Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Sonntag, 17. August 2014

Col cuore in gola (Ich bin wie ich bin - das Mädchen aus der Carnaby Street) 1967 Tinto Brass

Inhalt: Martha Borroughs (Vira Silenti) und ihre Stief-Kinder, die 17jährige Jane (Ewa Aulin) und ihr älterer Bruder Jerome (Charles Kohler), identifizieren den toten Vater und Ehemann im Leichenschauhaus, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Jane glaubt nicht an einen Unfall, denn ihr Vater wurde mit einem Foto erpresst, auf dem seine zweite Frau abgebildet sein soll.

Als der französische Schauspieler Bernard (Jean-Louis Trintignant) abends ins Büro des Nachtclub-Chefs kommt, findet er nicht nur dessen Leiche vor, sondern entdeckt auch Jane, die sofort ihre Unschuld beteuert. Bei dem Nachtclub-Boss soll es sich um den Erpresser handeln, den ihre Stiefmutter Martha angeblich aus dem Weg geräumt hat, wie sie Bernard erklärt, der Jane sofort verfällt. Gemeinsam fliehen sie, um die wahre Täterin zu überführen…


"Wasser auf dem Körper einer Frau ist wie Tau auf einem Rosenblatt" Lao Tse

Mit diesem Zitat beeindruckt Bernard (Jean-Louis Trintignant) die junge Jane Burroughs (Ewa Aulin), bevor ihre Körper sich erstmals vereinigen, aber es bleibt nicht die einzige Weisheit in "Col cuore in gola" (Ich bin wie ich bin - das Mädchen aus der Carnaby Street). 






Die Worte:

"Die geeignetste Farbe für einen schönen Körper ist weder das Grün weiten Graslands, noch das Blau der See, sondern das Schwarz des Photo-Studios" 

werden Michelangelo Antonioni in den Mund gelegt, dessen "Blow up" (1966) in Brass' Film aus allen Poren zu dringen scheint - eine Kriminalstory, die nur als Aufhänger für eine fulminante 60er Jahre-Pop-Art-Collage dient, "Swinging London" als Handlungsspielort, Party, Models und die Jagd nach einem Foto, das einen Hinweis auf den Mörder geben könnte. Ganz konkret ist ein Plakat mit dem Filmtitel zu sehen, selbst die Band, aus der der amerikanische Sänger Mal Ryder stammte, der ab Mitte der 60er Jahr in Italien als Solo-Sänger Karriere machte und hier den Song "Love Girl" zum Besten gibt, hieß "Blow up".

Diesen offensichtlichen Parallelen verdankte Tinto Brass in den späten 60er Jahren den Ruf eines avantgardistischen Regisseurs in der Tradition Antonionis. Eine zwar werbewirksame, letztlich aber oberflächliche Einordnung, denn der Regisseur, der als Assistent Roberto Rossellinis („Il Generale della Rovere“ (Der falsche General, 1959)) begonnen hatte, entwickelte einen ganz eigenständigen Stil, der "Col cuore in gola" (sinngemäß: Mit dem Herz auf der Zunge) als ästhetische Weiterentwicklung seines Erstlings „Chi lavoro é perduto“ (Wer arbeitet, ist verloren, 1963) über den Western „Yankee“ (1966) in Richtung „Nerosubianco“ (Attraction, 1968) und „L’urlo“ (1970) ausweist, die über keine traditionelle Erzählform mehr verfügten. Dagegen basiert die Story in „Col cuore in gola“ noch auf dem Kriminalroman „Il sepolcro di carta“ von Sergio Donati, der zu den einflussreichsten Drehbuchautoren des Italo-Western gehörte, und unter anderen eng mit Sergio Leone („Per qualche dollari in più“ (Für ein paar Dollar mehr, 1965)) und Sergio Sollima (“Faccia a faccia“ (Von Angesicht zu Angesicht, 1967)) zusammen arbeitete.

„Il secolpro di carta“ war zuvor in der Giallo-Mondadori-Reihe erschienen, weshalb der Verfilmung auch das Etikett „Giallo“ angeheftet wurde, aber Brass interessierte nur das Grundgerüst der Story. Der junge französische Schauspieler Bernard (im Buch ein Pianist) findet den Chefs eines Nacht-Clubs tot in dessen Büro und entdeckt eine junge Frau, die verstört im Raum steht. Ihm war das sehr hübsche Mädchen zuvor schon aufgefallen, glaubt ihren Unschuldsbeteuerungen und flieht mit ihr, um den tatsächlichen Mörder zu fassen. Tinto Brass verfolgte die Handlung zwar weiter, nutzte sie aber nur als Leitfaden, um ihren sexuellen Subtext mit „Swinging-London“ zu verzahnen, dem Nabel der Liberalität, Mitte der 60er Jahre, wie ihn auch Mario Monicelli in „La ragazza con la pistola“ (Mit Pistolen fängt man keine Männer, 1968) für seine Satire auf die archaischen Moralvorstellungen der Sizilianer nutzte.


Auch in Tinto Brass‘ Film gibt es komische Momente, wenn sich Bernard mit Tarzan-Schrei auf Jane stürzt, nachdem diese ihn mit einem Striptease in Verzückung versetzt hatte, aber diese spielerischen Augenblicke betonen noch den sich steigernden Irrsinn inmitten einer hektischen, den nächsten Kick suchenden Umgebung. Schon in „Chi lavoro é perduto“ entwickelte Brass ein hohes Tempo, dass er in „Col cuore in gola“ mit einem Kaleidoskop ständig in seine Einzelteile zerfallender Bilder weiter steigerte. Eine Methode, die er in seinem folgenden Film „Nerosubianco“ zur Meisterschaft führte und die in kaum einem größeren Gegensatz zum Stil Antonionis hätte stehen können. Aus unzähligen Einzelbildern entstand ein komplexes Gebilde aus Krieg, weltweiten Protesten, Glanz und Niedergang, Spaß und Gewalt, Musik, Drogen und Sex, durch das Bernard stürzt, um der schönen Jane habhaft zu werden, die ihm doch nur immer wieder entgleitet.

In der zentralen Szene des Films befreit er sie gemeinsam mit ihrem Bruder Jerome (Charles Kohler) aus den Händen ihrer Entführer. Der Weg dorthin wird geprägt von Industriebrachen und zerfallenen Häusern, bevor Brass die Situation im Stil des Italo-Western inszenierte. Begleitet von schnellen Schnitten auf die Augen Bernards und die Situation des entführten Opfers, fokussiert die Kamera den Lauf einer Pistole, die einem Phallus gleich über den entblößten Körper Janes gleitet. Zwar können die Gangster überwältigt werden, aber das führt zu keiner Lösung, denn eine solche strebte Brass in seinem Film nicht an.

Während der deutsche Titel „Ich bin wie ich bin – das Mädchen aus der Carnaby-Street“ werbewirksam auf die sexuell selbstbestimmte weibliche Jugend setzte (die populäre Carnaby-Street kommt im Film gar nicht vor) und Donatis Roman den Typus eines „Bad Girls“ in den Mittelpunkt stellte – beides ließ sich aus moralischer Sicht bequem miteinander verbinden – wertete Tinto Brass nicht, sondern überließ es dem Betrachter, die Puzzleteile dieses Films zu einer Welt nach eigenem Empfinden zusammenzusetzen. Ist Bernard naiv, romantisch oder egoistisch, Jane verrückt, berechnend oder liebenswert und das Ende tragisch, bösartig oder nur konsequent? - Es spielt letztlich keine Rolle.

"Col cuore in gola" Italien, Frankreich 1967, Regie: Tinto Brass, Drehbuch: Tinto Brass, Francesca Longa, Pierre Lévy, Sergio Donati (Roman),  Darsteller : Jean-Louis Trintignant, Ewa Aulin, Charles Kohler, Vira Silenti, Monique Scoazec, Laufzeit : 100 Minuten

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.