Inhalt: Der
Arbeiter Nullo Branzi (Giuliano Gemma) geht durch eine aufgebrachte
Menschenmenge vor einer Fabrik, zieht eine Pistole und schießt.
Wenige
Monate zuvor hatte er Carmela Santoro (Stefania Sandrelli) getroffen, eine
junge Frau, die nicht in seiner Schicht arbeitete und gerade nach Hause gehen
wollte. Spontan war er ihr bis in die ärmliche Wohngegend gefolgt, in der die
Familien aus dem Süden Italiens wohnen, die in den Norden kommen, um Arbeit zu
finden. Dort erfuhr er, dass sie aus Sizilien stammt und schon lange heimlich
in ihn verliebt sei, was sie aber nicht davon abhielt, ihn unvermittelt stehen
zu lassen.
So leicht
wollte sich Nullo nicht abwimmeln lassen und bemühte sich, in ihre Schicht zu
kommen. Doch bevor ihm das gelang, war sie schon in seine Schicht gewechselt
und musste dafür stundenlang an der Maschine bei giftigen Dämpfen arbeiten. Die
Arbeiterinnen erhielten Milch gegen die Kontamination, aber Carmela trank sie
nicht, um sie ihren jüngeren Geschwistern mitbringen zu können. Auch ihre
sizilianische Herkunft erschwerte das weitere Kennenlernen zwischen ihr und
Nullo, da ihr großer Bruder eifersüchtig über sie wachte, aber trotzdem
näherten sie sich weiter an...
Nachdem
Luigi Comencini Anfang der 70er Jahre für das italienische Fernsehen gearbeitet
hatte, stieg er 1972 mit "Lo scopone scientifico" (Teuflisches Spiel)
wieder in gewohnter Weise in die politisch aufgeheizte Atmosphäre Italiens ein
- mit einer "Commedia all'italiana", die die Realität unter dem Deckmäntelchen
des Lustspiels offen legte, ähnlich seinem ersten großen Erfolg "Pane,amore e fantasia" (Liebe, Brot und Fantasie) im Jahr 1953. Mit "Mio
Dio come sono caduta in basso!" (Wie tief bin ich gesunken, 1974) und
"La donna della domenica" (Die Sonntagsfrau, 1975) folgten weitere
Komödien, bevor er gemeinsam mit Mario Monicelli, Ettore Scola, Nanni Loy und
Luigi Magni den satirischen Episodenfilm "Signore e signori,
buonanotte" (1976) verfasste und drehte.
"Delitto
d'amore" (Ein Verbrechen aus wahrer Liebe) entstand 1974 zwischen diesen
komödiantischen Werken und bildete mit seinem ernsten, realistischen Gestus
eine Ausnahme. Es bleibt Spekulation, ob sich Luigi Comencini, der seine
Gesellschaftskritik in der Regel verklausulierte, von den damaligen politischen
Auseinandersetzungen mitreißen ließ, denn er wählte als Hintergrund für seine
Geschichte die Situation der Arbeiter in einer norditalienischen Industriestadt
und beschreibt deren Lebens- und Arbeitsbedingungen nahezu dokumentarisch.
Zudem verknüpfte er diese mit der Problematik der Süditaliener, die gezwungen
waren in den Norden auszuwandern, um Arbeit zu finden. Die kulturellen
Unterschiede, besonders hinsichtlich der Emanzipation der Frauen, waren
eklatant, was die Vorbehalte der Einheimischen gegenüber den Zuwanderern noch
bestärkte.
Die Familie
des männlichen Protagonisten Nullo Branzi (Giuliano Gemma) nimmt entsprechend
kein Blatt vor den Mund in ihrer Meinung über die Menschen aus dem Süden, die
sie für schmutzig und faul halten. Da diese sich die Mieten in der Großstadt
nicht leisten können, leben sie in außerhalb gelegenen Ghettos, ohne fließendes
Wasser und in zu beengten Verhältnissen. Zwar wohnt Branzi mit seinen Eltern
und Geschwistern in einem modernen Gebäude, aber die vollständig gefliesten
Wände der Wohnung und das nüchterne Ambiente der Satellitenstadt hinterlassen
den ähnlich pragmatischen Eindruck eines Lebens, dass nur von der Arbeit
bestimmt wird.
Neben den
harten Arbeitsbedingungen, denen die Frauen und Männer im Schichtbetrieb am
Fließband ausgesetzt sind, lässt der Film auch die Umweltverschmutzung deutlich
werden, die ungehemmt in Kauf genommen wurde. Comencinis Bilder verschmutzter
Seen oder toter Vögel waren zum damaligen Zeitpunkt noch unüblich, da sie
generell als Folge der Industrialisierung angesehen wurden. Auch von Nullo
Branzi, der es gegenüber Carmela (Stefania Sandrelli) zwar bedauert, dass die
wunderschöne Gegend, die er ihr zeigen wollte, inzwischen im Müll versinkt, der
aber wie alle akzeptiert, dass die Frauen Milch am Arbeitsplatz gegen die
giftigen Dämpfe bekommen, denen sie ausgesetzt sind. Selbst für die
kommunistische Partei, die damals unter den Arbeitern sehr stark vertreten war
- auch Branzi ist Genosse - und deren Diskussionen im Film einigen Raum
einnehmen, ist die Umweltverschmutzung noch kein Thema - bis ein Unglück
geschieht.
Obwohl nur
wenige Filme ein ähnlich realistisches Bild der Lebensbedingungen der Arbeiter
in den frühen 70er Jahren zeichneten, gilt "Delitto d'amore" nicht
als speziell gesellschaftskritischer Film und gewann auch keine Auszeichnungen
- im Gegensatz zu Comencinis zuvor gedrehter Komödie "Lo scopone
scientifico", die heute als einer der besten 100 Filme Italiens angesehen
wird und einige Preise erhielt. Zu verdanken ist diese zu unrecht fehlende Anerkennung
der Liebesgeschichte zwischen Nullo Branzi und der Süditalienerin Carmela, die
im Mittelpunkt des Films steht. Ausführlich widmet sich Comencini ihrer ersten
Begegnung und ihrer beginnenden Liebe, die besonders von Carmelas wechselnden
Hochs und Tiefs bestimmt wird. Während Giuliano Gemma jederzeit souverän
agiert, übertreibt Stefania Sandrelli bewusst ihre schwer vorhersehbaren
emotionalen Reaktionen, als Zeichen für den Druck, unter dem sie steht.
In ihrer
Figur kulminieren sämtliche Konflikte - der Gegensatz zwischen den Traditionen
ihrer Heimat und den liberalen Moralvorstellungen im Norden, ihr
Außenseiterrolle in der Fremde, der wirtschaftliche Zwang bei schlechten
Bedingungen arbeiten zu müssen, bis zu ihrem katholischen Glauben, der ihr eine
kirchliche Trauung vorschreibt, während ihr Geliebter atheistisch erzogen
wurde. Die Konsequenzen daraus lassen sich nicht verhindern, bis es zu der
Situation kommt, die der Film in seiner ersten Szene zeigt. Nullo Branzi
durchquert eine aufgebrachte Menschenmenge und zieht eine Waffe, bevor der Film
beginnt die Entwicklung bis zu diesem Moment zu beschreiben.
Diese
dramatisierende Konzeption drängt die vielen realistischen Details des Alltags
in den Hintergrund und versucht nicht, mögliche politische Lösungen heraus zu
arbeiten, sondern geht gemeinsam mit Nullo Branzi dessen Weg einer persönlichen
Abrechnung, nicht ohne Grund die Folgen daraus weglassend. Denn "Delitto
d'amore" ist ein emotionaler Film, der durch die Identifikation mit den Liebenden
erfahrbar werden lässt, wozu Intoleranz, Armut, Ausbeutung und rücksichtslose
Umweltverschmutzung führen können. Anders als in den Polit-Thrillern eines
Damiano Damiani oder den um Objektivität bemühten Analysen eines Francesco
Rosi, spielen nicht die Missstände die Hauptrolle, sondern die Liebe zwischen
Carmela und Nullo - die Realität bildet nur den Rahmen für ihre Begegnung, aber
das macht sie nicht weniger bedrückend.
"Delitto d'amore" Italien 1974, Regie: Luigi Comencini, Drehbuch: Luigi Comencini, Ugo Pirro, Darsteller : Stefania Sandrelli, Giuliano Gemma, Brizio Montinaro, Cesira Abbiati, Pippo Starnazza, Laufzeit : 97 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luigi Comencini:
"Pane, amore e fantasia" (1953)
"A cavallo della tigre" (1961)
"Tre notti d'amore" (1964)
"Le bambole" (1965)
"A cavallo della tigre" (1961)
"Tre notti d'amore" (1964)
"Le bambole" (1965)
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