Ihre Wünsche scheinen sich zu konkretisieren, als sie Cianfanna (Nino Manfredi) kennenlernt, der sie als Agent betreut und für sie Engagements vereinbaren will.
Zudem nimmt sie Barbara (Karin Dor) unter ihre Fittiche, besorgt ihr eine Stadtwohnung und Einladungen auf angesagten Partys. Allerdings gibt es da noch Dario (Jean-Claude Brialy), einen charmanten jungen Mann, in den sie sich verliebt hat, der sie aber nach einer Nacht in einem schicken Hotel, ohne zu bezahlen zurück lässt. Als sie bei einem Schauspielunterricht umfällt, erfährt sie, dass sie von ihm schwanger ist. Barbara rät ihr, das Kind abzutreiben...

Vielleicht lag das auch an dem Team, dass hier auf Grund des frühen Todes von Regisseur Antonio Pietrangeli zum letzten Mal zusammenarbeitete, und nach einer Vielzahl hervorragender Filme mit "Ich habe sie gut gekannt" einen abschließenden Höhepunkt erzielte. Wie bei fast allen Filmen Pietrangelis seit den 50er Jahren ("Amore di mezzo secolo") hatte er zusammen mit Ettore Scola und, wie in diesem Fall auch, Ruggero Maccari das Drehbuch geschrieben. Auch wenn Scolas zehn Jahre später entstandener Film "Brutti, sporchi e cattivi" (Die Schmutzigen, Hässlichen und Gemeinen) an Fatalismus und Pessimismus nur schwer zu überbieten war, deuteten seine gemeinsam mit Pietrangeli entworfenen Filme diese Haltung schon an, gaben aber dem Geist der Komödie noch mehr Gewicht.

Stefania Sandrelli, damals erst knapp 20 Jahre alt, spielte die Adriana so natürlich, das jeder voyeuristische Abstand unmittelbar verloren geht. Ähnliches gilt für die Story, die sich trotz aller Authentizität optimistisch entwickelt, die kleinen Momente der Tragik sehr sparsam und in ihrer Dramatik nachvollziehbar setzt, und daraus eine ganz persönliche Geschichte entwickelt. Pietrangeli stellt keine zwingend tragischen Zusammenhänge her und verzichtet auch auf besonders üble Zeitgenossen. Natürlich handeln diese häufig egoistisch und rücksichtslos, aber immer in einer für ihre Situation nachvollziehbaren Weise. Letztlich – wenn auch sympathischer in ihrer Passivität – verfolgt auch Adriana keine anderen Ziele.

Dabei kommt es zu anrührenden Episoden, etwa als Adriana im schicken Kleid nach Jahren überraschend bei ihren Eltern auf deren Bauernhof bei Pistoia auftaucht. Erst reagiert die Mutter gewohnt kritisch. Noch während der Vater das zu relativieren versucht, legt sie ihrer Tochter eine Jacke über die schmalen Schultern, nicht ohne damit eine Kritik an ihrer „Stadtkleidung“ zu verbinden. Gleichzeitig birgt diese Szene große Zärtlichkeit in sich, die weit von üblichen Klischees über eine harte Kindheit und der damit erzwungenen Landflucht entfernt ist. Der Film leugnet nicht die Armut, in der Adriana aufgewachsen ist, aber er verdeutlicht auch, dass sie eine Wahl hatte.
Das gilt auch für ihre vielen Männergeschichten. Während sie sich in einen Angeber (Jean-Claude Brialy) verliebt, der sie in einem Hotel, ohne die Rechnung zu bezahlen, mit einer gestohlenen Kette (wie sich später herausstellt) sitzen lässt, verschafft sie in einer der schönsten Szenen des Films, als sie nach einer Box - Veranstaltung, bei der sie in der Pause als Model auftrat, dem zuvor unterlegenen Boxer (Mario Adorf) nur mit ihrer Aufmerksamkeit und einem Abschiedskuss einen Moment des Glücks.

Adriana selbst wirkt in ihrem unreflektierten, meist passiven Verhalten prototypisch, aber gleichzeitig ist sie in ihrer direkten, fast naiven Art sehr liebenswert. Nicht nur die Vielzahl von Tanzveranstaltungen, Kinobesuchen oder Partys erzeugen ein stimmiges Bild der 60er Jahre, auch die Musik, die mal im Hintergrund, mal ganz direkt als aufgelegte Schallplatte, eine Vielzahl zeitgenössischer Schlager spielt, vermittelt ein authentisches Lebensgefühl der damaligen Jugend. Und den Charakter Adrianas in ihrem persönlichen Musikgeschmack.
In diesem Zusammenhang ist die speziell für den Film geschriebene Musik, die auch die erste Szene untermalt und regelmäßig anklingt, sehr aussagekräftig – sie hat viel von einer fröhlichen, schlagerartigen Musik, aber man spürt auch die Melancholie dahinter. Es ist wie der Strand bei Rom, an dem zu Beginn die schöne Adriana liegt – sonnig, glitzerndes Meer, heller Sand, aber überall liegt Müll herum. Und es ist wie der Weg, den sie vom Strand in die nahe gelegene Stadt nimmt – fröhlich lässt sie sich das Bikini-Oberteil von einem älteren Mann, der an der Straße sitzt, schließen, ein anderer spendet ihr aus einem Wasserschlauch einen kühlen Strahl, bis sie auf ihren hohen Absätzen den Friseurladen erreicht, wo sie zuerst eine mürrische Kundin bedienen muss und später vom Besitzer ganz selbstverständlich belästigt wird.

Doch in Pietrangelis Film geht es nicht um Schuld, sondern um unsere Sozialisation und die Oberflächlichkeit im gegenseitigen Umgang, unter der letztlich Jeder leidet. "Ich habe sie gut gekannt“ - lässt sich schnell dahin sagen, aber selten ist eine Aussage so falsch.
"Io la conoscevo bene" Italien, Frankreich, Deutschland 1965, Regie: Antonio Pietrangeli, Drehbuch: Antonio Pietrangeli, Ettore Scola, Ruggero Maccari, Darsteller : Stefania Sandrelli, Nino Manfredi, Jean-Claude Brialy, Mario Adorf, Karin Dor, Laufzeit : 109 Minuten
"Porträt Antonio Pietrangeli"
- weitere im Blog besprochene Filme von Antonio Pietrangeli :
"Il sole negli occhi" (1953)
"Amori di mezzo secolo" (1954)
"Adua e le compagne" (1960)
"La parmigiana" (1963)
"La visita" (1963)
"Le fate" (1966)
"Come, quando, perché" (1969)
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