Inhalt: Bilbao 1978 - Txabi (Eusebio Poncela) zückt seine Waffe, als es an seiner Tür klopft, aber als er die Stimme hört, lässt er die junge Frau (Ángela Molina) herein. Es ist seine eigene Frau, aber sie haben sich schon länger nicht mehr gesehen, denn Txabi befindet sich im Untergrund als Mitglied der ETA. Auch seine Frau gehörte einmal dazu, wie Izarra (Gian Maria Volonté), sein bester Freund, zu dem er ebenfalls den Kontakt abgebrochen hat, weil dieser nicht mehr mit Waffen für die Freiheit des Baskenlandes kämpfen will.
Wenige Jahre zuvor, 1973, als die Diktatur unter General Franco noch Bestand hatte, war das anders. Gemeinsam mit zwei weiteren Männern bereiteten sie monatelang die Entführung von Luis Carrero Blanco (Agapito Romo) , genannt "Ogro", vor. Als sie erfuhren, das Franco ihn als seinen Nachfolger als Regierungschef ernannt hatte, änderten sie ihre Pläne. Die Führung der ETA beschloss ein Attentat auf ihn...

Im Gegensatz dazu, ist sein letzter Langfilm "Ogro", der erst 10 Jahre nach "Quiemada" entstand, nahezu in Vergessenheit geraten, obwohl die 1973 durchgeführte "Operation Ogro", die Pontecorvo detailgenau in seinem Film schildert, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten erst fünf Jahre zurücklag und sich bis heute nur wenige Filme der späten Phase der "Franco-Diktatur" in Spanien widmeten. Als "Ogro" am Originalschauplatz des Attentates in Madrid entstand, lag das Ende der Diktatur kaum mehr als zwei Jahre zurück. Welche Gründe hat es, das der Film heute - trotz seiner unbestrittenen inszenatorischen und inhaltlichen Qualitäten - nicht eine ähnliche Wertschätzung erfährt, wie "La battaglia di Algeri"?
Das Attentat
Schon die Thematik selbst scheint eine Antwort darauf zu geben, denn ein erfolgreiches Attentat, bei dem mehrere Menschen starben, ohne das die Täter gefasst wurden, in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen, ist in dieser Gestaltung einmalig. Im Gegensatz etwa zu dem 1986 entstandenen "Il caso Moro" (Die Affäre Moro) galt Pontecorvos Konzentration nicht dem Opfer, sondern den Tätern, die für die baskische Befreiungsorganisation ETA aktiv waren.
Bei Luis Carrero Blanco (Agapito Romo) , genannt "Ogro" (zu deutsch "Unhold"), der entführt werden sollte, handelte es sich um keinen Geringeren als den engsten Vertrauten von General Franco, dem bei der Verfolgung und Behandlung der politischen Gefangenen während der Diktatur, eine führende Rolle zukam. Pontecorvo schildert das Vorgehen der vier baskischen Männer um ihren Anführer Izarra (Gian Maria Volonté) im Stil eines Heist-Films. Monatelang beobachten sie Blancos täglichen Besuch der Morgenmesse, verfolgen genau die Anzahl und Einsatzzeiten der Leibwächter bis zur minutiösen Ausarbeitung des Fluchtweges und Vorbereitung des Verstecks - immer unter der Gefahr, von der Polizei entdeckt zu werden.
Diesen Handlungsverlauf steigert Pontecorvo noch, als der greise 80jährige General Franco, Luis Carrero Blanco als seinen Nachfolger als Regierungschef einsetzt, weshalb sich dessen Bewachungs - Status verändert. Eine Entführung ist unter diesen Umständen unmöglich. Die ETA beschließt deshalb ein Bomben - Attentat auf ihn. Zur Umsetzung mieten die Männer eine benachbarte Kellerwohnung, von der sie aus eine Höhle unter der Straße graben wollen, um den Sprengstoff unter dem Fahrweg zu platzieren. In seiner Anlage, im psychischen Zusammenspiel der Protagonisten und in der ständigen Furcht vor Entdeckung, erinnert der Film an Klassiker des Bankraubs oder des Ausbruchs aus einem Gefängnis, aber hier liegt die Motivation darin, einen Menschen zu ermorden.
Pontecorvo bleibt sehr sachlich, fast dokumentarisch in seinem Stil und verzichtet auf jede emotionale Schürung. Er zeigt Menschen bei einer Arbeit, die sie für zwingend notwendig halten, denen als Identifikationsfiguren allerdings eindeutig seine Sympathien gehören, weshalb es außer Frage steht, das der Regisseur, der neben Ugo Pirro auch am Drehbuch nach der Originalvorlage von Julen Aguirre mitwirkte, dieses Attentat auf einen führenden Vertreter eines unmenschlichen, seit Jahrzehnten regierenden Regimes, für gerechtfertigt hielt. Tatsächlich wird dem in seiner brutalen Konsequenz einmaligen Anschlag auf einen europäischen Regierungschef - das gepanzerte Fahrzeug des Ministerpräsidenten wurde mehr als 30 Meter hoch in die Luft geschleudert – inzwischen eine entscheidende Rolle beim Ende der Diktatur zugewiesen, auch wenn Franco danach zuerst die Repressalien gegen jeden Widerstand erhöhte.
Die Täter

Pontecorvo stellt den Arbeitskampf und das Attentat als Mittel im Kampf gegen eine diktatorische Staatsführung nebeneinander, macht die Solidarität der Menschen im gemeinsamen Widerstand deutlich (als der Maurer später von Txabi erfährt, wen sie entführen wollen, hilft er ihnen, den Schallschutz des geplanten Verstecks zu verbessern), aber er scheut sich nicht vor der Diskussion um die Legitimität des Einsatzes von Gewalt. Immer wieder ist aus den Worten der Beteiligten heraus zu hören, dass sich ein Großteil der Bevölkerung an die Zustände nach beinahe 40 Jahren Diktatur gewöhnt hatte und ihren Maßnahmen kritisch gegenüber steht. Damit greift Pontecorvo das klassische Motiv auf, dass der Widerstand im eigenen Land als Terrorismus angesehen wurde (siehe auch „Il terrorista“ (1963) über den Widerstand in Italien während der Mussolini – Diktatur, ebenfalls mit Gian Maria Volonté) und in der Regel erst nach dem Ende eines restriktiven Systems neu bewertet wurde.


Txabi stirbt am Ende, nach einem Attentat auf einen Polizisten, während seine Frau und seine Freunde trauernd um sein Bett stehen – sie wollen weiter für ein unabhängiges Baskenland kämpfen, aber nicht mehr mit Gewalt. Dieses letzte Bild lässt deutlich werden, warum „Ogro“ zu unrecht in Vergessenheit geraten ist. Der sympathisierende Blick auf die ETA wirkt aus heutiger Sicht naiv, zu positiv hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung, aber Pontecorvos Ansicht wird aus dem Zeitkontext heraus verständlich. Während der Franco-Diktatur wurde die ETA als Teil des allgemeinen Widerstands angesehen, weshalb Frankreich ihren Mitgliedern noch bis Mitte der 80er Jahre Asyl gab. Auch die Bewertung des Bombenanschlags ist außerhalb Spaniens schwer einzuordnen, da – im Gegensatz etwa zu Graf von Stauffenbergs Attentat auf Adolf Hitler - kaum Kenntnisse über die Rolle Luis Carrera Blancos vorhanden sind. Trotz mehr als einer Million politischer Gefangener hat die Aufarbeitung dieser Zeit in Spanien erst vor wenigen Jahren begonnen, nachdem der Übergang zur Demokratie, nach dem Tod Francos 1975, friedlich vonstatten gegangen war.

"Ogro" Italien, Spanien, Frankreich 1979, Regie: Gillo Pontecorvo, Drehbuch: Gillo Pontecorvo, Ugo Pirro, Darsteller : Gian Maria Volonté, José Sacristán, Ángela Molina, Eusebio Poncella, Sarverio Marconi, Laufzeit : 110 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Gillo Pontecorvo:
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