Inhalt: Die in einem sizilianischen Ort lebende Assunta (Monica Vitti) wird versehentlich von den Kumpanen des Schwerenöters Vincenzo Macaluso (Carlo Giuffrè) entführt und dann auch verführt. Am nächsten Morgen ist Vincenzo verschwunden und Assunta hat Schande über ihre Familie gebracht. Da sie keinen Bruder hat, muss sie selbst nach London fahren, wo Vincenzo in einer Pizzeria arbeitet, um ihre Ehre und die ihrer Familie wieder zu erlangen, indem sie ihn erschießt.
Versehen mit einer Adresse und einer Pistole begibt sie sich nach London, aber Vincenzo, der die Gepflogenheiten seiner Heimat kennt, kann fliehen. Assunta macht sich auf den beschwerlichen Weg der Verfolgung und wird mit dem modernen Leben im London der 60er Jahre konfrontiert...
Die Szenerie hat etwas Seltsames an sich - während im Obergeschoss des einen Hauses ausschließlich Frauen ihre Zeit miteinander verbringen, tanzen auf der Terrasse eines Nachbarhauses nur Männer miteinander. Doch Einer von ihnen hat noch etwas anderes vor und schickt zwei Männer mit ihrem Auto los, um eine der Frauen zu entführen, sobald diese die Straße betreten. Der Plan gelingt, obwohl sich die Frauen laut schreiend wehren, und Assunta (Monica Vitti) landet bei Vincenzo Macaluso (Carlo Giuffrè), einem stadtbekannten Verführer.
Während dieser etwas überrascht ist, weil er eigentlich ihre Schwester entführen lassen wollte, ist sie bereit, mit einem Messer ihre Unschuld zu verteidigen. Doch sie lässt die Waffe nach nur kurzem Widerstand fallen und verbringt die Nacht mit dem Schwerenöter, um am nächsten Morgen festzustellen, dass er sich davon geschlichen hat. Es hilft ihr auch nicht, zu behaupten, sie wäre kalt wie ein Stein geblieben - um ihre Ehre wieder zu erlangen, ist sie gezwungen, Vincenzo zu erschießen, weshalb sie mit einer Pistole und ein wenig Geld nach London geschickt wird, wo dieser in einer Pizzeria arbeiten soll.
Genauso überdreht wie der Beginn des Films klingt, inszenierte ihn Mario Monicelli auch. Große Emotionen, wilde Gesichtsausdrücke und ausladende Gestik, begleitet von moralischen Vorstellungen, die an Widersprüchlichkeit nur schwer zu überbieten sind, erfüllen das Klischee des heißblütigen Sizilianers, der ständig zwischen Moralkodex und seinen Gefühlen hin und her gerissen wird. Keinen Moment will Assunta alleine mit einem Mann in einem Raum verbringen, um sich – nachdem ihr Widerstand gebrochen wurde - sofort auf den Liebhaber zu stürzen. Dieser wiederum hat zwar kein Problem damit, die Unverheiratete zu verführen, würde sie danach aber niemals heiraten, weil sie – nachdem sie mit ihm geschlafen hatte - eine Hure ist.
„La ragazza con la pistola“ spielt nur in den ersten Minuten auf Sizilien, denn indem Monicelli die junge sizilianische Frau auf ihren Rachefeldzug nach England schickte, wo der abtrünnige Liebhaber hin geflohen war, erhöhte er noch die Diskrepanz zwischen den archaischen Moralvorstellungen Siziliens und einem Land, das Ende der 60er Jahre als das liberalste der Welt galt. Vor allem in Italien hatte England einen Ruf, der sich in Filmen wie dem Pseudo-Dokumentarfilm "Inghilterra nuda" (Das nackte England) 1969 von Vittorio de Sisti manifestierte, die sich durch eine Mischung aus Sensationsgier und Moralkritik auszeichneten. „La ragazza con la pistola“ blieb dagegen ein typischer Monicelli, dessen vordergründiges Komödienspektakel das dahinter verborgene Drama nur langsam, dafür aber umso wirksamer offen legte. Dass der Film, der 1969 für den Oscar als bester fremdsprachiger Film zur Wahl stand, heute in Vergessenheit geraten ist, lässt sich mit dessen damaliger Aktualität begründen, weshalb es notwendig ist, sich in die 60er Jahre zurück zu denken, um den Film nicht nur albern zu empfinden.
Die Handlung provozierte auch die noch sehr konservative Haltung in Deutschland, denn der deutsche Verleih-Titel „Mit Pistolen fängt man keine Männer“, betonte nur das komödiantische Potential, gab den Inhalt des Films aber falsch wieder. Assunta will keinen Mann fangen, sondern nur den treulosen Liebhaber erschießen. Stattdessen sind es die Männer, die sich um die schöne junge Frau bemühen und von ihrem scheinbar widersprüchlichen Verhalten regelmäßig um den Verstand gebracht werden. Auch für den heutigen Betrachter wirkt Monica Vitti in ihrer Rolle manchmal nervig und unlogisch. Allerdings gilt das auch für ihre sonstige Umgebung, denn „Swinging London“, Beatmusik, Discothek, modische Klamotten, Rugby und Jaguar E, sowie das hochnäsige Verhalten der Engländer, für die Italiener entweder Pizza mit Arien servierende Kellner oder Hausmädchen sind, lassen ein Bild kompletten Irrsinns entstehen.
Damit gleichen sich England und Sizilien wieder an, weshalb die eigentliche Entwicklung Assuntas darin besteht, dass sie zur Ruhe und zu Selbstbewusstsein kommt. „La ragazza con la pistola“ schildert die Entwicklung einer Emanzipation, die damit endet, dass Assunta nochmals mit Vincenzo ins Bett steigt, nachdem sie längst davon abgelassen hatte, ihn noch erschießen zu wollen. Danach verlässt sie ihn, um zu einem anderen Mann (Stanley Baker) zu fahren – dem Einzigen, der sich von Beginn an gleichberechtigt verhielt, ohne das der Film genau benennt, in welche Richtung sich ihre weitere Beziehung entwickeln wird.
Aus heutiger Sicht liegt darin keine Besonderheit mehr. Eher bleibt das von sizilianischen Wertvorstellungen geprägte, mädchenhafte Getue der Assunta in Erinnerung, aber dahinter verbirgt sich Monicellis schon in seinen Komödien der 50er Jahre („I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958) gewählte Methode, den Finger unterhalb des farceartigen Geschehens in die Wunde zu legen, woran auch seine Nähe zum Neorealismus sichtbar wird. Trotz des turbulent-komödiantischen Geschehens ist die Ausgestaltung der Frauenrolle in „La ragazza con la pistola“ auch aus heutiger Sicht wesentlich konsequenter als in den meisten gegenwärtigen Filmen. Assunta braucht am Ende keinen Mann mehr, nicht einmal ihre Herkunft hat noch Einfluss - sie handelt vollständig selbst bestimmt.
Mario Monicelli muss sich bewusst gewesen sein, dass dieses Ende märchenhafte, unrealistische Züge besaß, weshalb er den komödiantischen Kontext wählte, der seinem Stil entsprechend unterschwellig die Diskrepanz zur damaligen Rolle der Frau auch in der westlichen Gesellschaft offenbarte. Dass diese sich seitdem verändert hat, nimmt dem Film zwar einiges seines ursprünglichen Potentials, versperrt aber nicht den Blick auf die eigenständige, jeden moralischen Fingerzeig vermeidende filmische Umsetzung, die ihr tiefere Brisanz nicht verloren hat.
"La ragazza con la pistola" Italien 1968, Regie: Mario Monicelli, Drehbuch: Luigi Magni, Ronald Harwood (englische Adaption), Darsteller : Monica Vitti, Carlo Giuffrè, Stanley Baker, Corin Redgrave, Deborah Stanford, Laufzeit : 98 Minuten
"I soliti ignoti" (1958)
Während dieser etwas überrascht ist, weil er eigentlich ihre Schwester entführen lassen wollte, ist sie bereit, mit einem Messer ihre Unschuld zu verteidigen. Doch sie lässt die Waffe nach nur kurzem Widerstand fallen und verbringt die Nacht mit dem Schwerenöter, um am nächsten Morgen festzustellen, dass er sich davon geschlichen hat. Es hilft ihr auch nicht, zu behaupten, sie wäre kalt wie ein Stein geblieben - um ihre Ehre wieder zu erlangen, ist sie gezwungen, Vincenzo zu erschießen, weshalb sie mit einer Pistole und ein wenig Geld nach London geschickt wird, wo dieser in einer Pizzeria arbeiten soll.
Genauso überdreht wie der Beginn des Films klingt, inszenierte ihn Mario Monicelli auch. Große Emotionen, wilde Gesichtsausdrücke und ausladende Gestik, begleitet von moralischen Vorstellungen, die an Widersprüchlichkeit nur schwer zu überbieten sind, erfüllen das Klischee des heißblütigen Sizilianers, der ständig zwischen Moralkodex und seinen Gefühlen hin und her gerissen wird. Keinen Moment will Assunta alleine mit einem Mann in einem Raum verbringen, um sich – nachdem ihr Widerstand gebrochen wurde - sofort auf den Liebhaber zu stürzen. Dieser wiederum hat zwar kein Problem damit, die Unverheiratete zu verführen, würde sie danach aber niemals heiraten, weil sie – nachdem sie mit ihm geschlafen hatte - eine Hure ist.
„La ragazza con la pistola“ spielt nur in den ersten Minuten auf Sizilien, denn indem Monicelli die junge sizilianische Frau auf ihren Rachefeldzug nach England schickte, wo der abtrünnige Liebhaber hin geflohen war, erhöhte er noch die Diskrepanz zwischen den archaischen Moralvorstellungen Siziliens und einem Land, das Ende der 60er Jahre als das liberalste der Welt galt. Vor allem in Italien hatte England einen Ruf, der sich in Filmen wie dem Pseudo-Dokumentarfilm "Inghilterra nuda" (Das nackte England) 1969 von Vittorio de Sisti manifestierte, die sich durch eine Mischung aus Sensationsgier und Moralkritik auszeichneten. „La ragazza con la pistola“ blieb dagegen ein typischer Monicelli, dessen vordergründiges Komödienspektakel das dahinter verborgene Drama nur langsam, dafür aber umso wirksamer offen legte. Dass der Film, der 1969 für den Oscar als bester fremdsprachiger Film zur Wahl stand, heute in Vergessenheit geraten ist, lässt sich mit dessen damaliger Aktualität begründen, weshalb es notwendig ist, sich in die 60er Jahre zurück zu denken, um den Film nicht nur albern zu empfinden.
Die Handlung provozierte auch die noch sehr konservative Haltung in Deutschland, denn der deutsche Verleih-Titel „Mit Pistolen fängt man keine Männer“, betonte nur das komödiantische Potential, gab den Inhalt des Films aber falsch wieder. Assunta will keinen Mann fangen, sondern nur den treulosen Liebhaber erschießen. Stattdessen sind es die Männer, die sich um die schöne junge Frau bemühen und von ihrem scheinbar widersprüchlichen Verhalten regelmäßig um den Verstand gebracht werden. Auch für den heutigen Betrachter wirkt Monica Vitti in ihrer Rolle manchmal nervig und unlogisch. Allerdings gilt das auch für ihre sonstige Umgebung, denn „Swinging London“, Beatmusik, Discothek, modische Klamotten, Rugby und Jaguar E, sowie das hochnäsige Verhalten der Engländer, für die Italiener entweder Pizza mit Arien servierende Kellner oder Hausmädchen sind, lassen ein Bild kompletten Irrsinns entstehen.
Damit gleichen sich England und Sizilien wieder an, weshalb die eigentliche Entwicklung Assuntas darin besteht, dass sie zur Ruhe und zu Selbstbewusstsein kommt. „La ragazza con la pistola“ schildert die Entwicklung einer Emanzipation, die damit endet, dass Assunta nochmals mit Vincenzo ins Bett steigt, nachdem sie längst davon abgelassen hatte, ihn noch erschießen zu wollen. Danach verlässt sie ihn, um zu einem anderen Mann (Stanley Baker) zu fahren – dem Einzigen, der sich von Beginn an gleichberechtigt verhielt, ohne das der Film genau benennt, in welche Richtung sich ihre weitere Beziehung entwickeln wird.
Aus heutiger Sicht liegt darin keine Besonderheit mehr. Eher bleibt das von sizilianischen Wertvorstellungen geprägte, mädchenhafte Getue der Assunta in Erinnerung, aber dahinter verbirgt sich Monicellis schon in seinen Komödien der 50er Jahre („I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958) gewählte Methode, den Finger unterhalb des farceartigen Geschehens in die Wunde zu legen, woran auch seine Nähe zum Neorealismus sichtbar wird. Trotz des turbulent-komödiantischen Geschehens ist die Ausgestaltung der Frauenrolle in „La ragazza con la pistola“ auch aus heutiger Sicht wesentlich konsequenter als in den meisten gegenwärtigen Filmen. Assunta braucht am Ende keinen Mann mehr, nicht einmal ihre Herkunft hat noch Einfluss - sie handelt vollständig selbst bestimmt.
Mario Monicelli muss sich bewusst gewesen sein, dass dieses Ende märchenhafte, unrealistische Züge besaß, weshalb er den komödiantischen Kontext wählte, der seinem Stil entsprechend unterschwellig die Diskrepanz zur damaligen Rolle der Frau auch in der westlichen Gesellschaft offenbarte. Dass diese sich seitdem verändert hat, nimmt dem Film zwar einiges seines ursprünglichen Potentials, versperrt aber nicht den Blick auf die eigenständige, jeden moralischen Fingerzeig vermeidende filmische Umsetzung, die ihr tiefere Brisanz nicht verloren hat.
"La ragazza con la pistola" Italien 1968, Regie: Mario Monicelli, Drehbuch: Luigi Magni, Ronald Harwood (englische Adaption), Darsteller : Monica Vitti, Carlo Giuffrè, Stanley Baker, Corin Redgrave, Deborah Stanford, Laufzeit : 98 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Mario Monicelli:
"I soliti ignoti" (1958)