Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Donnerstag, 4. März 2010

C'eravamo tanto amati (Wir waren so verliebt) 1974 Ettore Scola

Gemeinsam im Widerstand: Antonio, Gianni und Nicola
Inhalt: Antonio (Nino Manfredi), Gianni (Vittorio Gassman) und Nicola (Stefano Satta Flores) hatten gemeinsam im Widerstand gekämpft, aber als der Krieg vorbei war, trennten sich ihre Wege, denn Jeder ging wieder zurück in seine Heimatstadt. Erst ein paar Jahre später, nach den Wirren der Nachkriegszeit, sollten sich Gianni und Antonio in Rom wieder begegnen.

Antonio (Nino Manfredi) und Gianni (Vittorio Gassman)  mit Luciana 
Hierhin war Gianni gezogen, um sich als Anwalt selbstständig zu machen. Zufällig trifft er auf Antonio in einer Trattoria, der in der Nähe in einem römischen Krankenhaus arbeitet. Dabei lernt er auch Antonios Freundin Luciana (Stefania Sandrelli) kennen, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Seine Gefühle werden von ihr erwidert, weshalb es zu einer Trennung von Antonio kommt, der enttäuscht zurückbleibt. Doch auch die Beziehung zwischen Gianni und Luciana hält nicht lange, denn als er von dem reichen Unternehmer Romolo Catenacci (Aldo Fabrizzi) als Anwalt beauftragt wird, lernt er dessen Tochter Elide (Giovanna Ralli) kennen. Eine Beziehung mit ihr hätte erhebliche Vorteile für seine Karriere.

Auch der Dritte im Bunde, Nicola, ist inzwischen nach Rom gekommen, um dort als Filmkritiker zu arbeiten. Dafür hat er seine Frau und seinen kleinen Sohn zurückgelassen. Als er gemeinsam mit Antonio in ihrer Trattoria sitzen, taucht auch Luciana wieder auf...


Nicola (Stefano Satta Flores) mit Frau und Kind
Die Handlung in "C'eravamo tanto amati" (Wie waren so verliebt) verläuft über drei Jahrzehnte, beginnend in den letzten Kriegsjahren bis in die damalige Gegenwart Mitte der 70er Jahre. An den Lebensläufen dreier Männer, die gemeinsam im Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht kämpften, demonstrierte Regisseur Ettore Scola, der wie gewohnt gemeinsam mit Age und Furio Scarpelli das Drehbuch schrieb, beispielhaft die Entwicklung Italiens nach dem Krieg. Jeweils stehen sie prototypisch für unterschiedliche gesellschaftliche Positionen - der Durchschnittsbürger Antonio (Nino Manfredi), Sanitäter in Rom, der intellektuelle Nicola (Stefano Satta Flores), der Filmkritiken für eine Zeitung schreibt, und der Rechtsanwalt Gianni (Vittorio Gassman), der dank einer erfolgreichen Karriere zu den wohlhabenden Schichten aufsteigt.

Luciana (Stefania Sandrelli)
Diese Art der Zustandsbeschreibung eines Landes ist nicht ungewöhnlich. Beginnend mit einer Umbruchphase, wie in diesem Fall das Ende des Krieges, lässt sich am Lebenslauf von Menschen, in Bezug zu den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen eines Landes gesetzt, die soziale Entwicklung nachvollziehen. Doch solche äußerlichen Parameter interessierten Ettore Scola nur am Rande, der die unterschiedlichen Wege seiner drei Protagonisten weniger kontinuierlich, sondern mehr punktuell, teilweise unter großen Zeitsprüngen, verfolgte. Die historischen Ereignisse in Italien spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Die unmittelbare Umgebung und private Ereignisse beeinflussen das Leben des Einzelnen deutlich mehr, jede Entscheidung kann zu einer Richtungsänderung führen. Nicht zuletzt ist es die zunehmende mediale Beeinflussung, auf der Scolas Gewicht lag.


Federico Fellini und Marcello Mastroianni
Die Presse, das entstehende Fernsehzeitalter, aber besonders das Medium Film ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung, werden eng miteinander verwoben, und machen deutlich, dass Ettore Scola hier auch seine eigene Geschichte erzählt. 1931 geboren, war er selbst noch zu jung für die konkreten Lebenswege seiner Protagonisten, aber die Zitate aus dem Filmschaffen Italiens, beginnend mit dem Neorealismus, der hier an Hand von Vittorio De Sicas „Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1948) ausführlich behandelt wird, über die Nachstellung der Dreharbeiten zu der Brunnenszene in „La dolce vita“ (Das süße Leben, 1960) mit Fellini und Mastroianni als sie selbst, Zitaten aus Antonionis „L’eclisse (Liebe 1962) bis zu einer dokumentarischen Aufnahme De Sicas kurz vor dessen Tod 1974 (der zeitgleich entstandene Film ist ihm gewidmet), verlaufen parallel zu seiner eigenen Filmkarriere, die 1953 als Drehbuchautor begann.

Eine Vielzahl an Zitaten bereichern die Handlung, beginnend beim Filmtitel. Ihr Verständnis ist keine Voraussetzung für die Betrachtung des Films, aber sie lassen die persönliche Bedeutung der Thematik für Scola erkennen. Es ist entsprechend keine Spitzfindigkeit, die unpräzise Übersetzung des Filmtitels ins Deutsche zu kritisieren. Statt „Wir waren so verliebt“ heißt es wörtlich „Wir hatten uns sehr geliebt“. Das „verliebt“ im deutschen Titel spielte eindeutig auf die Figur der Luciana (Stefania Sandrelli) an, die kurz nach dem Krieg das Gefühlsleben von Antonio und Gianni durcheinander bringt. Scola meinte aber die Beziehung zwischen den Männern untereinander, denn deren gemeinsamer Kampf als Widerstandskämpfer ist als Ausgangssituation für die hier geschilderten Ereignisse sehr wichtig. Anders als etwa ein gemeinsamer Schulbesuch oder die Herkunft aus demselben Ort, drückt sich darin eine klare politische Haltung aus, die ein besonderes Mass an Solidarität und Zusammenhalt erwarten ließ. Und damit auch die Fallhöhe zwischen Erwartung und Realität ansteigen ließ.

Mit dieser für einen Filmtitel ungewöhnlichen Formulierung spielte Scola zudem auf Antonio Pietrangelis 1965 entstandenen Film „Io la conoscevo bene“ (Ich habe sie gut gekannt) an, zu dem er das Drehbuch geschrieben hatte. Nicht nur das Stefania Sandrelli hier erneut eine junge Frau spielte, die unbedingt Karriere beim Film machen will, der als ironischer Kommentar zu verstehenden Titel weist auch auf eine entscheidende Parallele in beiden Filmen hin - die Illusionen, nicht nur hinsichtlich der Filmkarriere der jungen Frau, sondern auch des Zusammenhalts der drei Männer. Dass sich ihre Wege unmittelbar nach dem Krieg trennten, war noch ihren verschiedenen Heimatstädten geschuldet, aber auch als sie wenige Jahre danach wieder in Rom aufeinander treffen, entsteht nie mehr die Freundschaft der Kriegsjahre.

Im Gegenteil lernt Gianni bei seinem ersten Wiedersehen mit Antonio dessen Freundin Luciana kennen. Sie sind noch kein Paar, aber an Antonios Intentionen gibt es keinen Zweifel, seit dem er die hübsche, junge Frau an seinem Arbeitsplatz im Krankenhaus kennen lernte. Gianni und Luciana verlieben sich sofort ineinander, was sie nach einer kurzen Zeit der Heimlichkeit auch Antonio beichten, der verständlicherweise wenig erfreut reagiert. Schon zu diesem Zeitpunkt, Ende der 40er Jahre, gibt es kaum noch Gemeinsamkeiten zwischen Antonio und Gianni, die sich danach nur noch selten begegnen. Erst in der Gegenwart des Films, als einleitende Klammer, sieht man, wie der deutlich gealterte Antonio in Begleitung von Luciana und dem Dritten im Bunde, Nicola, vor Giannis Haus steht, um ihn zu besuchen, bevor der Film beginnt, die letzten 30 Jahre nachzuerzählen.

Elide (Giovanna Ralli) bemüht sich vergeblich um Gianni
Das Gianni kurz nach dem Eingestehen seiner Beziehung zu Luciana, diese wieder verlässt, weil er mit Elide (Giovanna Ralli), der Tochter seines reichen Auftraggebers (Aldo Fabrizi), der seine wenig attraktive Tochter in guten Händen wissen will, anzubandeln gedenkt, um seine wirtschaftliche Situation deutlich zu verbessern, lässt ihn als den skrupellosesten Charakter erscheinen. Leicht wäre diese Konstellation pauschal als Kapitalismus – Kritik umzusetzen, aber Ettore Scola interessiert sich mehr für die Menschen als für Ideologien. Vor allem die Entwicklung Elides, die Gianni liebt und unter seiner emotionalen Ablehnung leidet, ist ein Paradebeispiel dafür, dass auch die größten Anstrengungen, Äußerlichkeiten zu korrigieren, nichts an Gefühlen zu ändern vermögen.


Nicola in der Quizsendung
Auch wenn Scola die Thematik ernst nimmt und sich vor tragischen Aspekten nicht scheut, strahlt der Film Tempo und Leben aus und betont dabei dessen komische Aspekte. Vor allem Nicola als Filmliebhaber und Kritiker ist in seinem intellektuellen Dauereifer selbstironisch angelegt. Als bei einer Filmvorführung von „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1948) De Sica beschimpft wird, dass dieser damit sein eigenes Land beschmutzen würde, ist Nicola außer sich und kann selbst von seiner Frau kaum beruhigt werden. Dieses Motiv verwendet Scola mehrfach, etwa in einer der witzigsten Sequenzen, als Nicola bei einem Fernsehquiz mitmacht und als Filmkenner, kurz vor dem Hauptgewinn, bei der letzten Frage scheinbar die falsche Antwort gibt. Er ist davon überzeugt, dass seine Antwort richtig war, aber die Fernsehanstalt interpretiert die Szene anders, was Nicola nicht einmal mit fünf Klagen ändern kann. Erst zum Schluss, lässt Scola in einer dokumentarischen Szene Vittorio De Sica selbst diesen Punkt aufklären, aber inzwischen spielt es für Nicola keine Rolle mehr, dass er Recht hatte.

Das Ettore Scola den Regisseur Vittorio De Sica und seinen Film ins Zentrum dieser Diskussionen stellte, war kein Zufall, so wie dieser im Gegensatz zu Fellini auch nicht freiwillig an Scolas Film mitwirkte. Waren De Sicas neorealistische Filme der 40er und 50er Jahre in ihrer kritischen Wucht noch konsequent, änderte er seinen Stil zunehmend. Die Schwierigkeiten der kleinen Leute, derer er sich lange Zeit annahm, wurden immer mehr zum folkloristischen Bestandteil von im Kern substanzlosen Komödien („Ieri, oggi e domani“, (Gestern, heute und Morgen, 1963)). Proportional entgegengesetzt stieg seine Anerkennung im breiten Publikum. Diese Entwicklung steht symbolisch für "C'eravamo tanti amati", der vom Verlust von Idealen und Ideen handelt. Noch stellte Scola den Menschen kein generell schlechtes Zeugnis aus - gut zu erkennen an der sympathischen Figur des Antonio - aber der desillusionierte, zynische Blick, den er zwei Jahre später in „Brutti, sporchi e cattivi“ (Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen, 1976) annehmen sollte, lässt sich schon voraussehen – die Liebe ist vorbei. 

"C'eravamo tanto amati" Italien 1974, Regie: Ettore Scola, Drehbuch: Ettore Scola, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Darsteller : Nino Manfredi, Vittorio Gassman, Stefano Satta Flores, Stefania Sandrelli, Giovanna Ralli, Aldo Fabrizi, Laufzeit : 121 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Ettore Scola:

"Se permettete parliamo di donne" (1964)
"Brutti, sporchi e cattivi" (1976)
"I nuovi mostri" (1977)
"La terrazza" (1980)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.