Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Sonntag, 31. Januar 2010

La orca (La Orca - Gefangen, geschändet, erniedrigt) 1976 Eriprando Visconti


Inhalt : Drei Männer kommen aus unterschiedlichen Richtungen zusammen, setzen sich in ein Auto und entführen ein Mädchen unmittelbar vor ihrer Schule. Zwei von ihnen bringen Alice (Rena Niehaus), nachdem sie den Wagen gewechselt haben, zu einem einsam gelegenen Bauernhof, wo Michele (Michele Placido) auf sie aufpassen soll. Weder er noch die zwei anderen Männer haben Kontakt zu den Eltern Alices. Sie erhalten ihre Befehle und Informationen von einem blinden Pianisten, der als Kontaktmann dient.

Als sich die Entführung mehr als zwei Wochen statt der angeblichen drei Tage hinzieht, werden die Männer nervös. Vor allem Michele, der die meiste Zeit allein mit Alice an dem abgelegenen Ort verbringt, beginnt, sich nicht mehr an die Regeln zu halten...


Es sind vier Handlungsfäden, die sich zu einem kurzen explosiven Moment zusammen finden. Ein Mann mit einer Aktentasche steigt aus einem Zug, tritt aus dem Bahnhof und fährt mit dem davor geparkten Auto davon. Ein anderer Mann verlässt mit seinem Firmenwagen das Industriegelände, während ein Dritter in einer Bar einen Flipperautomaten repariert. Als er dort von dem Auto des ersten Fahrers abgeholt wird, befindet sich der zweite Mann ebenfalls schon in diesem Fahrzeug. Eine junge Frau begibt sich auf den Weg zur Schule und trifft kurz vor dem Erreichen des Schulgebäudes eine Klassenkameradin, doch bevor sie dort ankommt, wird sie vor den Augen vieler Zeugen von den drei Männern in deren Fahrzeug gezogen. Auf schnellstem Weg begeben sie sich zu dem Firmenwagen, der mit zwei Männern und der jungen Frau weiter zu dem vorbereiteten Versteck fährt.

So lakonisch die Beschreibung klingt, so kühl und professionell wird der Ablauf der Entführung im Film geschildert. Keine Emotionen oder Gespräche begleiten diese Vorgänge, die erst bei der Fahrt zum Versteck einen Moment des Scheiterns hervorrufen. Weil Gino, der Fahrer des Firmenwagens, auf einer Brücke aus Ungeduld ein langsames Fahrzeug überholte, wird er von einem Polizisten angehalten, kommt aber mit einem geringen Bussgeld davon. Trotz des glimpflichen Ablaufs dieser Situation, zeigen sich hier schon erste Risse in der Professionalität, denn mit einer solchen Ladung an Bord, hätte er kein Risiko eingehen dürfen. Bei dem Versteck handelt es sich um einen alten, einsam gelegenen Bauernhof, in dem schon Michele (Michele Placido) auf die Entführer wartet. Sein Job ist es, auf Alice (Rena Niehaus) aufzupassen.

Die ungewöhnliche Idee, die Geschehnisse nur aus der Sicht der unmittelbaren Entführer und ihres Opfers zu erzählen, wird aus dem Entstehungszeitraum des Films verständlich. Mitte der 70er Jahre waren Entführungen in Italien eine gern gewählte Methode, schnell zu Geld zu kommen. Anders als in den üblichen Fällen, in denen die Entführer sämtliche Schritte bis zur Geldübergabe unter eigener Kontrolle behalten, nutzte man kleine Gauner für die Drecksarbeit, die nach Erfolg bezahlt wurden. Weder Gino, der über einen blinden Kontaktmann seine Befehle erhält, noch Paolo (Flavio Bucci), der zusammen mit Michele auf Alice aufpassen soll, wissen irgendetwas über die Hintergründe. Selbst untereinander gibt es keinen Informationsaustausch, weshalb Gino den Vorschuss, den er erhält, beim Billard verzockt und Paolo seine Freundin besucht, anstatt im Versteck zu bleiben.

Als sich die Entführung mehr als zwei Wochen hinzieht, obwohl vorher von drei Tagen gesprochen wurde, verstärkt sich die Unsicherheit der Entführer. Paolo, der dringend Geld für die kranke Tochter seiner Freundin braucht, kann dieser kaum noch erklären, warum er so selten da ist, Gino bekommt Schwierigkeiten mit der Polizei wegen seines Glücksspiels und Michele, der nicht aus dem Bauernhof herauskommt, wird mit dem Opfer allein gelassen. In einem Gespräch mit Alice, begründet er den langen Entführungszeitraum damit, dass ihr Vater nicht zahlen würde, aber das ist rein spekulativ. Diese Aussage, aber auch Informationen aus dem Nachfolgefilm "Oedipus Orca", hatten zur Folge, dass es eine Vielzahl von Interpretationen dieser Situation gibt, obwohl die eigentliche Qualität des Films darin liegt, sich jeder Information zu verweigern. Theoretisch wäre es genauso möglich, dass der Vater längst bezahlt hat, die unbekannten Drahtzieher das Geld für sich behielten und ihre Mitarbeiter einfach mit dem Entführungsopfer zurückließen.

Entscheidend für den Film ist das Vakuum, dass er hier entfaltet und in dem die vier Protagonisten wie weiße Mäuse in einem Versuchslabor agieren, die nicht mehr in der Lage sind, sich ihrem Naturell zu entziehen. Während das Verhalten von Gino und Paolo noch dadurch bestimmt wird, dass sie sich im Außenraum aufhalten, werden Alice und Michele allein auf sich zurückgeworfen. Diese Konstellation ist der eigentliche kontroverse Mittelpunkt des Geschehens, der auch zum deutschen Verleihtitel "Gefangen, geschändet, erniedrigt" führte, der dem, in seiner Einfachheit genialen Titel "Orca", zugefügt wurde.

Dieser benennt die Marke der Designerklamotte, die die blonde Schönheit aus wohlhabendem Haus trägt, was sich vordergründig wie ein unwichtiges Details anhört. Der Name bezieht sich, wie Alice erklärt, auf den Killer - Wal aus "Moby Dick" und ist weniger in seiner direkten Bedeutung, sondern in seiner unwirklichen Bedrohlichkeit signifikant für den Film. Es ist die gesellschaftliche Diskrepanz zwischen dem einfachen, aus Süditalien stammenden Fischer Michele und der norditalienischen Blondine, die in dieser Bezeichnung kulminiert. In einer Phase, Mitte der 70er Jahre, die immer mehr Nacktheit und Frivolität auch ins kommerzielle Kino spülte, nutzte der Film im immer noch sehr katholisch geprägten Italien, Vorurteile über die Promiskuität wohlhabender Bürgertöchter aus dem moderneren Norden.

Michele liest Alices Briefe, die er in ihrer Handtasche findet, und entdeckt, dass sie schon mit mehreren Männern geschlafen hat. Vor seinem geistigen Auge sieht er sie nackt auf einer Yacht stehen und gerät in einen Zwiespalt zwischen körperlicher Anziehung und gleichzeitiger Verachtung für sie. Da sie mit Tabletten ruhig gestellt wurde, beginnt er sie genauer zu betrachten, zuerst noch vorsichtig und zurückhaltend, bis er sie konkret anfasst.

Dieser Szene, der einzig expliziten des Films, kommt in ihrer konkreten Darstellung eine wesentliche Funktion zu, weshalb es sinnentstellend war, sie herauszuschneiden (was für den deutschsprachigen Markt geschah). Während er die betäubte Frau mit seinem Finger stimuliert, befriedigt er sich selbst. Erst danach, nachdem sie die Tabletten verweigerte, und sich der Kontakt zwischen ihnen verbessert, bekommt Micheles Verhalten ihr gegenüber einen gutmütigen Charakter, während er hier noch ganz bei sich ist und sich von keinem sonstigen Vergewaltiger unterscheidet. Diese negative Gewichtung der männlichen Hauptperson ist von wesentlicher Bedeutung, weil sich die Beziehung zwischen ihm und Alice ohne diese rigorose Szene zunehmend zu seinen Gunsten entwickelt.

Regisseur und Drehbuchautor Eriprando Visconti, ein Neffe Luchino Viscontis, gestaltete die Szenerie in einer Art, die den Betrachter zum Voyeur werden lässt. Als Alice Michele bittet, sich waschen zu dürfen, und ihn damit lockt, sie dabei betrachten zu können, versetzt er den Zuschauer in Micheles Position. Es bleibt spekulativ und ist letztlich unwichtig, ob Visconti nur damals angesagte Schauwerte befriedigen wollte oder sie damit gleichzeitig ins Gegenteil umkehrte. Für Rena Niehaus, ein damals 21jähriges Model, war es die dritte Rolle, die sie, ohne jemals Schauspielunterricht gehabt zu haben, in einer Art spielte, die daran zweifeln lässt, ob ihr Entgegenkommen gegenüber Michele nur Berechnung oder auch Sympathie entspringt. Zeigte sie zu Beginn noch Momente der Verzweiflung, bleibt sie später immer souverän. Man könnte ihr Spiel mangelnden Ausdrucksmöglichkeiten zuschreiben, aber gerade diese Natürlichkeit (Niehaus konnte kein Italienisch und sprach die Worte nach, ohne sie genau zu verstehen) erzeugt ein ambivalentes Bild, das den Betrachter an seine eigenen Empfindungsgrenzen führt.

Bis heute suchen Filme in der Regel Klarheit in der Kontroverse, um damit die Reaktionen der Beteiligten zu begründen. Eine Frau, die sich einem Verbrecher sexuell hingibt, muss vorher einer tödlichen Bedrohung ausgesetzt worden sein, um nicht als Schlampe zu gelten. Visconti verzichtet auf solche eindeutigen Szenarien, zeigt kleine Gauner, die nicht wissen, auf was sie sich eingelassen haben, und vermittelt keinen Moment eine direkte Gefahr für Alice. Dadurch dass Michele zudem als leicht naiver Junge aus dem Süden noch ein sympathischerer Typ ist, als eine hochnäsige Reiche-Leute-Tochter, kippt die gesamte Situation in ihr Gegenteil. Auch die Wahl einer unbekannten deutschen Darstellerin für die Rolle der Alice, verstärkte noch diese Empfindung, denn sie minderte die Identifikation mit dieser Figur aus Sicht eines italienischen Publikums.

Durch Alices entgegenkommende, offene Art vergisst nicht nur Michele, dass er sie vergewaltigte und nach wie vor, ans Bett gefesselt, gefangen hält, sondern auch der Beobachter dieser Situation. Visconti manipuliert damit den Betrachter in eine Richtung, die eine prinzipiell klare Situation umkehrt, indem eigene Moralvorstellungen in die einzelnen Personen impliziert werden. Alice wird so vom Opfer zur Täterin, als wenn die moralischen Regeln unserer Gesellschaft in einer solchen extremen Situation noch irgendeine Bedeutung hätten. In diesem Zusammenhang wird der deutsche Titelzusatz "Gefangen, geschändet, erniedrigt" nachvollziehbar, der wirkt, als wollte er etwas betonen, was man leicht angesichts der Storyentwicklung vergessen könnte, der aber letztlich nur die selben Moralvorstellungen mit seiner Sensationsgier bedient, die Visconti dazu nutzt - absichtlich oder nicht - uns den Spiegel vorzuhalten.

"La orca" Italien 1976, Regie: Eriprando Visconti, Drehbuch: Eriprando Visconti, Lisa Morpurgo, Darsteller: Rena Niehaus, Michele Placido, Flavio Bucci, Bruno Corrazzari, Laufzeit: 87 Minuten


- weitere im Blog besprochene Filme von Eriprando Visconti :

Dienstag, 26. Januar 2010

La notte dei dannati (Sexuelle Gelüste triebhafter Mädchen) 1971 Walter Ratti

Inhalt: Jean Duprey (Pierre Brice), ein erfolgreicher Journalist, der sich für schwierige Kriminalfälle interessiert, erhält eines Abends einen seltsamen Brief von seinem alten Freund Guillaume de Saint Lambert (Mario Carra), den er schon mehr als 10 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Verklausuliert bittet dieser ihn um Hilfe, aber als Duprey mit seiner Frau (Patrizia Viotti) auf dessen Schloß ankommt, muss er feststellen, dass er ihm nicht mehr helfen kann.

Guillaume leidet an einer Krankheit, dessen Ursache selbst sein Arzt, Professor Berry (Alessandro Tedeschi), scheinbar nicht feststellen kann. Rita (Angela De Leo), Guillaumes Frau, hat den Doktor geholt und behält auch sonst alle Fäden in der Hand. Als Guillaume nach zwei Tagen stirbt, wollen Duprey und seine Frau nach der Beerdigung möglichst schnell wieder abreisen, aber am nächsten Morgen wird in der Nähe des Schlosses eine Frauenleiche gefunden. Die Polizei steht vor einem Rätsel, da keine Spuren darauf hindeuten, wie sie an diesen Ort kam, und bittet Duprey um Hilfe...



Den deutschen Titel könnte man als Fluch der bösen Tat verstehen, denn wenn ein Verleih zwei Fassungen eines Films herstellen lässt, bei der die Eine auf beinahe ein Viertel der ursprünglichen Handlung verzichtet, um stattdessen die sexuellen Vorlieben einer Hexe stärker in den Vordergrund zu stellen, muss sich Niemand wundern, dass damit ein Film auf ewig in den Niederungen der Bahnhofkinos verschwindet. Derjenige, der sich allerdings in diesem Zusammenhang "Sexuelle Gelüste triebhafter Mädchen" ausdachte, unterfährt dieses Niveau noch erheblich oder lässt zumindest seine Meinung über die Zielgruppe für diesen Film deutlich werden.

"La notte dei dannati" (Die Nacht der Verdammten) erweist sich stattdessen als ruhiger Film, der seinem Protagonisten Jean Duprey (Pierre Brice), einem erfolgreichen Journalisten, viel Zeit lässt, seine Erkenntnisse zu gewinnen. Das zeigt sich schon in der ersten, knapp 10minütigen Szene, die Duprey gemeinsam mit seiner Frau Danielle (Patrizia Viotti) in deren Pariser Wohnung zeigt. Als sie zu Beginn einen Brief erhalten, der von einem alten Freund Dupreys stammt, den dieser schon mehr als zehn Jahre nicht mehr gesehen hatte, beginnt vor den Augen des Zuschauers eine detaillierte Analyse des geheimnisvollen Textes.


Das diese letztlich nur dazu führt, Guillaume de Saint Lambert (Mario Carra) zu Hilfe zu eilen, spielt keine Rolle, denn Duprey konnte damit gleich nachweisen, über welch hohen Intellekt er verfügt. Pierre Brice spielt diese Rolle mit souveräner Gelassenheit, die auch nicht vor einer gewissen Arroganz zurückschreckt. Gut zeigt sich diese in der, trotz aller optischen Modernität, noch sehr traditionellen Mann / Frau - Beziehung, denn Dupreys Haltung gegenüber seiner hübschen und in der Realität mehr als 20 Jahre jüngeren Frau, kann man nur als wohlwollend liebevoll bezeichnen. So schreckt er nicht davor zurück - als sie etwas zur Aufklärung des Brieftextes beiträgt - zu erwähnen, dass das Zusammensein mit ihm, positiv auf ihre geistigen Fähigkeiten durchschlagen würde.

Danielles Rolle als zu beschützendes Opfer wird so von Beginn an deutlich, so wie es auch klar ist, dass Duprey auf ihre Wünsche nach sofortiger Abreise aus dem finsteren Schloß seines Freundes, mit pragmatischer Gelassenheit reagiert, die für jede ihrer Erfahrungen und Alpträume eine logische Begründung bereit hält. Allerdings verhält er sich so nur gegenüber seiner Frau, denn als ihm sein alter Freund Guillaume gegenüber tritt, versucht er alles, um diesem zu helfen. Doch es ist zu spät, denn Guillaumes geistiger und körperlicher Zustand ist so sehr von einer geheimnisvollen Krankheit zerfressen, dass dieser kurz nach seiner Ankunft stirbt.


Als Duprey und seine Frau wieder abreisen wollen, werden sie vom Fund einer nackten Frauenleiche daran gehindert, denn die Polizei kann sich deren Anwesenheit an dieser Stelle nicht erklären, weil das Opfer noch kurz vor dem Todeszeitpunkt viele hundert Kilometer entfernt gesehen wurde. Ein Fall für Duprey, der zuvor schon schwierige Kriminalfälle gelöst hatte, und von der Polizei um Mithilfe gebeten wird. Doch während er unterschiedliche Spuren verfolgt, gerät seine allein im Schloß zurückgelassene Frau immer mehr unter den Einfluss von Rita Lernod (Angela De Leo), der Witwe seines verstorbenen Freundes.

Die Faszination des Films liegt in seiner Atmosphäre, die das mittelalterlich wirkende Schloß mit Licht und einem überzeugenden Score in einen unheilvollen Ort wandelt. Dazu trägt auch die Ruhe bei, mit der hier sämtliche Personen agieren und man muss dankbar sein, dass der italienischen Fassung nahezu sämtliche Nacktszenen abhanden gekommen sind, da diese nur den gothischen Charme der Inszenierung stören würden, auch wenn man dafür ein paar etwas abrupte Szenenwechsel in Kauf nehmen muss. Auch das der Film nur über wenige ernsthaft bedrohliche Momente verfügt und zudem keinerlei Gewalttaten konkret zeigt, passt zu der morbiden Atmosphäre.

Bei "La notte dei dannati" handelt es sich sicherlich um kein herausragendes Werk des Genres, da die Story durchschaubar ist und die Charakterisierungen oberflächlich bleiben. Ein gut aufgelegter Pierre Brice, der auch zu selbstironischen Momenten neigt, und eine überzeugende Atmosphäre lassen die "Nacht der Verdammten" trotzdem zu einem entspannten Gruseln werden, so lange man keine triebhaften Mädchen erwartet.

  
"La notte dei dannati" Italien 1971, Regie: Walter Ratti, Drehbuch: Aldo Marcovecchio, Darsteller: Pierre Brice, Mario Carra, Angela De Leo, Patrizia Viotti, Alessandro Tedeschi, Laufzeit: 83 Minuten

Dienstag, 19. Januar 2010

Io la conoscevo bene (Ich habe sie gut gekannt) 1965 Antonio Pietrangeli


Inhalt : Adriana (Stefania Sandrelli) arbeitet als Friseurin und als Platzanweiserin in einem Kino, träumt aber von einer Schauspielkarriere, weshalb sie vom Land nach Rom gezogen ist.
Ihre Wünsche scheinen sich zu konkretisieren, als sie Cianfanna (Nino Manfredi) kennenlernt, der sie als Agent betreut und für sie Engagements vereinbaren will.

Zudem nimmt sie Barbara (Karin Dor) unter ihre Fittiche, besorgt ihr eine Stadtwohnung und Einladungen auf angesagten Partys. Allerdings gibt es da noch Dario (Jean-Claude Brialy), einen charmanten jungen Mann, in den sie sich verliebt hat, der sie aber nach einer Nacht in einem schicken Hotel, ohne zu bezahlen zurück lässt. Als sie bei einem Schauspielunterricht umfällt, erfährt sie, dass sie von ihm schwanger ist. Barbara rät ihr, das Kind abzutreiben...



Es gibt wenige Filme, denen man schon in der ersten Szene den Charakter ansieht, der für die gesamte Laufzeit bestimmend bleiben wird, und dessen viel sagender Titel - der ausnahmsweise wörtlich ins Deutsche übersetzt wurde - zusätzlich die Thematik bereichert.

Vielleicht lag das auch an dem Team, dass hier auf Grund des frühen Todes von Regisseur Antonio Pietrangeli zum letzten Mal zusammenarbeitete, und nach einer Vielzahl hervorragender Filme mit "Ich habe sie gut gekannt" einen abschließenden Höhepunkt erzielte. Wie bei fast allen Filmen Pietrangelis seit den 50er Jahren ("Amore di mezzo secolo") hatte er zusammen mit Ettore Scola und, wie in diesem Fall auch, Ruggero Maccari das Drehbuch geschrieben. Auch wenn Scolas zehn Jahre später entstandener Film "Brutti, sporchi e cattivi" (Die Schmutzigen, Hässlichen und Gemeinen) an Fatalismus und Pessimismus nur schwer zu überbieten war, deuteten seine gemeinsam mit Pietrangeli entworfenen Filme diese Haltung schon an, gaben aber dem Geist der Komödie noch mehr Gewicht.


Dieser komödiantische Geist entsprang dem Neorealismus, an dem Pietrangeli in seinen jahren als Drehbuchautor und Regie-Assistent intensiv mitgearbeitet hatte. Der daraus entstandene Humor hatte sich in den 50er Jahren den Ruf verdient, nicht weniger dezidiert den Finger in die Wunde zu legen, als es die ernsteren Werke taten. Durch die Leichtigkeit, mit der teilweise unerträgliche Zustände geschildert wurden, war man erst in der Lage diese zu betrachten. Pietrangeli hatte sich zudem als Frauen - Regisseur einen sehr guten Ruf erarbeitet, denn das weibliche Geschlecht stand bei seinen Filmen eindeutig im Mittelpunkt. Da es sich bei seinen Darstellerinnen ausnahmslos um schöne Frauen handelte, deren Aussehen nicht unwesentlich für die Inszenierung genutzt wurde, läge der Verdacht nahe, dass eine kritische Story nur dazu herhalten musste, um eine Frau doch als Objekt zu präsentieren. Tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall. 

Stefania Sandrelli, damals erst knapp 20 Jahre alt, spielte die Adriana so natürlich, das jeder voyeuristische Abstand unmittelbar verloren geht. Ähnliches gilt für die Story, die sich trotz aller Authentizität optimistisch entwickelt, die kleinen Momente der Tragik sehr sparsam und in ihrer Dramatik nachvollziehbar setzt, und daraus eine ganz persönliche Geschichte entwickelt. Pietrangeli stellt keine zwingend tragischen Zusammenhänge her und verzichtet auch auf besonders üble Zeitgenossen. Natürlich handeln diese häufig egoistisch und rücksichtslos, aber immer in einer für ihre Situation nachvollziehbaren Weise. Letztlich – wenn auch sympathischer in ihrer Passivität – verfolgt auch Adriana keine anderen Ziele.

Entscheidend für die Wirkung des Films, basierend auf dem Respekt vor der Hauptfigur, ist die Individualität und damit Tiefe in der Charaktergestaltung. Adriana ist zwar ein hübsches Mädchen vom Land und möchte in Rom ein Filmstar werden – äußerlich entspricht sie damit einem bis heute gültigen Klischee – aber Pietrangeli und Scola betrachteten den Menschen hinter dieser Fassade. Parallel zu den Mechanismen des Show-Business, die sich vor allem in einer kurzen Szene mit einem großartigen Ugo Tognazzi als alterndem Darsteller offenbaren, setzt der Film aus kurzen Episoden ein Puzzle zusammen, dass zunehmend ein klareres Bild der jungen Frau vermittelt. 

Dabei kommt es zu anrührenden Episoden, etwa als Adriana im schicken Kleid nach Jahren überraschend bei ihren Eltern auf deren Bauernhof bei Pistoia auftaucht. Erst reagiert die Mutter gewohnt kritisch. Noch während der Vater das zu relativieren versucht, legt sie ihrer Tochter eine Jacke über die schmalen Schultern, nicht ohne damit eine Kritik an ihrer „Stadtkleidung“ zu verbinden. Gleichzeitig birgt diese Szene große Zärtlichkeit in sich, die weit von üblichen Klischees über eine harte Kindheit und der damit erzwungenen Landflucht entfernt ist. 
Der Film leugnet nicht die Armut, in der Adriana aufgewachsen ist, aber er verdeutlicht auch, dass sie eine Wahl hatte. 

Das gilt auch für ihre vielen Männergeschichten. Während sie sich in einen Angeber (Jean-Claude Brialy) verliebt, der sie in einem Hotel, ohne die Rechnung zu bezahlen, mit einer gestohlenen Kette (wie sich später herausstellt) sitzen lässt, verschafft sie in einer der schönsten Szenen des Films, als sie nach einer Box - Veranstaltung, bei der sie in der Pause als Model auftrat, dem zuvor unterlegenen Boxer (Mario Adorf) nur mit ihrer Aufmerksamkeit und einem Abschiedskuss einen Moment des Glücks.


Es begegnen ihr noch viele Männer (darunter der junge Franco Nero), aber nie haben diese Beziehungen genug Gewicht, um etwas zu verändern. Selbst ihre Abtreibung, zu der sie ihre Förderin (Karin Dor) in Rom überredet, verkommt so zu einer Fußnote, die der Film quasi nebenbei abhandelt. „Ich habe sie gut gekannt“ enthält sich jeder Bewertung, womit die gesellschaftlichen Regeln, denen sich sämtliche Beteiligte – egal ob als Haupt-, Neben- oder Verliererfigur – unterwerfen, erst deutlich werden.

Adriana selbst wirkt in ihrem unreflektierten, meist passiven Verhalten prototypisch, aber gleichzeitig ist sie in ihrer direkten, fast naiven Art sehr liebenswert. Nicht nur die Vielzahl von Tanzveranstaltungen, Kinobesuchen oder Partys erzeugen ein stimmiges Bild der 60er Jahre, auch die Musik, die mal im Hintergrund, mal ganz direkt als aufgelegte Schallplatte, eine Vielzahl zeitgenössischer Schlager spielt, vermittelt ein authentisches Lebensgefühl der damaligen Jugend. Und den Charakter Adrianas in ihrem persönlichen Musikgeschmack.

In diesem Zusammenhang ist die speziell für den Film geschriebene Musik, die auch die erste Szene untermalt und regelmäßig anklingt, sehr aussagekräftig – sie hat viel von einer fröhlichen, schlagerartigen Musik, aber man spürt auch die Melancholie dahinter. Es ist wie der Strand bei Rom, an dem zu Beginn die schöne Adriana liegt – sonnig, glitzerndes Meer, heller Sand, aber überall liegt Müll herum. Und es ist wie der Weg, den sie vom Strand in die nahe gelegene Stadt nimmt – fröhlich lässt sie sich das Bikini-Oberteil von einem älteren Mann, der an der Straße sitzt, schließen, ein anderer spendet ihr aus einem Wasserschlauch einen kühlen Strahl, bis sie auf ihren hohen Absätzen den Friseurladen erreicht, wo sie zuerst eine mürrische Kundin bedienen muss und später vom Besitzer ganz selbstverständlich belästigt wird.


Der Titel „Ich habe sie gut gekannt“ spricht aus der Sicht des Außenstehenden, der glaubt, eine junge Frau wie Adriana zu kennen, und letztlich meint Pietrangeli damit uns, die Betrachter des Films. Er entwirft hier ein abwechslungsreiches Kaleidoskop, das seinen Unterhaltungswert durchgehend hoch hält, und die Geschichte einer leicht naiven jungen Frau vom Land erzählt, die unbedingt ein Star werden will. Mit allen schönen und schlechten Seiten, die eine solche Zielsetzung mit sich bringt. Der Film wirkt in seiner Lässigkeit undramatisch und Adrianas Verhalten fast folgerichtig, so das man ihr persönliches Schicksal selbstverschuldet empfinden kann.

Doch in Pietrangelis Film geht es nicht um Schuld, sondern um unsere Sozialisation und die Oberflächlichkeit im gegenseitigen Umgang, unter der letztlich Jeder leidet. "Ich habe sie gut gekannt“ - lässt sich schnell dahin sagen, aber selten ist eine Aussage so falsch.

"Io la conoscevo bene" Italien, Frankreich, Deutschland 1965, Regie: Antonio Pietrangeli, Drehbuch: Antonio Pietrangeli, Ettore Scola, Ruggero Maccari, Darsteller : Stefania Sandrelli, Nino Manfredi, Jean-Claude Brialy, Mario Adorf, Karin Dor, Laufzeit : 109 Minuten

"Porträt Antonio Pietrangeli" 

- weitere im Blog besprochene Filme von Antonio Pietrangeli :

"Il sole negli occhi" (1953)
"Amori di mezzo secolo" (1954)
"Adua e le compagne" (1960)
"La parmigiana" (1963) 
"La visita" (1963)
"Le fate" (1966)
"Come, quando, perché" (1969)

Dienstag, 12. Januar 2010

Le mani sulla città (Hände über der Stadt) 1963 Francesco Rosi

Inhalt: Der Spekulant und Inhaber einer großen Baufirma Edoardo Nottola (Rod Steiger) erklärt dem Bürgermeister Neapels, Maglione (Guido Alberti), die Vorteile neuer Landerschliessung am Rand der Stadt. Billiges Ackerland wird durch den Beschluss des Stadtrats zu teurem Bauland. Das bedeutet große Gewinne für die Beteiligten, die man als Wohltaten für die Bevölkerung verkaufen kann, da diese neue, moderne Häuser bekommt.

Währenddessen geschieht auf einer Baustelle in einem alten Stadtteil Neapels ein schreckliches Unglück. Ein Wohnhaus, dass neben einer von Nottolas Baustellen steht, stürzt auf Grund der Erschütterungen ein. Zwei Menschen sterben, ein Junge überlebt schwerverletzt. Der kommunistische Stadtabgeordnete De Vita (Carlo Fermariello) klagt die ungenügenden Sicherheitsmassnahmen an und erreicht, dass ein Untersuchungsausschuss, gebildet aus allen Parteien, den Vorgängen nachgeht. Nottolas Situation scheint sich zu verschlechtern und auch sein Parteifreund, Bürgermeister Maglione, verlangt von ihm, dessen eigene Kandidatur bei den kommenden Stadtparlamentswahlen zurückzuziehen, um die Chancen der Partei nicht zu gefährden...



„Hände über der Stadt“ entwickelt seinen Plot sprunghaft, begleitet von einem akustischen Rhythmus:

Wortreich erklärt der Bauunternehmer Edoardo Nottola (Rod Steiger) den Politikern seine Pläne für die Erweiterung der Stadt mit modernen Wohnhäusern. Ebenso sprachintensiv feiern die Politiker mit salbungsvollen Reden den Beschluss des Flächennutzungsplanes am Rande Neapels, der Nottolas Pläne erst ermöglichen wird. In Anwesenheit einer großen Gruppe von Würdenträgern erfolgt daraufhin die Grundsteinlegung.

Stumm, nur begleitet von einer dramatischen Musik, die den Charakter eines Kriminalfilms annimmt, filmt Rosi minutenlang aus der Vogelperspektive die Stadt Neapel mit ihren alten und neuen Stadtteilen und vermittelt dabei einen genauen Eindruck von der hohen Bebauungsdichte.


Nur die Straßengeräusche einfangend, verbleibt die Kamera auf einer Baustelle inmitten eines alten, heruntergekommenen Stadtteils. Unter großem Lärm werden mit schwerem Gerät neue Fundamente gebohrt. Durch die Erschütterungen fällt ein angrenzender Wohnbau in sich zusammen. Die Menschen fliehen entsetzt, um wieder helfend zu dem Schuttberg zurückzukommen. Polizei und Feuerwehr befinden sich schnell vor Ort und beginnen die Verschütteten auszugraben und die Überlebenden zu evakuieren, darunter auch ein bewusstloser Junge. Man hört nur Schreie, Motorlärm und die Sirenen der Einsatzfahrzeuge. Einen Moment unterbricht der Film diese Geräuschkulisse, als - für die Allgemeinheit unbemerkt - Nottola seinen Sohn, den verantwortlichen Bauleiter, von der Baustelle fortbringt. Wieder erklingt kurz die an Kriminalfilme erinnernde Musik.

Wortreich streitet das Stadtparlament über diese Vorkommnisse. Edoardo Nottola wird die Schuld an dem Unglück gegeben und der konservativen Partei, die den Bürgermeister Maglione (Guido Alberti) stellt, und deren Parteifreund Nottola ist, wird Bestechlichkeit vorgeworfen. Dem redegewandten Abgeordneten der kommunistischen Partei, De Vita (Carlo Fermariello) gelingt es, einen Untersuchungsausschuss durchzusetzen, der die Verantwortlichen für das Unglück, bei dem zwei Menschen starben und der Junge seine Beine verlor, herausfinden soll.


Erst als der Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnimmt, wird die Handlung und damit auch die Akustik stringenter, aber die Diskrepanz zwischen den ständigen Diskussionen, Reden und Zusammenkünften der Politiker und der völligen Wortlosigkeit der Bevölkerung bleibt signifikant für den Film und wird von Francesco Rosi konsequent durchgehalten. "Le mani sulla città" endet mit den eingeblendeten Sätzen, dass nichts erfunden wurde und alle geschilderten Abläufe real sind, aber trotz des betont dokumentarischen Charakters, der vor allem bei den Sitzungen des Stadtparlaments von beißender Realität ist, wird in jedem Moment Rosis persönliche Handschrift deutlich. Und damit sein Wille, die äußerliche Handlung von jeder emotionalen Ebene und jedem persönlichen Schicksal zu entschlacken, um sie an jedem Ort als generell vorstellbar zu entwerfen.

Vorstellbar ist dafür - betrachtet man Rosis Umsetzung genau - ein zu schwaches Wort, denn die Art, wie sich der Film entwickelt, ist von ihm so zwingend angelegt, dass sich Widerspruch geradezu verbietet. Rosi zeigt hier – beispielhaft an Hand von Bauspekulationen in Neapel - Abläufe, die in ihrer inneren Logik, dem Verhalten der handelnden Personen und seinen sich daraus ergebenden Konsequenzen signifikant für unser Demokratieverständnis sind. Ganz bewusst verknüpft er das Geschehen mit einer Wahl zum Stadtparlament, die sogar zu einem Machtwechsel führen könnte, um damit das Funktionieren der demokratischen Regeln zu unterstreichen. Er betont damit, dass das, was hier geschieht, nicht auf nach dem Gesetz strafbare kriminelle Machenschaften zurückzuführen ist, sondern im Rahmen des Rechtsstaates geschieht.

Zuerst erscheint der Auslöser der Handlung - der Einsturz des Wohnhauses, in dessen Folge zwei Menschen sterben – widersprüchlich, weil damit normalerweise das genaue Gegenteil erreicht wird - eine emotionale Bindung an die Opfer und die Schuldzuweisung an einen Einzeltäter, hier in der Figur des Baulöwen Nottola. Doch stattdessen nutzt Rosi dieses typische Story-Element, mit dem normalerweise begründet wird, warum Missstände ohne die Schuld der Allgemeinheit entstehen, um seinen generellen Standpunkt zu untermauern. Nicht nur dem Dokumentarstil, in dem das Unglück zwar detailliert, aber ohne Dramatisierung gezeigt wird, sondern vor allem Rod Steigers Leistung ist es zu verdanken, dass sich die generellen Abläufe über ihr beispielhaftes Objekt erheben.

In einer zentral gelegenen Szene wird das besonders deutlich – der Bürgermeister Maglione hatte Nottola aufgesucht, um ihn aufzufordern, seine Kandidatur für das Stadtparlament wieder zurückzuziehen. Die Ereignisse um das Unglück auf der Baustelle gefährdeten die Wahlchancen ihrer Partei, auch wenn der Untersuchungsausschuss bisher keine Unregelmäßigkeiten feststellen konnte. Nach einer gewonnenen Wahl wäre es kein Problem, die gemeinsam begonnenen Projekte weiter zu führen. Nachdem Nottola dieses Ansinnen abgelehnt hatte, verlässt ihn der Bürgermeister mit der Drohung, sollte die Partei ihre Mehrheit verlieren, werde er ihm jede weitere Unterstützung versagen. Es handelt sich um den kritischsten Moment in der Situation dieses Tatmenschen, den er scheinbar nicht mehr selbst beeinflussen kann. Die Kamera verbleibt auf Rod Steiger, der fast regungslos sitzen bleibt. Äußerlich geschieht nichts, aber Steigers Gedanken sind mit Händen zu greifen. Es ist der intimste Moment des gesamten Films, der eine Nähe aufbaut, die ein einseitiges Urteil über den Menschen Nottola verhindert.


Steiger spielt diese Figur ansonsten in der ihm eigenen körperbetonten Art, die keinen Zweifel an Autorität und Durchsetzungswillen zulässt. Dabei spart er keineswegs mit kritischen Bemerkungen, wenn er angesichts des Gebäudeeinsturzes erwähnt, dass man sich damit den Abbruch hätte sparen können. Seine zynische und vor allem am wirtschaftlichen Gewinn orientierte Art führt dazu, dass er unmittelbar auf der Baustelle von De Vita mit Argumenten angegriffen wird, die ihm Bestechung und Vorteilsnahme ohne Rücksicht auf Menschenleben vorwerfen. De Vita musste inzwischen feststellen, dass die gesetzlichen Auflagen alle erfüllt wurden, aber die Tatsache, dass Nottola die Baugenehmigung in drei Tagen erhielt, obwohl das normalerweise mindestens ein halbes Jahr dauert, verdeutlichte die offensichtliche Zusammenarbeit mit einflussreichen Kreisen. Anstatt De Vita mit gleicher Münze zurückzuzahlen, führt er ihn in einen von ihm gefertigten Neubau und zeigt ihm die modernen Sanitärzellen, Küche und sauberen Räume. Er vergleicht diese Wohnungen mit den unzumutbaren Verhältnissen, in denen eine Vielzahl Neapolitaner hausen. Auch De Vita kann sich dieser Argumentation nicht entziehen und beendet das Gespräch mit den hilflosen Worten „Ich habe gar nichts gegen ihre Pläne, sondern ich kritisiere nur die Art der Umsetzung!"

In „Le mani sulla città“ gibt es keine Mafia und keine Verbrecher, sondern nur Personen, die entsprechend ihrer Funktion handeln. Ohne einen Machtmenschen wie Nottola hätte kaum Jemand die Energie, die aufwändigen Projekte zu planen und umzusetzen. Die Bevölkerung, die nie das Wort erhebt, lässt sich mit Geldzahlungen leicht beruhigen und letztlich verkommen zwei Tote nur zu einer Fußnote, angesichts tausender neuer Wohnungen. Die Politiker sind vor allem auf ihre Außenwirkung bedacht, unabhängig davon, ob sie sich als Kämpfer für die gute Sache stilisieren wie De Vita oder neue Koalitionen schließen, um ihre Machtposition zu festigen. Auf einen Mann wie Nottola können sie keinesfalls verzichten, denn nur äußerlich darstellbare Erfolge garantieren auch eine erfolgreiche Wiederwahl. Das dabei viel Geld verdient wird, dass nur in wenigen Taschen landet, wirkt innerhalb dieser Konstellation wie ein nicht zu vermeidender Nebenaspekt.

Diese Doppeldeutigkeit vermittelt schon der Filmtitel, denn „Hände über der Stadt“ können sowohl Schutz und Hilfe, als auch Kontrolle und Vorteilsnahme bedeuten. Letztlich stellt sich die Frage, welche Intention Francesco Rosi mit seinem Film verfolgte? - Als genau beobachtete Zustandsbeschreibung einer demokratischen Ordnung ist der Film exemplarisch, aber gleichzeitig erschreckend in seinem Fatalismus. Auch wenn Rosi dem kommunistischen Abgeordneten sicherlich mehr Sympathien schenkte als den konservativen Politikern, vermied er doch einseitige Verurteilungen. Letztlich gehören die Politiker aller Parteien zum System. Einzig die Diskrepanz zwischen den Palästen, in denen die führenden Politiker der Stadt stolz ihre Kunst - Sammlungen vorzeigen, und den in unendlicher Reihe stehenden, gleichförmigen Wohnblocks - egal ob Alt - oder Neubauten - die Rosi zum Schluss wieder, wie in einer der Eingangssequenzen, wiederholt, wird deutlich, dass er mit dem Film eine Bevölkerung ansprechen will, die sich zu leicht beruhigen lässt und durch ihr Desinteresse den Machtmissbrauch erst mit verursacht.

„Le mani sulla città“ (Hände über der Stadt), der den semi-dokumentarischen Stil seines Vorgängerfilms "Salvatore Giuliano" wieder aufnahm, aber in der damaligen Gegenwart spielte, könnte als Lehrstück dienen, so differenziert und analytisch bringt er die Verhältnisse hier auf den Punkt, aber die gleichzeitige, technologische Kälte, die von Rosis Film nachvollziehbarer Weise ausgehen musste, und nicht zuletzt seine sehr kritische Haltung, verhinderte eine entsprechende Verbreitung.


"Le mani sulla città" Italien 1963, Regie: Francesco Rosi, Drehbuch: Francesco Rosi, Raffaele La Capria, Darsteller : Rod Steiger, Salvo Randone, Guido Alberti, Carlo Fermariello, Angelo D'Allessandro, Laufzeit : 100 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Francesco Rosi:

Samstag, 9. Januar 2010

L'insegnante (Die Bumsköpfe) 1975 Nando Cicero

Inhalt: Franco (Alfredo Pea), Sohn aus wohlhabendem Hause, und seine beiden besten Freunde, der dicke La Rosa (Stefano Amato) und der kleine Tatuzzo (Alvaro Vitali), haben nur Sex im Kopf, weshalb sie in ihrer Schule ständig unangenehm auffallen. Leider sind ihre Chancen bei den gleichaltrigen Mädchen gleich null, weshalb ihr größter Erfolg darin liegt, ihnen heimlich dabei zuzusehen, wenn sie auf der Toilette ihre Brüste vergleichen. Um wenigstens manchmal etwas Befriedigung zu erlangen, schrecken sie auch nicht davor zurück, der alten Verkäuferin im Hafen ein paar Lire für eine Handentspannung zuzustecken.

Als Francos Vater die ewigen Beschwerden des Schuldirektors zu viel werden, geht er auf dessen Vorschlag ein, für seinen Sohn eine Privatlehrerin zu verpflichten, die ihn wieder auf den rechten We
g zurückbringen soll. Allerdings stellt sich Giovanna Pagaus (Edwige Fenech) als das Gegenteil von dem heraus, was Franco auf andere Gedanken bringen könnte...


Der deutsche Titel "Die Bumsköpfe" hat sprachlich nichts mit dem Originaltitel "L' insegnante" (Die Lehrerin) gemein, trifft aber den Nagel auf den Kopf. Während sich der italienische Titel noch in einer Jahrzehnte alten Tradition sonnte, wies die deutsche "Übersetzung" schon auf die Zukunft hin.

Franco (Alfredo Pea), Sohn wohlhabender Eltern, leidet ausgerechnet kurz vor Schulabschluss an schlechten Leistungen. Da sei
n Vater der Abgeordnete der Stadt ist, wendet sich der Direktor persönlich an ihn und seine Frau, die sich darauf hin für eine Privatlehrerin entscheiden, die dem Sohn zu Hause in Griechisch Nachhilfe geben soll. Doch die schöne Giovanna Pagaus (Edwige Fenech) bringt Franco in Verlegenheit, denn sie heizt dessen Wunsch nach Sex noch mehr an, der schuld an seinen mangelhaften Schulleistungen ist. Als seinen Eltern das bewusst wird, versuchen sie Franco nicht etwa bei der Eroberung eines gleichaltrigen Mädchens zu helfen, sondern Vater Fefe geht zuerst mit ihm ins Bordell, was Franco nicht gefällt, weshalb er daraufhin die Lehrerin zu überreden versucht, den Jungen auch in dieser Hinsicht zu schulen.

Aus heutiger Sicht wirkt diese Situation wie typischer Komödienstoff, hatte aber einen realen Hintergrund im katholisch geprägten Italien. Ein Großteil der jungen Männer hatte seinen ersten Sex im Bordell oder bei einer erfahrenen Frau, wenn sich die Möglichkeuit ergab, denn die gleichaltrigen Mädchen mussten jungfräulich in die Ehe gehen. Konsequenterweise spielten sie in "L'insegnante" - außer als voyeuristische Objekte zu Beginn des Films - keine prägende Rolle.

Auch der parallel entstandene "Lezioni private" bezog sich auf diese Tradition, aber Regisseur Nando Cicero verfolgte eine andere Intention. Cicero, der das Regie-Handwerk bei Luchino Viconti ("Le notte bianche" (Weiße Nächte, 1957)) und Francesco Rosi ("Le mani sulla città" (Die Hände über der Stadt, 1963)) als Assistent gelernt hatte, und Mitte der 60er Jahre begann, selbst Filme zu drehen (
"Il tempo degli avvoltoi" (Die Zeit der Geier, 1967)), wurde damit zu einem Wegbereiter der erotischen Variante der "Commedia all'italiana". Schon an seiner Auswahl der Darsteller zeigte sich, dass es ihm nicht um ein authentisches Szenario ging. Während Carrol Baker in "Lezioni private"  überzeugend die ältere Lehrerin spielte, war die damals schon sehr populäre Edwige Fenech zum Entstehungszeitpunkt des Films erst 27 und damit gerade fünf Jahre älter als der jugendlich aussehende Alfredo Pea, der hier ihren Schüler mimte. 

Für Edwige Fenech war es die erste Zusammenarbeit mit Regisseur Nando Cicero, der noch einige gemeinsame Filme folgen sollten - jeweils von Luciano Martino produziert, ihrem damaligen Lebensgefährten. Dass das Gewicht auf jungen und attraktiven Frauen lag, wird auch an der Besetzung von Francos Eltern offensichtlich. Sein Vater wurde vom damals 53jährigen Vittorio Caprioli gespielt, seine Mutter von der für diese Rolle viel zu jungen 32jährigen Francesca Romana Coluzzi. Letztlich spielten diese Details keine Rolle, denn auch die Darsteller der Schulkameraden und besten Freunde Francos - der dicke La Rosa (Stefano Amato) und der kleine Tartuzzo (Alvaro Vitali) - waren mit Mitte 20 zu alt für ihre Schülerrollen, was inmitten der jüngeren Statistenschar auch auffällt.

Ciceros Film war die erste Komödie, die männliche pubertierende Schüler in den Mittelpunkt stellte, die nichts als Sex im Kopf haben und deren ganzes Streben nur ihrer Befriedigung gilt. Auch die Zusammensetzung dieser Dreier-Konstellation - bestehend aus einem unerfahrenen jungen Mann, der Chancen beim weiblichen Geschlecht hat, und zwei nicht vermittelbaren Idioten, die für jede Albernheit bis zu flammenden Fürzen zuständig sind - wurde zum Vorbild für viele Nachahmer, wie die "Eis am Stil" - Reihe in den 80er Jahren.

Während ein Film wie "Lezioni private" vom Protagonisten Einfühlungsvermögen gegenüber Frauen einforderte - der italienische Macho im Film diente als negativ besetzte Witzfigur - ging "L'insegnante" den entgegen gesetzten Weg. Der als Sympathieträger auserkorene Franco verfolgt seine Ziele auf die plumpeste Weise. Er fasst der Hausangestellten an den Po und fotografiert sie in Unterwäsche, aber verlangt von ihr, ihr Gesicht zu verdecken, denn als Love-Interest kommt sie dank ihres (angeklebten) Damenbarts und ihrer buschigen Augenbrauen für den Snob nicht in Frage. Da ist die knackige Lehrerin Giovanna ein ganz anderes Kaliber und zudem die Einzige, die nicht verhaltensauffällig wirkt. Schon in "L'insegnante" ist der Kontrast der sehr attraktiven und einzig kein Over-Acting betreibenden Edwige Fenech zu der übrigen Darstellerriege auffällig - eine Wirkung, die Cicero in ihren späteren gemeinsamen Filmen noch steigern sollte.

Homophobe Ansichten waren ein fester Bestandteil der italienischen Erotikkomödie, lebten sich in der Regel aber in tuntigen Gags aus - hier dagegen wird die Homosexualität als Krankheit abgehandelt, gegen die der Sex mit einer schönen Frau das beste Heilmittel darstellt. Francos Mutter fleht Giovanna an, ihrem Sohn zu helfen, als dieser vortäuscht, schwul zu sein - das die Sache schief geht, liegt nur daran, dass sie sein Spiel zuvor durchschaut. Franco startet danach noch einige Versuche, die nah am Tatbestand der versuchten Vergewaltigung stehen, aber weder ist Giovanna ihm richtig böse, noch schadet das letztlich seiner Reputation. Am Ende liebt sie ihn und will mit ihm zusammen sein, womit "L'insegnante" - wenn auch auf humorvolle Weise - die alte Macho-Brachialmethode predigt. So zeitgemäß Ciceros Film in seiner Anlage war, so rückständig waren die darin verbreiteten Ansichten.


Es ist den beiden heimlichen Hauptdarstellern, La Rosa und Tatuzzo, zu verdanken, dass dieser negative Eindruck nicht noch stärker ins Gewicht fiel, denn die erste, gelungene Hälfte des Films (Edwige Fenech tritt erst nach knapp 30 Minuten auf), konzentriert sich auf das allgemeine Schul-Chaos - Albernheiten, Streiche, irre Lehrer und Titten - Schau bestimmen die Szenerie. Die ständig sex-lüsternen Bemerkungen der Beteiligten lassen zwar keine andere Geisteshaltung erkennen als Franco bei seinem Versuch, seine Lehrerin zu verführen, aber sie versuchen gar nicht erst, dabei seriös oder gar emotional zu wirken. So sehr Edwige Fenech in der zweiten Hälfte als Blickfang dient, so sehr verliert der Film seinen dilettantisch - komödiantischen Schwung zugunsten einer konstruierten Liebesgeschichte mit fadem Beigeschmack.

Letztlich entschied das Publikum über seine Favoriten, denn in den vielfachen Fortsetzungen der "Lehrerin-Reihe" und in Ciceros komödiantischer Militär-Trilogie mit Edwige Fenech, beginnend mit "La dottoressa del distretto militare" (Die Knallköpfe der 6. Kompanie (1976)) waren zunehmend Witzbolde wie Alvaro Vitali gefragt, der Mitte der 70er Jahre in vielen ähnlich gearteten Filmen mitwirkte - und natürlich die körperlichen Vorzüge der weiblichen Darsteller. Dass "L'insegnante" im Gegensatz zu diesen "Nachfolgern" noch über eine richtige Story verfügte, die sich in Grenzen an der Realität orientierte, stellt sich aus heutiger Sicht eher als Nachteil heraus - wenn schon Sex-Klamotte, dann konsequent.


"L'insegnante" Italien 1975, Regie: Nando Cicero, Drehbuch: Tito Carpi, Francesca MiliziaDarsteller: Edwige Fenech, Alfredo Pea, Alvaro Vitali, Stefano Amato, Vittorio Caprioli, Laufzeit: 89 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Nando Cicero:

Mittwoch, 6. Januar 2010

Lezioni private (Private Lessons) 1975 Vittorio De Sisti

Inhalt: Schon am Tag ihrer Ankunft treffen Alessandro (Rosalino Cellamare) und Laura Formenti (Caroll Baker) aufeinander, als er sie zufällig umrennt. Da weiß er noch nicht, dass es sich um die neue Lehrerin der Klavier - Klasse am Konservatorium handelt, zu deren begabtesten Schülern Alessandro zählt.

Die attraktive
Frau gefällt dem 18jährigen Alessandro sofort, was nicht nur seiner Mitschülerin Emanuela (Leonora Fani) missfällt, sondern vor allem seinem Freund Gabriele, der einen perfiden Plan ersinnt...


Die Auswirkungen der "sexuellen Revolution" der späten 60er Jahre wurden Im Laufe der 70er Jahre auch im konventionellen Kino erkennbar. Zunehmend wurde es akzeptiert, dass Nacktheit und offene Ausübung von Sexualität aus dem Umfeld der Non-Stop-Kinos heraustrat und storytechnisch in ein bürgerliches Umfeld eingeordnet wurde. Obwohl viele dieser Filme aus heutiger Sicht wenig relevant wirken, spiegeln sie in ihrer Unterschiedlichkeit bezüglich ihrer Herkunftsländer, die damaligen Eigenarten der moralischen Standards anschaulich wider. Während die französischen Filme es schnell frivol krachen liessen, setzte man in Deutschland zuerst auf einen aufklärischen Gestus, bevor vor allem derber Humor die sexuellen Freuden begleitete.

In Italien entwickelte sich eine eigene Form des Erotikfilms, die noch stark von den durch die katholische Kirche beeinflussten Moralvorstellungen geprägt war. Während junge Italienerinnen möglichst unberührt in die Ehe gehen sollten, durften die jungen Männer sich schon mal ausprobieren und erste Erfahrungen sammeln. Immer wieder gibt es im italienischen Film die Situation, in der ein männlicher Heranwachsender eine reife Frau beobachtet, um damit erste Blicke auf den sonst züchtig verhüllten weiblichen Körper zu werfen. Im Idealfall lernt er von ihr die Liebe. Solche Momente gibt es sicherlich auch in anderen Ländern, aber in Italien war es damals wesentlich üblicher, dass ein junger Mann zu einer Prostituierten ging, um von ihr ins Liebesspiel eingewiesen zu werden.

"Lezione private" (Privatstunden) ist nicht nur in dieser Hinsicht signifikant für den italienischen erotischen Film der 70er Jahre, sondern verfügt noch über weitere prototypische Elemente. Anders als der zeitgleich entstandene "L'insegnante" (wörtlich : Die Lehrerin, deutscher Kinotitel "Die Bumsköpfe"), der motivisch auch eine Lehrerin in den Mittelpunkt stellte, bleibt er in seiner Gestaltung fast durchgehend ernsthaft. Einzig das wiederholte Auftreten eines Exhibitionisten, der in unterschiedlichen Situationen sein bestes Stück vorzeigt, ist albern un
d wirkt im Film wie ein Fremdkörper. Die banale Gestaltung dieser Figur, die im Hochsommer mit einem speckigen Mantel unterwegs ist, verdeutlicht die damalige Gratwanderung im Kino, die zwischen Tabubruch und klischeehafter Verulkung schlingerte.

Wesentlich prägender für den Film sind die zwei Hauptdarstellerinnen, die die beiden Pole darstellen, zwischen denen sich der 18jährige Alessandro (Rosalino Cellamare) bewegt. Als Hintergrund für seine Geschichte entwarf Regisseur und Drehbuchautor Vittorio De Sisti, der mit Dokumentarfilmen über Sexualität ("Inghilterra nuda", 1969 über das freizügige "nackte England", und "Sesso in confessionale" 1974 über das noch sehr religiös geprägte Italien) begonnen hatte, eine sehr bürgerlich geprägte Atmosphäre. In einer Kleinstadt fängt die neue Lehrerin für Klavier, Laura Formenti, am örtlichen Konservatorium an.

Gespielt wird sie von der us-amerikanischen Schauspielerin Caroll Baker, die 1956 als "Baby Doll" im gleichnamigen Film bekannt wurde. Nachdem sie 1965 "Jean Harlow" gespielt hatte, welches ihre Festlegung auf das laszive Fach weiter untermauerte, ging sie für ein Jahrzehnt nach Europa, wo sie vor allem in Gialli und erotischen Filmen besetzt wurde. Zum Zeitpunkt der Entstehung von "Lezioni private" war sie schon 44, aber man kann ihr nic
ht absprechen, dass sie in den nicht wenigen erotischen Szenen eine gute Figur machte.

Als Gegenspielerin Emanuela, wie Alessandro Mitglied der Klavierklasse, fungierte Leon
ora Fani. Fani profitierte in den 70er Jahren von ihrem jugendlichen Aussehen, weshalb sie auf Rollen als Minderjährige ("Nenè" 1977) oder junge Erwachsene festgelegt war. Nicht ohne Grund dauerte ihre Karriere nur 8 Jahre, in denen sie in qualitativ sehr unterschiedlichen Filmen mitwirkte. Ihre Rolle in "Lezioni private" bleibt blass, da sie eine passive Haltung einnimmt. Ihr offensiv vorgetragener Wunsch, mit Alessandro zusammen sein zu wollen, vor allem aber die Szene, als sie mit ihrer Freundin vor einem Spiegel die Wirkung ihres Busens bespricht, sollen nur voyeuristische Blicke befriedigen. Ihre Rolle ist das bürgerliche, nach außen rein und jungfräulich wirkende Mädchen.

Auch der Lehrerin werden natürlich züchtige Verhaltensformen abgefordert, aber ihre (im Gegensatz zu den Schülerinnen) kurzen Röcke und das offene Dek
olletè strafen diese Vorgaben lügen. Nicht erstaunlich, dass die jungen Männer angesichts der attraktiven Blondine auf andere Gedanken kommen. Darunter befindet sich auch die interessanteste Figur des Films - Gabriele, Bruder von Emanuela und Freund Alessandros. Er fällt zu Beginn durch alberne Scherze auf, aber als er merkt, dass sein Freund in seine Lehrerin verliebt ist, beginnt er sich für sie zu interessieren. Als er ihr einmal zu ihrer Wohnung folgt, sieht er durch das geöffnete Fenster, dass sie sich selbst befriedigt, besorgt sich eine Kamera und macht Nacktaufnahmen von ihr.

Die im Gesamtzusammenhang viel zu lange Szene mit der Selbstbefriedigung ist natürlich der Erwartung an erotische Aufnahmen geschuldet, aber sie startet den spannendsten Teil des Films, denn Gabriele beginnt sie mit den Fotos, die die Lehrerin in der Kleinstadt diskreditieren würden, zu erpressen. Er zwingt sie, sich vor ihrer Klasse, besonders aber vor Alessandro, auszuziehen, beginnend mit dem Verzicht auf einen BH bis zur kompletten Nacktheit bei den Privatstunden, die sie Alessandro in dessen Elternhaus gibt. Es wird zunehmend offensichtlich, dass Gabriele selbst kein Interesse an ihr hat, sondern nur seinen Freund damit konfrontieren will, den das Verhalten der Lehrerin verstört. Spätestens in einer Brunnenszene, in der sich die beiden jungen Männer umarmen, werden seine homoerotischen Gefühle offensichtlich, die ihm die Lehrerin zum Schluß konkret vorhält.

Das Gabriele in "Lezioni private" die Rolle eines gemässigten Bösewichts einnimmt und letztlich nicht zu seiner Homosexualität steht, ändert nichts an der lange Zeit sensiblen Darstellung, die ein komplexes Bild der unterschiedlich erwachenden Gefühle vermittelt. Diesen Eindruck unterstreicht noch die Gestaltung der älteren Männer, die nur als dumpfe Machos daher kommen. Alessandros Vater (Carlo Giuffrè, ähnlich einfältig viril wie in "Pensione paura") schwärmt ständig von seiner Zeit als Soldat in Afrika, wo er es angeblich ganz toll getrieben hatte, und vergisst immer das Alter seines Sohnes, und auch der Onkel (Renzo Montagnani) hat nichts besseres zu tun, als dem Neffen die körperlichen Vorzüge seiner Geliebten feixend vorzuführen.

Insgesamt ist De Sisti hier bemüht, die Sexualität aus dem schenkelklopfenden Image herauszuhalten, was "Lezioni private" über den Durchschnitt der damaligen Erotikfilme hebt, auch wenn der Film zeitgenössische Anpassungen vornehmen muss. Alessandros Weg bleibt im idealen Sinne konventionell. Der hübsche, blonde und sehr begabte Jung - Pianist wird durch seine Lehrerin auch in die Liebeskunst eingewiesen, bevor er mit gestärktem Selbstbewußtsein, dieses an die junge Emanuela weiter gibt. Emotional wirkte die Beziehung zwischen ihm und der reiferen Frau wesentlich überzeugender, aber trotz aller gewährten Blicke auf nackte Frauenkörper und kurzer Tabubrüche bleibt der Film letztlich doch ganz brav.

"Lezioni private" Italien 1975, Regie: Vittorio De Sisti, Drehbuch: Vittorio De Sisti, Paolo Brigenti, Darsteller: Caroll Baker, Rosalino Cellamare, Leonora Fani, Carlo Giuffrè, Renzo Montagnani, Laufzeit: 89 Minuten

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.