Freitag, 22. März 2013

Delitto d'amore (Ein Verbrechen aus wahrer Liebe) 1974 Luigi Comencini


Inhalt: Der Arbeiter Nullo Branzi (Giuliano Gemma) geht durch eine aufgebrachte Menschenmenge vor einer Fabrik, zieht eine Pistole und schießt.

Wenige Monate zuvor hatte er Carmela Santoro (Stefania Sandrelli) getroffen, eine junge Frau, die nicht in seiner Schicht arbeitete und gerade nach Hause gehen wollte. Spontan war er ihr bis in die ärmliche Wohngegend gefolgt, in der die Familien aus dem Süden Italiens wohnen, die in den Norden kommen, um Arbeit zu finden. Dort erfuhr er, dass sie aus Sizilien stammt und schon lange heimlich in ihn verliebt sei, was sie aber nicht davon abhielt, ihn unvermittelt stehen zu lassen.

So leicht wollte sich Nullo nicht abwimmeln lassen und bemühte sich, in ihre Schicht zu kommen. Doch bevor ihm das gelang, war sie schon in seine Schicht gewechselt und musste dafür stundenlang an der Maschine bei giftigen Dämpfen arbeiten. Die Arbeiterinnen erhielten Milch gegen die Kontamination, aber Carmela trank sie nicht, um sie ihren jüngeren Geschwistern mitbringen zu können. Auch ihre sizilianische Herkunft erschwerte das weitere Kennenlernen zwischen ihr und Nullo, da ihr großer Bruder eifersüchtig über sie wachte, aber trotzdem näherten sie sich weiter an...


Nachdem Luigi Comencini Anfang der 70er Jahre für das italienische Fernsehen gearbeitet hatte, stieg er 1972 mit "Lo scopone scientifico" (Teuflisches Spiel) wieder in gewohnter Weise in die politisch aufgeheizte Atmosphäre Italiens ein - mit einer "Commedia all'italiana", die die Realität unter dem Deckmäntelchen des Lustspiels offen legte, ähnlich seinem ersten großen Erfolg "Pane,amore e fantasia" (Liebe, Brot und Fantasie) im Jahr 1953. Mit "Mio Dio come sono caduta in basso!" (Wie tief bin ich gesunken, 1974) und "La donna della domenica" (Die Sonntagsfrau, 1975) folgten weitere Komödien, bevor er gemeinsam mit Mario Monicelli, Ettore Scola, Nanni Loy und Luigi Magni den satirischen Episodenfilm "Signore e signori, buonanotte" (1976) verfasste und drehte.

"Delitto d'amore" (Ein Verbrechen aus wahrer Liebe) entstand 1974 zwischen diesen komödiantischen Werken und bildete mit seinem ernsten, realistischen Gestus eine Ausnahme. Es bleibt Spekulation, ob sich Luigi Comencini, der seine Gesellschaftskritik in der Regel verklausulierte, von den damaligen politischen Auseinandersetzungen mitreißen ließ, denn er wählte als Hintergrund für seine Geschichte die Situation der Arbeiter in einer norditalienischen Industriestadt und beschreibt deren Lebens- und Arbeitsbedingungen nahezu dokumentarisch. Zudem verknüpfte er diese mit der Problematik der Süditaliener, die gezwungen waren in den Norden auszuwandern, um Arbeit zu finden. Die kulturellen Unterschiede, besonders hinsichtlich der Emanzipation der Frauen, waren eklatant, was die Vorbehalte der Einheimischen gegenüber den Zuwanderern noch bestärkte.

Die Familie des männlichen Protagonisten Nullo Branzi (Giuliano Gemma) nimmt entsprechend kein Blatt vor den Mund in ihrer Meinung über die Menschen aus dem Süden, die sie für schmutzig und faul halten. Da diese sich die Mieten in der Großstadt nicht leisten können, leben sie in außerhalb gelegenen Ghettos, ohne fließendes Wasser und in zu beengten Verhältnissen. Zwar wohnt Branzi mit seinen Eltern und Geschwistern in einem modernen Gebäude, aber die vollständig gefliesten Wände der Wohnung und das nüchterne Ambiente der Satellitenstadt hinterlassen den ähnlich pragmatischen Eindruck eines Lebens, dass nur von der Arbeit bestimmt wird.

Neben den harten Arbeitsbedingungen, denen die Frauen und Männer im Schichtbetrieb am Fließband ausgesetzt sind, lässt der Film auch die Umweltverschmutzung deutlich werden, die ungehemmt in Kauf genommen wurde. Comencinis Bilder verschmutzter Seen oder toter Vögel waren zum damaligen Zeitpunkt noch unüblich, da sie generell als Folge der Industrialisierung angesehen wurden. Auch von Nullo Branzi, der es gegenüber Carmela (Stefania Sandrelli) zwar bedauert, dass die wunderschöne Gegend, die er ihr zeigen wollte, inzwischen im Müll versinkt, der aber wie alle akzeptiert, dass die Frauen Milch am Arbeitsplatz gegen die giftigen Dämpfe bekommen, denen sie ausgesetzt sind. Selbst für die kommunistische Partei, die damals unter den Arbeitern sehr stark vertreten war - auch Branzi ist Genosse - und deren Diskussionen im Film einigen Raum einnehmen, ist die Umweltverschmutzung noch kein Thema - bis ein Unglück geschieht.

Obwohl nur wenige Filme ein ähnlich realistisches Bild der Lebensbedingungen der Arbeiter in den frühen 70er Jahren zeichneten, gilt "Delitto d'amore" nicht als speziell gesellschaftskritischer Film und gewann auch keine Auszeichnungen - im Gegensatz zu Comencinis zuvor gedrehter Komödie "Lo scopone scientifico", die heute als einer der besten 100 Filme Italiens angesehen wird und einige Preise erhielt. Zu verdanken ist diese zu unrecht fehlende Anerkennung der Liebesgeschichte zwischen Nullo Branzi und der Süditalienerin Carmela, die im Mittelpunkt des Films steht. Ausführlich widmet sich Comencini ihrer ersten Begegnung und ihrer beginnenden Liebe, die besonders von Carmelas wechselnden Hochs und Tiefs bestimmt wird. Während Giuliano Gemma jederzeit souverän agiert, übertreibt Stefania Sandrelli bewusst ihre schwer vorhersehbaren emotionalen Reaktionen, als Zeichen für den Druck, unter dem sie steht.

In ihrer Figur kulminieren sämtliche Konflikte - der Gegensatz zwischen den Traditionen ihrer Heimat und den liberalen Moralvorstellungen im Norden, ihr Außenseiterrolle in der Fremde, der wirtschaftliche Zwang bei schlechten Bedingungen arbeiten zu müssen, bis zu ihrem katholischen Glauben, der ihr eine kirchliche Trauung vorschreibt, während ihr Geliebter atheistisch erzogen wurde. Die Konsequenzen daraus lassen sich nicht verhindern, bis es zu der Situation kommt, die der Film in seiner ersten Szene zeigt. Nullo Branzi durchquert eine aufgebrachte Menschenmenge und zieht eine Waffe, bevor der Film beginnt die Entwicklung bis zu diesem Moment zu beschreiben.

Diese dramatisierende Konzeption drängt die vielen realistischen Details des Alltags in den Hintergrund und versucht nicht, mögliche politische Lösungen heraus zu arbeiten, sondern geht gemeinsam mit Nullo Branzi dessen Weg einer persönlichen Abrechnung, nicht ohne Grund die Folgen daraus weglassend. Denn "Delitto d'amore" ist ein emotionaler Film, der durch die Identifikation mit den Liebenden erfahrbar werden lässt, wozu Intoleranz, Armut, Ausbeutung und rücksichtslose Umweltverschmutzung führen können. Anders als in den Polit-Thrillern eines Damiano Damiani oder den um Objektivität bemühten Analysen eines Francesco Rosi, spielen nicht die Missstände die Hauptrolle, sondern die Liebe zwischen Carmela und Nullo - die Realität bildet nur den Rahmen für ihre Begegnung, aber das macht sie nicht weniger bedrückend.

"Delitto d'amore" Italien 1974, Regie: Luigi Comencini, Drehbuch: Luigi Comencini, Ugo Pirro, Darsteller : Stefania Sandrelli, Giuliano Gemma, Brizio Montinaro, Cesira Abbiati, Pippo Starnazza, Laufzeit : 97 Minuten

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