Nachdem man ihm seine Kleidung zurückgegeben hatte, wird er am frühen Morgen vom Inspektor (Michel Piccoli) in Empfang genommen, um mit ihm in den Wagen des "Managers" (Mario Adorf) einzusteigen, der sogleich Richtung Hauptstadt abfährt. Doch die wüste Fahrt dauert nicht lange, denn das Auto bleibt mit einer Panne in einem kleinen Ort am Meer liegen. Während sich der Manager um eine Reparatur bemüht, nimmt die Beziehung zwischen dem Inspektor und Georgis freundliche Züge an. Der Inspektor scheint seinen Unschuldsbeteuerungen zu glauben...
Griechische Kleinstadt ? - "Griechenland" wird nie erwähnt in dieser französisch - italienisch - deutschen Koproduktion aus dem Jahr 1975, aber an dem realen Hintergrund, vor dem die Handlung stattfand, gibt es keinen Zweifel. Regisseur Peter Fleischmann hatte, ein Jahr nach dem Ende der Diktatur in Griechenland, den Roman des Athener Schriftstellers Antonis Samarakis vor Ort und mit größtenteils einheimischen Schauspielern verfilmt. Einzig die drei Protagonisten - Georgis und die ihn in die Hauptstadt (Athen) begleitenden Geheimdienstler - wurden von drei italienisch stämmigen Darstellern verkörpert, darunter, neben Ugo Tognazzi, Michel Piccoli und Mario Adorf, jeweils die Produktionsländer vertretend.
Fleischmanns kritische Intention scheint sich schon in der ersten Szene zu manifestieren, während noch die Credits laufen. Zwei Polizeiautos halten vor einem mehrgeschossigen Wohngebäude. Während die Polizisten unten ins Treppenhaus gehen, klettert oben ein Mann auf den Balkon und stürzt sich vor den Augen der schreienden Ehefrau in den Tod. Die Kamera bleibt dabei auf dem Standort eines unbeteiligten Außenstehenden, der nur die Auswirkungen sieht. Innere Abläufe werden nicht deutlich, doch es wird offensichtlich, dass der Mann lieber in den Tod stürzte, als sich von der Truppe des Inspektors (Michel Piccoli) festnehmen zu lassen. Und das Niemand davon Notiz nahm, geschweige denn eingriff.
Auch die Gründe für Georgis Festnahme passen in dieses Bild diktatorischer Willkür und der Missachtung von Menschenrechten. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied einer verbotenen Untergrundorganisation zu sein, was der Polizeichef (Dimos Starenios) mit dessen Kreiszeichnungen begründet. Der Tritt auf den Fuß soll zudem ein verabredetes Zeichen gewesen sein. Trotz Georgis demütiger Haltung und der Beteuerung seiner Unschuld, beschließt der Polizeichef, ihn am nächsten Tag in die Hauptstadt bringen zu lassen. Georgis weiß, was das bedeutet, denn die Methoden, die dort angewendet werden, haben bisher Jeden zum Sprechen gebracht – egal, ob er etwas wusste oder nicht.
1975 befand sich Peter Fleischmann in guter Gesellschaft des ambitionierten Polit – Films. Regisseur Costa - Gavras hatte schon Ende der 60er Jahre mit „Z“ einen exemplarischen Film über die Diktatur seines Heimatlandes Griechenland gedreht, und 1973 mit „Der unsichtbare Aufstand“ die Verhältnisse in Südamerika belichtet. Damiano Damiani, Elio Petri und Francesco Rosi hatten ebenfalls grundlegene Werke über den schleichenden Verfall von Bürgerrechten zugunsten politischer und wirtschaftlicher Machtinteressen in Italien abgeliefert, doch Fleischmann wählte einen eigenständigen Weg, der weniger die klassischen Konsequenzen einer Diktatur beleuchtet, sondern ab dem Zeitpunkt, als die zwei Polizisten des Geheimdienstes mit Georgis die Kleinstadt verlassen, teilweise skurrile Züge annimmt.
Das beginnt schon damit, dass Mario Adorf als „Marciallo“ (deutsch „Manager“) mit seinem getunten Auto losfährt, als wäre er bei einer Rallye. Auch die Art, wie die drei Männer gemeinsam auf der Vorderbank sitzen, hat wenig vom Anschein eines Gefangenentransports. Das gilt auch für den weiteren Verlauf, in dem der ruhige, sehr freundlich mit Georgis umgehende Michel Piccoli, zunehmend Streit mit den rauen, leicht proletenhaften Mario Adorf bekommt, dessen rücksichtslos gefahrenes Auto prompt in einem kleinen Dorf liegen bleibt. Während der „Manager“ sich mit einem LKW weiter transportieren lässt, um eine Reparatur zu organisieren, bleiben der Inspektor und Georgis allein zurück und beginnen sich, anzufreunden.
So scheint es zumindest, aber Fleischmann macht kein Geheimnis daraus, dass es sich bei den vielen seltsamen Vorfällen, um keine Zufälle handelt. Nur wird nie ganz deutlich, wer hier mit wem und auf welche Weise spielt, denn auch Georgis ist nicht der harmlose Mitläufer, als der er lange Zeit erscheint. Zwar stehen vor allem Michel Piccoli und Ugo Tognazzi im Mittelpunkt der sich zuspitzenden Handlung, während Mario Adorf die Rolle der unmittelbaren Bedrohung einnimmt, aber wirkliche Hauptperson ist der Polizeichef, vor dem nicht nur seine Untergebenen höllische Angst zu haben scheinen, sondern dem Peter Fleischmann zweimal ausführlich die Gelegenheit gibt, über die Macht im Staat und die Rolle der Polizei zu philosophieren.
Die Diktatur in Griechenland war 1975 beendet, aber Fleischmann wählte das bewusst nicht genannte Land nur als Hintergrund für eine generelle Abhandlung über die inneren Strukturen von Machtmissbrauch. Deshalb ist der deutsche Titel „Der dritte Grad“ - trotz seiner Anspielung auf eine spezielle Verhörmethode – unglücklich gewählt, während der italienische Originaltitel „La smagliatura“ (oder das französische Pendant „La faille“) viel genauer bezeichnet, um was es Fleischmann ging. Es sind die „Laufmaschen“ oder kleinen Fehler, die dank des menschlichen Faktors, auch in funktionierenden Systemen vorhanden bleiben, wie der Polizeichef ausführt. Die große Leistung der Polizeiarbeit liegt darin - wie er im Stil eines ambitionierten Künstlers verkündet - auch diese zu beseitigen.
"La smagliatura" Frankreich, Italien, Deutschland 1975, Regie: Peter Fleischmann, Drehbuch: Peter Fleischmann, Antonis Samarakis (Novelle), Darsteller : Ugo Tognazzi, Michel Piccoli, Mario Adorf, Adriana Asti, Dimos Starenios, Laufzeit : 102 Minuten