Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Donnerstag, 30. April 2015

Totò a colori (Totò in Farbe) 1952 Steno

Inhalt: Ein scheinbar friedlicher Morgen wird durch die atonalen Töne eines Streichinstruments gestört und reißt den Schwager (Rocco D’Assunta) des engagierten Musikers aus den Federn. Wütend läuft dieser in das Zimmer des mittellosen Bruders seiner Frau, um ihn zur Rede zu stellen, aber Antonio Scannagatti (Totò) nutzt jeden seiner Ausbrüche nur dazu, neue Klanggebilde daraus zu entwerfen – ganz von seiner eigenen musikalischen Genialität überzeugt. Dass er damit allein steht, lässt er nicht gelten, fordert selbstverständlich, „Maestro“ genannt zu werden, und hinterlässt jedes Mal fassungslose Zeitgenossen.

Besonders Tiburzi (Virgilio Riento), der Dirigent des örtlichen Orchesters, steht ihm feindlich gegenüber, muss aber nach einem Schlaganfall hilflos mit ansehen, wie die Honoratioren der Stadt Scannagatti darum bitten, dass Orchester zu dirigieren. Anlass ist eine Parade zum Besuch eines in die USA ausgewanderten Sohns der Stadt, Joe Pellecchia (Idolo Tancredi), der es dort zum einflussreichen Mafiosi brachte. Doch Scannagatti zeigt sich keineswegs bereit, diese Aufgabe zu übernehmen, sondern kann nur mit dem Versprechen der US-Amerikanerin Poppy (Fulvia Franco) überredet werden, ihre Beziehungen zum Mailänder Musikverlag Tiscordi spielen zu lassen, auf dem die Hoffnungen Scannagattis ruhen…


Der "Maestro" (Totò) legt sich mit Jedem an...
"Totò a colori" (Totò in Farbe) steht in mehrfacher Hinsicht am Beginn einer Entwicklung, auch wenn es sich nicht um den ersten italienischen Farbfilm handelt, wie häufig geschrieben steht. "Mater Dei" (1950) entstand schon zwei Jahre zuvor auf Ansco Color, bei "Totò a colori" kam aber erstmals Ferraniacolor zur Anwendung, eine italienische Entwicklung auf Basis des Agfacolor-Verfahrens, die in den 50er Jahren einige der schönsten italienischen Farbfilme ermöglichte ("La spiaggia" (Der Skandal, 1954)). Für Regisseur und Drehbuchautor Steno bedeutete "Totò a colori" nicht nur in dieser Hinsicht eine Premiere, sondern er führte erstmals Regie ohne seinen langjährigen Compagnon Mario Monicelli, mit dem er sich bei seinen ersten sechs Filmen seit "Vita da cani" (Hundeleben, 1949) die Dreharbeiten gleichwertig geteilt hatte – als Co-Autor blieb Monicelli ihm aber erhalten. Für die Regie-Assistenz holte er sich stattdessen einen Neuling ins Team, der in den folgenden Jahren bei zwölf weiteren Filmen, teilweise nur als Autor, an seiner Seite stehen sollte, bevor er 1959 ("I ladri" (Jeder Dieb braucht ein Alibi)) begann, eigenständig Regie zu führen - Lucio Fulci.

...dem Dorfdirigenten (Virgilio Rienti)...
In einer entscheidenden Hinsicht setzte Steno aber auf einen langjährigen Vertrauten - den seit den 40er Jahren auch international bekannten Komiker Totò, der nicht nur in drei seiner bisherigen Filme die Hauptrolle übernommen hatte, sondern den er seit 1943  ("Due cuori fra le belve") als Drehbuchautor am Film-Set kennengelernt hatte. Für den damals 54jährigen Neapolitaner Totò war "Totò a colori" zwar sein insgesamt schon 26.Film, wurde aber nicht nur wegen der Farbgebung auch für ihn zu etwas Neuem in seiner Rückbesinnung auf die „Commedia dell'Arte“, nach deren Traditionen Totò noch ausgebildet worden war. Erstmals beteiligte er sich direkt an einem Drehbuch gemeinsam mit Steno und Monicelli, sowie den ebenfalls fest zum Autoren-Team gehörenden Age (Agenor Incrocci) und Furio Scarpelli – eine Gemeinschaft, die in unterschiedlicher Zusammensetzung und Funktion die „Commedia all’italiana“ entscheidend prägen sollte. Hinzugezogen wurde für „Totò a colori“ noch Totòs neapolitanischer „Landsmann“ Michele Galdieri, ein bekannter Texter komödiantischer Akte. Eine logische Zusammenarbeit, denn anders als in ihren bisherigen Filmen, entwickelten sie für „Totò a colori“ keine klassisch dramaturgisch aufgebaute Story, sondern reihten unabhängige Szenen aneinander, eher lose thematisch verknüpft.

...den Honoratioren und ihrem hohen Besuch (Idolo Tancredi)...
Der mittellose Musiker Antonio Scannagatti (Totò) lebt bei seiner Schwester (Rosita Pisano) in einem kleinen Ort in Campania, einem Landstrich in der Umgebung Neapels, und quält schon ab den frühen Morgenstunden seinen Schwager (Rocco D’Assunta) mit seinen atonalen Klangexperimenten, so dass diesen Mordgedanken aus dem Bett treiben - quasi die erzählerische Klammer, denn ihr erneutes von Aggressionen begleitetes Aufeinandertreffen in Mailand beschließt den Film. Über mehrere Stationen war Scannagatti nach Mailand gelangt, dem Hort seiner Hoffnungen, denn dort sind die Musikverlage Tiscordi und Zozzogno ansässig - eine Anspielung auf die weltbekannten Verlage Ricordi und Sonzogno. Im Glauben, Tiscordi (Luigi Pavese) persönlich würde ihn empfangen, um seine Musik zu verlegen und seine Oper an der Scala herausbringen, war er in dessen Büro gekommen. Ein Irrtum, der nicht allein auf falschen Versprechungen beruhte, sondern von Scannagattis unerschütterlicher Überzeugung seiner eigenen Genialität genährt wurde.

...dem Abgeordneten (Mario Castellani)...
Denn der verkannte Künstler, der nur das schlichte „Maestro“ als Anrede gelten lässt und jeden verbessert, der ihn nicht so anspricht, begibt sich nicht einfach in die Niederungen des Musikschaffens. Selbst nachdem der Ortsdirigent Tiburzi (Virgilio Riento), mit dem sich Scannagatti eine Dauer-Fehde über musikalische Qualität liefert, einen Schlaganfall erlitten hatte, zeigt er sich nicht sofort bereit, für diesen einzuspringen, obwohl ihn der Bürgermeister (Armando Migliari) notgedrungen darum gebeten hatte. Anlass ist die Parade zu Ehren des Besuchs von Joe Pellecchia (Idolo Tancredi), einem Sohn der Stadt, der es in den USA zum erfolgreichen Mafiosi gebracht hatte. Nur das vorgetäuschte Versprechen der US-Amerikanerin Poppy (Fulvia Franco), ihre Beziehungen zum Tiscordi-Verlag spielen zu lassen, kann ihn umstimmen. Doch Scannagatti, ganz in seinem Element, lässt jedes Mal das Orchester aufspielen, sobald der US-Mafiosi zu seiner Rede ansetzt – bis dieser erbost und ohne die erhofften Zuwendungen fluchtartig den Ort verlässt. Ein Ergebnis, dass den „Maestro“ aber nicht davon abhält, die Gegenleistung von Poppy einzufordern. Als er erfährt, dass sie inzwischen nach Capri abgereist ist, macht er sich sofort auf den Weg dahin.

...und Verleger Tiscordi (Luigi Pavese).
Es wäre naheliegend, diesen sich selbstüberschätzenden, eitlen und ignoranten Zeitgenossen von Herzen abzulehnen, aber weit gefehlt – Totò verlieh seiner Figur eine entwaffnende Ehrlichkeit und authentische Begeisterung, die in starkem Kontrast zu seiner berechnenden und egoistischen Umgebung steht. Scannagatis unangepasste, bürgerliche Verhaltensweisen aushebelnde Art hält seinem Gegenüber den Spiegel vor und reizt ihn damit zur Weißglut. Besonders die ständigen Sprachverwirrungen sind urkomisch, denn Scannagatti weigert sich, kleinste Abweichungen im Dialekt zu verstehen. Nach Missverständnissen und aufbrausenden Streitgesprächen, stellen die Gesprächspartner oft fest, sich von Beginn an einig gewesen zu sein – ein unmöglich zu synchronisierender Sprachwitz. Einzig die reiche und exzentrische Gesellschaft, die Scannagatti auf seiner Suche nach Poppy auf Capri antrifft, ist durch nichts zu erschüttern. Zum Vergnügen der gelangweilten Gäste in dem mondänen, hypermodern eingerichteten Haus von Giulia Sofia (Franca Valeri) wird er dazu überredet, als "Pupetto Montmartre von der Champs-Élysées" aufzutreten, eine Art überkandidelter, homosexueller Mode-Designer – eine Umkehrung der sonst im Film gezeigten bürgerlich konservativen Verhältnisse ins andere Extrem.

Doch so gut seine Verkleidung als Pinocchio gelingt...
Als Beginn der „Commedia all’italiana“, die ihre Gesellschaftskritik hinter einem oft beißenden Humor verbarg, gilt heute „I soliti ignoti“ (Diebe haben‘ schwer), der 1958 von Mario Monicelli inszeniert wurde, unter Mitwirkung von Age und Scarpelli. Dagegen scheint „Totò a colori“ noch dem klassischen Sketch verpflichtet, doch das ließe dessen subversiven Witz übersehen. Sowohl in der Szene mit dem Mafiosi, als auch mit dem Musikverleger Tiscordi, der glaubt in Scannagatti einen sensiblen Krankenpfleger vor sich zu haben, der ihm eine Spritze in den Hintern geben soll, untergräbt der Film anerkannte Autoritäten. Besonders die längste Sequenz im Schlafwagenabteil mit dem Abgeordneten Cosimo Trombetta (Mario Castellani) – Trombetta bedeutet „kleine Trompete“, was von Scannagatti ausführlich thematisiert wird – ist ein unglaublicher Parforceritt auf den Nerven des Politikers, für den nach einer späteren Aussage Totòs der Christdemokrat Giulio Andreotti Pate gestanden haben soll. Schließlich gipfelt der Film in der grandiosen Szene, in der sich Scannagatti auf der Flucht vor seinem Schwager zwischen Marionetten versteckt. Als die Puppenspieler mit der Vorstellung beginnen, mimt Totò einen hölzernen, an Fäden hängenden Pinocchio – großartige Schauspielkunst in der Tradition der „Commedia dell’arte“.

...sein Schwager (Rocco D'Assunta) findet ihn.
Helfen kann Scannagatti diese Aktion nicht mehr, denn sein Schwager erkennt ihn und geht mit gezücktem Messer auf ihn zu. Steno schob zwar noch ein übertriebenes, unrealistisch wirkendes Happy-End hinterher, aber selbst das mündet wieder in einem wütenden Angriff auf Scannagatti. Kein Zweifel – ein Mann mit seinen Qualitäten hat in einer Welt voll Anpassung und verlogenen Verhaltensmustern nur geringe Überlebenschancen.



"Totò a colori" Italien 1952, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Mario Monicelli, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Totò, Michele Galdieri, Darsteller : Totò, Mario Castellani, Virgilio Riento, Luigi Pavese, Rocco D'Assunta, Fulvia Franco, Galeazzo Benti, Lucio Fulci, Laufzeit : 103 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Steno:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.