Sergente Castagnoli (Mario Adorf) und Tenente Martino (Tomas Milian)... |
... nehmen die Frauen in Empfang (vorne Valeria Moriconi) |
In Erinnerung an Tomas Milian, gestorben am 22.03.2017 mit 84 Jahren
Tomas Milians Auseinandersetzungen im Polizieschi der 70er Jahre mit Maurizio Merli ("Roma a mano armata" (Die Viper, 1976)) sind ebenso legendär wie sein "Superbulle" Nico Giraldi ("Squadra antiscippo" (Der Superbulle mit der Strickmütze, 1976)) oder seine Outlaw-Rollen im Italo-Western ("La resa dei conti" (Der Gehetzte der Sierra Nevada, 1966)). Obwohl die Stimme des gebürtigen Kubaners synchronisiert werden musste, wirkte er immer authentisch - ein entscheidender Grund für seine anhaltend große Beliebtheit. Aus heutiger Sicht ist nur noch schwer nachvollziehbar, wie politisch seine Rollen in ihrer Entstehungszeit waren. Seine Diskussionen mit dem nicht weniger authentischen "Law and Order"-Mann Merli am Set bildeten die Grundlage für ihre Dispute auf der Leinwand und die Verkörperung eines Polizisten mit antibürgerlicher Attitüde, der Sympathien für die kleinen Gauner in seinem römischen Viertel zeigte, war ein klarer Verstoß gegen das typische Abbild eines "Gesetzeshüters".
Aus seiner linksgerichteten politischen Haltung hatte Milian nie ein Geheimnis gemacht, aber sein Einstieg ins europäische Kino, dass ihn mit Regisseuren wie Mauro Bolognini ("La notte brava" (Wir von der Straße, 1959)), Alberto Lattuada ("L'imprevisto", (Bevor das Licht erlöscht,1961)), Nanni Loy ("Un giorna da leoni", 1961) oder Luchino Visconti ("Boccaccio '70" dritte Episode, 1962) zusammenarbeiten ließ, ist heute nahezu vergessen. Valerio Zurlinis "Le soldatesse" entstand ein Jahr bevor Milians Popularität mit seinem ersten Italo-Western neue Dimensionen erreichte und steht stellvertretend für diese Phase.
"Die Einen sagen, ihr habt verloren, die Anderen, ihr
habt gewonnen?"
Begutachtung im Bordell |
Die von der jungen Griechin Elenitza (Anna Karina) spöttisch
an den italienischen Offizier Tenente Gaetano Martino (Tomas Milian) gerichtete
Frage bleibt ohne Antwort, führt aber mitten in ein Kapitel des 2.Weltkriegs,
das dessen Irrsinn plakativ offenbart. Diktator Benito Mussolini hatte entgegen
dem Wunsch seines Verbündeten Adolf Hitler im Frühjahr 1941 von Albanien aus
Griechenland angegriffen, wurde von der griechischen Armee aber innerhalb
weniger Tage wieder hinter die Ausgangslinie zurückgedrängt. Anders als geplant
sah sich die deutsche Heeresleitung deshalb gezwungen, Griechenland (und
parallel Jugoslawien) anzugreifen, um Italien zu Hilfe zu kommen. Mit dem
Ergebnis, dass das Land nicht nur von deutschen Soldaten okkupiert wurde,
sondern auch von italienischen, die erneut in das Geschehen eingriffen, nachdem
sich die Situation zu ihren Gunsten gewendet hatte. Der Makel eines Siegers zweiter
Klasse blieb haften. Darauf ging Regisseur Zurlini zwar nicht näher ein, aber das
selbstherrliche Verhalten der Armee gegenüber der einheimischen Bevölkerung lässt
sich in „Le soldatesse“ nicht losgelöst davon betrachten.
Elenitza (Anna Karina) |
Die Handlung setzt ein Jahr später ein, als in Griechenland in
Folge der Besatzung eine verheerende Hungersnot herrscht. Tenente Martinos
Stimme erklingt aus dem Off und beschreibt Athen als einen Ort, in dem das
Sterben alltäglich geworden ist. Sein Wunsch, von hier verlegt zu werden, erfüllt
sich schneller als erwartet. Doch der Auftrag, der ihn zurück nach Albanien
führen soll, steigert noch die Absurdität einer Situation, deren Konsequenzen Ugo
Pirro in seiner Drehbuch-Vorlage auf die private Ebene verlagerte – auf die
Beziehung von Mann und Frau. Gemeinsam mit Sergente Castagnoli (Mario Adorf),
der ihm als Fahrer zugewiesen wird, soll Martino mit einem LKW zwölf
Prostituierte auf mehrere Stützpunkte der italienischen Armee verteilen, wo sie
Mannschaft und Offizieren im Bordell zur Verfügung stehen sollen.
Toula (Lea Massari) |
Außer der gebürtigen Italienerin Ebe (Valeria Moriconi), die
seit ihrem 14. Lebensjahr auf den Strich geht, ging keine der zwölf Frauen vor
Kriegsausbruch der Prostitution nach. Erst der Hunger trieb die jungen
Griechinnen dazu, ihre Körper zu verkaufen. Ihnen gegenüber stehen Männer, die nicht
nur Mitschuld an ihrer Situation tragen, sondern als Sieger ganz
selbstverständlich ihre Dienste in Anspruch nehmen. Eine Erniedrigung der
einheimischen Bevölkerung, die den Hass der Partisanengruppen noch zusätzlich schürt
und Martinos Tour mit dem Lastwagen durch die schwer einsehbare Hügellandschaft
zu einem Himmelfahrtskommando werden lässt. In dieser Zuspitzung erinnert „Le
soldatesse“ an "Le salaire de la peur" (Lohn der Angst, 1953), aber Regisseur
Zurlini forcierte nicht die offensichtliche Dramatik – auch hinsichtlich der
Action-Einlagen blieb er zurückhaltend – sondern konzentrierte sich auf das
Verhältnis der Protagonisten untereinander und schlug so den Bogen in die
Gegenwart des Jahres 1965.
Eftikia (Marie Laforet) |
In seiner kräftigen Schwarz-Weiß-Optik, den Bildern von
Zerstörung des Krieges und dem Leid der Bevölkerung, zitierte Zurlini den
Neorealismus der 40er Jahre. Dagegen scheinen die schönen jungen Frauen, die
als Bezahlung eine Essensration bekommen, mit ihren toupierten Frisuren und den
langen künstlichen Wimpern direkt aus den 60er Jahren zu stammen. Anna Karina
(„Une femme est une femme“ (Eine Frau ist eine Frau, 1960)), Lea Massari
("L'avventura" (Die mit der Liebe spielen, 1960)) und Marie Laforêt („Chasse à
l'homme“ (Jagd auf Männer, 1964)) gehörten zur selbstbewussten Riege junger
Darstellerinnen im aufkommenden Avantgarde-Kino der 60er Jahre und diese
Attitüde sollten sie auch in Zurlinis Film nicht ablegen. Anna Karina gab die kecke
Blondine, die sofort mit Martinos Befehlshaber (Guido Alberti) flirtet, Lea
Massari als Toula erträgt die Situation mit fatalistischer Geduld und die
intellektuelle Eftikia (Marie Laforêt) verweigert sich in offen gezeigter
Ablehnung.
Major Alessi (Aleksandar Gavric) hat seinen Spaß... |
Ihnen gegenüber stehen drei exemplarische Männer-Typen. Mario
Adorf spielte einen so rustikalen, wie sympathischen Unteroffizier, der sich
mit den Mädels seinen Spaß macht und sich bald mit der nicht weniger
pragmatischen Ebe anfreundet. Tomas Milian als junger Offizier, der sich einst freiwillig
zum Kriegseinsatz gemeldet hatte, ist mit seinem Anstand und seiner Ernsthaftigkeit
ein Kontrapunkt innerhalb des Militärs. Er behandelt die Frauen nicht nur mit
Respekt, sondern ist angewidert von der Übergriffigkeit seiner Geschlechtsgenossen.
Elenitza verliebt sich in ihn und verbringt eine gemeinsame Nacht mit ihm, aber
sie spürt, dass sein Herz der spröden Eftikia gehört. Die reflexive Figur des
Tenente Martino lässt sich nur schwer in den 40er Jahren verorten, sondern repräsentierte
die kritische Haltung des Regisseurs und seiner Autoren Mitte der 60er Jahre.
Dagegen erscheint Major Alessi (Aleksandar Gavric), ein Offizier der
faschistischen Miliz (MVSN), der an einem Kontrollpunkt als dritter männlicher
Protagonist dazu stößt, in seinem charakteristischen „Schwarzhemd“ prototypisch
für diese Phase.
...den seine Miliz-Kameraden auch verlangen |
Doch Zurlini war weniger an dessen politischer Haltung
interessiert, als an dessen männlicher Überheblichkeit. Der eitle Alessi agiert
geradezu lässig - als wäre alles ein großes Abenteuer - und lässt sich in einer
Pause auch nicht die Gelegenheit entgehen, mit Toula ins Gebüsch zu steigen.
Sehr zum Ärger von Martino, der den inneren Widerwillen der jungen Frau spürte.
Auffällig ist, wie häufig Mussolinis Waffengarde im italienischen Film bis zur
Lächerlichkeit karikiert wurde. In Filmen wie "Amori di mezzo secolo" (3.
Episode, 1954) oder Dino Risis Komödie über den „Marsch nach Rom“ („La marcia
su Roma“, 1962) wurden die „Schwarzhemden“ als vergnügungssüchtige Nutznießer
ihrer Machtposition überzeichnet. „Le soldatesse“ demonstrierte dieses
Verhalten in einer Szene, in der ein LKW voller johlender Milizen über die Landstraße
fährt, die sofort mehrere Mädchen von Martino einfordern. Gezwungenermaßen
überlässt er ihnen eine noch sehr junge Frau, die von den Männern
freudestrahlend auf der Ladefläche in Empfang genommen wird. Am nächsten Tag
sind sie alle tot. Erschossen von Partisanen, in deren Hinterhalt sie geraten
sind.
Abendliche Entspannung am Eisenbahnwaggon |
Eine Szene, die signifikant für den Paradigmen-Wechsel in „Le
soldatesse“ steht. Trotz seines realistischen Szenarios wird Zurlinis Film in seinen
ersten zwei Dritteln durch die Konfrontation sexuell ausgehungerter junger
Männer mit den hübschen Frauen geprägt. Wenn Martino mit seinem LKW an
Kontrollpunkten und Stützpunkten auftaucht, treten die Kriegswirren in den
Hintergrund. Den Höhepunkt dieser Phase erreicht der Film, als sie auf ihrer
Fahrt einen zurückgelassenen Zugwaggon entdecken, der ihnen eine Nacht mit Bett
und sanitären Annehmlichkeiten bietet. Frisch rasiert und geschminkt kommen sich
Männer und Frauen näher – ein Zustand der Normalität, der auch den Betrachter
die lebensgefährliche Situation einen Moment lang vergessen lässt. Und damit
die Schockwirkung vergrößert, als plötzlich Gewalt und Tod über die Beteiligten
hereinbrechen.
Martino und Eftikia |
"Le soldatesse" Italien, Frankreich 1965, Regie: Valerio Zurlini, Drehbuch: Ugo Pirro, Valerio Zurlini, Piero De Benardi, Leonardo Benvenuti, Franco Solinas, Darsteller : Tomas Milian, Anna Karina, Valeria Moriconi, Lea Massari, Marie Laforêt, Mario Adorf, Aleksandar Gavric, Guido Alberti, Laufzeit : 98 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Valerio Zurlini:
"Estate violenta" (1959)