Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Dienstag, 29. Oktober 2013

Schundromane, Misogynie und gesellschaftlicher Umbruch - die Frühphase des "Giallo" vor Dario Argento

Der frühe "Giallo" 1963 bis 1969

Während Genre-Bezeichnungen wie Komödie, Western, Horror oder Thriller für die Kunstform "Film" leicht verständlich sind, hat sich der "Giallo" seine geheimnisvolle Aura bis heute bewahrt. Im aktuellen Kinogeschehen als Kategorisierung unüblich geworden, vermittelt der Begriff dem cinephil Interessierten einen Blick zurück in die 60er und 70er Jahre, als das italienische Kino noch stilprägend für das Medium war und der "Giallo" zum Vorreiter des heutigen Spannungs-Kinos bis zum modernen "Slasher"-Film wurde. Sobald ein Regisseur eine mörderische oder thrillerartige Handlung farbenprächtig und oppulent inszeniert, Wert auf eine originelle Kameraführung legt und Genre immanente Gegenstände wie Lederhandschuhe oder Messer verwendet, liegt der Verweis auf den "Giallo" nah, als dessen herausragende Vertreter Mario Bava, Dario Argento, Sergio Martino oder Lucio Fulci gelten.

So diffus der "Giallo" für den Uneingeweihten einzuschätzen ist, so festgelegt scheinen die äußeren Parameter für den Kenner. Regisseur Mario Bava gilt als "Erfinder" oder "Urvater" des Genres, dessen inneren Gesetze er mit "Sei donne per l'assassino" (Blutige Seide) schon 1964 bestimmte. Je nach Sichtweise wird sein zuvor noch in Schwarz-Weiß gedrehter Film "La ragazza che sapeva troppo" (Das Mädchen, das zuviel wusste, 1963) als Initialzündung hinzugezogen, der schon auf Bavas späteres Werk hinwies. Zudem hält die Protagonistin in der ersten Szene des Films einen Kriminalroman des Verlagshauses Arnaldo Mondadori in ihren Händen, die ab 1929 in der Reihe "I libri gialli" erschienen, bevor diese nach dem Krieg in "Il giallo mondadori" umbenannt wurde. Die gelben Umschläge der Taschenbücher spielten auf den Begriff "Giallo" (Gelb) an, der schon im 19. Jahrhundert in Italien als Bezeichnung für die aufkommende Massenliteratur entstanden war und keineswegs nur den Kriminalroman einschloss (beispielsweise "Giallo storico" für populäre historische Romane). Das mit "Giallo" in den 20er Jahren auch Radiosendungen und später Filme bezeichnet wurden, war nur folgerichtig, aber zu einem feststehenden Filmgenre-Begriff wurde "Giallo" erst mit Bavas Filmen.

Dass Mario Bava bei der Entwicklung seiner Filme ebenfalls auf Vorbilder zurückgriff, liegt in der Natur der Sache, umstrittener sind die genauen Einflüsse. Lange bevor er in "I vampiri" (1956) erstmals Regie führte (er komplettierte den von Riccardo Freda begonnenen Film) konnte er als Kameramann seine atmosphärische Bildsprache entwickeln, mit dem er zu einem führenden Vertreter des Gothic-Horror wurde ("La maschera del demonio" (Die Stunde, wenn Dracula kommt, 1960)), der stilistisch stark auf den "Giallo" abfärbte, weshalb einige der Gothic-Horror-Streifen der 60er Jahre je nach Interpretation auch dem "Giallo"-Genre zugeordnet werden. Deutlich wird daran aber auch, dass Bavas "Sei donne per l'assassino" nicht über die direkte Wirkung anderer Schlüsselwerke verfügte, da der "Giallo" weniger eindeutig abgegrenzt werden konnte, wie es heute vielfach dargestellt wird. Erzeugten Filme wie Viscontis erster neorealistischer Film "Ossessione" (Besessenheit, 1942) oder Sergio Leones Italo-Western-Urmeter "Per un pugno di Dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) einen regelrechten Boom ähnlich konzipierter Filme, waren die Filme, die dem "Giallo"-Genre zugeordnet werden konnten, breiter gestreut und zeigten fließende Grenzen zu anderen Genres.

Der Grund dafür lässt sich in den stilistischen und gesellschaftspolitischen Strömungen der frühen 60er Jahre finden, die sich zu unterschiedlichen Konglomeraten verbanden - darunter die beginnende Erotikwelle, der politisch motivierte Film und ein vom "Film noir" beeinflusster Kriminalfilm, der gewalttätiger und zynischer wurde und schon auf den "Polizieschi" der 70er Jahre hinwies (Massimo De Rita, Prozent von "La ragazza che sapeva troppo" schrieb später das Drehbuch zu "Banditi a Milano" (1968) von Carlo Lizzani). Als Einfluss auf den "Giallo all'italiana" werden entsprechend auch die Edgar-Wallace-Filme deutscher Machart betrachtet, die seit 1959 auch in den italienischen Kinos liefen. Ein nahe liegender Gedanke, da allein 40 der 100 ersten Ausgaben der seit den 20er Jahren erschienenen "I libri gialli" von dem englischen Kriminalautor stammten und Filme wie "Der Frosch mit der Maske" (1959) schon einen Blick in die Abgründe der menschlichen Seele gewährten. Eindeutig abgrenzen lassen sich die gegenseitigen Beeinflussungen nicht - auch Hitchcocks "Psycho" (1960) stand Pate für den "Giallo" und die spätere "Slasher"- Welle - aber unabhängig davon, wer zuerst welche stilistischen Standards setzte, entscheidend war für den gesamten medialen Bereich eine sich im Umbruch befindliche Gesellschaft, die Sexualität, Gewalt und die Geschlechterrollen neu definierte.

Die parallel zu den Horror- und Edgar-Wallace-Filmen Ende der 50er Jahre/Anfang der 60er Jahre entstandenen Filme wie Alberto Lattuadas "I dolci inganni" (Süße Begierde, 1960), Luciano Salces "La voglia matta" (Lockende Unschuld, 1962) oder Dino Risis "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven, 1962) beschrieben in komödiantisch-ironischer Form die Schwierigkeiten der Männer, angesichts eines zunehmend selbstbewusster auftretenden, sich selbst bestimmenden weiblichen Geschlechts. Gleichzeitig bereiteten die gesellschaftskritischen, bewusst gegen bürgerliche Moralvorstellungen verstoßenden Filme damit die Basis für eine Liberalisierung, die den Erotik-Film der 60er und 70er Jahre erst ermöglichte, dessen Grenzen zum "Giallo" ebenfalls häufig verwischten. "Sei donne per l'assassino" blieb in dieser Hinsicht noch sehr zurückhaltend und zeigte seine vielen schönen Darstellerinnen meist hoch geschlossen, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die hier gezeigte Konstellation, selbstbewusst agierender Models, die ihre eigenen schicken Autos fahren und sich sexuell offensiv verhalten, 1964 nicht der bürgerlichen Realität entsprach, sondern sich als Provokation verstand, quasi als Horrorvorstellung männlicher Fantasie, weshalb der Mörder die Frauen nicht nur umbringt, sondern auch ihre Schönheit zerstört.

Dem Film und dem "Giallo" deshalb Frauenfeindlichkeit vorzuwerfen, wie es von Kritikerseite häufig geäußert wurde, ist zu oberflächlich. Vielmehr bediente Bavas Film, der keine Partei ergriff und über keine Identifikationsfigur verfügt, damit die latente Misogynie, die Schadenfreude und den wachsenden Voyeurismus eines Publikums, dessen Ängste vor den kommenden Veränderungen sich in den Horrorgeschichten des Genres spiegelten. "Giallo" war entsprechend kein Qualitäts-Prädikat, sondern sollte den trivialen, oberflächlichen Charakter betonen, auch weil die Bereitschaft Mitte der 60er noch gering ausgeprägt war, sich zuzugestehen, dass die Filme einen Nerv trafen. Welche davon schon in den 60er Jahren als "Giallo" bezeichnet wurden, lässt sich nur noch schwer feststellen. Heute werden meist individuelle, mit den neuen gesellschaftlichen Strömungen spielende Filme, die sexuelle, kriminalistische und fantastische Elemente zusammenführten, so dass sie keinem eindeutigen Genre zuzuordnen sind, als "Giallo" eingeordnet.

Streng genommen ließe sich auch ein Film wie Marco Bellocchios "I pugni in tasca" (Mit der Faust in der Tasche, 1965) dazu zählen, in dem ein Psychopath seine Familienmitglieder tötet, aber da seine Taten gesellschaftskritisch motiviert sind, genießt der Film unter Kritikern eine hohe Anerkennung. Auch "Blow up" (1966) von Michelangelo Antonioni erfüllt entsprechende Kriterien und galt Dario Argento für "Profondo rosso" (Rosso - die Farbe des Todes, 1975) als Vorbild. Eine Liste von 60er-Jahren "Gialli" bleibt deshalb eine individuelle, übersichtliche Angelegenheit, denn erst als 1970 die Hochphase des Genres anbrach, wurden die von Mario Bava früh vorgegebenen stilistischen Elemente wieder aufgenommen, neu interpretiert und konsequent weiter entwickelt. Der lange zeitliche Abstand zu Bavas "Sei donne per l'assassino" lässt sich am ehesten durch die fortschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen nach 1968 erklären - erst jetzt war der Nährboden für den Erfolg des Genres bereitet.


Tavola cronologica  / Zeittafel   --------------------------------   Persone importante /Protagonisten

1963:  10.02. "La ragazza che sapeva troppo"  Mario Bava / Massimo De Rita (Produzent)
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1964:  14.03. "Sei donne per l'assassino" (Blutige Seide)  Mario Bava
           17.03.  "Delitto allo specchio" Jean Josipovici / Ambrogio Molteni
           24.03.  "24 ore di terrore" (24 Stunden Terror)  Gastone Grandi
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1965:  10.08. "La donna del lago" Luigi Bazzoni / Franco Rossellini / Giulio Questi (Drehbuch)
           12.08. "Libido" Ernesto Gastaldi / Vittorio Salerno
           28.11. "Il boia scarlatto" (Scarletto - Schloss des Blutes) Massimo Pupillo
           16.12. "La vendetta di Lady Morgan" (Das Folterhaus der Lady Morgan) Massimo Pupillo
           29.12. "Le notti della violenza" (Der Killer der sündigen Mädchen) Roberto Mauri
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1966:  17.03. "La lama nel corpo" (Das Monster auf Schloss Moorley) Elio Scardamaglia
                                                                          / Sergio Martino / Ernesto Gastaldi (Drehbuch)
            11.06. "Il terzo occhio" (Das dritte Auge) Mino Guerrini
            08.07. "A...come assassino" Angelo Dorigo / Ernesto Gastaldi (Drehbuch)
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1967:   07.08. "I diamanti che nessuno voleva rubare" Gino Mangini
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1968:  09.01. "La morte ha fatto l'uovo" (Die Falle) Giulio Questi
           20.02. "Morte...si muore" (Sieben Jungfrauen für den Teufel) Antonio Margheriti
           20.07. "Assassino senza volto" (Der Killer ohne Gesicht) Angelo Dorigo
           26.07. "Una iena in cassaforte" Cesare Canevari
           11.08. "La morte non ha sesso" (Das Geheimnis der jungen Witwe) Massimo Dallamano
           01.12. "Omicidio per vocazione" (Tödliches Erbe) Vittorio Sindoni     
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1969 07.02."Orgasmo" Umberto Lenzi
           12.06."La bambola di satana" Ferruccio Casapinta
           04.07."A doppia faccia" (Das Gesicht im Dunklen) Riccardo Freda / Lucio Fulci (Drehbuch)
           14.08."Femminine insaziabili" (Exzess) Alberto De Martino
           15.08."Una sull'altro" (Nackt über Leichen) Lucio Fulci
           23.08."Sedia elettrica" Demofilo Fidani
           31.10."Cosi dolce...cosi perversa" Umberto Lenzi
           07.12."Scacco alla regina" Pasquale Festa Campanile
           31.12."Interrabang" Giuliano Biagetti

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Requiescant (Mögen sie in Frieden ruhen) 1967 Carlo Lizzani

Inhalt: Scheinbar kommt es zu einer friedlichen Co-Existenz zwischen der mexikanischen Bevölkerung und den US-Siedlern, aber der ehemalige Offizier Ferguson (Mark Damon) täuschte die Einigung nur vor, um die Mexikaner skrupellos zu ermorden. Nur ein etwa 10jähriger Junge überlebt trotz eines Streifschusses am Kopf. Er wird zufällig von einem Wanderprediger entdeckt, der mit einer Haushälterin und deren Tochter Princy (Barbara Frey) vorbei kommt, ihn mitnimmt und aufzieht.

Zehn Jahre später hat der inzwischen zu einem jungen Mann (Lou Castel) herangewachsene Ziehsohn immer noch keine Erinnerungen an seine Vergangenheit, kann aber geschickt mit einem Messer umgehen. Zum Unwillen seines Adoptivvaters. Als seine Pflegeschwester bei einem Zwischenhalt in einer Stadt den Verlockungen erliegt und einfach verschwindet, beschließt er, sie zu suchen. Zufällig gerät er bei einem Überfall an eine Waffe und erschießt zu seiner eigenen Überraschung alle Banditen. Dank dieser plötzlich entdeckten Begabung, gelingt es ihm unversehrt an den Ort zu gelangen, wo Princy inzwischen als Prostituierte arbeitet, wozu sie mit Drogen gefügig gemacht wird. Naiv will er sie dort wieder herausholen, gerät aber an einen überlegenen Gegner, ohne zu ahnen, dass er wieder an den Ort seiner Vergangenheit zurückgekehrt ist…


Carlo Lizzani, dessen Karriere als Regisseur noch während der Phase des Neoraelismus mit "Achtung Banditi!" (1951) begann -  zuvor hatte er an den Drehbüchern zu "Caccia tragica" (Tragische Jagd, 1947) und "Riso amaro" (Bitterer Reis, 1949) unter Giuseppe De Santis mitgewirkt - und der zu den sechs Regisseuren neben Michelangelo Antonioni, Federico Fellini, Alberto Lattuada, Dino Risi und Francesco Maselli gehörte, die mit "L'amore in città" (1953) die lang anhaltende Tradition des italienischen Episodenfilms begründeten, widmete sich auch dem Italo-Western, als sich das Genre 1966 - 1968 auf seinem Höhepunkt befand. "Requiescant" (Mögen sie in Frieden ruhen) wurde nach "Un fiume di dollari" (Eine Flut von Dollars, 1966) sein zweiter und letzter Western, bevor er 1968 "Banditi a Milano" drehte, der das Polizieschi-Genre der 70er Jahre vorweg nahm.

Bis zu seinem Suizid am 05.10.2013, der an den Freitod seines ebenfalls hoch betagten Kollegen Mario Monicelli erinnert, den dieser am 29.11.2010 beging, ließ Lizzani kaum ein Genre aus - dabei immer bestrebt, sein Publikum zu unterhalten, ohne seinen eigenen Anspruch und seine politisch links gerichteten und gesellschaftskritischen Überzeugungen zu verraten. Die Besetzung von "Requiescant" entsprach dieser Haltung, denn mit Lou Castel besetzte er einen Akteur in der Hauptrolle, der unter Marco Bellocchio als ein an der bürgerlichen Gesellschaft erkrankter Mörder in "I pugni in tasca" (Mit der Faust in der Tasche, 1965) reüssierte, bevor er in Damiano Damianis "Quien sabe?" (Töte, Amigo!, 1966) neben Gian Maria Volonté als skrupelloser Nutznießer der mexikanischen Revolution auftrat. "Requiescant" spielt zeitlich in der Vorphase des mexikanischen Aufstands gegen die US-amerikanische Besatzung und versteht sich als vorrevolutionärer Western, worin sich deutliche Parallelen zu den aktuellen politischen Ereignissen 1967 zeigen, als der Widerstand gegen das Engagement der USA in Vietnam wuchs.

Besonders die Mitwirkung von Pier Paolo Pasolini, der auch am Drehbuch beteiligt war, lässt keinen Zweifel an der politischen Dimension des Films. Nur unter Carlo Lizzani spielte Pasolini zweimal eine größere Rolle (zuvor noch in "Il gobbo" (Der Bucklige von Rom, 1960)) in einem nicht von ihm selbst gedrehten Kinofilm. Als Pater Juan konnte Pasolini seine Überzeugungen hier wenig verklausuliert wiedergeben - er verabscheut Gewalt, aber als Realist weiß er, dass ein starker Anführer wie "Requiescant" (Lou Castel) notwendig ist, um die Unterdrücker zu besiegen. Zwar ist dieser dank seiner Schießkünste in der Lage, die Feinde zu dezimieren, aber Pasolini gab den intellektuellen Gegenpol zu dem ehemaligen Offizier Ferguson (Mark Damon), der die ortsansässige mexikanische Bevölkerung zehn Jahre zuvor in einen Hinterhalt gelockt hatte, um sie zu töten und ihr Land an sich zu reißen.

Mark Damon, der normalerweise auf die Heldenrollen festgelegt war ("Johnny Yuma", 1966), brilliert hier als regionaler Usurpator, dessen rassistische, menschenverachtende und misogyne Haltung keine äußerliche Attitüde ist, sondern eine tief empfundene Emotion, die er auch angesichts seines möglichen Todes nicht aufgibt. Trotzdem ist der blass geschminkte, sein Altern nicht akzeptierende, gebildete Mann kein typischer Sadist, wie er in vielen Western auftrat, sondern ein aus seiner inneren Überzeugung handelnder Mensch, dessen abschließender Monolog nicht zufällig an die Argumente erinnert, die jedesmal von einer Besatzungsmacht hervorgebracht wurden, wenn sie gezwungen waren, einen Staat in dessen Unabhängigkeit zu entlassen. Ferguson steht hier symbolisch für die selbstgerechte Haltung westlicher Industriestaaten, die den Befreiten keine Selbstverwaltung zutrauen ind das Chaos voraussegen. Es überrascht nicht, dass in der stark gekürzten deutschen Kinoversion sowohl Pasolinis, als auch Mark Damons Reden fehlten, was dem Film viel von seiner politischen Dimension und damit seiner inneren Schlüssigkeit nahm.

Obwohl "Requiescant" über überzeugende Charaktere verfügt und sich die eigenständig gestaltete Story wenig vorhersehbar entwickelt, wird der Film kaum einmal in einer Liste der besten Italo-Western genannt. Dabei lag Carlo Lizzani sehr viel an einem spannend erzählten Western, weshalb er auch Adriano Bolzoni für das Drehbuch hinzuzog, der seit seiner Mitarbeit bei "Per un pugno di Dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) fest im Genre verankert war. Mit "L'uomo che viene da Canyon City" (Die Todesminen von Canyon City) hatte er 1965 schon einen rauen, politisch weniger motivierten Revolutionswestern entworfen. Entsprechend verfügt "Requiescant" über alle signifikanten Elemente des Genres, beginnend beim überragenden Revolverschützen, skrupellosen Banditen, schönen Frauen und stilsicher inszenierten Duellen inmitten einer klassischen Story über einen Rächer, der es mit einem weit überlegenen Gegner aufnimmt.

Doch die Kombination aus Gesellschaftskritik und Unterhaltung irritierte viele Betrachter, da Lizzani besonders die Figur des "Helden" gegen die Erwartungen entwickelte. "Requiescant" ist zwar der gewohnt schnelle Scharfschütze, wurde aber bei dem Massaker seines Dorfes am Kopf verletzt und verdankt sein Leben einem zufällig vorbei kommenden erzreligiösen Prediger, der den mexikanischen Jungen zu sich aufnahm und in seinem Geiste erzog. Coole Sprüche und lässige Umgangsformen sind nicht von ihm zu erwarten, weshalb die einfältig wirkende Figur nicht zur Identifikation einlädt. Eine hinsichtlich der politischen Ausrichtung des Films konsequente Vorgehensweise, denn ein klassischer Vigilant - wie gerecht seine Sache auch wäre - hätte einen zu individuellen, zudem konservativen Charakter.

Wie schwer sich gerade Anhänger des Western-Genre mit Lizzanis originellem Beitrag taten, wird daran deutlich, dass hier innere Zusammenhänge in Frage gestellt wurden, die in der Regel als gegeben akzeptiert werden. Lizzani nahm sich die selben Freiheiten wie ein Sergio Leone oder Sergio Corbucci. Warum ein Clint Eastwood oder "Django" überragend schießen können, wird nicht hinterfragt, Requiescants plötzlich entdeckte Begabung dagegen als unlogisch betrachtet. Auch das es den Protagonisten wieder an den Ort eines vor langer Zeit begangenen Verbrechens zurücktreibt, gehört zu den klassischen Mythen eines Genres, das von der Erfüllung schicksalshafter Verwicklungen lebt. Doch besonders die Nähe zum Horror-Film, die der Figur des Ferguson angedichtet wurde, verdeutlicht die Unfähigkeit, diese intelligent entworfene Figur in ihrer Tragweite anzunehmen. Denn der Horror ist in "Requiescant" nicht fantastisch, sondern sehr realistisch und der Zusammenhang zu den aktuellen politischen Ereignissen unverkennbar. Lizzani gelang damit eine überragende Genre-Umsetzung, die bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren hat und gleichzeitig prächtig unterhält.

"Requiescant" Italien, Deutschland 1967, Regie: Carlo Lizzani, Drehbuch: Lucio Battistrada, Pier Paolo Pasolini, Adriano BolzoniDarsteller : Lou Castel, Mark Damon, Pier Paolo Pasolini, Barbara Frey, Franco Citti, Feruccio Viotti, Laufzeit : 108 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Carlo Lizzani:

Montag, 14. Oktober 2013

Il giustiziere sfida la città (Flash Solo) 1975 Umberto Lenzi

Inhalt: Rambo (Tomas Milian) besucht nach vielen Jahren seinen alten Freund Pino (Mario Piave) und dessen Familie in Mailand. Pino will Rambo dazu überreden, ebenfalls bei dem privaten Sicherheitsdienst mitzumachen, für den er seit neuestem arbeitet. Auf Grund der steigenden Anzahl an Entführungen haben diese Dienste Konjunktur und Pino erhofft sich davon, endlich Karriere zu machen. Rambo tut ihm den Gefallen und besucht ihn auf dem Trainingsgelände seiner Firma, aber obwohl er sowohl im Nahkampf, als auch im Schießen überzeugen kann, lehnt er die Offerte des Chefs dankend ab - für den Individualisten ist das kein geeigneter Job.

Auch Pino verfolgt eigene Pläne, denn er will die Entführung des Sohnes des reichen Industriellen Dr. Marco Marsili (Silvano Tranquili) aufklären, um sich weiter zu profilieren. Er entdeckt eine Spur zu der Bande von Conti (Luciano Catenacci) und bittet Rambo, ihn als Freund zu unterstützen, aber bevor dieser eingreifen kann, wird Pino ermordet am Straßenrand aufgefunden. Jetzt wird der Fall zu einer persönlichen Angelegenheit für Rambo...


Umberto Lenzis zweiter gemeinsam mit Tomas Milian gedrehter Film "Il giustiziere sfida la città" (Der Scharfrichter fordert die Stadt heraus) wirkt zwischen "Milano odia: la polizia non può sparare" (Der Berserker, 1974) und "Roma a mano armata" (Die Viper, 1976) wie ein Fremdkörper. In Deutschland wurde der Film erst in den 80er Jahren unter dem stimmigen Titel "Flash Solo", der die alleinige Vorgehensweise des von Milian gespielten Individualisten betonte, auf Video veröffentlicht, später wurde daraus "Der Vernichter", der eine stringente Linie zwischen den Milian / Umberto Lenzi Filmen vermitteln sollte, die nicht existiert. Hatte er als "Berserker" und "Viper" (später noch als "Kröte" in "La banda del gobbo" (1978)) jeweils gefährliche Verbrechertypen verkörpert, ist er in "Il giustiziere sfida la città" der eindeutige Sympathieträger, der im Alleingang den Mord an seinem Freund Pino (Mario Piave) rächt.

Auf Grund der Veröffentlichungspraxis in Deutschland, aber auch in Unkenntnis über den genauen Erscheinungszeitpunkt, wird "Il giustiziere sfida la città" häufig als typischer Vertreter des 70er Jahre Polizieschi-Genres angesehen, auch wenn die Polizei im Film kaum eine Rolle spielt. Übersehen wird dabei, dass der Film einen vollständig neuen Helden-Typus schuf, der nicht nur entscheidenden Einfluss auf Tomas Milians weitere Karriere haben sollte. Das Drehbuch stammte von Vincenzo Mannino, der zuvor an Enzo G.Castellaris "La polizia incrimina la legge assolve" (Tote Zeugen singen nicht, 1973) mitgearbeitet hatte und Maurizio Merlis ersten Auftritt als knallharter Cop in "Roma violenta" (Verdammte heilige Stadt) verantwortete, der fast zeitgleich zu "Il giustiziere sfida la città" in die italienischen Kinos kam und auch darüber hinaus Parallelen aufweist.

Milian und Merli, die in Lenzis "Roma a mano armata" wenig später zu erbitterten Gegnern wurden, verkörpern Beide einen Typus, der das Gesetz in die eigenen Hände nimmt, dabei auch vor Selbstjustiz nicht zurückschreckend. Diese Konstellation war nicht neu, sondern griff ein Motiv aus dem Italo-Western auf, das angesichts steigender Kriminalitätsraten, Anfang der 70er Jahre, zunehmend die Charakterisierung von Gesetzesvertretern veränderte, die bereit waren, die Verbrecher mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen. In den frühen "Polizieschi" wurde diese Vorgehensweise noch kontrovers betrachtet, aber schon in Sergio Martinos "Milano trema - la polizia vuole giustizia" von 1973 erschießt Luc Merenda in seiner Rolle als Commissario gleich zu Beginn zwei unbewaffnete Gangster, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Trotz dieses offensichtlichen Einflusses ging der von Tomas Milian gespielte Rambo in "Il giustiziere sfida la città" einen neuen, eigenständigen Weg, der ihn unmittelbar zu seiner Figur Nico Giraldi in "Squadra antiscippo" (Der Superbulle mit der Strickmütze, 1976) führen sollte - bekanntlich der Beginn der langjährigen "Superbullen" - Reihe. Zwar startet Rambo seinen Rache-Feldzug genretypisch erst nachdem sein Freund Pino ermordet wurde, aber anders als in klassischen Revenge - Filmen, in denen aus einem friedlichen Bürger ein rächender Killer wird, veränderte er seinen Charakter nicht. Im Gegenteil bleibt sich Rambo im gesamten Film treu und verlässt Mailand auf gleiche Weise, wie er gekommen ist - cool, immer überlegt agierend und jederzeit freundlich. Die Zwiespältigkeit dieser Figur ist aus heutiger Sicht kaum noch nachzuvollziehen, aber der aus dem kriminellen Milieu stammende Motorradfahrer, immer in Lederkluft gekleidet, war 1975 ein klassischer Bürgerschreck, dem Niemand als Tomas Milian besser hätte Leben einhauchen können.

Als "Superbulle" Nico Giraldi griff er ein Jahr später erneut auf das Motorrad zurück (allerdings eine geländetaugliche Maschine), auch die Strickmütze zitierte die hier etwas gefälligere Kopfbedeckung, aber Milian kombinierte diese Figur noch mit seinem "Er monnezza" aus "Il trucido e lo sbirro" (Das Schlitzohr und der Bulle, 1976), womit er Nico Giraldi einen komischeren Anstrich gab. Dagegen bleibt er als Rambo jederzeit ernst und verfällt der Film weder in trashige, noch alberne Momente, auch wenn die Story um die beiden Gangsterbosse Conti (Luciano Catenacci) und Paternò (Joseph Cotten), die Rambo gegeneinander ausspielt, vorhersehbar bleibt. Cotton und Catenacci agieren zwar wie gewohnt souverän, aber die Rolle von Paternòs Sohn Ciccio (Adolfo Lastretti) bleibt zu inkonsequent, um wirkliche Gefahr ausstrahlen zu können.

Zudem lässt der Film schon in den den ersten Minuten deutlich werden, dass Rambo ein in jeder Hinsicht fähiger Mann ist, dem Niemand wirklich gewachsen ist. Auch die Szene mit der Schutzweste, die ihm sein Freund Pino vorführt, als Rambo sich dessen Firma - es handelt sich um einen privaten Sicherheitsdienst - ansieht, lässt eine erneute Verwendung im Film erwarten. Doch das spielt in "Il giustiziere sfida la città" letztlich keine Rolle, denn Programm ist nur Tomas Milian in einer Rolle, die einen individualistischen, außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stehenden Mann in den Mittelpunkt rückt, der weder das Gesetz vertritt, noch Anpassung anstrebt. Gleichzeitig gibt es keinen sozialeren und vorurteilsfreieren Menschen im Film, was seinen Selbstjustiz-Aktionen die Schärfe nimmt, da Milian Emotionen wie Hass, Verzweiflung oder übertriebene Befriedigung vermeidet.

Rambo ist eine konsequent künstliche Figur, die dank des Gleichgewichts zwischen Outlaw-Attitüde und Kumpeltyp sympathisch bleibt - und stilprägend für Milians späteren Rollentypus wurde. Dahinter verbarg sich ein politisches Statement des politisch links stehenden Mimen, der sich am Set häufige Wortgefechte mit dem konservativen Maurizio Merli lieferte und auch den von ihm gespielten Verbrechertypen zunehmend menschlichere Züge verlieh ("La banda del gobbo"), denn sein Protagonist wurde nicht zum Vorbild für Vigilantismus, sondern - besonders im Zeitkontext betrachtet - für mehr Toleranz.

"Il giustiziere sfida la città" Italien 1975, Regie: Umberto Lenzi, Drehbuch: Vincenzo Mannino, Darsteller : Tomas Milian, Joseph Cotton, Luciano Catenacci, Silvano Tranquilli, Mario Piave, Femi Benussi, Laufzeit : 90 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Umberto Lenzi:
"L'uomo della strada fa giustizia" (1975)
"Roma a mano armata" (1976)
"Il trucido e lo sbirro" (1976)
"La banda del gobbo" (1978)
"Incubo sulla città contaminata" (1980)

Dienstag, 8. Oktober 2013

L'avvertimento (Die tödliche Warnung) 1980 Damiano Damiani

Inhalt: Commissario Baresi (Giuliano Gemma) entdeckt auf seinen Kontoauszügen eine große Summe, deren Herkunft er sich nicht erklären kann. Auf Nachfrage bei seiner Bank, ob es sich um einen Fehler handelt, wird ihm die ordnungsgemäße Überweisung auf sein Konto bestätigt. Als er wenig später in seinem Büro im römischen Polizeihauptquartier einen anonymen Anruf erhält, der eine Gegenleistung für diese Bezahlung einfordert, beschließt er spontan, seinen Dienst zu quittieren, um nicht erpressbar zu sein.

Doch ein schrecklicher Vorfall macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Sein Kollege Vincenzo Laganà (Franco Odoardi) wird gemeinsam mit dem Anwalt Milanesi (Giordano Falzoni) im Poizeigebäude von drei Männern ermordet, die sich als Polizisten verkleidet hatten. Laganà hatte gegen die Mafia ermittelt, aber seine Kontoauszüge lassen den Verdacht zu, dass er selbst in die Sache verwickelt war - eine Verdächtigung, gegen die sich seine Witwe Silvia (Laura Trotter) vehement wehrt. Baresi, der gemeinsam mit dem Polizeipräsidenten Martorana (Martin Balsam) den Fall aufklären soll, vermutet, dass sie mehr weiß, als sie zugibt. Als sie erpresst wird, scheint sich eine erste Spur zu ergeben...


"L'avvartimento" (Die tödliche Warnung) bedeutete nicht nur einen Einschnitt im Schaffen des Regisseurs Damiano Damiani, ab diesem er nur noch selten für das Kino arbeitete und sich vermehrt dem Fernsehen zuwendete, sondern setzte auch einen Schlusspunkt im Polizieschi-Genre. Nachdem er mit "Amityville II: the possession" (Amityville 2: der Besessene) 1982 eine Auftragsarbeit in Hollywood abgeliefert hatte, setzte Damiani mit "La piovra" (Allein gegen die Mafia) 1984 neue Maßstäbe für eine Fernsehserie. In dieser griff er seine seit "Il giorno della civetta" (Der Tag der Eule, 1968) mehrfach wiederholte Thematik der Unterwanderung der italienischen Gesellschaft durch die Mafia erneut auf, die auch in "L'avvartimento" den Anlass für die Handlung lieferte, ohne selbst Gegenstand einer genaueren Betrachtung zu werden.

Im Mittelpunkt stehen die polizeilichen Ermittlungen, da die Story fast ausschließlich aus dem Blickwinkel von Commissario Antonio Baresi (Giuliano Gemma) erzählt wird, womit Damiano Damiani ein letztes Mal auf Stilmittel des Polizieschi-Genre zurückgriff, das seinen Zenit 1980 überschritten hatte. Ein Jahr zuvor hatte Giuliano Gemma in "Un uomo in ginocchio" (Ein Mann auf den Knien), seinem ersten Film unter der Regie Damianis, einen Dieb verkörpert, der in die Mühlen der Mafia gerät, in "L'avvartimento" trat er dann das Erbe Franco Nero an, der in Damianis frühen Polit-Thrillern meist für den Kampf gegen das organisierte Verbrechen zuständig war. Der Bogen, den der Film damit über mehr als ein Jahrzehnt spannte, lässt sich auch den beteiligten Drehbuchautoren ablesen - Massimo De Rita und Arduino Mauri waren schon an Carlo Lizzanis "Banditi a Milano" (Die Banditen von Mailand, 1968) und Sergio Sollimas "Città violentà" (Brutale Stadt, 1970) beteiligt, die das Polizieschi-Genre früh beeinflusst hatten.

Schon in der Eingangssequenz charakterisiert Damiani seinen Protagonisten als einen Einzelkämpfer, der konsequent nur seinen eigenen Maßstäben folgt. Während die nächtliche Geliebte seine Wohnung in dem Wissen verlässt, dass ein Wiedersehen eher unwahrscheinlich ist, entdeckt Baresi auf seinem Kontoauszug einen hohen Geldbetrag, dessen Herkunft er sich nicht erklären kann. Nachdem ihm seine Bank die Korrektheit der Überweisung bestätigte und er wenig später im Polizei-Präsidium einen anonymen Anruf erhält, der Gegenleistungen dafür erwartet, formuliert er sofort seinen Austritt aus dem Polizeidienst, um nicht erpressbar zu sein. Nur ein brutales Attentat auf seinen Vorgesetzten Lagana (Franco Odoardi), der mitten im Polizeigebäude von drei als Polizisten verkleideten Attentätern ermordet wird, ändert seine Pläne - gemeinsam mit dem Polizeipräsidenten Martorana (Martin Balsam) soll er nicht nur die Mörder finden, sondern das Geflecht aus Korruption, in dem scheinbar auch Lagana verstrickt war, entwirren.

Anders als in Damianis zuvor gedrehten "Io ho paura" (Ich habe Angst, 1977), in dem Gian Maria Volonté einen demoralisierten Polizisten mimte, der erst seine Ängste überwinden musste, wirkt Giuliano Gemma in seiner Rolle als Commissario keinen Moment verunsichert und tritt ähnlich energisch gegen einen übermächtig wirkenden Gegner an, wie ihn Franco Nero in "Confessione di un commissariodi polizia al procuratore della repubblica" (Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauerte, 1971) als Staatsanwalt verkörperte. Dieser Rückgriff auf Damianis Frühphase des politisch motivierten Polizieschi, wird noch durch die Besetzung Martin Balsams betont, der hier seine damalige Rolle an der Seite Neros variierte und erneut in den Verdacht gerät, selbst korrupt zu sein. Damit zitierte sich Damiani nur vordergründig selbst, denn inhaltlich vertauschte er die Rollen. Nicht der sich auch illegaler Methoden bedienende Commissario steht in "L'avvartimento" im Verdacht, mit den Verbrechern gemeinsame Sache zu machen - wie noch in Damianis 1971 gedrehten Film - sondern der betont konservativ auftretende, bürgerliche Polizeipräsident.

"L'avvartimento" wirkt in dieser sich verändernden Charakterisierung wie ein Kommentar auf das vergangene Jahrzehnt des Polizieschi. So pessimistisch Damianis frühere Polizeifilme auch waren, so behielten sie immer eine integere Figur im Zentrum, selbst wenn diese menschliche Schwächen aufwies. Der von Gemma verkörperte Commissario zeigt dagegen auch Charakterzüge des von Maurizio Merli ("Roma a mano armata" (Die Viper, 1976)) gespielten zwar unbestechlichen, aber rücksichtslos vorgehenden Polizistentypus, etwa wenn Baresi die attraktive Witwe Silvia Lagana (Laura Trotter) trotz ihrer offensichtlichen psychischen Anfälligkeit unter Druck setzt, weil er glaubt, dass sie mehr weiß, als sie zugibt, oder er ein Attentat auf den Polizeipräsidenten vortäuscht, um diesen zu verunsichern. Dank Gemmas ruhigem Spiel, seinem Verzicht auf übertriebene Emotionen, für die in "L'avvartimento" sein Kollege Brizzi (Giancarlo Zanetti) zuständig ist, und seines intellektuellen Auftretens, blieb diese Figur trotzdem in Damianis Sinn unabhängig.

Wie gewohnt streute der Regisseur nur wenige, entsprechend beeindruckende Actionszenen ein - besonders der kaltblütige Mord im Polizeipräsidium ist sehr graphisch dargestellt - und legte das Schwergewicht auf den sprachlichen Diskurs. Nur langsam erschließen sich die Zusammenhänge zwischen politischen Interessen, den mafiösen Strukturen und einem korrupten Polizeiapparat, wodurch Damianis Film trotz der spannenden Thematik eher den Gestus eines realistischen Films annimmt - zusätzlich betont durch die unprätentiösen Bilder der grauen und dreckigen Großstadt Rom. Entsprechend mündet der Film in kein abschließendes Actionspektakel, sondern in eine lange Szene um die Hochzeit eines jungen Paares, zu der sich die einflussreiche Gesellschaft Roms versammelt hat. Fast provozierend ruhig gestaltet sich der Film in seiner Endphase, verzichtet zwar nicht auf dramatische Ereignisse, lässt diese aber nur parallel zur eigentlichen Haupthandlung stattfinden – dem Gespräch zwischen dem Commissario und dem Polizeipräsidenten, dass die abschließenden Konsequenzen auslöst.

Zusammengefasst wird deutlich, warum „L’avvartimento“ nur wenig Erfolg hatte. Auf der einen Seite die gröberen, plakativen Stilmittel eines Poliziesco nutzend – zu einem Drehzeitpunkt, als das Genre an Popularität verloren hatte – lag das Schwergewicht trotzdem auf den Zwischentöne, sind es die im Detail verborgenen Verhaltensweisen, die erst über Macht oder Ohnmacht entscheiden. Auch die von Gemma souverän gespielte Figur eines unbeirrbaren Commissario, sowie das unerwartete Ende täuschen nur vordergründig darüber hinweg, dass Damiano Damiani nichts von seinem pessimistischen Blick verloren hatte – „L’avvartimento“ wäre als sperrige Entdeckung dringend für eine angemessene Veröffentlichung zu empfehlen.

"L'avvartimento" Italien 1980, Regie: Damiano Damiani, Drehbuch: Damiano Damiani, Nicola Badalucco, Massimo De Rita, Arduino MauriDarsteller : Giuliano Gemma, Martin Balsam, Laura Trotter, Giancarlo Zanetti, Franco Odoardi, Laufzeit : 103 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Damiano Damiani:

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Giuliano Gemma (1938 - 2013) Der Pistolero, der lächelte

Zum Tode Giuliano Gemmas am 01.10.2013


Der markante Name Giuliano Gemma besitzt einen vergleichsweise bekannten Klang, auch können ihn Viele dem Italo-Western zuordnen, der seine Hochphase bekanntlich in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte, aber damit enden in der Regel die Kenntnisse über einen Schauspieler, dessen Liste an Filmen so lang ist, wie die Texte zu seiner Vita kurz. 

Schon sein Einstieg ins Filmgewerbe beeinflusste den Ruf, der Giuliano Gemma während seiner langen Karriere verfolgen sollte - keine angesehene Schauspielschule, keine überragend gespielte Theaterrolle oder die Protektion eines einflussreichen Regisseurs brachte ihn Ende der 50er Jahre nach "Ciné città", sondern seine athletischen Fähigkeiten, die er zuerst als Stuntman, später als Statist in den damals populären Sandalen-Filmen nachwies. Damit eiferte der erst 20jährige, am 01.September 1938 geborene gebürtige Römer, seinem Vorbild Bud Spencer nach, der ebenfalls als Sportler in den 50er Jahren zum Film fand. Auch wenn einige der frühen Filme, an denen er beteiligt war - wie "Boccacio 70" (1962) oder "Il gattopardo" (Der Leopard, 1963) - einen guten Klang hatten, kam er darin nicht über kleine Rollen hinaus, weshalb er seinen Karrieresprung dem Regisseur Duccio Tessari zu verdanken hatte, der ihn in "Arrivano i Titani" (Kadmos, Tyrann von Theben, 1962) erstmals in einer Hauptrolle besetzte. 

Auch für den Drehbuchautoren Tessari bedeutete dieser Film der Beginn seiner Karriere als Filmregisseur, der eine lange, fruchtbare Phase ihrer Zusammenarbeit einleitete. Mit den frühen Italo-Western "Una pistola per Ringo" (Eine Pistole für Ringo, 1965) und "Il ritorno di Ringo" (Ringo kehrt zurück, 1965) beeinflussten sie entscheidend das Western-Genre. Tessari mit seiner Interpretation des Sergio-Leone-Stils - er hatte zuvor am Drehbuch zu dessen erstem Western "Per un pugno di Dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) mitgearbeitet - aber mehr noch Giuliano Gemma mit seiner Verkörperung eines lächelnden, plaudernden Revolverhelden, der mit seinem glatten, nur von einer Narbe, die er sich als Kind im 2.Weltkrieg zugezogen hatte, gezeichneten Gesicht, den Gegenentwurf zum coolen und schweigsamen Clint Eastwood gab. Selbst Franco Nero, der 1966 als "Django" im Western-Genre reüssierte, spielte - wie auch die unzähligen weiteren Protagonisten hunderter Western-Filme - letztlich nur eine Variante aus diesen zwei Gegenpolen.

Doch bevor er als Westernheld berühmt wurde, spielte er in den beiden ersten "Angelique" - Filmen an der Seite Michèle Merciers den Nicolas in der französischen Produktion unter Regisseur Bernard Borderie - eine Rolle, die ihn bekannt machte und seine Reputation als Schönling förderte, aber seiner Anerkennung als ernsthaftem Schauspieler eher schadete. Eine Anerkennung, der Giuliano Gemma scheinbar seine gesamte Schauspielkarriere lang hinterher lief, wenn man den diversen Texten vertraut, die wahlweise seine späteren Rollen in "Il deserto di tartari" (Die Tartarenwüste, 1976) von Valerio Zurlini oder "Il prefetto di ferro" (Die Rache bin ich, 1977) unter der Regie von Pasquale Squitieri als Beispiele auch für anspruchsvollere Rollen benennen. Tatsächlich wurde Giuliano Gemma sein Image als Western-Darsteller nie wirklich los, was weniger über seine schauspielerischen Fähigkeiten aussagt, als über die grundsätzlichen Vorurteile gegenüber dem Genre. Dabei variierte Gemma seine Rollen als Revolverheld zunehmend. Western wie "I lunghi giorni della vendetta" (Der lange Tag der Rache, 1967), "I giorni dell'ira" (Der Tod ritt dienstags, 1968), "I bastardi" (Der Bastard, 1968, erneut unter der Regie von Duccio Tessari) oder "Il prezzo del potere" (Blutiges Blei, 1969) sind außergewöhnlich gute Vertreter des Genres - angesichts von insgesamt dreizehn Western, an denen Gemma bis 1970 beteiligt war, lieferte er stetig überdurchschnittliche Qualität ab.

Doch auch Gemma geriet in den 70er Jahren zunehmend in das Fahrwasser der Western- und anderer Komödien und spielte einmal sogar an der Seite seines früheren Vorbilds Bud Spencer in "Anche gli angeli mangiano fagioli" (Auch die Engel essen Bohnen, 1973). In den Augen der Fans hatte er gegen Terence Hill keine Chance, weshalb die meisten seiner Rollen in ähnlich gearteten Filmen wie "Il bianco, il giallo, il nero" (Drei Halunken erster Klasse), seiner einzigen Zusammenarbeit mit Regisseur Sergio Corbucci, heute größtenteils in Vergessenheit geraten sind. Das gilt leider auch für seine Mitwirkung in mehreren so anspruchsvollen, wie beeindruckenden Filmen, die in den meisten Auflistungen fehlen. Darunter seine Rolle in "Corbari" (Die letzten Partisanen, 1970), in dem er einen Widerstandskämpfer verkörperte unter der Regie des heute vergessenen Autorenfilmes Valentino Orsini, mit dem er ein Jahr später noch das Drama "L'amante dell'orsa maggiore" (Der Geliebte der großen Bärin, 1971) an der Seite Senta Bergers drehte. 

Oder seine Verkörperung des Arbeiters in Luigi Comencinis sozialkritischem Drama "Delitto d'amore" (Verbrechen aus wahrer Liebe, 1974), mit der der immer noch junge Darsteller seine Fähigkeit zu differenziertem Spiel bewies. Dass er in "Sella d'argento" (Silbersattel), einem der letzten ernsthaften Italo-Western von 1978 unter der Regie Lucio Fulcis, erneut zum Revolver griff, ist ebenso signifikant für seine Position, wie die zwei Hauptrollen, die er in Damiano Damianis späten gesellschaftskritischen Filmen - "Un uomo in ginoccho" (Ein Mann auf den Knien, 1980) und "L'avvartemento" (Die tödliche Warnung, 1980) - verkörperte. Allein diese Auflistung genügte schon, den Vorurteilen gegenüber Giuliano Gemma zu widersprechen.

Zwar verließ ihn der Erfolg als Schauspieler nicht, aber auch er konnte sich dem Niedergang der italienischen Filmindustrie nicht widersetzen. In den späten 70er/frühen 80er Jahren spielte er noch in einigen der zu der Zeit sehr populären Kriegsfilme mit - keine Rollen, die das Ansehen förderten - und verkörperte den Detektiv Germani in Dario Argentos Horror-Klassiker "Tenebre" (Tenebre - der kalte Bauch des Todes, 1982). Bevor er ab Mitte der 80er Jahre begann, fast ausschließlich für das italienische Fernsehen zu arbeiten, schloss er gemeinsam mit Duccio Tessari das Westernkapitel, als er mit "Tex e il signore degli abissi" noch einmal eine Mixtur aus Comic und Western drehte - der Mann, der auch in den ausweglosesten Momenten noch lächelte, war sich treu geblieben. Seine körperliche Fitness bewahrte er sich auch bis ins hohe Alter, bis er bei einem Unfall am 01.10.2013 tödlich verunglückte. Vielleicht verursachte diese Optik und die Lebensfreude eines Mannes, der sich im Alter der Bildhauerei widmete und erst spät verschiedene Preise für sein Lebenswerk erhielt, erst die ungerechtfertigte Haltung, sein schauspielerisches Talent nicht ernst nehmen ließ - dabei gehört es zum Schwersten, spielerisch leicht zu wirken.

Giuliano Gemma - seine Kinofilme bis 1985:

"Boccaccio 70" (1962)
"Arrivano i titani" (Kadmos, Tyrann von Theben, 1962)
"Il gattopardo" (Der Leopard, 1963)
"Shéhérazade" (Sheherazade - der goldene Löwe von Bagdad, 1963)
"Maciste, l'eroe più grande del mondo" (Der Stärkste unter der Sonne, 1963)
"I due gladiatori" (Kaiser der Gladiatoren, 1964)
"Ercole contro i figli del sole" (Huasaca - wie tödliche Geier,1964)
"La rivolta dei pretoriani" (Der Aufstand der Prätorianer, 1964)
"Angélique, marquise des anges" (Angélique I, 1964)
"La ragazzola" (1965)
"Merveilleuse Angélique" (Angélique II, 1965)
"Una pistola per Ringo" (Eine Pistole für Ringo, 1965)
"Un dollaro bucato" (Ein Loch im Dollar, 1965)
"Erik, il vichingo" (Erik, der Wikinger, 1965)
"Il ritorno di Ringo" (Ringo kehrt zurück, 1965)
"Adiós, Gringo" (1965)
"Kiss, Kiss...Bang, Bang" (1966)
"Arizona Colt" (1966)
"Tampeko" (Tampeko - der Dollar hat zwei Seiten, 1966)
"I lunghi giorni della vendetta" (Der lange Tag der Rache, 1967)
"Wanted" (Für drei lumpige Dollar, 1967)
"I giorni dell'ira" (Der Tod ritt Dienstags, 1967)
"Amigos" (1968)
"I bastardi" (Der Bastard, 1968)
"Violenza al sole" (In den Adern heißes Blut, 1969)
"Vivi o, preferibilmente, morti!" (Friß oder stirb, 1969)
"Il prezzo del potere" (Blutiges Blei, 1969)
"Corbari" (Die letzten Partisanen (1945), 1970)
"Quando le donne avevano la coda" (Als die Frauen noch Schwänze hatten, 1970)











"L'arciere di Sherwood" (Der feurige Pfeil der Rache, 1971)
"L'amante dell'orsa maggiore" (Der Geliebte der großen Bärin, 1971)
"Amico, stammi lontano almeno un palmo" (Ben und Charlie, 1972)
"Un uomo da rispettare" (Ein achtbarer Mann, 1972)
"Il maschio ruspante" (1973)
"Anche gli angeli mangiano fagioli" (Auch die Engel essen Bohnen, 1973)
"Troppo rischio per un uomo solo" (Der Trickster, 1973)
"Delitto d'amore" (Ein Verbrechen aus Liebe, 1974)
"Anche gli angeli tirano di destro" (Auch die Engel mögen's heiß, 1974)
"Il bianco, il giallo, il nero" (Drei Halunken erster Klasse, 1975)
"Africa express" (Afrika Express - Ein Teufelskerl in Afrika, 1976)
"Il deserto dei Tartari" (Die Tartarenwüste, 1976)
"California" (Der Mann aus Virginia, 1977)
"Il prefetto di ferro" (Die Rache bin ich, 1977)
"Safari express" (Safari Express, 1977)
"Corleone" (Der Aufstieg des Paten, 1978)
"Il grande attacco" (Die große Offensive, 1978)
"Sella d'argento" (Silbersattel, 1978)
"La legión saute sur Kowalski" (1980)
"Un uomo in ginocchio" (Ein Mann auf den Knien, 1980)
"L'avvartimento" (Die tödliche Warnung, 1980)
"La baraonda" (1981)
"Ciao nemico" (Die Nahkampftruppe, 1982)
"Tenebrae" (1982)
"Afghanistan pourquoi?" (1983)
"Pájaros de ciudad" (1983)
"Le cercle des passions" (Im Banne der Leidenschaft, 1983)
"Claretta" (1984)
"Tex e il signore degli abissi" (Tex und das Geheimnis der Todesgrotten, 1985)

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.