Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Fango bollente (Hot mud) 1975 Vittorio Salerno

Inhalt : Ovidio Mainardi (Joe Dallesandro) arbeitet als Techniker in einer modernen Computerfirma in Turin. Die Arbeit ist sehr eintönig und sämtliche Mitarbeiter stehen unter hohem Leistungsdruck. Ein Experiment mit weißen Mäusen, dass er in einer der Forschungsabteilungen beobachtet, bringt ihn auf eine Idee. Bei einem Fussballspiel provoziert er mit zwei Freunden eine Schlägerei, stiehlt vor dem Stadion ein Auto, begeht mehrere Unfälle und entkommt mit seinen Freunden auf einem gestohlenen Motorrad, nachdem sie Fahrer und Beifahrerin mit einer überraschend geöffneten Tür herunter geholt hatten.

Am nächsten Tag erfahren sie, dass es bei dem Vorfall im Stadion einen Toten gab, aber die Polizei hegt keinen Ver
dacht gegen konkrete Personen und auch der Auto- und Motorraddiebstahl wird den üblichen Verdächtigen - Einwanderern und politischen Aktionisten - in die Schuhe geschoben. Als die drei Freunde am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause fahren, stoßen sie beinahe mit einem Lastwagen zusammen, der die Vorfahrt missachtet hatte, und sie zusätzlich noch verhöhnt. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, bei der Mainardi den Fahrer mit einem Schraubenzieher ersticht.

Als sich wieder die Zeuge
naussagen als unzureichend herausstellen und die Polizei keine Spur hat, beginnen die Drei systematisch mit mörderischen Aktionen...


"Fango bollente" (wörtlich "Heisser Schmutz") verdeutlicht, ähnlich wie der zeitgleich entstandene "L'uomo della strada fa giustizia" ("Der Mann auf der Straße sorgt für Gerechtigkeit"), wie stark die gesellschaftlich angespannte Situation Italiens Mitte der 70er Jahre Einfluss auch auf die Filme genommen hatte, die unter Verwendung reißerischer und schockierender Elemente vordergründig auf Unterhaltung setzten. "Fango bollente" funktioniert in dieser Hinsicht auf mehreren Ebenen, da er einerseits als "Poliziesco" die Suche des Commissarios nach den Serienmördern beschreibt, dazu über brutalste Elemente verfügt - von einem rituellen Mord an einem Zuhälter und seiner Prostituierten, über Vergewaltigung bis zur Tötung einer nackten Schönen mit einem Gabelstapler - andererseits seine Story in ein sehr realistisches Umfeld einbettet, die eine bis heute aktuelle Gesellschaftskritik impliziert.

Dieses Szenario reagierte Mitte der 70er Jahre auf die zunehmende Zahl an terroristischen Attentaten und Verbrechen, von Regisseur und Drehbuchautor Vittorio Salerno bewusst als Hintergrund gewählt, um seiner Story noch zusätzliche Brisanz zu verleihen, verbunden mit einer stringenten, in ihrer Entwicklung nachvollziehbaren Story, die zudem von zwei überzeugenden Protagonisten lebt, die hier als Gegenspieler fungieren.

Da ist zum Einen Ovidio Mainardi (Joe Dallesandro, ein us - amerikanischer Darsteller, der aus Andy Warhol's Factory stammte und dort als männliches Nacktmodell berühmt wurde), der als Techniker in einer Computerfabrik arbeitet. Auch wenn die veralteten Geräte heute einen steinzeitlichen Eindruck hinterlassen, überrascht die Modernität in der Betrachtung des Arbeitslebens. Sowohl die umgebende Architektur, als auch Kleidung und Arbeitsklima haben nichts an Aktualität verloren, auch wenn der pessimistische Blick auf die Eintönigkeit der Tätigkeit, die der Film hier be
schreibt, sicherlich einer damals vorherrschenden Skepsis vor der neuen Technik entsprang.

Sehr gelungen ist in diesem Zusammenhang die Szene, in der Commissario Santaga (Enrico Maria Salerno) das erste Mal auftaucht. Der gehbehinderte, ältere Beamte befindet sich in einem Vortragsraum der Computerfirma, wo er als Vertreter der Polizei in die neue Technik eingewiesen werden soll. Nachdem der Vortragende seine von Fach
begriffen geprägte Rede beendet hatte, stellt ihm der Commissario eine ebenso verschlüsselte Frage. Dafür bekommt er wegen seiner Mitarbeit viel Lob, eine Antwort erhält er natürlich nicht, denn so offensichtlich seine Frage nur Fachwissen vortäuschte, so wenig war der Vortragende in der Lage, es zu durchschauen. Diese ironische, seine Umwelt jederzeit entlarvende Sprache behält der Commissario über die gesamte Spielzeit bei, was dem Film eine angenehm humorvolle Komponente verleiht.

Als sich die beiden Protagonisten bei dieser Gelegenheit das erste Mal begegnen, lag der erste mörderische Akt schon zurück, wurde aber noch nicht als solcher betrachtet. Mainardi hatte, nachdem er in seiner Firma ein Experiment mit weißen Mäusen betrachtet hatte, spontan diese Erfahrung bei einem Fussballspiel von Juventus Turin umgesetzt. Der Zusammenhang zwischen dem Aggressionsverhalten von eingesperrten weißen Mäusen und Fußballfans in einem vollen Stadion, wirkt im ersten Moment etwas vereinfacht, bekommt aber hinsichtlich der Vorkommnisse im Brüsseler Heysel-Stadion zehn Jahre später, bei dem 39 Fans von Juventus Turin starben, eine tragische, vorausschauende Komponente, die verdeutlicht wie nah der Film, den Salerno wie schon mehrfach zuvor gemeinsam mit Ernesto Gastaldi entwickelte (darunter "La lunga spiaggia fredda" (Rocker sterben nicht so leicht, 1971), der Realität kam. Mit zwei Freunden hatte Mainardi eine Kettenreaktion ausgelöst, die eine Schlägerei provozierte, bei der ein Mann stirbt, während er das Stadion schon wieder verlassen hatte, um ein Auto zu stehlen. Mit diesem verursachen die drei Männer weitere Unfälle bis sie zwei Motorradfahrer mit einer geöffneten Tür herunterholen, um mit deren Maschine zu fliehen.


Für die Polizei stellt der tödliche Unfall im Stadion keinen kriminellen Akt dar, aber auch die Diebstähle und Unfälle werden nicht aufgeklärt, da sie nur, wie üblich, Immigranten und politischen Aktivisten in die Schuhe geschoben werden - ein gelungener Seitenhieb auf die damals vorherrschenden Vorurteile. Commissario Santaga vermutet als Einziger einen Zusammenhang, wird aber von ignoranten und selbstgefälligen Kollegen und Vorgesetzten nicht ernst genommen. Die Parallelen zu Umberto Lenzis "L'uomo della strada fa giustizia" in der generellen Beschreibung einer aggressiven Gesellschaft sind offensichtlich, gehen aber in ihrer Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft noch darüber hinaus, indem Alltäglichkeiten die Mordserie auslösen. War die Aktion im Stadion noch spontan, führt eine Auseinandersetzung im Straßenverkehr zum ersten Mord. Nach einem Beinaheunfall mit einem LKW kommt es auf der Straße zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Fahrer und den drei Kollegen, bei der Mainardi den Fahrer mit einem Schraubenzieher tötet. Als sie merken, dass ihnen immer noch Niemand, obwohl der Mord mitten am Tag auf einer öffentlichen Straße begangen wurde, auf die Schliche kommt, beginnen sie gezielt ihre Taten auszuführen. 

Parallel zur wachsenden Brutalität ihrer Vorgehensweise, vertieft der Film deren gesellschaftlichen Hintergrund, der zu drei Typisierungen führt. Mainardi, verheiratet mit einer attraktiven Ärztin, die ihn aus Karrieregründen betrügt, gehört zur bürgerlichen Oberschicht, während sein aus Italiens Süden stammender Kollege Teil einer Großfamilie ist, die in einem heruntergekommenen Mietshaus lebt. Er schämt sich für seine ärmliche Verwandtschaft. Der Dritte, Giacomo Boato, lebt noch bei seiner Mutter, die ein strenges Regime in ihrem Haushalt führt. Es ist bemerkenswert, mit welcher Fülle an Details der Film - trotz seiner verhältnismäßig kurzen Laufzeit - aufwartet und damit eine Komplexität entwickelt, die unmittelbare Klischees vermeidet.

Die Taten selbst scheinen wenig mit dem jeweiligen Hintergrund der drei Männer zu tun zu haben, da sie als Folge von Langeweile, Monotonie und einer unterschwelligen Aggression geschildert werden, aber ihre Herkunft führt zu unterschiedlichen Reaktionen, als sich die Schlinge der Polizei, gezogen von Commissario Santaga, langsam um ihren Hals legt. Als Mainardis Kollege, wegen einer Phantomzeichnung verunsichert, nach Hause kommt und dort die Polizei antrifft, reagiert er überhastet, flieht und wird überwältigt. An dieser Szenerie wird die Finesse und Doppeldeutigkeit des Films deutlich, denn die Polizei kam nicht seinetwegen, sondern wollte auf Veranlassung des Besitzers das herunter gekommene Mietshaus räumen lassen.

"Fango bollente" gelingt es mühelos, seine schnelle, jederzeit unterhaltende Story mit der Beschreibung einer egoistischen, dummen und aggressiven Gesellschaft zu kombinieren. Obwohl die Morde der drei Männer detailliert geschildert werden, verhindert er damit deren Dämonisierung, da er diese als logische Reaktion auf ihre Umwelt erscheinen lässt. Einzig Commissario Santaga kann in seiner zynischen Art noch Sympathiepunkte sammeln, aber auch er irrt letztlich, denn in einem Punkt ist sich der italienischen Film in seiner Beschreibung der Realität der 70er Jahre einig, egal ob künstlerisch, politisch oder als Unterhaltungsfilmm motiviert: ein Lösung existiert nicht.

"Fango bollente" Italien 1975, Regie: Vittorio Salerno, Drehbuch: Vittorio Salerno, Ernesto Gastaldi, Darsteller: Joe Dallesandro, Enrico Maria Salerno, Salvatore Borghese, Luigi Casellato, Martine Brochard, Umberto Ceriani, Laufzeit: 80 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Vittorio Salerno:

"No, il caso è felicamente risolto" (1973)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.