggero Deodatos "Ultimo mondo cannibale" (Mondo Cannibale 2 - der Vogelmensch, 1977) bei der Entwicklung seiner Story für den fünften "Emanuelle"-Streifen "Emanuelle e gli ultimi cannibali" (Nackt unter Kannibalen) außer Zweifel, aber das betraf mehr dessen wirtschaftlichen Erfolg und damit die Akzeptanz beim Publikum als die inhaltliche Ausrichtung. Schon in "Emanuelle e Françoise (Le sorelline)" (Foltergarten der Sinnlichkeit, 1975), der nichts mit der "Emanuelle nera"-Reihe zu tun hat, schuf Joe D’Amato eine Mischung aus Sex und Horror, die in einer Szene auch die Kannibalismus-Thematik streifte.

... die sich davon aber nicht die Laune verderben lassen.
Für D’Amato besaß diese vor allem das Potential, den exploitiven Charakter seiner „Emanuelle“-Filme weiter zu steigern, deren Einfluss durch das „Mondo“-Genre in der Verwendung pseudo-dokumentarischer Gewalt- und Tötungssequenzen nicht zu übersehen war. In dieser Hinsicht lässt sich eine größere Nähe zu Umberto Lenzis „Il paese del sessio selvaggio“ (Mondo Cannibale, 1972) als zu Deodatos erstem Kannibalen-Film feststellen, denn D’Amato war an keiner Auseinandersetzung mit archaischen menschlichen Verhaltensmustern interessiert, sondern nutzte die Ereignisse um den Kannibalen-Stamm als oberflächlich-spekulativen Hintergrund für den nächsten investigativen Trip seiner Hauptfigur Emanuelle. Anders als Lenzi, dessen Sex-Szenen integrativer Bestandteil der Handlung blieben, inszenierte D’Amato die gut ausgeleuchteten Erotikszenen im Dschungel in starkem Kontrast zum gewalttätigen Kannibalismus-Geschehen und bewies damit einen eigenständigen Ansatz, weshalb die häufige Einordnung dieses zweiten italienischen Kannibalismus-Films als reines Deodato-Vehikel falsch ist („Das italienische Kino frisst sich selbst“).


Kastrationsängste


Allein die Anzahl schöner Frauen, die D’Amato in den Dschungel trieb, unterschied seinen Film schon von gängiger Genre-Ware. Gehörte in der Regel eine Frau zum Abenteurer-Team, schlagen sich neben Emanuelle noch Isabelle (Mónica Zanchi), die Nonne Angela (Annamaria Clementi) und nicht zuletzt Nieves Navarro - seit dem frühen Italo-Western “Una pistola per Ringo“ (Eine Pistole für Ringo, 1965) in der Rolle als verführerische Schönheit festgelegt - als Maggie McKenzie, Gattin eines fiesen Großwildjägers (Donald O’Brien), durch den Regenwald, der seine Herkunft als europäisches Strauchwerk nicht verbergen kann. D’Amato nutzte diese Besetzung für regelmäßige Soft-Sex-Szenen, die die sonst schnell geschnittene Handlung minutenlang unterbrachen. Besonders die gemeinsame Badeszene mit Laura Gemser und Mónica Zanchi wirkt in ihrer verspielt-sanften Ausgestaltung inmitten der angeblichen Wildnis fast absurd, erfüllte aber trefflich die ästhetische Erwartungshaltung an eine Lesben-Szene, die den männlichen Betrachter an den sonst heterosexuellen Neigungen der Protagonistinnen nicht zweifeln ließ.

Auch die emanzipatorische Ausrichtung der selbstständig agierenden Emanuelle wurde relativiert, indem ihr eine souveräne männliche Figur zur Seite gestellt wurde. Erst Professor Marc Lester (Gabriele Tinti) ermöglicht ihr den Trip zum Amazonas, denn der Anthropologe erkennt in dem Tattoo, das Emanuelle auf dem Körper einer scheinbar Wahnsinnigen vorfand, eine Verbindung zu einem dort lebenden Kannibalenstamm – nicht erstaunlich, dass sie sofort vom Sex mit ihm träumt. Die Fotoreporterin hatte sich zuvor undercover in eine New Yorker Heilanstalt eingeschlichen und wurde Zeuge, wie die junge Patientin einer Schwester die Brustwarze abbiss und verspeiste. Eine sehr gewagte Einleitung in Richtung Kannibalismus-Thematik, die der Professor nur wenig später mit seinen pseudo-dokumentarischen Aufnahmen einer Kastration noch toppt. Beide Motive wiederholen sich im Lauf der Handlung ein weiteres Mal in expliziterer Form, womit D’Amato den größtmöglichen Horror betonte – den Verlust der geschlechtsspezifischen Identität.

Allein unter inszenatorischen Gesichtspunkten betrachtet, lassen sich die Schwachpunkte in der Storyentwicklung, die oberflächliche Figuren-Gestaltung und der unausgewogene Charakter des Films nicht übersehen, aber mit dessen ständig zwischen Soft-Sex und Kannibalen-Horror wechselnder Handlung bewies D’Amato sein Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse und Ängste männlicher Betrachter, angesichts der fortschreitenden weiblichen Emanzipation, Ende der 70er Jahre. "Emanuelle e gli ultimi cannibali" kontrastierte den Schrecken amputierter Penisse und zerstörter weiblicher Körper mit ästhetischen Aufnahmen schöner Frauen, die sich letztlich dem Mann unterordnen. Als am Ende des Films Emanuelle, angesichts der vielen Opfer, Selbstzweifel über ihr Vorgehen als Fotoreporterin äußert, erhält sie von Professor Marc Lester sofort Absolution – die Welt ist noch in Ordnung.

"Emanuelle e gli ultimi cannibali" Italien 1977, Regie: Joe D'Amato, Drehbuch: Joe D'Amato, Romano Scandariato, Darsteller : Laura Gemser, Gabriele Tinti, Donald O'Brien, Nieves Navarro, Mónica Zanchi, Laufzeit : 90 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Joe D'Amato:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.