"Beauregard"
(Tomas Milian) Bennet ist ein berüchtigter Bandenchef, der von einem Standort
in den Bergen aus die benachbarten Gemeinden überfallen hatte. Auch die anderen
Bandenmitglieder wurden getötet, festgenommen oder vertrieben, aber
„Beauregard“ will die Übriggebliebenen wieder zusammenbringen. Einen Moment
überlegt er, Professor Fletcher zu töten, aber er sieht keinen Sinn darin. Im
Gegenteil nimmt er sich des kränklichen Mannes an, der ihm geholfen hatte, und
bringt ihm nicht nur das Schießen bei, sondern wie man sonst noch in der
Wildnis überlebt. Auch Fletcher besinnt sich wieder auf seine Fähigkeiten und
beginnt, Bennets Rolle als Verbrecher in Frage zu stellen…
Sergio
Sollimas erster Italo-Western "La resa dei conti" (Der Gehetzte der
Sierra Madre, 1966) nutzte die Verfolgung eines des Mordes bezichtigten
Mexikaners durch einen vom us-amerikanischen Großkapital eingesetzten
Kopfgeldjäger zu einer grundsätzlichen Abhandlung über Machtmissbrauch und
Rassismus, blieb aber innerhalb der Genre-typischen Grenzen und stellte zwei
Protagonisten in den Mittelpunkt, die sich als Identifikationsfiguren anboten,
da sie sich trotz ihrer Verschiedenheit und ihres nicht eindeutigen Charakters
moralisch von ihrer Umgebung abhoben. "Faccia a faccia" (Von
Angesicht zu Angesicht) schien einen ähnlichen Weg einzuschlagen, stellte auch
eine Auseinandersetzung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern in den
Mittelpunkt, verzahnte diese aber mit einer Vielzahl weiterer prototypischer
Charaktere, um ein differenziertes Abbild des politischen Klimas seiner
Entstehungszeit zu entwerfen, dass das Western-Genre nur als äußeren Rahmen
verwendete.
Zum
zentralen Ort des Geschehens wird eine Lebensgemeinschaft inmitten einer
Gebirgslandschaft, die sich schon optisch von typischen Ansiedlungen
unterscheidet. Leichte, provisorisch wirkende Bauten bilden die Grundlage für
ein Leben in der Natur, dass Männer, Frauen und Kinder in Freiheit vereint,
jenseits der vorherrschenden Regeln. Sollima lässt diesen Eindruck nur langsam
entstehen, ohne sie als Ideal zu betonen. Im Gegenteil wirkt dieser Ort zuerst,
als Salomon Bennet, genannt "Beauregard" (Tomas Milian), nach seiner
Flucht aus dem Polizeigewahrsam mit einigen Kumpanen wieder dahin zurückkehrt,
wie der Stützpunkt einer Gangsterbande.
Als solcher
wird er auch von den Bürgern und Gesetzesvertretern der umliegenden Gemeinden
angesehen, die die Raubzüge der von "Beauregard" angeführten Männer
fürchten. Tatsächlich sind es nur Wenige, die aktiv daran beteiligt sind, um
damit die Gemeinschaft mit Nahrung und wichtigen Gütern zu versorgen, während
persönliche Bereicherung oder Machtausübung von der Gruppe nicht geduldet
werden. Damit verklausulierte Sollima den 1967 zunehmenden Konflikt zwischen
einer konservativ geprägten bürgerlichen Gesellschaft und einer Studenten- und
Hippie-Bewegung, die bewusst gegen bürgerliche Regeln und Gesetze verstieß, die
aus ihrer Sicht nur dem Erhalt bestehender Machtstrukturen dienten.
Funktionieren konnte diese Vorgehensweise nur mit einem idealisierten Typus als
Leitfigur, dessen Intentionen übergeordneten Zielen galten.
Die
Ähnlichkeit der von Milian verkörperten Figur des humanen Banditen zu "Che
Guevara", einem Vorbild der damaligen Jugendbewegung, ist kein Zufall. Wie
dieser scheut er sich nicht davor, Gewalt anzuwenden, um seine Ziele zu
verfolgen, aber niemals aus egoistischen Beweggründen. Die häufig vertretene
These, beide Protagonisten - hier der Bandit "Beauregard" Bennet,
dort Professor Fletcher (Gian Maria Volonté) aus dem Norden - entwickelten sich
jeweils in gegensätzlicher Richtung - ist nicht korrekt. Zwar wird der
instinktiv reagierende Bennet durch den intellektuellen Professor dazu
provoziert, seine Methoden in Frage zu stellen, aber damit verfolgte Sollima
nur die damals bis heute gültige Diskussion nach der Legitimation der Mittel
zur Durchsetzung von Zielen.
An
"Beauregard" Bennets menschlichen Qualitäten gibt es hingegen von
Beginn an keinen Zweifel, auch wenn er einen Moment in Erwägung zu ziehen
scheint, Fletcher zu erschießen, nachdem dieser ihm unfreiwillig zur Flucht
verholfen hatte. Die Art wie er sich des einsamen Mannes annimmt, den seine Krankheit
dazu gezwungen hatte, den zivilisierten Norden zu verlassen, zeugt von einer
zutiefst humanistischen Haltung, die durch seine Offenheit gegenüber dessen
Kritik noch gesteigert wird. Sollima geht nicht ins Detail hinsichtlich seiner
früheren Verbrechen, aber angesichts seiner Aktionen, die ausschließlich der
Befreiung von Kameraden gelten, entsteht der Eindruck eines Mannes, der nur nach
den Regeln des bürgerlichen Gesetzbuches als Bandit gilt. An Milians Rolle als
Identifikationsfigur besteht entsprechend kein Zweifel, aber Sergio Sollima,
der gemeinsam mit seinem häufigen Mitstreiter Sergio Donati das Drehbuch
erarbeitete, der auch an Sergio Leones Filmen (unter anderen "C'era una volta il west" (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968)) mitwirkte und Corbuccis
"Il bestione" (Die cleveren Zwei, 1974) schrieb, lag nicht an einem
Heldenepos, sondern an einer Konfrontation dieses Ideals mit der Realität.
Im
Gegensatz zu dem zumindest in emotionaler Hinsicht verlässlichen
"Beauregard" Bennet, ist der von Volonté gespielte Professor die zwiespältigere,
für Sollimas Intention entscheidende Figur. Von einer charakterlichen
Veränderung zu sprechen wäre auch in seinem Fall falsch, viel mehr zeigen sich
die Auswirkungen seines Denkens und Empfindens innerhalb einer veränderten
Situation. Im Norden der USA führte er ein von klaren Regeln bestimmtes Leben,
dass ihm zwar viel Zeit für seine Studien bot, aber seine Persönlichkeit stark
einschränkte. Obwohl der Film nur eine Szene dieses Vorlebens zeigt, wird an
seinem gehemmten Abschied von Elizabeth, deren Bild er in einem seiner Bücher
verwahrt, deutlich, wie wenig er gewagt hatte, aus den bestehenden Grenzen
auszubrechen.
Großartig
gelingt es Volonté, den Prozess eines Mannes wiederzugeben, der langsam seine
neue Situation begreift. Sein Gefühl geistiger Überlegenheit war immer schon
vorhanden, trat aber hinter seiner körperlichen Unzulänglichkeit und dem daraus
resultierenden fehlenden Mut zurück. Mit gesteigertem Selbstbewusstsein erlebt
Fletcher, wozu er in der Lage ist, aber er kann der Verführung der daraus
resultierenden Macht nicht widerstehen. Keine Bösartigkeit wird darin sichtbar,
sondern die Tragik eines Mannes, dessen gewachsenen Möglichkeiten nicht mit dem
dafür notwendigen Verantwortungsgefühl einhergehen. Die offene, keinen
hierarchischen Regeln unterworfene Struktur der Kommune, macht es ihm leicht,
diese diktatorisch durch Unterdrückung zu vereinnahmen und für seine Zwecke zu
missbrauchen.
Mit dem
brutalen, sinnlos Gewalt gegen Wehrlose ausübenden Angriff eines entfesselnden
Mob, verfolgte Sergio Sollima mehrere Ziele. Äußerlich wurde dieser gesetzlich
legitimierte Massenmord durch einen weit überlegenen Angreifer von der Kritik
am us-amerikanischen Engagement in Vietnam beeinflusst, entsprach aber auch der
Aggression, mit der damals die Bürgerschicht auf die Hippie-Bewegung reagierte.
Gleichzeitig zeigte sich daran die zwingende Notwendigkeit von Solidarität und
Homogenität innerhalb der Gruppe, denn erst der Verrat eines früheren Mitglieds
der Gemeinschaft, einhergehend mit der Zerstörung ihrer friedlichen Absichten
durch Professor Fletcher, ermöglichte den Angriff. Auch der jeder Verführung
widerstehende „Beauregard“ kann diese Konsequenzen nicht verhindern, denn sein
Instinkt und seine humanen Absichten werden als Naivität entlarvt. Nur einer
Figur gelingt es, den Schaden zumindest einzugrenzen und eine gewisse
Gerechtigkeit walten zu lassen.
Der von
William Berger gespielte Charley Siringo entspricht äußerlich einem cool
auftretenden Pistolero, hinter dem sich aber ein Undercover-Agent der Detektei
Pinkerton verbirgt. Die Zwiespältigkeit seines Charakters basiert nicht wie bei
Professor Fletcher auf emotionalen Reaktionen, sondern in einem Verhalten, dass
jede Situation nach ihrem pragmatischen Nutzen bewertet. So scheut sich Siringo
nicht, einen Sheriff kaltblütig zu erschießen, um damit „Beauregards“ Vertrauen
zu gewinnen, ihn aber sofort zu verraten, als die Bande einen Banküberfall
begehen will, um damit deren gemeinsame Verhaftung zu ermöglichen.
Sein
Erschleichen von Vertrauen durch Vortäuschung einer falschen Identität, lässt
ihn negativ erscheinen, aber anders als eine Bürgerschicht, deren Handeln von
Hass und Besitzdenken bestimmt wird, agiert er ohne persönliche Animositäten
auf der Basis des bürgerlichen Gesetzbuches. Siringo ist, allerdings reduzierter
und weniger charismatisch angelegt, eine Variation der Rolle Lee van Cleefs als
Kopfgeldjäger in „La resa dei conti“ – ein konservativ denkender Pragmatiker, der
beginnt, auch andere Kriterien in seinem Weltbild zuzulassen, angesichts des
offensichtlichen Unrechts, dass die Menschen begehen, für deren Belange er sich
bislang einsetzte. Sein Verhalten ist in „Faccia a faccia“ nicht mehr als ein
kleiner Hoffnungsschimmer.
Diese Frage
lässt sich nicht eindeutig beantworten, womit die trotz der generell positiven
Reaktion fehlende angemessene Anerkennung dieses singulären Werks erklärbar
wird. Sergio Sollima selbst erwähnte in einem Interview den Freiraum, den ihm das
Western-Genre ermöglichte. Dank der dort archaisch anmutenden Strukturen in der
menschlichen Sozialisation, lassen sich deren innere Abläufe an wenigen
zugespitzt gestalteten Situationen verdeutlichen, ohne in die Gefahr einer zu großen
Nähe zu realen Begebenheiten oder Ideologien der Gegenwart zu geraten, die
häufig einen offenen Umgang mit dem Gesehenen verhindern.
„Faccia a
faccia“, der trotz seiner komplexen psychologischen Anlage klar strukturiert
und jederzeit nachvollziehbar bleibt, ist für einen Western sehr sprachlastig
und setzt nur auf wenige typische Actionszenen, die meist einen ernsthaften
Hintergrund haben. Für einen Politfilm bleibt der Film dagegen zu
verklausuliert, um eine eindeutige gegenwartsbezogene Gesellschaftskritik
auszuüben. Doch erst dank dieser untypischen Kombination entfaltet „Faccia a
faccia“ seine Faszination, der sich ein Betrachter nur schwer entziehen kann.
"Faccia a faccia" Italien, Spanien 1967, Regie: Sergio Sollima, Drehbuch: Sergio Sollima. Sergio Donati, Darsteller : Gian Maria Volonté, Tomas Milian, William Berger, Aldo Sambrell, Jolanda Modio, Laufzeit : 107 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Sollima:
"L'amore difficile" (1962)