Inhalt: Tom
Cooper (Jack Betts) leitet ein Institut, in der er den Damen der Gesellschaft
das Schießen beibringt. Als charmanter Gastgeber sorgt er nicht nur für den
richtigen Umgang mit der Waffe, auch sonst pflegt er Konversation auf hohem
Niveau. Entsprechend wenig begeistert reagiert er auf den Besuch seines alten
Bekannten, dem Detektiv Pinkerton, der ihn an seine Vergangenheit als
Revolverheld Sugar Colt erinnert, um ihn zu bitten, das Verschwinden eines
Soldaten-Bataillons zu untersuchen.
Auch als er
erfährt, dass der Vater eines der Soldaten an Pinkerton herangetreten war, weil
er nicht in der Lage ist, das geforderte Lösegeld von 50.000 Dollar für seinen
Sohn zu bezahlen, lehnt er den Job ab. Aber dann wird er Zeuge, wie ein Mann
Pinkerton und seinen Klienten kaltblütig auf der Straße erschießt. Verkleidet
als Arzt macht er sich auf den Weg nach "Snake Valley", den Ort, den
Pinkerton ihm noch kurz vor seinem Tod verriet, ohne zu ahnen, in welche Gefahr
er sich begibt...
Der Weg von
Regisseur Franco Giraldi zum Italo-Western war von Beginn an geebnet, denn
begonnen hatte er als Regie-Assistent von Sergio Corbucci bei "Massacro al
Grande Canyon" (Keinen Cent für Ringo, 1964) und Sergio Leones "Per un pugno di dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964), bevor er mit "Sette pistole per i MacGregor"
(Sieben Pistolen für McGregor) noch unter dem Pseudonym Frank Garfield seinen
ersten Film als Regisseur verantwortete, zusammen mit den Darstellern Robert
Woods und Fernando Sancho, sowie den Drehbuchautoren Fernando Di Leo, Ducio
Tessari und Enzo Dell'Aquila - eine illustre Versammlung.
Dagegen
wirkt die Besetzung seines ersten eigenständigen Films "Sugar Colt"
(Rocco - der Mann mit den zwei Gesichtern), zu dem er auch das Drehbuch
schrieb, vordergründig wenig spektakulär. Der Amerikaner Jack Betts wurde
erstmals als Hauptdarsteller für einen europäischen Western besetzt, Soledad
Miranda und Gina Rovere ("Adua e le compagne" (Adua und ihre
Gefährtinnen, 1960)) waren zwar sehr attraktiv, gehörten aber nicht zur ersten
Garde der Darstellerinnen. Nur Fernando Di Leo war als Drehbuchautor mit an
Bord geblieben, dafür beteiligte sich diesmal mit Sandro Continenza ein im
Genre schon erfahrener Autor ("Los pistoleros de Arizona" (Die
Gejagten der Sierra Madre, 1965). Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb
gelang mit "Sugar Colt" ein bis heute origineller, stilbildender
Film, dessen Story deutlich aus dem Genre-Einerlei herausragt.
Allein
schon der Titel "Sugar colt“ vermittelt die Zweideutigkeit eines Films,
der die komischen und ernsten Elemente nicht verzahnt oder abwechselnd bedient,
sondern sie zu einer Einheit werden lässt. Dem hat auch der deutsche Titel
Rechnung getragen, aber „Rocco“, der im Original Tom Cooper, genannt „Sugar
Colt“, heißt, hat keine zwei Gesichter, sondern vielfältige Eigenschaften. Zu
Beginn ist er der charmante Gastgeber eines Etablissements, in dem er den Damen
der Gesellschaft das Schießen beibringt, dann, nachdem er Zeuge des Mordes an
seinem alten Freund, dem Detektiv Pinkerton, wurde, übernimmt er doch den Auftrag,
den er zuvor abgelehnt hatte. Er begibt sich in der Verkleidung des Arztes
Dr.Cooper nach „Snake City“, wo er die entführten Soldaten einer Einheit für
„Scharfschützen“ vermutet. Als bebrillter Intellektueller wird er von den
Cowboys schikaniert und zusammengeschlagen, aber als er, nur mit einer langen
Unterhose bekleidet, wieder in den Saloon zurückkehrt, um im fairen Boxkampf seine
Gegner zu besiegen, lacht am Ende Keiner mehr. Selbst als er sich letztlich als
Revolverheld „Sugar Colt“ outet, bleibt er noch der geistreiche, charmante Tom
Cooper – eine Paraderolle für Jeck Betts.
Auch die
Handlung bleibt im Ungewissen, sich immer auf dem schmalen Grat zwischen bester
Unterhaltung und tragischen Momenten befindend, begleitet von der großartigen
Musik Bacalovs, die zwischen einem fulminantem, emotionalen Thema und amüsantem
Flötenspiel wechselt. Zu Beginn wird eine Einheit der Nordstaaten, die sich
nach dem Ende des Bürgerkriegs auf dem Heimweg befindet, von ihrem Captain
verraten, der seine Geldgier aber mit dem Tod bezahlt. Die dem Anschlag
entkommenen jungen Männer werden Gefangen genommen und nur gegen ein Lösegeld
von 50.000 Dollar frei gelassen. Wer den Plan verrät, wie der Vater eines der
Soldaten, der den Detektiv Pinkerton beauftragen wollte, wird genauso mit dem
Tod bestraft, wie Soldaten, deren Väter nicht zahlen können. Das Cooper sich
als scheinbar harmloser Trottel in die Höhle des Löwen wagt, erinnert an das
Motiv in „Il ritorno di Ringo“ (Ringo kommt zurück, 1965), als sich Giuliano
Gemma als mexikanischer Landarbeiter verkleidet, um die Lage auszuspionieren,
aber Betts Rolle ist abwechslungsreicher und aktiver, immer im charmanten
Clinch mit der hübschen Josefa (Soledad Miranda) und der Saloon-Chefin Beth (Gina
Rovere), sowie ständig seine Umgebung provozierend, die ihm an den Kragen will.
Die Figur
des „Sugar colt“ ist in ihrer mehrdeutigen, sprachlich intensiven Anlage ein
Gegenentwurf zum im selben Jahr erschienenen Pistolero „Django“, obwohl seine
Fähigkeiten mit dem Schießeisen gleichwertig sind und die Banditen keinen Deut
gnädiger oder harmloser daher kommen. Doch stilbildend für viele spätere
Western wurde der schwarz gekleidete, desillusionierte Einzelgänger, während
sich „Sugar colt“ mehr auf der Linie eines Giuliano Gemma in „Una pistola per Ringo“ (Eine Pistole für Ringo, 1965) befindet, allerdings erwachsener und
charakterlich komplexer. Das unterscheidet ihn auch deutlich von den später von
Terence Hill verkörperten Typen, denn „Sugar Colt“ ist noch ein ernsthafter
Italo-Western und trotzdem gegen die Erwartungshaltung entworfen – eine sehr empfehlenswerte
Wiederentdeckung.
"Sugar Colt" Italien, Spanien 1966, Regie: Franco Giraldi, Drehbuch: Franco Giraldi, Sandro Continenza, Fernando Di Leo, Darsteller : Jack Betts, Soledad Miranda, Gina Rovere, Giuliano Raffaelli, Erno Crisa, Laufzeit : 95 Minuten