Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Sonntag, 7. September 2014

Ultimo mondo cannibale (Mondo Cannibale 2 - Der Vogelmensch) 1977 Ruggero Deodato

Inhalt: Robert Harper (Massimo Foschi) und Rolf (Ivan Rassimov) veranlassen ihren Piloten, auf einer ostasiatischen Insel zwischenzulanden, wohin sie die Neugierde auf eine unbekannte Welt treibt. Auf Grund einer Panne bei der Landung werden sie zu einem längeren Aufenthalt als geplant gezwungen, da die Reparatur bis zum Abend andauert. Sie bemerken nicht, dass sie bei ihren Aktionen beobachtet werden.

Als die Freundin des Piloten nachts kurz das Flugzeug verlässt, kehrt sie nicht wieder zurück.  Bei der Suche nach ihr am nächsten Morgen wird der Pilot durch eine Falle getötet, aber auch Rolf und Robert verlieren sich aus den Augen. Robert versucht wieder zum Flugzeug zurück zu gelangen, gerät dabei aber in die Gefangenschaft eines abseits jeder Zivilisation lebenden Urwaldstamms…


Der Kannibalismus im italienischen Film oder wer kam zuerst?

Me Me Lai und Rassimov als Liebespaar in "Il paese del sesso selvaggio"
Ruggero Deodatos "Ultimo mondo cannibale" erschien im März 1977 in den italienischen Kinos und wird in der Regel als Nachfolger, häufig sogar als Sequel, des schon 1972 herausgekommenen "Il paese del sesso selvaggio" von Umberto Lenzi angesehen. Dafür gibt es neben der Kannibalismus-Thematik einige Argumente. Der jeweils im ostasiatischen Dschungel gelegene Handlungsort, Produzent Giorgio Carlo Rossi, der bei Lenzis Film schon zum Produzenten-Team gehörte und diesmal als Autor auch direkten Einfluss auf das Drehbuch nahm - und nicht zuletzt Iwan Rassimov sowie Me Me Lai, die in beiden Filmen zum Cast gehörten.

Me Me Lai und Foschi als Zweckgemeinschaft in "Ultimo mondo cannibale"
Zusätzlich sorgte der deutsche Verleih für eine inhaltliche Verknüpfung. Lenzis Film, der im Original "Das Dorf des wilden Sex" lautet - "wild" nicht im Sinn von exaltiert, sondern als Bezeichnung für "Sex der Wilden" – wurde in "Mondo cannibale" umbenannt, obwohl der Kannibalismus hier nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Damit knüpfte das Marketing an die seit "Mondo cane" (1962) populären "Mondo"-Filme an, die das Publikum mit fremdländischen Sitten gleichzeitig faszinieren und schockieren wollten. Exotische Speisen sowie deren archaische Form der Zubereitung waren ebenso fester Bestandteil dieser semi-dokumentarischen Filme, wie die für ein westliches Publikum seltsam erscheinenden Rituale und die als grausam beschriebene Tierwelt. Dass damit der Voyeurismus unter dem Deckmantel einer Dokumentation bedient wurde, konnte selbst „Mondo cane“, der erste Film dieser Art, nicht verbergen, obwohl er sich um eine gleichberechtigte Gegenüberstellung der westlichen Gebräuche bemühte, die aus einem anderen Blickwinkel nicht weniger grausam oder gewöhnungsbedürftig wirken.

Lächelnder Kannibale in Lenzis "Il paese del sesso selvaggio"
„Il paese del sesso selvaggio“ integrierte diese Elemente erstmals in eine zusammenhängende Story über einen Fotografen (Ivan Rassimov), der im Dschungel von einem Eingeborenenstamm gefangen genommen wird, einige Torturen über sich ergehen lassen muss bis er selbst zum Stammesmitglied wird, eine Frau (Me Me Lai) erhält und sich trotz deren Tod dafür entscheidet, dort weiter zu leben. Lenzi nutzte diesen sparsamen Handlungsfaden zwar für die Darstellung sexueller Spielarten, Brutalitäten und Tiertötungen, blieb in der Gestaltung einer Abenteuerstory darüber hinaus aber konventionell. Der Fotograf gewinnt Ansehen durch sein (überlegenes westliches) Wissen - er rettet einen Jungen durch einen Luftröhrenschnitt - und die Liebesgeschichte zwischen ihm und der jungen Stammesschönheit unterschied sich nicht wesentlich von typischer Softsex-Ware der frühen 70er Jahre. Bei den Kannibalen handelt es sich um einen gegen Ende der Handlung auftretenden feindlichen Stamm, dessen Grausamkeit mit einer kurzen Szene, in der sich einige Männer an einem Frauen-Torso laben, noch unterstrichen werden sollte. Was Ruggero Deodatos „Ultimo mondo cannibale“ damit gemeinsam hat? – Bis auf die genannten äußerlichen Merkmale nichts.


„Ultimo mondo cannibale“ – Der Beginn einer kurzen Genre-Phase

Mit dem Titel „Mondo cannibale 2 – Der Vogelmensch“ täuschte der deutsche Verleih eine Fortsetzung vor und ignorierte damit den gegensätzlichen Charakter beider Filme. Trotz der abseits der Zivilisation spielenden Story blieb „Il paese del sesso selvaggio“ jederzeit gut ausgeleuchtet, geriet Rassimovs blond gefärbtes Haar kaum einmal aus der Facon und glänzte Me Me Lai mit frischem Teint. Dass der Protagonist einem der Kannibalen die Zunge abschneidet, entsprach zwar den Gebräuchen der Dschungelbewohner, bedeutete aber keine Assimilation. Im Gegenteil lautete die Botschaft des Films, die zivilisatorischen Qualitäten mit der natürlichen Lebensform der „Wilden“ zu verbinden. Dank dieser Konsequenz mausert sich der Protagonist am Ende zu einem Anführer, der das Dorf nach dessen Zerstörung wieder aufbaut.

Von einer ähnlich positiven Botschaft ist in Deodatos Film nichts zu erkennen. In „Ultimo mondo cannibale“ geht es um das nackte Überleben, werden die Protagonisten auf ihre Ursprünge zurückgeworfen und erweisen sich die zivilisatorischen Errungenschaften als leicht zerstörbare Hülle. Dem Film wurden Rassismus, Voyeurismus und Misogynie vorgeworfen. Die drastischen Tiertötungen – ein noch lebendes Krokodil wird geschlachtet und ausgeweidet – dienten nur der Sensationsgier der Zuschauer, eine junge Frau wird durch Vergewaltigung gefügig gemacht und belohnt diese Vorgehensweise durch Dienstbeflissenheit und die „Wilden“ im asiatischen Dschungel quälen zuerst ihre Opfer, bevor sie sie verspeisen. Kritikpunkte, die mehr über die Kritiker aussagen als über die Intention des Films.

Es lassen sich einige Konzessionen an das Publikum in Deodatos Film finden. Der pseudo-dokumentarische Anstrich einer angeblich wahren Begebenheit, die abschließende Flucht des männlichen Protagonisten aus dem Dschungel sowie die Besetzung von Me Me Lai, deren hübsche, nackte Optik aus dem sonst konsequent dreckigen, grobstichigen Umfeld heraus sticht. Ihre Vergewaltigung durch Robert Harper (Massimo Foschi), der seine Triebe nicht zurückhalten kann, unterstrich nur dessen Verlust zivilisatorischer Verhaltensmuster. Ihre freundliche Reaktion basiert dagegen auf reinem Überlebenswillen in einer feindlichen Umgebung und verfügt über keinerlei Gemeinsamkeiten mit der in Lenzis Film geschilderten romantischen Beziehung zwischen der Stammesbewohnerin und dem Abkömmling westlicher Kultur. Dagegen diente ihr hübsches Aussehen allein der Erwartungshaltung männlicher Betrachter, die bei der einzigen wesentlichen Frauenrolle nicht mit der sonst üblichen Optik konfrontiert werden sollten – ein misogyner Ansatz, der nur selten Erwähnung findet.

Von diesen Konzessionen abgesehen, gelang Deodato ein verstörend konsequentes Abbild menschlicher Urinstinkte. Besonders die Begegnung Harpers mit den Dschungelbewohnern, die ihn nicht weniger fremdartig finden als er sie und deshalb glauben, dass er fliegen könnte, ist von großer Intensität. Die Bilder, in denen sie an seinem Penis ziehen, sind in ihrem spielerischen Gestus einmalig und ohne jeden Voyeurismus. Nicht Sadismus, sondern Neugierde treibt sie zu ihrem oft grausamen Spiel mit Harper, ebenso wie ihr Essverhalten bis zum Kannibalismus den natürlichen Abläufen folgt und nie als Konsequenz taktischer Überlegungen erscheint. Deshalb wäre es falsch, Harpers Entwicklung als Anpassung an diese Lebensweise zu interpretieren, auch wenn er am Ende Respekt dadurch gewinnt, dass er die Innereien eines getöteten Feindes frisst. Er wird auf seine eigenen Ursprünge zurückgeworfen. Er tötet, vergewaltigt und kämpft nach seinen Regeln ums Überleben. Emphatische Gefühle für die Frau entwickelt er selbst dann nicht, als sie gefangen genommen und für ihren Verrat brutal bestraft wird.

Dieser Verzicht auf abschwächende Elemente und damit auf jede Vereinbarkeit von archaischer Lebenswelt und sogenannter Zivilisation musste provozieren. Es lässt sich darüber diskutieren, ob die Anzahl der gezeigten Tiertötungen oder die Geburtsszene, nach der eine Frau ihr Baby scheinbar an die Krokodile verfüttert, notwendig war, aber sie unterstrichen noch zusätzlich eine Situation, in der die gewohnten moralischen Maßstäbe des westlichen Kulturkreises nicht nur nicht mehr galten, sondern sich als Illusion erwiesen. Deodato betonte das noch zusätzlich, indem er die drastischen Kannibalismus-Bilder mit harmonischer Musik unterlegte. „Ultimo mondo cannibale“ wurde weniger ein Film über eine unbekannte Welt, sondern hält seinen Betrachtern den Spiegel vor. Nicht erstaunlich, dass der Film so viel Kritik hervorrief, denn damit wird die Nähe zu einer Handlung vermieden, die die Frage nach dem eigenen Verhalten in einer vergleichbar lebensbedrohenden Situation stellt.

"Ultimo mondo cannibale" Italien 1977, Regie: Ruggero Deodato, Drehbuch: Tito Carpi, Gianfranco Clerici, Giorgio Carlo Rossi, Darsteller : Massimo Foschi, Ivan Rassimov, Me Me Lai, Judy Rosli, Laufzeit : 88 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Roggero Deodato:

"Zenabel" (1969)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.