Nachdem sie sich zusammen in seiner Wohnung um den kleinen Sohn gekümmert haben, haben sie das erste Mal Sex miteinander. Doch die Phase des Kennenlernens hat gerade erst begonnen...

Die Story ist deshalb schnell erzählt - Gerard (Gerard Depardieu) bekommt einen Monat Zwangsurlaub verpasst, weil seine Firma für diesen Zeitraum stillsteht. Dieses Detail ist von Bedeutung, denn anders als bei einer Arbeitslosigkeit, die auch immer von der Suche nach einer neuen Aufgabe geprägt ist, fällt der Ingenieur, der sich zu Hause allein um seinen Sohn kümmert, in ein Vakuum des Abwartens. So gesehen ist es ein glücklicher Zufall, dass er Valerie (Ornella Muti) an dem Tag kennenlernt, als er das letzte Mal seinen Jungen vom firmeneigenen Kindergarten abholt. Unmittelbar spüren sie eine gegenseitige Anziehungkraft und anstatt mit ihrem Freund Michel (Michel Piccoli) in den Urlaub zu fahren, entschliesst sich die junge Kindergärtnerin, spontan mit Gerard mitzukommen.
Alles was in den folgenden 100 Minuten geschieht ist von völliger Normalität - der erste Sex, die langsame Annäherung, die Zweifel über die eigenen Gefühle, Auseinandersetzungen mit Ex- oder noch vorhandenen Partnern, Streit und unerfüllte Erwartungshaltungen, Unsicherheit über die eigene Zukunft und die vielen kleinen Komponenten, die
Partnerschaften in ihrer Entstehungszeit auszuhalten haben. Durch die fehlende Ablenkung mit Arbeit durchlaufen Valerie und Gerard diesen Prozess mit atemberaubender Geschwindigkeit, stehen in einem Moment kurz vor ihrer Trennung, um im nächsten Augenblick Glück und Vertrauen zu empfinden. Durch die Anwesenheit des knapp einjährigen Kindes, die zwar moderne und saubere, aber wenig Ablenkung bietende Umgebung und den Handlungszeitraum im kühlen Oktober, erreicht Ferreri den generalistischen Ansatz einer Realität, der sich das Paar nicht durch Alltagsflucht entziehen kann.
Es ist vor allem Gerard Derpardieu, aber auch der in ihrer zurückhaltenden Art überzeugenden Ornella Muti zu verdanken, dass diese Abläufe jeden Moment ihre Faszination beibehalten, die auf exemplarische Weise den Versuch einer Frau und eines Mannes darstellen, miteinander zurecht kommen zu wollen. Um so mehr stellt sich die Frage, warum sich dieser Film genau den gegenteiligen Ruf zu seinem realistischen Ansatz erworben hat - radikal, tabubrechend und schockierend zu sein.

Dem Film Misogynie vorzuwerfen ist genauso gerechtfertigt, wie darin die Degradierung des männlichen Geschlechts auf seine primitivsten Verhaltensmuster zu erkennen. Ferreri beschreibt damit nur den Alltag zwischen Mann und Frau, ihre jeweilige Meinung über den Anderen und ihren gegenseitigen Versuch, Macht über den anderen zu erlangen. Trotz dieser Komplexität bleibt der männliche Standpunkt offensichtlich, aus dem der Film heraus gedreht wurde, weshalb Depardieus Darstellung eines äußerlich sich selbstbewusst gebenden, aber zutiefst verunsicherten Mannes, eindeutig im Mittelpunkt der Handlung steht. Ferreri reagiert damit unmittelbar auf die Emanzipationsbewegung, die die Rolle zwischen Mann und Frau in den 60er Jahren neu definierte, was Mitte der 70er Jahre immer mehr auch das Verhalten der bürgerlichen Schichten prägte.

Die eigentliche Radikalität des Films liegt in seiner bedingungslosen Reduktion auf die Realität, was leider den Blick auf die tatsächlichen Intentionen für viele Betrachter bis heute verstellt. Depardieus ständige Nacktheit entspringt einzig der Tatsache, dass der Film größtenteils in seiner Wohnung spielt. Der Unbefangenheit, mir der er entweder mit einem Handtuch umwickelt oder gleich nackt herumläuft, fehlt jede Obszönität, genauso wie den wenigen Sexszenen jegliche Stilisierung abgeht. Angesichts des normalen Körperbaus Depardieus und Mutis, niemals voyeuristische Blicke herausfordernde, natürlicher Nacktheit, fragt man sich, warum dem Film noch dieser provokative Ruf anhaftet. Selbst die Szenen mit Depardieus eregiertem Penis bleiben immer im Zusammenhang nachvollziehbar und vermitteln erst die Authentiziät seiner Gefühle, an denen er genauso Freude hat, wie er darunter leidet.

werden, sei die Bemerkung erlaubt, worin die eigentliche Obszenität liegt, abgesehen davon, dass diese Stilisierung den Blick darauf verstellt, welche Nähe gerade in der Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau entstehen kann. Ferreris Film einfach auf die Unvereinbarkeit der Geschlechter zu reduzieren, greift deshalb ebenso zu kurz, denn gleichzeitig betont er die gegenseitige Anziehungskraft und schildert Momente des Glücks. "Die letzte Frau" versteht sich deshalb vor allem als Zustandsbeschreibung, Antworten will sie nicht geben.

"L'ultima donna" Italien, Frankreich 1976, Regie: Marco Ferreri, Drehbuch: Marco Ferreri, Rafael Ascona, Darsteller: Gerard Depardieu, Ornella Muti, Michel Piccoli, Renato Salvatori, Giuliana Calandra, Laufzeit: 103 Minuten
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