Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Cadaveri eccellenti (Die Macht und ihr Preis) 1976 Francesco Rosi

Inhalt : Inspektor Rogas (Lino Ventura) wird zu einem Tatort gerufen, an dem ein Richter auf offener Straße erschossen wurde. Noch während seiner ersten Ermittlungsschritte, wird ein zweiter Richter auf die selbe Art ermordet. Schnell erkennt Rogas, dass es zwischen ihnen eine Verbindung gibt, da sie drei Männer zu Unrecht hinter Gittern brachten. Nachdem er bei zwei von diesen die Tat ausschließen kann, will er auch den Dritten besuchen. Doch dieser ist nicht nur verschwunden, sondern sämtliche Dokumente, die etwas über sein Aussehen wiedergeben könnten, wurden vernichtet oder beschädigt.Gleichzeitig geht das Morden weiter...


1976, dem Jahr als "Cadaveri eccellenti" erschien, war die Kommunistische Partei Italiens (PCI) unter Enrico Berlinguer mit 34 % der Wählerstimmen auf dem Zenit ihres Erfolges angekommen. Möglich wurde dieses Ergebnis auch, weil Berlinguer sich seit den 60er Jahren kritisch mit der russischen KPDSU auseinander setzte und seit Beginn der 70er Jahre den konservativen Kräften seines Landes zuwandte. Unter dem Eindruck des chilenischen Putsches 1973, in dessen Verlauf Salvador Allende ermordet worden war, suchte er in seinem von der Wirtschaftskrise gebeutelten Land die konkrete Zusammenarbeit mit der stärksten Partei "Democrazia Cristiana" (DC), um Italien Stabilität zu geben und eine faschistische Machtübernahme zu verhindern - bekannt geworden unter dem Begriff "Compromesso storico" (Historischer Kompromiss).

Als unabhängiger Kandidat saß Leonardo Sciascia in dieser Phase für die PCI im Parlament seiner Heimatstadt Parlermo, aber der ehemalige Lehrer hatte sich mit seinen kritischen Schriften, in denen er die Machtstrukturen Italiens analysierte, schon länger einen Namen gemacht. Schon 1971 hatte er die literarische Vorlage für "Cadaveri eccellenti" geschrieben, was nicht überrascht, da spätestens seit den Bombenattentaten Ende der 60er Jahre, die Gefahr eines Putsches, auf Basis von bewusst erzeugten chaotischen Situationen, wuchs.

Im von Tonino Guerra und Francesco Rosi Mitte der 70er Jahre verfassten Drehbuch lassen sich entsprechend zwei Strömungen erkennen - die auf Basis der Novelle beschriebene Verursachung von Chaos und die Zusammenarbeit der kommunistischen mit der konservativen Partei. Doch auch wenn "Cadaveri eccellenti" den äußeren Anschein einer Kriminalstory besitzt, ist er vor allem ein Dokument der Angst. Wie sehr diese Atmosphäre das Land damals geprägt haben muss, wird auch erkennbar an dem ebenfalls 1976 nach Sciascia entstandenen "Todo modo" von Elio Petri, der 1967 schon mit "A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung) einen Roman dieses Autors verfilmt hatte. Auch Damianis "Io ho paura" (Ich habe Angst) von 1977 geht unmittelbar auf diese Ereignisse ein. Und obwohl er nie konkret mit Rosi und Petri zusammen arbeitete, zeigt sich deren geistige Verwandschaft in der kritischen Aufarbeitung der inneren Verhältnisse Italiens, auch in seiner Verfilmung eines Sciascia, dem 1968 entstandenen "Il giorno della civetta" (Der Tag der Eule).

Die Kenntnis der damaligen politischen Situation in italien ist für das Verständnis von "Cadaveri eccellenti" unbedingt erforderlich, da Rosi das Geschehen stark abstrahiert, um jeden realen Bezug zu Orten oder lebenden Personen zu vermeiden. Einzig die Institutionen werden konkret benannt, was schon ausreichte, um Rosi eine Klage der italienischen Justiz einzuhandeln.


Die Kälte, die der Film von Beginn an ausstrahlt, verdeutlicht sich in der Hauptperson, Inspektor Rogas. Nur in einem kurzen Telefonat wird erkennbar, dass Rogas einen Sohn hat und einmal verheiratet gewesen sein muss, sonst verzichtet Rosi auf jegliche Ausschmückung von Privatheit. Das italienische Leben kommt hier nur am Rande vor, denn in "Cadaveri eccellenti" bestimmen Richter, Polizisten, Politiker und sonstige administrative Kräfte die Handlung. Einzig Lino Venturas Präsenz ist es zu verdanken, dass man, trotz seines zurückhaltenden Spiels, den inneren Willen, den tatsächlichen Hintergrund der Verbrechen aufzuklären, und seine Angst spürt, als er selbst zunehmend zur Zielscheibe wird. Politisch ist seine Person bewusst neutral gehalten, verfügt aber über Toleranz und ein humanistisches Weltbild.

Zu Beginn scheinen seine detektivischen Ermittlungen noch gefragt zu sein und er entdeckt einen Zusammenhang zwischen den zwei ermordeten Richtern, die beide an einem Fehlurteil beteiligt waren. Der Täter ist schnell ausfindig gemacht, aber dann muss Rogas feststellen, dass jede Spur von diesem Mann fehlt. Seine Wohnung ist verlassen und auf jedem Foto, auf dem er abgebildet ist, wurde sein Kopf ausgeschnitten, selbst auf den internen polizeilichen Unterlagen. Doch die Morde an den Richtern gehen weiter, obwohl diese nicht mehr konkret an dem Gerichtsurteil beteiligt waren. Als Rogas diesem Widerspruch nachgehen will, bekommt er zunehmend interne Probleme. Ihm wird ein weiterer Ermittler an die Seite gestellt und sein Vorgesetzter, der Polizeichef (Tino Carraro), belügt ihn ganz offensichtlich.


Sciascias erzählerische Linie wird, ähnlich wie in "A ciascuno il suo", daran deutlich, dass das Geschehen fast ausschließlich aus der Sicht des Inspektors geschildert wird, weshalb man nie etwas über die Beweggründe und die Pläne der anderen Seite erfährt. Ihm geht es nicht um eine konkrete Zuweisung der Schuld an irgendwelche Personen, die dann in der Folge als Einzeltäter propagiert werden, sondern um das Ausgeliefertsein gegenüber der unkontrollierten Macht der Institutionen. Selbst eine coole und intelligente Figur wie Inspektor Rogas hat dagegen letztlich keine Chance.

Francesco Rosi entwickelt seinen Film konsequenterweise zunehmend von einer im Detail nachvollziehbaren Kriminalstory zu einem Sittenbild der unbestimmten Angst. Genauso wie selbst der überhebliche und offen reaktionäre Gerichtspräsident (Max von Sydow) nicht zum Bösewicht taugt, wird keine Bedrohung jemals konkret geäußert. Sie wird n
ur rigoros von anonym bleibenden Tätern umgesetzt. Einzig die immer wieder eingeblendeten Studentenproteste vermitteln eine gewisse Emotionalität, während man den Machthabern keine besonderen Interessen anmerkt. Im Gegenteil bleiben sämtliche Politiker freundlich, auch im Zusammenspiel mit dem politischen Gegner - eine konkrete Anspielung Rosis auf den "Historischen Kompromiss".

Das Rosi dieser Konstellation in "Cadaveri eccellenti" nicht traute, entsprach der damaligen Haltung vieler Anhänger der kommunistischen Partei und bestätigte sich wenige Jahre später. Berlinguer hatte gehofft, durch die Zusammenarbeit mit den Konservativen, soziale Veränderungen in seinem Land durchsetzen zu können. Versprechungen dieser Art wurden auch gemacht, aber als die PCI, 1978 nach der Entführung Aldo Moros durch linksgerichtete Terroristen, unter Druck geriet und viel Zustimmung im Land verlor, sah die DC keinen Grund mehr, noch mit der PCI zusammen zu arbeiten. Auch die hier gezeigten, fiktiven Attentate scheinen auf linke Attentäter zu weisen, da die ermordeten Richter konservativ ausgerichtet waren. Erst Anfang der 90er Jahre wurde festgestellt, dass ein Großteil der damaligen Attentate durch faschistische Gruppen ausgeführt wurden, die damit die Angst im Land schürten. Eine Angst, die nur den konservativen Kräften entgegen kam.

Obwohl in der Analyse der Situation verwandt, unterscheidet sich Rosis Film von Damianis emotionalem "Io ho paura" in wesentlichen Punkte. "Cadaveri eccellenti" ist ein grafischer Film, emotional beinahe so tot wie die titelgebenden "Ausgezeichneten Kadaver", mit denen hier die Leichen der Würdenträger bezeichnet werden. Beginnend mit dem Blick auf die Mumien in der Gruft, den Sozialbauten, den vielen hohen und meist leeren Räumen, die die Kamera immer wieder erfasst, bis zur Anordnung der Toten auf großen Flächen, vermittelt Francesco Rosi das Bild eine kalten Staates, der nur an Machterhaltung interessiert ist.

Diese abstrakte Sichtweise hat den Nachteil, sich weniger direkt zu vermitteln, da einerseits die damalige Atmosphäre nicht mehr vom heutigen Betrachter nachempfunden werden kann, andererseits auf emotionale Zuspitzungen verzichtet wird. Das Fehlen konkreter Erklärungen und Schuldzuweisungen hat dagegen den Vorteil einer generalistischen Betrachtung einer Situation, die bis in die Gegenwart andauert
.

"Cadaveri eccellenti" Italien, Frankreich 1976, Regie: Francesco Rosi, Drehbuch: Francesco Rosi, Tonino Guerra, Leonardo Sciascia (Roman), Darsteller : Lino Ventura, Tino Carraro, Alain Cuny, Fernando Rey, Max von Sydow, Laufzeit : 120 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Francesco Rosi:

Donnerstag, 22. Oktober 2009

La commare secca (Die dürre Gevatterin) 1962 Bernardo Bertolucci

Inhalt : Eine Prostituierte wird tot, am Ufer des Tiber liegend, aufgefunden. Die römische Polizei vernimmt verschiedene männliche Zeugen, die im nahegelegenen Parco Paolino während der Tatnacht gesehen worden sind - einen Taschendieb, einen Geldeintreiber, einen jungen Soldaten aus dem Süden Italiens, einen Mann aus dem Norden Italiens, der Holzlatschen trägt, und einen Jugendlichen.

Jeder von ihnen erzählt seine eigene Version des Tages und der Nacht vor dem M
ord...

"La commare secca", in der römischen Umgangssprache die Bezeichnung für den To
d, verfügt über unterschiedliche Attribute, die Bernardo Bertoluccis ersten Film in der Wahrnehmung und damit Beurteilung vorbestimmt haben. Selbst das es sein erster Film wäre, wird - obwohl faktisch gegeben - in Zweifel gezogen, da der damals erst 21jährige nur als Ersatz - Regisseur vorgesehen worden war. In unterschiedlichen Publikationen wird deshalb "Prima della revoluzione" (Vor der Revolution) von 1964 gerne als sein erster "echter" Film bezeichnet, weil dazu auch das Drehbuch von ihm stammte.


Tatsächlich ist die Vorgeschichte von "La commare secca" eng mit Pier Paolo Pasolini verbunden, von dem die Story stammte, die er auch ursprünglich selbst verfilmen sollte. Pasolinis literarisches Werk wurde in den 50er Jahren von Bernardo Bertoluccis Vater unterstützt, weshalb der Sohn ihn gut kannte und ihn bei dessen ersten Film "Accattone" als Assistent unterstützte. Da Pasolini die Arbeiten an "Mamma Roma" im gleichen Jahr vorzog, lag die Konsequenz, "La commare secca" in die Hände des Regieneulings zu legen, durchaus nahe, denn Bertolucci war mit Pasolinis Thematik vertraut. Die Ähnlichkeit des Films zu "Accattone" und "Mamma Roma", hinsichtlich der Konzentration auf römische Randbezirke und ihre Bewohner - Arbeitslose, Herumtreiber, Prostituierte - ist auffällig, genauso wie die Arbeit mit Laiendarstellern, die eine größtmögliche Authentizität erzeugen sollte, worin auch wieder die Nähe zum "Neorealismus" erkennbar wird.

Neben dieser starken Bindung an Pasolinis Erfahrungen, die dieser hier konkret in der Person eines Homosexuellen verarbeitet, der von zwei jungen Männern am Tiber beraubt wird, und später Zeuge des Mordes wird, belastete den Film die thematische Nähe zu Korosawas "Rashomon", der schon 10 Jahre zuvor ebenfalls ein Verbrechen aus der Sicht verschiedener Menschen beschrieb. Auch wenn Bertolucci glaubhaft versicherte, den Film damals nicht gekannt zu haben, lag der Vergleich nahe, da in beiden Filmen die Aufklärung des Verbrechens letztlich keine Rolle spielt, sondern die Rücksch
lüsse auf die Psyche der Menschen und ihre von eigenen Bedürfnissen geprägte Sicht auf die Wahrheit. Vielleicht bedurfte es eines gewissen zeitlichen Abstands, um zu erkennen, dass "La commare secca" trotz dieser offensichtlichen Parallelen und Bezüge ein echter Bernardo Bertolucci Film geworden ist, dessen persönliche Handschrift bei der Umsetzung der pasolinischen Thematik ebenso zu erkennen ist, wie die Intention der subjektiven Schilderung des Ereignisses aus der Sicht mehrerer Personen, hier andere Ziele als in "Rashomon" verfolgt.

Schon die erste Kameraeinstellung verdeutlicht Bertoluccis Stil. Sie fängt eine Tiberbrücke von unten ein, erfasst Teile einer zerrissenen Zeitun
g, die herab geworfen wurden, und schwenkt, diese begleitend, zum Boden, wo die Leiche einer Frau am Ufer liegt. Nicht nur die Länge der Einstellung ist für Pasolinis Stil unüblich, auch die darin verborgene Symbolkraft, mit der Bertolucci optisch die in der Luft tanzenden Zeitungsschnipsel mit dem menschlichen Körper verbindet, betont dessen poetischen Stil. Dieser wird fortgesetzt, als die Kamera einen sehr jungen Mann erfasst, der aus einem heruntergekommenen Gebäude über Brachland zum Parco Paolino läuft, der in der Nähe des Leichenfundortes, seitlich des Tibers liegt. Mit einer sehr langen Kamerafahrt erfasst Bertolucci die gesamte Szenerie und vermittelt damit dem Betrachter einen Überblick, ganz im Gegensatz zu Pasolini, der in „Accattone“ kaum einmal übergeordnete Einblicke gewährte.

Die Ähnlichkeit zu „Rashomon“ beschränkt sich auf wenige, eher äußerliche Details. Wie in Kurosawas Werk bleiben zwar auch hier die Ermittler unsichtbar, aber in „La commare secca“ hört man ihre Stimmen, während in „Rashomon“ auch die Fragen, etwa die des Richters, von den Protagonisten selbst, in einer Art Wiederholung, gestellt werden. „Rashomon“ setzt die subjektiven Erzählungen der Zeugen unmittelbar in Bildern um, Bertolucci zeigt dagegen die wahren Vorkommnisse, die die Aussagen punktuell als Lügen entlarven. Die sich daraus ergebende Intention kann unterschiedlicher kaum sein. Kurosawa ging es um Begriffe wie Subjektivität und Wahrheit, während Bertolucci und Pasolini an den Charakteren interessiert sind. Die Differenz zwischen deren Aussagen und ihrem tatsächlichen Verhalten, lassen erst Rückschlüsse auf diese zu. Wie falsch der Vergleich zwischen „Rashomon“ und „La commare seca“ ist, zeigt sich am entscheidenden Detail – alle Aussagen in „Rashomon“ beziehen sich konkret auf das Verbrechen, wenn auch in unterschiedlicher Form, in „La commare secca“ hat dagegen nur ein Zeuge das Verbrechen erlebt – der Mörder. Alle Anderen erzählen einfach nur von ihrem vorangegangenen Tag und der folgenden Nacht.

Dadurch bekommt der Film einen leichten, manchmal komischen Gestus. Der junge Tagedieb, der beim Klauen erwischt wird und eine Abreibung erhält, der Geldeintreiber, der sich als coolen Typen mit Cabrio präsentiert obwohl er dieses nur seiner Chefin verdankt, der junge Soldat aus dem Süden, der die jungen Frauen belästigt, der Besucher aus dem Friaul (Pasolinis Heimat) oder die beiden Teenager, die zwei junge Mädchen im Park kennen lernen – sie alle versuchen ihren Status zu überhöhen, ihre kleinen Gaunereien zu verheimlichen oder schlicht Peinlichkeiten zu verbergen. Es entsteht ein komplexes Bild einer Lebensart, die durch Armut geprägt ist und die mit jeder Gelegenheit versucht, dieser zu entkommen. Die Tragik dahinter wird nicht nur im fehlenden Selbstbewusstsein erkennbar, sondern auch an der schmalen Grenze zum Tod.

Nachdem die beiden Teenager einen homosexuellen Mann beraubt hatten, um die Zutaten für ein Nudelgericht bezahlen zu können, die sie den Mädchen für ein gemeinsames Essen mitbringen sollten, ertrinkt Einer von ihnen aus Angst vor der Polizei bei seiner Flucht durch den Tiber. Der Mann wiederum wurde nur deshalb Zeuge des Mordes, weil er sich nach dem Raub allein am Tiber befand, wo auch die nicht mehr junge Prostituierte in der Regel mit ihren Freiern hinging. An ihrer Person wird deutlich, dass es Bertolucci nicht um ein Puzzle aus subjektiven Eindrücken ging, denn er zeigt parallel zu den Zeugenaussagen deren Werdegang von ihrem ärmlichen Zuhause bis zum Straßenstrich, wo sie in einer frühen Stunde ihren Mörder trifft. Doch selbst dessen Tat ist letztlich nur ein Unfall, aus dem Affekt und der Achtlosigkeit gegenüber ihrer Person entstanden.

Die Stadt Rom, die in diesem Randbezirk lebenden Menschen und ihre Lebensweise s
ind in ihrer dichten Charakterisierung sicherlich ein typischer Pasolini, aber Bertoluccis Interpretation nimmt dieser einen Teil ihrer Ernsthaftigkeit. Trotz aller darin verwobenen Tragik, überrascht das hohe Tempo des Films, dem auch zum Schluss, als der Mörder ganz genregerecht von der Polizei verhaftet wird, nichts pathetisches anhaftet. Die religiösen Bezüge, die ein wesentlicher Wesenszug Pasolinis sind, fehlen hier fast völlig und insgesamt wirkt der Film, trotz der inhaltlichen Verwandtschaft zu „Mamma Roma“ und „Accattone“, weniger fatalistisch und Lebens bejahender, was im letzten Bild kulminiert. Es zeigt ein Steinrelief mit dem Tod, „La commare secca“, als Skelett mit Engelsflügeln – ein Symbol dafür, das der Tod zum Leben gehört.

"La commare secca " Italien 1962, Regie: Bernardo Bertolucci, Drehbuch: Pier Paolo Pasolini, Darsteller : Carlotta Barilli, Alvaro D'Ercole, Giancarlo De Rosa, Silvio Laurenzi, Wanda Rocci, Laufzeit : 92 Minuten

- weitere im Blog besprochene Filme von Bernardo Bertolucci :

"Amore e rabbia" (1969)

Freitag, 16. Oktober 2009

Roma, città aperta (Rom, offene Stadt) 1945 Roberto Rossellini

Inhalt : Rom 1944 - während vom Süden her die Alliierten, unterstützt von italienischen Widerstandskämpfern, Richtung Norden vordringen, versucht die SS mit gnadenloser Härte die Ordnung aufrecht zu erhalten. Als der Widerstandskämpfer Manfredi vor der Gestapo in die Wohnung seines Freundes und Mitkämpfers Francesco flieht, wo dieser mit seiner Verlobten Pina und weiteren Familienmitgliedern zusammen lebt, ahnt er noch nicht, dass er damit alle gefährdet, denn ausgerechnet die jüngere Schwester Pinas wird von der SS als Spitzel benutzt. Am nächsten Tag, am Morgen seiner Hochzeit mit Pina, steht die SS bei Francesco vor der Tür und will diesen verhaften. Die Situation gerät außer Kontrolle...




Roberto Rosselini wollte ursprünglich einen Dokumentarfilm über einen katholischen Priester drehen, der im Widerstand gegen die italienischen Faschisten und die Nationalsozialisten gekämpft hatte. Für die italienische „Resistenza“ hatte dieser Kampf an Brisanz zugenommen, als nach dem Sturz Mussolinis Nazi-Deutschland dem befreundeten Staat „zu Hilfe“ gekommen war, während sich von Süditalien her die Alliierten näherten. Sie sahen sich darauf hin zwei Gegnern gegenüber – der Gestapo und den mit diesen kollaborierenden italienischen Anhängern des Faschismus.

Als Rosselini "Roma, città aperta" Anfang 1945 doch als Spielfilm inszenierte, waren diese Auseinandersetzungen keineswegs beendet, sondern hatten sich nur nach Norditalien verlagert, wo unter Mussolini die Mar
ionettenrepublik Salò entstanden war. Entsprechend unmittelbar waren während der Entstehungsphase die Erinnerungen an diese Geschehnisse, so dass hier ein Film entstand, dessen Authentizität, stärker noch als "Ossessione" von Visconti, ihn zu einem Hauptwerk des noch jungen realistischen Films in Italien machte. Diese Realität sollte trotzdem nicht mit Objektivität verwechselt werden, denn Rosselini nimmt ganz deutlich Partei ein für die Resistenza, aber - obwohl der unmittelbare Eindruck der deutschen Besatzung noch Bestand hatte - ohne den Fehler zu machen, zu polarisieren oder mit gefühligen Übertreibungen, Stimmung zu erzeugen.


Der Film beginnt mit einer Hausdurchsuchung der Gestapo. Ingenieure Manfredi, Kommunist und eine führende Persönlichkeit des italienischen Widerstands, gelingt es gerade noch, über die Dächer zu entkommen.Trotz dieser Dramatik verfügt der Film zu Beginn über eine überraschende Leichtigkeit. Rosselini zeichnet ein realistisches Bild des damaligen römischen Lebens, mit Schwarzmarktgeschäften und den Tricks zur Besorgung der täglichen Lebensmittelration. Die Wohnungen sind überfüllt und es kommt zu Spannungen zwischen den eng aufeinanderlebenden Menschen. Im Mittelpunkt steht dabei Pina (Anna Magnani), die sich zum Einen auf ihre kurz bevorstehende Hochzeit mit Francesco – ebenfalls ein Widerstandskämpfer – freut, andererseits auch um ihren herumstreunenden Sohn kümmern muß. Dazu streitet sich sich ständig mit ihrer jüngeren Schwester, deren Ruf innerhalb der Familie sehr schlecht ist, da sie sich im Umfeld von Schauspielern und Künstlern herumtreibt. In diesen Kreisen pflegen auch die Offiziere der SS anwesend zu sein, die sich auf diese Weise Menschen mit Drogen gefügig machen und ein dichtes Netz von Spitzeln aufbauen.

Manfredi, der vor der Gestapo zu Pina flieht und bei deren Verlobtem unterkommt, will von dort mit Hilfe des Priesters Don Pietro möglichst schnell an einen unbekannten Ort fliehen. Er ahnt nicht, dass seine Häscher darüber informiert werden. Rosselini schildert diese Ereignisse sehr abwechslungsreich und mit dem natürlichen Humor von Menschen in Zwangssituationen, ohne jemals Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Situation zuzulassen. Wichtig ist ihm dabei eine nachvollziehbare Charakterisierung der Protagonisten, bei denen er Heldenstilisierungen vermeidet. Im Gegenteil ist es Manfredis Schwäche für eine attraktive Varietekünstlerin, die dazu führt, dass Pinas Schwester von seiner Anwesenheit erfährt.

Ähnlich differenziert gestaltet er auch den gefährlichsten Feind des Widerstands, die SS, die von Gestapochef Bergmann repräsentiert wird, der durch eine sehr kühl recherchierende Art auffällt. Ihm sind gute Umgangsformen sehr wichtig und er ist geprägt von der Überzeugung an die Überlegenheit der deutschen Rasse gegenüber der italienischen, immer
hin sehr lange die Verbündeten Nazi-Deutschlands.Er ist keineswegs ein überzogener Sadist. Folter ist für ihn nur ein Mittel zum Zweck und erst der letzte Schritt, der getan werden muss, wenn die vorherige Überzeugungsarbeit nicht ausgereicht hatte.


In der zweiten Hälfte nimmt der Film an Härte zu und konfrontiert den Zuseher mit der Allmacht und Brutalität der deutschen Besatzungsmacht. Und obwohl Rosselini dabei schonungslos bleibt, bewahrt er die menschliche Dimension. Durch den Verzicht sowohl auf Monster als auch auf Märtyrer, verdeutlicht er, dass diese Handlungen nicht allein einem Befehl zu verdanken sind, sondern letztlich immer dem Ausführenden die Wahl lassen, sein eigenes Handeln oder Reagieren zu bestimmen. Er konkretisiert das an den deutschen Soldaten, die sich am Schluß weigern, einen Schießbefehl auszuführen.


Rossellinis dem Realismus verpflichtete Gestaltungsform kam diesem Thema in erheblichem Masse entgegen, wie man sogar zu der Feststellung gelangen kann, dass nur sein dokumentarischer, jede zusätzliche Emotion weglassender Stil überhaupt in der Lage war, diese Thematik angemessen zu bewältigen. Die Unmittelbarkeit solcher schrecklichen Ereignisse verhindert in der Regel eine differenzierte Darstellung der Betroffenen, während ein zeitlicher Abstand zwar mehr Objektivität erzeugt, gleichzeitig eigene Erfahrungen verblassen lässt. Bei "Roma, città aperta" gelang der seltene Fall einer Symbiose aus der Schilderung gerade erlebter Eindrücke bei einer gleichzeitigen universalen Einordnung, was den Film in den Rang eines zeitlosen Kunstwerks erhebt.

"Roma, citta apertà " Italien 1945, Regie: Roberto Rossellini, Drehbuch: Roberto Rossellini, Federico Fellini, Darsteller : Anna Magnani, Aldo Fabrizi, Marcello Pagliero, Harry Feist, Carla Rovere, Laufzeit : 100 Minuten

- weitere im Blog besprochene Filme von Roberto Rossellini :

"Stromboli" (1950)
"Viaggio in Italia" (1954)
"Amori di mezzo secolo" (1954)


Sonntag, 11. Oktober 2009

Pensione Paura 1977 Francesco Barilli

Inhalt: Rosa (Leonora Fani) hilft ihrer Mutter (Lidia Bondi), während des 2. Weltkrieges das Familienhotel aufrecht zu erhalten. Von ihrem geliebten Vater, der als Soldat im Krieg kämpfen muss, hat sie lange nichts gehört, hofft aber täglich auf seine Rückkehr.

Die wenigen Gäste des Hotels sind nicht nur schwierig, sondern belästigen Rosa außerdem. Besonders der eitle Rodolfo (Luc Merenda) hat es auf sie abgesehen, obwohl er sich von einer wesentlich älteren Geliebten (Jole Fierro) aushalten lässt. Zudem versteckt Rosas Mutter einen Mann (Francisco Rabal) unter dem Dach, der von den Faschisten gesucht wird und mit dem sie ein Verhältnis hat. Als sie plötzlich tot aufgefunden wird, ist
Rosa nicht nur allein für das Hotel verantwortlich, sondern den zunehmenden Repressalien der Gäste hilflos ausgesetzt...


Als Regisseur und Autor Francesco Barilli mit 34 Jahren seinen zweiten und, abgesehen von späteren Arbeiten für das italienische Fernsehen, auch letzten Film "Pensione Paura" drehte, besaß er schon einige Erfahrung. Als 20jähriger hatte er mit Antonio Pietrangeli bei "La parmigiana" (Das Mädchen aus Parma) als Assistent gearbeitet, bevor er ein Jahr später in Bertoluccis "Prima della Revoluzione" (Vor der Revolution) die männliche Hauptrolle spielte, die letztlich seine Einzige in einem Langfilm blieb. In den folgenden Jahren widmete er sich dem Western oder Horror-Genre als Regie-Assistent oder Autor, bevor er mit "Il profumo della signora in nero" (Das Parfüm der Frau in Schwarz, 1974) seinen ersten eigenen Film drehte.

Bei "Pensione Paura" handelt es sich, wie schon bei seinem Vorgänger, um einen mysteriösen, mit Horrorelementen versehenen Film, der auch hinsichtlich seiner erotischen Bilder und dem nicht geringen Blutzoll über die notwendigen Voraussetzungen verfügt, als "Giallo" eingeordnet zu werden. Barillis Kunst liegt darin, die Gene-Zutaten elegant und stimmig in eine Geschichte einzubinden, die sich realitätsnah dem Zeitgeschehen der Endphase des 2.Weltkriegs widmet. Trotz aller Fantasie und angenehmen Ironie, mit der hier Irrsinn, Abhängigkeit und Angst dargestellt werden, kann der Film ein authentisches Gefühl der Endphase des Faschismus in Italien vermitteln, was seinem unterhaltenden Charakter eine zusätzliche Tiefe gibt.

Im Mittelpunkt steht Rosa (Leonora Fani), ein junges Mädchen, dass ihrer Mutter beim Betreiben der Familien-Pension hilft. Sie vermisst ihren Vater, der als Soldat im Krieg kämpft, und schreibt ihm lange Briefe. Obwohl sie schon lange nichts mehr von ihm gehört hat, will sie nicht an seinen Tod glauben, und steht ihrer Mutter Marta (Lidia Bondi) kritisch gegenüber, die einen Mann (Francisco Rabal) unter dem Dach ihres Hauses vor den Faschisten versteckt, mit dem sie auch ein Verhältnis hat. Die weiteren, nicht weniger seltsamen Gäste behagen ihr ebenfalls nicht, da sie ihr zudem noch sexuell eindeutige Angebote machen.

"Pensione paura" gewinnt seinen Reiz aus dem Gegensatz zwischen der jungfräulichen und blassen Rosa (Leonora Fani war für diese jugendlichen Rollen in den 70er Jahren prädestiniert) und dem promiskuitiven Treiben in der Pension. Besonders der eitle Rodolfo (Luc Merenda), der sich von einer wesentlich älteren Frau (Jole Fierro) aushalten lässt, lässt keine Gelegenheit aus, Rosa zu bedrängen, auch wenn das seine Geliebte entsprechend verärgert. Trotz dieser Vorgänge behält der Film in seiner ersten Hälfte den langsam dahin gleitenden Charakter einer dekadenten Sommergesellschaft, in der der Horror des Krieges nur einen Moment lang zu spüren ist, als Bomber über die Pension hinweg fliegen. Und auch wenn Barilli nicht ohne Hintergedanken regelmäßig den mädchenhaften Busen Rosas ins Bild rückt, behält diese doch die Unschuld einer Dorfschönheit in einem kleinen italienischen Ort und steht damit in deutlichem Gegensatz zu den übrigen Protagonisten.

Das ändert sich rigoros, als Rosas Mutter am Fuße einer Treppe tot aufgefunden wird. Die Ursache dafür ist nebensächlich, weshalb auch keinerlei Polizei in dem Film auftaucht, aber ab diesem Moment ist die schützende Hand über dem Mädchen verschwunden. Zuerst verdeutlicht sich ihre Schutzlosigkeit darin, dass sie - anders als ihre Mutter - keine Nahrungsmittel mehr bekommt. Guido, ein junger Mann, der in sie verliebt ist, kann ihr in diesem Fall noch helfen, aber bald eskalieren die Ereignisse, als zwei Faschisten im Hotel ein Zimmer nehmen, die mit Rodolfo gemeinsame Sache machen. Die Pension wird immer mehr zum Schreckensort, aus dem es kein Entrinnen gibt...

Francesco Barilli entwirft in "Pensione paura" eine morbide, erotisch aufgeheizte Atmosphäre, die trotz gewisser Zuspitzungen zum Ende hin, nie ihren stimmigen, aus einer realen Situation heraus entwickelten Charakter verliert. Neben den Bildern ist es vor allem die von Adolfo Waitzman komponierte Musik, die dem Film von Beginn an einen treibenden, immer wieder von sehr ruhigen, von beinahe unwirklichen Momenten unterbrochenen Gestus gibt. Das Ende von "Pensione paura" scheint vordergründig wenig realistisch, aber das ist ein Irrtum - es erhebt sich nur darüber.

"Pensione paura" Italien / Spanien 1977, Regie: Francesco Barilli, Drehbuch: Francesco Barilli, Barbara Alberti, Amedeo Pagani, Darsteller : Leonora Fani, Luc Merenda, Francisco Rabal, Lidia Bondo, Wolfgango Soldati, Laufzeit : 95 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Francesco Barilli:

Samstag, 3. Oktober 2009

Ossessione (Besessenheit) 1942 Luchino Visconti

Inhalt: Als der verarmte Gelegenheitsarbeiter Gino (Massimo Girotti) bei einer Trattoria einkehrt, sieht er Giovanna (Clara Calamai) in der Küche arbeiten. Sofort sind sie fasziniert voneinander und er macht ihr den Hof. Doch Giovanna ist mit dem Besitzer der Trattoria, Signore Bragana (Juan de Landa), verheiratet und so entsteht eine heimliche Liebesbeziehung, die aber durch Braganas aufdringliche Art zunehmend erschwert wird.

Als sie spüren, daß sie nicht voneinander lassen können, beschließen die Liebenden, den lästigen Ehemann umzubringen...


Die Geschichte, die Luchino Visconti in seinem ersten Film erzählt, ist eine klassische Dreiecksgeschichte nach dem Roman "Wenn der Postmann zweimal klingelt", angesiedelt in der Umgebung von Ancona. Trotz der Tatsache, dass es sich bei dem Film um die Adaption eines Kriminalstücks handelt, gilt "Ossessione" heute als Beginn des "Neorealismus", denn Visconti nutzte die dramatische Geschichte für einen genauen Blick auf die Realität eines Italien im Jahr 1942, noch während der Regierungszeit von Benito Mussolini. Mit dieser Entlarvung der tatsächlichen Verhältnisse in Italien stellte sich Visconti gegen die gängige Propaganda der Faschisten.

Der Gelegenheitsarbeiter Gino Costa (Massimo Girotti) kommt während der Durchreise auf der Ladefläche eines LKWs zufällig bei einer Trattoria vorbei, die von Signore Bragana (Juan de Landa) und seiner Frau Giovanna (Clara Calamai) geführt wird. Der völlig verarmte Gino geht trotz seiner heruntergekommenen Kleidung und kaputten Schuhe selbstbewusst in die Trattoria und trifft dort Giovanna, die in der Küche arbeitet. Sie finden sofort Gefallen aneinander und Gino gelingt es mit einem Trick, dass Giovannas Ehemann den restlichen Tag in die nahe gelegene Stadt fährt. So beginnt schon am Tag ihrer ersten Begegnung ihre Liebesbeziehung.

Die Art wie Visconti diese Begegnung erzählt, erzeugt einen genauen Eindruck von den obsessiven Gefühlen, die in diesem Moment entstehen. Jede kleine Geste, jeder Blick lässt erahnen, was in ihnen vor sich geht und wenn Gino völlig selbstverständlich - nachdem der Ehemann gegangen ist - die Türen der Trattoria hinter sich zuschließt, dann ist jedem klar, was gleich geschehen wird. Ihre Liebe hat etwas von der Abhängigkeit zweier Ertrinkender - sie brauchen sich, ziehen sich aber gleichzeitig in den Abgrund.

Visconti stilisiert Gino als ein Bild von einem Mann. Ganz nah streicht die Kamera um dessen muskulösen Körper, aber seine Schönheit verbirgt seine gleichzeitige Schwäche, denn Gino fehlt der Mut, sich festzulegen. Er vagabundiert durch die Gegend, benutzt die Menschen - Männer wie Frauen - die sich zu ihm hingezogen fühlen, und ist außer Stande, Verantwortung zu übernehmen. Der "Spanier" ( Elio Marcuzzo) begleitet Gino eine Zeit lang und es ist offensichtlich, dass er ihn liebt. Diese homosexuelle Alternative, die Visconti ihm - abweichend von der Romanvorlage - anbietet, hätte ihn retten können. Das er sie nicht annimmt, hat nichts mit Ginos sexueller Orientierung zu tun, sondern nur mit seiner Unsicherheit.

Giovanna hat den viel älteren, unattraktiven, aber wohlhabenden Signore Bragana geheiratet, um der Armut zu entfliehen. Sie hasst ihren Mann, aber sie kann sich nicht von ihm lösen. Was sich nach einer oberflächlichen, materiell orientierten Intention anhört, bekommt bei Visconti das Bild einer zwingenden Notwendigkeit, denn Armut und Niedergang sind in "Ossessione" gegenwärtig. Eine Frau wie Giovanna hätte keine Chance in diesem System, weshalb sie die Verbindung zu Bragana nicht zu lösen bereit ist. "Wenn der Postmann zweimal klingelt" beinhaltete immer eine fatale Liebesgeschichte, deren innere Zwänge zu dem Mordkomplott führen, aber Visconti transferiert diese in die damalige italienische Gegenwart, von der beide Charaktere maßgeblich geprägt sind. Durch die Begegnung zwischen dem ziellosen und damit beeinflussbaren Mann und der lebenshungrigen, ihre bisherigen Bedürfnisse unterdrückenden, Frau, entsteht ein unheilvolles Konglomerat.


Signore Bragana verkörpert dagegen den nachvollziehbaren Charakter eines italienischen Bürgers. Ihm bereitet das Leben Freude - sein Beruf hat ihm Geld eingebracht, er hat viele Kontakte und Freunde und ist immer für einen Spaß zu haben. Die ausführliche, fast dokumentarische Beschreibung eines Sängerwettstreits, ist nicht nur ein frühes Beispiel für realistische Stilelemente, sondern vermittelt auch Sympathien für den korpulenten Mann, der sich, im Gegensatz zu dem unterdrückten Egoismus der beiden Liebenden, offen auslebt. Auch wenn Visconti keine Nähe zur faschistischen Politik erkennen lässt, wird es offensichtlich, dass Bragana hier die privilegierte Gesellschaftsschicht verkörpert. Diesen Kontrast betont er, in dem er einerseits die Lebensfreude des italienischen Alltags mit ihren Volksfesten und Versammlungen zeigt, andererseits die Armut und die daraus entstehende Einsamkeit. Optisch unterstreicht er das mit einem starken Hell - Dunkel Kontrast. Während draußen gleißendes Sonnenschein vorherrscht und damit fast blendende Helligkeit, sind die Innenräume zumeist stark abgedunkelt. Immer wieder verwendet er das Motiv des Eintretens aus dem Licht in die Dunkelheit und zurück.

Die Mordtat und ihre Folgen entsprechen prinzipiell der Romanvorlage und haben scheinbar wenig mit den späteren neorealistischen Werken zu tun, die sich auch inhaltlich der Gegenwartsrealität unterordneten. Auch fehlt "Ossessione" der anklagende und eindeutig politische Charakter, bedingt schon durch den Entstehungszeitraum, der ihn zu verklausulierender Kritik an den Zuständen zwang. Das "Ossessione" als Beginn des Realismus im italienischen Film gilt, hat trotzdem seine Richtigkeit, lässt aber deutlich werden, dass eine Begrenzung dieser Stilrichtung auf wenige Jahre falsch ist. Viscontis Interpretation eines amerikanischen Romans ist viel mehr ein frühes Beispiel für die Vielfältigkeit, Realität zu dokumentieren und zu kritisieren. "Ossessione" schlägt somit einen Bogen bis in die 70er Jahre, in denen Regisseure wie Francesco Rosi, Ettore Scola, Damiano Damiani oder Elio Petri nichts anderes mit ihren Polit - Thrillern, Komödien oder surrealistischen Werken verfolgten - dass Abbild und damit eine Kritik an den realen Zuständen.

"Ossessione" Italien 1942, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Antonio Pietrangeli, Giuseppe De Santis, James McCain (Roman), Darsteller : Clara Calamai, Massimo Girotti, Juan De Landa, Dhia Cristiani, Elio Marcuzzo, Laufzeit : 135 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Luchino Visconti:

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.