Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Montag, 31. Dezember 2012

Sugar Colt (Rocco - Der Mann mit den zwei Gesichtern) 1966 Franco Giraldi


Inhalt: Tom Cooper (Jack Betts) leitet ein Institut, in der er den Damen der Gesellschaft das Schießen beibringt. Als charmanter Gastgeber sorgt er nicht nur für den richtigen Umgang mit der Waffe, auch sonst pflegt er Konversation auf hohem Niveau. Entsprechend wenig begeistert reagiert er auf den Besuch seines alten Bekannten, dem Detektiv Pinkerton, der ihn an seine Vergangenheit als Revolverheld Sugar Colt erinnert, um ihn zu bitten, das Verschwinden eines Soldaten-Bataillons zu untersuchen.

Auch als er erfährt, dass der Vater eines der Soldaten an Pinkerton herangetreten war, weil er nicht in der Lage ist, das geforderte Lösegeld von 50.000 Dollar für seinen Sohn zu bezahlen, lehnt er den Job ab. Aber dann wird er Zeuge, wie ein Mann Pinkerton und seinen Klienten kaltblütig auf der Straße erschießt. Verkleidet als Arzt macht er sich auf den Weg nach "Snake Valley", den Ort, den Pinkerton ihm noch kurz vor seinem Tod verriet, ohne zu ahnen, in welche Gefahr er sich begibt...


Der Weg von Regisseur Franco Giraldi zum Italo-Western war von Beginn an geebnet, denn begonnen hatte er als Regie-Assistent von Sergio Corbucci bei "Massacro al Grande Canyon" (Keinen Cent für Ringo, 1964) und Sergio Leones "Per un pugno di dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964), bevor er mit  "Sette pistole per i MacGregor" (Sieben Pistolen für McGregor) noch unter dem Pseudonym Frank Garfield seinen ersten Film als Regisseur verantwortete, zusammen mit den Darstellern Robert Woods und Fernando Sancho, sowie den Drehbuchautoren Fernando Di Leo, Ducio Tessari und Enzo Dell'Aquila - eine illustre Versammlung.

Dagegen wirkt die Besetzung seines ersten eigenständigen Films "Sugar Colt" (Rocco - der Mann mit den zwei Gesichtern), zu dem er auch das Drehbuch schrieb, vordergründig wenig spektakulär. Der Amerikaner Jack Betts wurde erstmals als Hauptdarsteller für einen europäischen Western besetzt, Soledad Miranda und Gina Rovere ("Adua e le compagne" (Adua und ihre Gefährtinnen, 1960)) waren zwar sehr attraktiv, gehörten aber nicht zur ersten Garde der Darstellerinnen. Nur Fernando Di Leo war als Drehbuchautor mit an Bord geblieben, dafür beteiligte sich diesmal mit Sandro Continenza ein im Genre schon erfahrener Autor ("Los pistoleros de Arizona" (Die Gejagten der Sierra Madre, 1965). Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gelang mit "Sugar Colt" ein bis heute origineller, stilbildender Film, dessen Story deutlich aus dem Genre-Einerlei herausragt.

Allein schon der Titel "Sugar colt“ vermittelt die Zweideutigkeit eines Films, der die komischen und ernsten Elemente nicht verzahnt oder abwechselnd bedient, sondern sie zu einer Einheit werden lässt. Dem hat auch der deutsche Titel Rechnung getragen, aber „Rocco“, der im Original Tom Cooper, genannt „Sugar Colt“, heißt, hat keine zwei Gesichter, sondern vielfältige Eigenschaften. Zu Beginn ist er der charmante Gastgeber eines Etablissements, in dem er den Damen der Gesellschaft das Schießen beibringt, dann, nachdem er Zeuge des Mordes an seinem alten Freund, dem Detektiv Pinkerton, wurde, übernimmt er doch den Auftrag, den er zuvor abgelehnt hatte. Er begibt sich in der Verkleidung des Arztes Dr.Cooper nach „Snake City“, wo er die entführten Soldaten einer Einheit für „Scharfschützen“ vermutet. Als bebrillter Intellektueller wird er von den Cowboys schikaniert und zusammengeschlagen, aber als er, nur mit einer langen Unterhose bekleidet, wieder in den Saloon zurückkehrt, um im fairen Boxkampf seine Gegner zu besiegen, lacht am Ende Keiner mehr. Selbst als er sich letztlich als Revolverheld „Sugar Colt“ outet, bleibt er noch der geistreiche, charmante Tom Cooper – eine Paraderolle für Jeck Betts.

Auch die Handlung bleibt im Ungewissen, sich immer auf dem schmalen Grat zwischen bester Unterhaltung und tragischen Momenten befindend, begleitet von der großartigen Musik Bacalovs, die zwischen einem fulminantem, emotionalen Thema und amüsantem Flötenspiel wechselt. Zu Beginn wird eine Einheit der Nordstaaten, die sich nach dem Ende des Bürgerkriegs auf dem Heimweg befindet, von ihrem Captain verraten, der seine Geldgier aber mit dem Tod bezahlt. Die dem Anschlag entkommenen jungen Männer werden Gefangen genommen und nur gegen ein Lösegeld von 50.000 Dollar frei gelassen. Wer den Plan verrät, wie der Vater eines der Soldaten, der den Detektiv Pinkerton beauftragen wollte, wird genauso mit dem Tod bestraft, wie Soldaten, deren Väter nicht zahlen können. Das Cooper sich als scheinbar harmloser Trottel in die Höhle des Löwen wagt, erinnert an das Motiv in „Il ritorno di Ringo“ (Ringo kommt zurück, 1965), als sich Giuliano Gemma als mexikanischer Landarbeiter verkleidet, um die Lage auszuspionieren, aber Betts Rolle ist abwechslungsreicher und aktiver, immer im charmanten Clinch mit der hübschen Josefa (Soledad Miranda) und der Saloon-Chefin Beth (Gina Rovere), sowie ständig seine Umgebung provozierend, die ihm an den Kragen will.

Die Figur des „Sugar colt“ ist in ihrer mehrdeutigen, sprachlich intensiven Anlage ein Gegenentwurf zum im selben Jahr erschienenen Pistolero „Django“, obwohl seine Fähigkeiten mit dem Schießeisen gleichwertig sind und die Banditen keinen Deut gnädiger oder harmloser daher kommen. Doch stilbildend für viele spätere Western wurde der schwarz gekleidete, desillusionierte Einzelgänger, während sich „Sugar colt“ mehr auf der Linie eines Giuliano Gemma in „Una pistola per Ringo“ (Eine Pistole für Ringo, 1965) befindet, allerdings erwachsener und charakterlich komplexer. Das unterscheidet ihn auch deutlich von den später von Terence Hill verkörperten Typen, denn „Sugar Colt“ ist noch ein ernsthafter Italo-Western und trotzdem gegen die Erwartungshaltung entworfen – eine sehr empfehlenswerte Wiederentdeckung.

"Sugar Colt" Italien, Spanien 1966, Regie: Franco Giraldi, Drehbuch: Franco Giraldi, Sandro Continenza, Fernando Di LeoDarsteller : Jack Betts, Soledad Miranda, Gina Rovere, Giuliano Raffaelli, Erno Crisa, Laufzeit : 95 Minuten

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.