Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Mittwoch, 23. September 2009

Estate Violenta (Wilder Sommer) 1959 Valerio Zurlini

Inhalt: Sommer 1943 - während das Kriegsgeschehen immer näher heran rückt, hat sich am Strandleben von Roccione, in der Nähe von Rimini, noch nicht viel verändert. Carlo (Jean-Louis Trintignant), der sich als Student in der Schweiz vor dem Kriegsdienst gedrückt hatte, kehrt nach längerer Zeit wieder nach Hause zurück und wird von seinen - wie immer Party feiernden - Freunden begeistert empfangen. Besonders Rossanna (Jacqueline Sassard), die sich seit ihrer letzten Begegnung sehr verändert hat, hat ein Auge auf ihn geworfen.

Als sich die Clique am nächsten Vormittag am Strand einfindet, fliegt ein deutsches Kampfflugzeug sehr niedrig über den Strand, so dass ein kleines Mädchen in der allgemeinen Verwirrung in Panik gerät. Carlo hilft der Kleinen, die sich an ihn klammert, und lernt deren Mutter Roberta (Eleonora Rossi Drago) kennen, die Witwe eines Kriegshelden...


Sommer 1943 - die Alliierten haben Sizilien besetzt und befinden sich auf dem Weg Richtung Norden. Um weitere Kämpfe zu vermeiden, setzt der "Große Faschistische Rat" Benito Mussolini am 25.Juli 1943 ab, worauf hin dieser verhaftet wird. Statt seiner übernimmt Marschall Pietro Badoglio die Amtsgeschäfte und verhandelt mit den US-Amerikanern über einen Waffenstillstand, der am 08.September 1943 in Kraft tritt. Die Wehrmacht, die als Verbündeter in Italien stationiert war, übernimmt darauf hin auf Befehl Hitlers Norditalien, wo sie gemeinsam mit den Faschisten einen eigenen Staat gründen.

Die Absetzung Mussolinis am 25.Juli ist das Kernstück und der Wendepunkt von "Estate violenta", der richtig übersetzt "Gewalttätiger Sommer" heißt, aber der deutsche Titel "Wilder Sommer" hat auch seine Rechtfertigung, denn so wie Valerio Zurlini seinen Film beginnt, erinnert er zuerst an die typischen Sommervergnügungen junger Erwachsener. Carlo Caremoli (Jean-Louis Trintignant) kommt nach längerer Abwesenheit wieder in seinen Heimatort Roccione, einem Badeort in der Nähe von Rimini, zurück, wo er von seinen alten Freunden freudig begrüßt wird. Nicht nur das Essen und Wein üppig vorhanden sind, auch Rossella (Jacqueline Sassard) ist inzwischen zu einer sehr hübschen jungen Frau herangewachsen und Carlo zudem sehr gewogen. Angesichts dieser Clique, die sich am nächsten Morgen wieder am Sandstrand einfindet, fröhlich Baden geht und Tennis spielt, scheinen Krieg und Tod in weite Ferne gerückt. Gemeinsam mit Suso Cecchi d’Amico, die zuvor schon für Francesco Rosi und Luchino Visconti Drehbücher geschrieben hatte, entwarf Zurlini hier eine private Geschichte, in die nur langsam die Realität eindringt. Es ist nicht nur die Zerstörung einer vermeintlichen Idylle, die sich in „Estate violenta“ ereignet, sondern eine genaue Beschreibung der italienischen Befindlichkeit dieser Zeit, die erst die späteren bürgerkriegsähnlichen Kämpfe ermöglichte, als Soldaten der italienischen Armee und Widerstandskämpfer gegen die Anhänger der Faschisten in Norditalien kämpfen sollten.

Nicht zufällig ist es ein Vorbote des Krieges, der die Begegnung zwischen Carlo und Roberta (Eleonora Rossi Drago) erst ermöglicht, denn deren kleine Tochter ist vom Tiefflug eines deutschen Kampfflugzeugs so verängstigt, dass Carlo ihr zu Hilfe kommt. Da sie ihn nicht mehr loslässt, trägt er sie nach Hause, wo Roberta mit ihrer Mutter (Lilla Brignone) zusammen lebt. Deren kritische Reaktion auf Carlos kurze Anwesenheit, bringt erstmals Struktur in die scheinbar harmonischen Verhältnisse. Carlos Vater ist ein hoher faschistischer Funktionär, der schon 1922 Mussolini unterstützte, weshalb es auch erklärbar wird, warum sich Carlo als Student in der Schweiz vor dem Militärdienst drücken konnte. Auch seine Clique, deren männlichen Mitglieder sich alle dieser unangenehmen Pflicht entziehen konnten, kommt aus dem Umfeld dieser Privilegierten. Im Gegensatz dazu war Robertas Mann als Kapitän im Krieg gefallen, weshalb die Begegnung zwischen der 30jährigen Mutter und Witwe und dem jugendlichen Funktionärssohn von Beginn an einen ambivalenten Charakter erhält.

Dass ihre Beziehung auf Grund des Altersunterschieds nicht gesellschaftlich anerkannt ist, spielt in „Estate violenta“ eine weniger wichtige, mehr an tradierten Verhaltensmustern orientierte Rolle. Viel mehr ist sie als Kulminationspunkt unterschiedlicher Haltungen zu verstehen, die sich in der Liebe zwischen Roberta und Carlo erst zu nivellieren scheinen. Es ist erstaunlich, wie intensiv Zurlini und d’Amico diese Liebesbeziehung entwickeln, ohne dabei die Gegensätzlichkeit der Liebenden zu leugnen und letztlich das darin verankerte Scheitern. Dabei nehmen die beiden Protagonisten unterschiedliche Funktionen ein - Eleonora Rossi Drago wurde mehrfach ausgezeichnet für ihre Rolle als „ältere“ Frau, die ihre Gefühle jenseits von Konventionen und der eigenen Ängste zulässt, aber Trintignants Spiel ist aus heutiger Sicht erstaunlicher.

Zwar charmant, gebildet und höflich in seinen Umgangsformen, verfügt er noch über wenig Reife. Auch als Mussolini gestürzt wird, die Faschisten vertrieben und seinem Vater die Villa weggenommen wird, reflektiert er seine Situation noch nicht. Fast verspielt wirkt er, wenn er den Schlüssel für eine angemietete Hütte in der Hand hält, wo er die Nacht mit Roberta verbringen will, obwohl die Front immer näher rückt. Während Roberta in ihrem Umgang ehrlich bleibt und auch vor Konfrontationen mit ihrer Familie nicht zurückschreckt, wird Carlo zunehmend demontiert. In ihm verdeutlicht sich ein schwacher Charakter, der weder die Rolle seines Vaters kritisch zu betrachten in der Lage ist, noch sein eigenes Handeln reflektieren, geschweige ändern kann. Trintignant gelingt in seiner Darstellung das Kunststück, die äußerliche Ernsthaftigkeit, die ihn zu Beginn von den gleichaltrigen Müßiggängern zu unterscheiden scheint, in Unsicherheit zu verwandeln. Tatsächlich unterscheidet er sich nicht von den Anderen, die in ihrer unreflektierten Anpassung an den Faschismus sogar konsequenter sind.

Angesichts der Zerstörungen im letzten Teil des Films verblassen sämtliche idyllische Bilder vom Strandleben und fröhlichen jungen Leuten. Zurlini und D’Amico deuten nur an, was Italien in den nächsten zwei Jahren erwarten wird, aber trotz dieser schrecklichen Ereignisse, liegt die eigentliche Tragik dieser Szene in der Trennung der Liebenden. Der Film verwendet scheinbar die üblichen Muster, in dem die Umstände dafür herhalten müssen, dass zwei Menschen nicht zusammen sein können. Doch letztlich ist es nur Carlos Haltung, die die Beziehung zerstört. Sein Wunsch, sie möge zu ihrer Tochter zurückkehren, soll vor allem ihn schützen, denn im Gegensatz zu ihr, ist er nicht bereit sein Leben zu riskieren und mit den Konventionen zu brechen, mit denen er in den letzten 20 Jahren aufgewachsen war. Das Scheitern dieser Liebesbeziehung wird so zum Synonym für die Trennung einer Bevölkerung und der unnötigen Verlängerung eines Krieges – nicht gesellschaftskritisch zugespitzt und ohne offensive politische Anklage, aber in seiner Konzentration auf die kleinste Einheit privater Empfindungen nachvollziehbar und beeindruckend. 

"Estate violenta" Italien / Frankreich 1959, Regie: Valerio Zurlini, Drehbuch: Valerio Zurlini, Suso Cecchi d'Amico , Darsteller : Eleonora Rossi Drago, Jean-Louis Trintignant, Jacqueline Sassard, Lilla Brignone, Frederica Ranchi, Enrico Maria Salerno Laufzeit : 100 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Valerio Zurlini: 

"Le soldatesse" (1965)
 

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.