Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 17. April 2010

La visita (Der Besuch) 1963 Antonio Pietrangeli

Inhalt: Pina (Sandra Milo) wartet am Bahnhof ihres kleinen Ortes gespannt auf einen Besucher aus Rom, den sie bisher nur durch einen Briefwechsel kennt. Der Mittvierziger Adolfo (François Périer) hatte auf eine Zeitungsannonce reagiert, und nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie sich einmal persönlich kennenlernen sollten.

Schon etwas irritiert reagiert der Großstädter auf Pinas altertümliches Auto und die nicht befestigten Straßen, aber besonders das irre Verhalten eines männlichen Einwohners, genannt "Cucaracha" (Mario Adorf), der offen seine negative Meinung über den Besucher ausdrückt, lässt Adolfo, Mitarbeiter einer anspruchsvollen Buchhandlung, am Verstand der Landbevölkerung zweifeln. Aber da gibt es schliesslich noch die optischen Vorzüge Pinas und ihre möglichen Ersparnisse, die ihn erst einmal über eine, aus seiner Sicht, Vielzahl von Unzulänglichkeiten hinweg sehen lassen...



Pietrangelis Filme, deren Drehbücher er größtenteils in Zusammenarbeit mit Ettore Scola und Ruggero Maccari entwickelte, zeichnen sich durch ihre Leichtigkeit und Modernität aus, da sie die damaligen Modererscheinungen mit einbezogen. Zeitgenössische Schlager und zu aktueller Musik tanzende Menschen wurden in seinen Filmen zu wesentlichen Charakteristika in der Beschreibung der sich nach dem Krieg verändernden Sozialisation. Heiraten, Kinder oder Ehealltag standen nicht mehr im Vordergrund, sondern wurden zunehmend von Hedonismus und einer offeneren Sexualität verdrängt.

Tatsächlich befand sich diese Entwicklung in den frühen 60er Jahren noch in ihren Anfängen, aber Pietrangeli und seine Co-Autoren begriffen die Auswirkungen auf die Psyche des Einzelnen in einer Phase des Übergangs zwischen konservativen Wertvorstellungen der Zeit vor dem 2.Weltkrieg, die noch von Disziplin und Enthaltsamkeit geprägt waren, in eine Zukunft, die Wohlstand und Freiheit versprach. Durch den komödiantischen Grundton, der Pietrangelis Filme prägte, und den Verzicht auf die Darstellung konkreter Missstände, standen seine Filme im Ruch des gesellschaftskritischen Harmlosigkeit - zu Unrecht, denn Pietrangeli verband darin eine ironische, schonungslose Demaskierung alter Denkmuster, ohne die negativen Auswirkungen der zukünftigen Freiheiten zu vernachlässigen.

Die Beschränkung auf das Verhältnis Mann und Frau in der Beobachtung der sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse hat zudem aus heutiger Sicht den Vorteil, dass die hier geschilderten Ereignisse - losgelöst vom historischen Kontext – nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Dass die Protagonisten dabei fast immer ihr Lächeln im Gesicht behielten, sollte nicht über ihren wahren Gefühlszustand hinwegtäuschen - besonders für Ettore Scola blieb es auch in seinen eigenen Regie-Arbeiten ein Stilelement, dass entweder die Unfähigkeit im Erkennen der eigenen Situation oder selbstverliebte Arroganz symbolisierte. In seinem 1976 entstandenen Film "Brutti, sporchi e cattivi" trieb er es damit auf die Spitze. Auch "La visita" endet mit einem Lächeln im Gesicht seiner zwei Protagonisten, aber das sollte nicht über deren tatsächlichen Empfindungen hinwegtäuschen.


Die Story selbst ist schnell erzählt und behandelt ein modernes Phänomen – heute würde man es „Blind Date“ nennen. Anfang der 60er Jahre kam ein solches Treffen noch per Zeitungsannonce zustande. Pina (Sandra Milo) hatte mehrere Briefe auf ihre Anzeige erhalten und sich für Adolfo (François Périer), einen römischen Buchhändler, entschieden, den sie nach einem kurzen Briefwechsel zu sich aufs Land eingeladen hatte. „La visita“ beginnt, als der Zug in den Kleinstadtbahnhof einfährt und endet keine 24 Stunden später, wenn Adolfo wieder nach Rom zurückfährt. Die Stunden dazwischen werden fast ausschließlich aus der Sicht der zwei Protagonisten geschildert, ergänzt durch einige Bewohner der Kleinstadt, unter denen Mario Adorf als leicht verrückter Bewunderer Pinas, genannt „Cucaracha“, hervorsticht. Pietrangeli verzahnte die Kennenlernphase von Mann und Frau mit Blicken in das wahre Leben der Beiden, was die grundsätzliche Regel bestätigt, dass bei der Partnerwerbung Niemand die Wahrheit sagt.

Der sich intellektuell gebende Buchhändler aus der Großstadt, der unter seinem Chef leidet, macht von Beginn an kein Geheimnis aus seiner Haltung gegenüber der aus seiner Sicht rückständigen Landbevölkerung und deren Lebensgewohnheiten. Sobald die patente und selbstständige Pina ihm den Rücken kehrt, tritt er die Haustiere, verrückt Möbel und sinniert über ihre Ersparnisse. Zunehmend alkoholisiert verliert er die Kontrolle über sich, legt sich beim abendlichen Tanzvergnügen mit den anderen Dorfbewohnern an und beginnt, Pina zu befingern. Leicht könnte man den Film als einseitige Kritik am selbstgefälligen männlichen Geschlecht oder arroganten Großstädter verstehen, aber Pina ist nur äußerlich disziplinierter, hat heimlich einen verheirateten Geliebten und leidet vor allem unter ihrem Status, als Frau Mitte 30 noch keinen Mann zu haben. Ihre sehr geordnete kleine Welt vermittelt zudem wenig Bereitschaft, etwas Neues riskieren zu wollen.


Letztlich werden diese Unterschiede Makulatur, denn Mann und Frau, egal aus welchem Umfeld sie kommen, haben nur ein Ziel – die Durchsetzung eigener Wünsche und die Aufrechterhaltung des eigenen Selbstwertgefühls. Der zu Beginn eher komödiantisch angelegte Film, wird immer ätzender bei der Betrachtung eines Möchtegern – Paares, das - statt sich einer echten Auseinandersetzung zu stellen, die zu Veränderungen führen könnte - immer krampfhafter darum bemüht ist, aus der Sache noch irgendwie heil heraus zu kommen. So ist auch das abschließende Lächeln zu verstehen, dass beider Gesichter ziert, während parallel die belanglosen Texte zweier zukünftiger Briefe erklingen – sie haben es überstanden,
aber gelernt haben sie daraus nichts – weder über den Anderen, noch über sich selbst. 

"La Visita" Italien, Frankreich 1963, Regie: Antonio Pietrangeli, Drehbuch: Antonio Pietrangeli, Ettore Scola, Ruggero Maccari, Darsteller : Sandra Milo, Francois Périer, Gastone Moschin, Mario Adorf, Angela Minervini, Laufzeit : 104 Minuten

"Porträt Antonio Pietrangeli" 

- weitere im Blog besprochene Filme von Antonio Pietrangeli :

"Il sole negli occhi" (1953)
"Amori di mezzo secolo" (1954)
"Adua e le compagne" (1960) 
"La parmigiana" (1963) 
"Io la conoscevo bene" (1965)
"Le fate" (1966)
"Come, quando, perché" (1969)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.