Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Donnerstag, 30. April 2015

Totò a colori (Totò in Farbe) 1952 Steno

Inhalt: Ein scheinbar friedlicher Morgen wird durch die atonalen Töne eines Streichinstruments gestört und reißt den Schwager (Rocco D’Assunta) des engagierten Musikers aus den Federn. Wütend läuft dieser in das Zimmer des mittellosen Bruders seiner Frau, um ihn zur Rede zu stellen, aber Antonio Scannagatti (Totò) nutzt jeden seiner Ausbrüche nur dazu, neue Klanggebilde daraus zu entwerfen – ganz von seiner eigenen musikalischen Genialität überzeugt. Dass er damit allein steht, lässt er nicht gelten, fordert selbstverständlich, „Maestro“ genannt zu werden, und hinterlässt jedes Mal fassungslose Zeitgenossen.

Besonders Tiburzi (Virgilio Riento), der Dirigent des örtlichen Orchesters, steht ihm feindlich gegenüber, muss aber nach einem Schlaganfall hilflos mit ansehen, wie die Honoratioren der Stadt Scannagatti darum bitten, dass Orchester zu dirigieren. Anlass ist eine Parade zum Besuch eines in die USA ausgewanderten Sohns der Stadt, Joe Pellecchia (Idolo Tancredi), der es dort zum einflussreichen Mafiosi brachte. Doch Scannagatti zeigt sich keineswegs bereit, diese Aufgabe zu übernehmen, sondern kann nur mit dem Versprechen der US-Amerikanerin Poppy (Fulvia Franco) überredet werden, ihre Beziehungen zum Mailänder Musikverlag Tiscordi spielen zu lassen, auf dem die Hoffnungen Scannagattis ruhen…


Der "Maestro" (Totò) legt sich mit Jedem an...
"Totò a colori" (Totò in Farbe) steht in mehrfacher Hinsicht am Beginn einer Entwicklung, auch wenn es sich nicht um den ersten italienischen Farbfilm handelt, wie häufig geschrieben steht. "Mater Dei" (1950) entstand schon zwei Jahre zuvor auf Ansco Color, bei "Totò a colori" kam aber erstmals Ferraniacolor zur Anwendung, eine italienische Entwicklung auf Basis des Agfacolor-Verfahrens, die in den 50er Jahren einige der schönsten italienischen Farbfilme ermöglichte ("La spiaggia" (Der Skandal, 1954)). Für Regisseur und Drehbuchautor Steno bedeutete "Totò a colori" nicht nur in dieser Hinsicht eine Premiere, sondern er führte erstmals Regie ohne seinen langjährigen Compagnon Mario Monicelli, mit dem er sich bei seinen ersten sechs Filmen seit "Vita da cani" (Hundeleben, 1949) die Dreharbeiten gleichwertig geteilt hatte – als Co-Autor blieb Monicelli ihm aber erhalten. Für die Regie-Assistenz holte er sich stattdessen einen Neuling ins Team, der in den folgenden Jahren bei zwölf weiteren Filmen, teilweise nur als Autor, an seiner Seite stehen sollte, bevor er 1959 ("I ladri" (Jeder Dieb braucht ein Alibi)) begann, eigenständig Regie zu führen - Lucio Fulci.

...dem Dorfdirigenten (Virgilio Rienti)...
In einer entscheidenden Hinsicht setzte Steno aber auf einen langjährigen Vertrauten - den seit den 40er Jahren auch international bekannten Komiker Totò, der nicht nur in drei seiner bisherigen Filme die Hauptrolle übernommen hatte, sondern den er seit 1943  ("Due cuori fra le belve") als Drehbuchautor am Film-Set kennengelernt hatte. Für den damals 54jährigen Neapolitaner Totò war "Totò a colori" zwar sein insgesamt schon 26.Film, wurde aber nicht nur wegen der Farbgebung auch für ihn zu etwas Neuem in seiner Rückbesinnung auf die „Commedia dell'Arte“, nach deren Traditionen Totò noch ausgebildet worden war. Erstmals beteiligte er sich direkt an einem Drehbuch gemeinsam mit Steno und Monicelli, sowie den ebenfalls fest zum Autoren-Team gehörenden Age (Agenor Incrocci) und Furio Scarpelli – eine Gemeinschaft, die in unterschiedlicher Zusammensetzung und Funktion die „Commedia all’italiana“ entscheidend prägen sollte. Hinzugezogen wurde für „Totò a colori“ noch Totòs neapolitanischer „Landsmann“ Michele Galdieri, ein bekannter Texter komödiantischer Akte. Eine logische Zusammenarbeit, denn anders als in ihren bisherigen Filmen, entwickelten sie für „Totò a colori“ keine klassisch dramaturgisch aufgebaute Story, sondern reihten unabhängige Szenen aneinander, eher lose thematisch verknüpft.

...den Honoratioren und ihrem hohen Besuch (Idolo Tancredi)...
Der mittellose Musiker Antonio Scannagatti (Totò) lebt bei seiner Schwester (Rosita Pisano) in einem kleinen Ort in Campania, einem Landstrich in der Umgebung Neapels, und quält schon ab den frühen Morgenstunden seinen Schwager (Rocco D’Assunta) mit seinen atonalen Klangexperimenten, so dass diesen Mordgedanken aus dem Bett treiben - quasi die erzählerische Klammer, denn ihr erneutes von Aggressionen begleitetes Aufeinandertreffen in Mailand beschließt den Film. Über mehrere Stationen war Scannagatti nach Mailand gelangt, dem Hort seiner Hoffnungen, denn dort sind die Musikverlage Tiscordi und Zozzogno ansässig - eine Anspielung auf die weltbekannten Verlage Ricordi und Sonzogno. Im Glauben, Tiscordi (Luigi Pavese) persönlich würde ihn empfangen, um seine Musik zu verlegen und seine Oper an der Scala herausbringen, war er in dessen Büro gekommen. Ein Irrtum, der nicht allein auf falschen Versprechungen beruhte, sondern von Scannagattis unerschütterlicher Überzeugung seiner eigenen Genialität genährt wurde.

...dem Abgeordneten (Mario Castellani)...
Denn der verkannte Künstler, der nur das schlichte „Maestro“ als Anrede gelten lässt und jeden verbessert, der ihn nicht so anspricht, begibt sich nicht einfach in die Niederungen des Musikschaffens. Selbst nachdem der Ortsdirigent Tiburzi (Virgilio Riento), mit dem sich Scannagatti eine Dauer-Fehde über musikalische Qualität liefert, einen Schlaganfall erlitten hatte, zeigt er sich nicht sofort bereit, für diesen einzuspringen, obwohl ihn der Bürgermeister (Armando Migliari) notgedrungen darum gebeten hatte. Anlass ist die Parade zu Ehren des Besuchs von Joe Pellecchia (Idolo Tancredi), einem Sohn der Stadt, der es in den USA zum erfolgreichen Mafiosi gebracht hatte. Nur das vorgetäuschte Versprechen der US-Amerikanerin Poppy (Fulvia Franco), ihre Beziehungen zum Tiscordi-Verlag spielen zu lassen, kann ihn umstimmen. Doch Scannagatti, ganz in seinem Element, lässt jedes Mal das Orchester aufspielen, sobald der US-Mafiosi zu seiner Rede ansetzt – bis dieser erbost und ohne die erhofften Zuwendungen fluchtartig den Ort verlässt. Ein Ergebnis, dass den „Maestro“ aber nicht davon abhält, die Gegenleistung von Poppy einzufordern. Als er erfährt, dass sie inzwischen nach Capri abgereist ist, macht er sich sofort auf den Weg dahin.

...und Verleger Tiscordi (Luigi Pavese).
Es wäre naheliegend, diesen sich selbstüberschätzenden, eitlen und ignoranten Zeitgenossen von Herzen abzulehnen, aber weit gefehlt – Totò verlieh seiner Figur eine entwaffnende Ehrlichkeit und authentische Begeisterung, die in starkem Kontrast zu seiner berechnenden und egoistischen Umgebung steht. Scannagatis unangepasste, bürgerliche Verhaltensweisen aushebelnde Art hält seinem Gegenüber den Spiegel vor und reizt ihn damit zur Weißglut. Besonders die ständigen Sprachverwirrungen sind urkomisch, denn Scannagatti weigert sich, kleinste Abweichungen im Dialekt zu verstehen. Nach Missverständnissen und aufbrausenden Streitgesprächen, stellen die Gesprächspartner oft fest, sich von Beginn an einig gewesen zu sein – ein unmöglich zu synchronisierender Sprachwitz. Einzig die reiche und exzentrische Gesellschaft, die Scannagatti auf seiner Suche nach Poppy auf Capri antrifft, ist durch nichts zu erschüttern. Zum Vergnügen der gelangweilten Gäste in dem mondänen, hypermodern eingerichteten Haus von Giulia Sofia (Franca Valeri) wird er dazu überredet, als "Pupetto Montmartre von der Champs-Élysées" aufzutreten, eine Art überkandidelter, homosexueller Mode-Designer – eine Umkehrung der sonst im Film gezeigten bürgerlich konservativen Verhältnisse ins andere Extrem.

Doch so gut seine Verkleidung als Pinocchio gelingt...
Als Beginn der „Commedia all’italiana“, die ihre Gesellschaftskritik hinter einem oft beißenden Humor verbarg, gilt heute „I soliti ignoti“ (Diebe haben‘ schwer), der 1958 von Mario Monicelli inszeniert wurde, unter Mitwirkung von Age und Scarpelli. Dagegen scheint „Totò a colori“ noch dem klassischen Sketch verpflichtet, doch das ließe dessen subversiven Witz übersehen. Sowohl in der Szene mit dem Mafiosi, als auch mit dem Musikverleger Tiscordi, der glaubt in Scannagatti einen sensiblen Krankenpfleger vor sich zu haben, der ihm eine Spritze in den Hintern geben soll, untergräbt der Film anerkannte Autoritäten. Besonders die längste Sequenz im Schlafwagenabteil mit dem Abgeordneten Cosimo Trombetta (Mario Castellani) – Trombetta bedeutet „kleine Trompete“, was von Scannagatti ausführlich thematisiert wird – ist ein unglaublicher Parforceritt auf den Nerven des Politikers, für den nach einer späteren Aussage Totòs der Christdemokrat Giulio Andreotti Pate gestanden haben soll. Schließlich gipfelt der Film in der grandiosen Szene, in der sich Scannagatti auf der Flucht vor seinem Schwager zwischen Marionetten versteckt. Als die Puppenspieler mit der Vorstellung beginnen, mimt Totò einen hölzernen, an Fäden hängenden Pinocchio – großartige Schauspielkunst in der Tradition der „Commedia dell’arte“.

...sein Schwager (Rocco D'Assunta) findet ihn.
Helfen kann Scannagatti diese Aktion nicht mehr, denn sein Schwager erkennt ihn und geht mit gezücktem Messer auf ihn zu. Steno schob zwar noch ein übertriebenes, unrealistisch wirkendes Happy-End hinterher, aber selbst das mündet wieder in einem wütenden Angriff auf Scannagatti. Kein Zweifel – ein Mann mit seinen Qualitäten hat in einer Welt voll Anpassung und verlogenen Verhaltensmustern nur geringe Überlebenschancen.



"Totò a colori" Italien 1952, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Mario Monicelli, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Totò, Michele Galdieri, Darsteller : Totò, Mario Castellani, Virgilio Riento, Luigi Pavese, Rocco D'Assunta, Fulvia Franco, Galeazzo Benti, Lucio Fulci, Laufzeit : 103 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Steno:

Dienstag, 21. April 2015

Killer Kid (Chamaco) 1967 Leopoldo Savona

Inhalt: Dem berüchtigten Revolverheld „Killer Kid“ (Anthony Steffen) gelingt der Ausbruch aus dem Militärgefängnis, kurz bevor er gehängt werden sollte. Auf seiner Flucht wird er scheinbar zufällig Zeuge, wie es zwischen Waffenschmugglern und mexikanischen Rebellen unter der Führung von Vilar (Fernando Sancho) zu einem tödlichen Schusswechsel kommt. Vilar will seine Rechnung mit Blei statt mit Gold bezahlen, wird aber von einer Verstärkung der Schmuggler gestört und überwältigt. Sie lassen ihn nur frei, um den nächsten Deal einfädeln zu können. Nach ihrem Verschwinden kommt Killer Kid dem einzigen Überlebenden, einem schwer verletzten jungen Mann, zu Hilfe, wird aber von einer Einheit der regulären mexikanischen Armee unter dem Kommando von Ramirez (Giovanni Cianfriglia) verhaftet, der brutal Jagd auf die Revolutionäre macht.

Trotzdem kann Killer Kid den jungen Mann retten und bringt ihn zu seinen mexikanischen Landsleuten, wodurch er an El Santo (Howard Nelson Rubien) gelangt, dem weisen Anführer der Revolutionäre. Vilar hatte sich zuvor schon zu dem geheimen Stützpunkt in einem kleinen Dorf zurückgezogen und seine eigene Version der Ereignisse verbreitet, der Kid widerspricht. El Santo, der auf seinen Truppenführer angewiesen ist, versucht die Gemüter zu beruhigen, aber die Ereignisse überschlagen sich, als Ramirez mit seinen Soldaten auftaucht und beginnt, systematisch die Bevölkerung hinzurichten, um an Informationen über die Rebellen heranzukommen… 


Mitte der 60er Jahre, spätestens nach dem Erfolg von "Django" (Kinopremiere 06.04.1966) war die Nachfrage nach Western so stark gestiegen, dass die Produktionsgesellschaften kaum noch hinterher kamen. In der Hochphase des Genres 1967 und 1968 liefen mehr als 120 Western in den italienischen Kinos an, was sowohl eine effektive Herstellung, als auch eine große Anzahl an Filmschaffenden erforderte. Viele Schauspieler tauchten quasi über Nacht auf der großen Leinwand auf - für Wenige der Beginn eines langen Erfolgswegs, während der größte Teil nach dem Abflauen des Western-Hype wieder aus den Kinosälen verschwand. Doch nicht nur neue Stars wurden geboren, auch altgediente Regisseure und Drehbuchautoren, deren Karrieren in den Jahren zuvor ins Stocken gerieten, erhielten eine neue Chance. Eine Konsequenz, die sich an der Entstehung von "Killer Kid" (Chamaco) beispielhaft ablesen lässt.

Regisseur Leopoldo Savona, Jahrgang 1922, hatte Mitte der 50er Jahre an der Seite Giuseppe de Santis' als Assistent und Autor begonnen ("Giorni d'Amore" (Tage der Liebe, 1954)), bevor er bei "Il principe dalla maschera rossa" (Robin Hood, der schwarze Kavalier, 1955) erstmals alleine die Regie übernahm. Neben einem zeitgenössischen Beitrag zur damals populären Diskussion über die angeblich verrohende Jugend ("Le notti dei Teddy Boys" (Die Nächte sind voller Gefahren, 1959)), blieb er besonders dem "Mantel- und Degen"-Film gewogen, hatte aber zuletzt 1963 mit "I diavoli di Spartivento" (Die Teufelskerle von Dorano) einen Erfolg vorzuweisen. Sein Anfang 1964 herausgekommener, der heute nahezu unbekannte "L'ultima carica“, blieb für zwei Jahre sein letzter Film. Erst mit dem Italo-Western "El rojo" (El Rocho - Der Töter) nahm seine Karriere 1966 wieder Fahrt auf.

Sergio Garrones Anfänge lassen sich zwar noch früher finden, aber nach einer kurzen Phase als Produktions- und Regie-Assistent Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre war er mehr als ein Jahrzehnt dem Filmgeschäft fern geblieben - auch aus finanziellen Gründen. Eine Situation, die sich offensichtlich dank des Erfolgs des Italo-Western geändert hatte, denn Garrone stieg Mitte der 60er Jahre nicht nur als Drehbuchautor, sondern auch als Produzent ein. Nach "Degueyo" (Für Dollars ins Jenseits, 1966) und "L'ultimo killer" (Rocco - Ich leg' dich um, 1967) – beide Filme verhalfen Regisseur Giuseppe Vari zu insgesamt neun Western  - kam es bei "Killer Kid" (Chamaco) zum Zusammentreffen von Sergio Garrone und Leopoldo Savona. Für Garrone das Ende seiner Produzententätigkeit - nur 1972 beteiligte er sich noch einmal an der deutsch-italienischen Produktion "Io monaca... per tre carogne e sette peccatrici" (Die Rache der geschändeten Frauen) - und der letzte Schritt auf seinem Weg zur eigenen Regie. Beginnend mit "Se vuoi vivere... spara!" (Andere beten - Django schießt, 1968) sollte er in den kommenden drei Jahren noch sechs Italo-Western drehen.

Die wesentlichen Insignien des Genres waren zu diesem Zeitpunkt schon gesetzt, weshalb Garrone und Savona eine eigenständige Interpretation versuchten und das klassische Pistolero-Thema mit der mexikanischen Revolution kombinierten. Obwohl kurz nach Damiano Damianis „Quien sabe?“ (Töte, Amigo, 1966) und vor Sergio Corbuccis „Il mercenario“ (Mercenario – der Gefürchtete, 1968) entstanden, blieb „Killer Kid“ die Anerkennung hinsichtlich seiner gesellschaftskritischen Relevanz verwehrt. Tatsächlich fokussierte sich die historisch im Ungefähren bleibende Handlung nur auf die Belange einer kleinen mexikanischen Gemeinschaft unter der Leitung des weisen El Santo (Howard Nelson Rubien), der mit Hilfe seines Truppenführers Vilar (Fernando Sancho) an Waffen aus US-Armeebeständen herankommen will, um gegen die mexikanische Armee anzukämpfen. Stellvertretend für deren brutales Durchgreifen steht der sadistische Offizier Ramirez (Giovanni Cianfriglia), der keine Hemmungen hat, auch Frauen und Kinder standrechtlich erschießen zu lassen, um an Informationen über die Rebellen heranzukommen.

Mit einer Hinrichtung hatte auch „Quien sabe?“ begonnen, aber „Killer Kid“ fehlte die generelle Kritik an der Vorgehensweise der USA im damaligen Vietnamkrieg, auf die in Damianis Film nur wenig verklausuliert angespielt wurde. Außer als kleine Gruppe von Waffenschmugglern, die sich am Konflikt in Mexiko persönlich bereichern wollen, spielen die USA politisch hier nur eine untergeordnete Rolle. Das galt in dieser Hinsicht auch für „Killer Kid“, der seinen deutschen Verleih-Namen „Chamaco“ wahrscheinlich der klanglichen Nähe zu „Cjamango"(1967) verdankte. Dieser kam zwar als „Django – Kreuze im blutigen Sand“ in die deutschen Kinos, kann aber als Vorbild für „Shamango“ gelten, zu dem wiederum "Gentleman Jo...uccidi" (1967) umbenannt wurde. Darin hatte Anthony Steffen ebenfalls den Helden verkörpert, weshalb die Nähe zum eingeführten Namen schlüssig scheint.

Doch anders als dem von Lou Castel gespielten US-Revolverheld in „Quien sabe?“ fehlt der Figur des „Killer Kid“ die eigennützig-rücksichtslose Charaktereigenschaft, wie sie auch Franco Nero in „Il mercenario“ trefflich verkörperte. Obwohl „Killer Kid“ als berüchtigter Mörder gilt, der kurz vor der Vollstreckung seines Todesurteils aus dem Militärgefängnis geflohen ist und auf den ein hohes Lösegeld ausgesetzt wurde, blieb Steffen in seiner Rolle von fast bescheidener Präsenz, ganz im Gegensatz zum gewohnt vehement auftretenden Fernando Sancho, der neben der Revolution noch eigene Interessen verfolgt. Killer Kid hatte ihn dabei beobachtet, wie er an seinen mexikanischen Kameraden vorbei eigene Geschäfte mit den Waffenschmugglern machen wollte, weshalb ihm der „Gringo“ ein Dorn im Auge ist und er alles dafür tut, ihn bei El Santo und dessen Nichte Mercedes (Luisa Baratto) zu diskreditieren. Dass er damit nicht falsch liegt, ahnt der Betrachter schon – auch El Santo äußert einmal Erstaunen über Kids selbstlosen Einsatz für seine Leute – aber seine Beweggründe sind nicht persönlicher Natur. Als verdeckt arbeitender Offizier der US-Armee versucht er den Waffenschmuggel zu unterbinden, kommt damit aber den mexikanischen Revolutionären in die Quere.

Gemessen an der charismatischen Figuren eines „Django“ und dessen zahlreichen Epigonen wirkt „Killer Kid“ trotz seiner Schießkünste weich, fehlt ihm die stilisierte Zuspitzung des einsamen Helden. Selbst Fernando Sancho wird als Vilar regelmäßig von Selbstzweifeln gepackt, lässt in einem Moment seine Leute mit Satteltaschen voll Gold im Stich, um kurz darauf an deren Seite gegen die mexikanische Armee anzutreten. Einzig Giovanni Cianfriglia bleibt einseitig bösartig in seiner Rolle als mexikanischer Offizier. Diese Ambivalenz wurde häufig als inkonsequent und wenig schlüssig kritisiert, obwohl sich darin die Einzigartigkeit des Films manifestiert. Savona und Garrone nahmen sich zwischen den Action-Szenen ausreichend Zeit, die gewohnten Charakter-Klischees zu durchbrechen, wodurch „Killer Kid“ einen unvorhersehbaren, hochspannenden Verlauf nimmt.

In der zentralen Szene des Films wird ihre inszenatorische Absicht deutlich. In einer nächtlichen Liebesszene mit Mercedes bittet Kid die junge Frau, ihren Onkel zu überreden, ihn nicht wegzuschicken. Dieser war Vilars Vorwürfen, dass es sich bei Kid um einen Spion handeln soll, zwar nicht gefolgt, wollte aber kein Risiko eingehen, nachdem aus für ihn noch ungeklärten Gründen der Munitions-Wagon abgestürzt und explodiert war. Die verliebte Mercedes setzt sich selbstverständlich für Kid ein, ohne zu ahnen, damit dessen heimliche Pläne zu unterstützen. In einer kurzen Szene hatte der Film zuvor Kids wahre Absichten offenbart, weshalb der Dialog zwischen Mercedes und Kid gleichzeitig Vertrauen und Verrat, Liebe und Egoismus widerspiegelt – ohne sich in eine Richtung festzulegen. Gleiches gilt für die Rolle des Vilar, dessen wechselnden Reaktionen jederzeit nachvollziehbar bleiben. Sancho gab hier nicht den brachialen mexikanischen Gangsterboss, der sich einfach nimmt, was er will, sondern verlieh dieser häufig von ihm verkörperten Figur eine tragische Komponente. Zwar zeigt er wenig Einfühlungsvermögen beim Versuch, Dolores (Virginia Darval) als Frau zu gewinnen, aber als diese ihn abweist, nimmt er sie sich nicht mit Gewalt, sondern legt sich allein ins Bett. Vilar will Anerkennung und spürt seine Einsamkeit, auch nachdem er allein mit dem Gold in die Berge geflüchtet war.

Selbst der Vorwurf, „Killer Kid“ hätte die Revolutions-Thematik nur als spannungsfördernden Hintergrund genutzt, lässt sich nicht aufrecht halten. Zwar verzichteten die Macher auf konkrete politische Aussagen, folgte ihre Sympathie für die Revolutionäre den Regeln des Gut-/Böse-Schemas, aber sie ließen keinen Zweifel an der perversen inneren Logik einer sich stetig steigernden Gewaltspirale. In Form einer bitteren Parabel, begleitet von Berto Pisanos melancholischer Musik, endet „Killer Kid“ wie er begonnen hatte und bestätigte damit den Eindruck eines großartigen Films, der sich nicht der üblichen Eindeutigkeit des Italo-Western hingab.

"Killer Kid" Italien 1967, Regie: Leopoldo Savona, Drehbuch: Leopoldo Savona, Sergio Garrone, Darsteller : Anthony Steffen, Fernando Sancho, Luisa Baratto, Giovanni CianfrigliaHoward Nelson Rubien, Laufzeit : 98 Minuten

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.