Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Donnerstag, 30. August 2012

Profondo rosso (Rosso - die Farbe des Todes) 1975 Dario Argento


Inhalt: Während eines Kongresses für Parapsychologie kommt es zu einem Eklat, als das Medium Helga Ulmann (Masha Méril) spürt, das sich ein Mensch unter den Besuchern befindet, der schon einmal gemordet hat. Sie kann die Person nicht identifizieren, aber als sie – stark von dessen Bösartigkeit getroffen – ihren Vortrag abbricht und nach Hause geht, wird sie verfolgt. Doch in ihrer Wohnung findet sie keinen Schutz, denn der unbekannte Mörder will nicht riskieren, von ihr erkannt zu werden.

Der Musiker Marcus Daly (David Hemmings), der am späten Abend zu seiner Wohnung im Zentrum Roms unterwegs ist, wo er oberhalb von Helga Ulmann lebt, wird unmittelbar Zeuge des Verbrechens, als er - auf dem Platz vor dem Gebäude stehend - sieht, wie der Mörder die junge Frau mit der Fensterglasscheibe tötet. Obwohl er sofort zu ihr rennt, kann er sie nicht mehr retten, entdeckt aber auch den Mörder nicht, der sich geschickt in der Wohnung verbirgt. Von oben muss er mit ansehen, wie sich eine dunkle Gestalt langsam über den leeren Platz entfernt. Nur sein Freund Carlo (Gabriele Lavia), der in einer nahe gelegenen Nachtbar als Pianist arbeitet, müsste diese gesehen haben, kann sich aber an keine Details erinnern.

Daly will herausfinden, wer der Mörder ist, wird aber nicht nur mit dem Verschwinden seines Freundes Carlo konfrontiert, sondern mit weiteren Morden…


Im Gegensatz zu vielen italienischen Filmemachern der von mir betrachteten Epoche, existieren zu den Werken Dario Argentos schon umfangreiche Texte im Internet. Erst die Gelegenheit, zwei seiner früheren Werke beim „Cinestrange“ – Festival in Dresden auf der Kinoleinwand sehen zu können (Neben „Profondo rosso“ noch „Suspiria“ (1977)), eröffnete mir den Zugang zu seinen Filmen. Entscheidend waren aber die für mich überraschende persönliche Anwesenheit des Regisseurs und dessen ausführliche Erläuterungen zu beiden Filmen. Diese bilden die Grundlage zu meinem Text, der bewusst knapp gehalten ist und sich auf Argentos analytische Angaben konzentriert, verbunden mit meinen eigenen Eindrücken.



Das Attribut "profondo" bezeichnet nicht nur die Tiefe der Farbe Rot im Titel "Profondo rosso", sondern geht im Italienischen darüber hinaus. Hintergründigkeit und Verinnerlichung verbergen sich hinter dem Rot des Blutes, dem äußeren Zeichen des Todes - genauer konnte Dario Argento seinen Film nicht überschreiben. Der deutsche Titel "Rosso - Farbe des Todes" bleibt dagegen oberflächlich. 

Von der ersten Szene an, als der Pianist und Dirigent Marcus Daly (David Hemmings) sein Orchester freundlich zurecht weist, bevor Argento die Szene zum Kongress für Parapsychologie wechselt, wo das Medium Helga Ulmann (Macha Méril) von ihren Erfahrungen spricht, wird die Stilisierung deutlich, die Argento anstrebt. Mehr Menschen als in dem Theatersaal werden im weiteren Film innerhalb einer Einstellung nicht mehr zu sehen sein, aber auch in dieser wird schon spürbar, das die eigentliche Handlung im Hintergrund abläuft - nie überdeckt Argento die innere Symbolik mit äußerlichem Aktionismus.  

Der Ort, an dem Daly zufällig Zeuge des Mordes an Helga Ulmann wird, befindet sich im Zentrum Turins, ein Platz mit einem wunderschönen Brunnen inmitten klassischer Bürgerhäuser, aber er wirkt wie eine Theaterkulisse. Seitlich dieses Platzes befindet sich eine stylische Bar mit einer Glasfassade, aber Leben wird diesem Ort nicht eingehaucht. Einzig Daly und sein Freund Carlo (Gabriele Lavia), ebenfalls Pianist, der seine Rolle als Barpianist im Suff ertränkt, agieren innerhalb dieser Kulisse. Auch Helga Ulmann war allein in ihre Wohnung zurückgekehrt, nachdem sie die Anwesenheit eines Mörders bei dem Kongress gespürt hatte und deshalb ihren Vortrag unterbrach. Ihre Wohnung ist riesig, voller Gemälde und weiterer Kunstgegenstände, aber sie wirkt innerhalb dieser Fülle schutzlos und einsam, dem Angreifer hilflos ausgeliefert.  

Argento hatte David Hemmings nicht nur wegen seiner Rolle in "Blow up" (1966) als Hauptdarsteller engagiert, indem er ebenfalls Zeuge eines Mordes wurde, sondern wegen seiner Begeisterung für Michelangelo Antonionis Stil. Mit diesem verbindet ihn die Begeisterung für die Architektur, die ein bestimmendes Element in "Profondo rosso" bleibt und erst den Raum für seine Kreationen schafft - Straßen und Plätze, das Dach mit den Glaseinfassungen, die Schulbibliothek, die große Villa mit dem geheimnisvollen Zimmer. Immer sind diese Räume leer, bevölkert nur von den wenigen handelnden Personen, ohne das es deutlich wird, wer der Mörder ist. Argento nutzt diese Stilmittel für einen geschickt aufgebauten Giallo, der Daly von einer Spur zur nächsten treibt, nur um ihn mit weiteren Morden zu konfrontieren, die teilweise mit großer Brutalität inszeniert werden. 

Trotzdem wäre es falsch, "Profondo rosso" auf einen "Who done it ?" - Film zu reduzieren, denn seine eigentliche Spannung zieht er nicht aus diesem Rätsel, sondern aus den genau inszenierten, klar strukturierten Szenen, der morbiden Atmosphäre, deren Wirkung stark durch die gezielt eingesetzte, mal getrieben rhythmische, mal unwirklich klingende Filmmusik beeinflusst wird, und einer Leere, die nicht nur die äußerliche Situation der Agierenden widerspiegelt, sondern auch ihre innere Leere verdeutlicht, worin sich wieder Parallelen zu Antonionis Stil zeigen. Das daraus keine sprichwörtlich "todernste" Angelegenheit wurde, liegt am Zusammenspiel von Daly und der Jornalistin Gianna (Daria Nicolodi), die ihn auf der Suche nach dem Mörder begleitet. Daly ist davon keineswegs begeistert, wodurch sich urkomische Streitgespräche um das Verhältnis von Mann und Frau ergeben, die auch in schwierigen Situationen nicht enden. 

Dario Argento beabsichtigte damit keineswegs eine gezielt witzige Auflockerung, sondern ließ seinen Protagonisten den Freiraum für ihre Diskussionen, die trotz ihrer Komik nie wie ein Bruch innerhalb der Handlung wirken. Im Gegenteil entstand durch diese Lebendigkeit erst das Gleichgewicht zwischen der tiefgründigen Ästhetik, der akustischen Effekte und der mörderischen Handlung, der "Profondo rosso" zu einem stilbildenden Giallo werden ließ.

"Profondo rosso" Italien, Spanien 1975, Regie: Dario Argento, Drehbuch: Dario Argento, Bernadino Zapponi, Darsteller : David Hemmings, Daria Nicolodi, Gabriele Lavia, Macha Méril, Clara Calamai, Laufzeit : 127 Minuten

Donnerstag, 16. August 2012

Un flic (Der Chef) 1972 Jean-Pierre Melville



Inhalt: Ein amerikanischer Straßenkreuzer fährt entlang einer verlassenen Strandpromenade eines französischen Küstenortes, während Wind und Regen vom Meer landeinwärts peitschen. Aus dem Wagen, der in der Nähe einer Bankfiliale anhält, steigen trotz des unwirtlichen Wetters drei Männer, die kurz hintereinander die Bank betreten. Auf ein verabredetes Zeichen hin maskieren sie sich und bedrohen Angestellte und Kunden mit ihren Waffen. Trotz der exakten Ausführung des Überfalls, kommt es zu einem unvorhergesehenen Ereignis, als einer der Angestellten den Helden spielt und einen der Bankräuber schwer verletzt, selbst dabei aber getötet wird.

Mit dem Verletzten verlassen die Männer die Bank, entkommen der Polizei dank ihres eingehaltenen Zeitplans und gelangen unentdeckt wieder nach Paris. Dort gehen Simon (Richard Crenna), Nachtclubbesitzer und Kopf der Gruppe, Paul Weber (Riccardo Cucciolla) und Louis Costa (Michael Conrad) erst einmal getrennte Wege, nachdem sie den Verletzten in ein Krankenhaus gebracht hatten. Doch wenig später organisieren sie gemeinsam mit Simons Freundin Cathy (Catherine Deneuve) den Mord an ihrem Kollegen, damit dieser nicht mehr in der Lage ist, gegen sie auszusagen. Besonders Kommissar Edouard Coleman (Alain Delon), der selbst mit Cathy ein Verhältnis hat, hat Simon schon lange in Verdacht…


Das es sich bei "Un flic" (Der Chef) um Jean-Pierre Melvilles letzten Film handelt, ist seinem frühen Tod mit 55 Jahren geschuldet. Trotzdem wirkt der dritte mit Alain Delon in der Hauptrolle gedrehte Gangsterfilm schon wie sein Abgesang - ein Werk, das scheinbar nicht mehr die Qualität von "Le samouraï" (Der eiskalte Engel, 1967) oder "Le cercle rouge" (Vier im roten Kreis, 1970) erreichte.

Zudem wiederholt sich eine Vielzahl von Elementen, die prägend für seine späten Kriminalfilme wurden. Der Zusammenschluss einzelner Männer zu einer Gang, deren professionell geplanter, in Echtzeit ablaufender Raubüberfall und der ihnen hartnäckig folgende, intelligent vorgehende Kommissar waren schon Bestandteil von "Le deuxième souffle" (Der zweite Atem, 1966), wurde in "Le samouraï" mit einem Einzelgänger variiert, bevor es in "Le cercle rouge" zur Auseinandersetzung zwischen drei Männern und einem Polizisten kam, die sich in ihrer Einsamkeit und Perspektivlosigkeit sehr ähnlich waren. Begleitet wurden diese Szenarien von klar komponierten, graphischen Bildern, ruhigen Handlungsabläufen und sparsamen Dialogen, die sich auf das Wesentliche beschränkten.

Die Auflistung dieser Charakteristika an Hand seiner späten Filme - zu denen noch "L'armée des ombres" (Armee der Schatten, 1969) gehört, der sich zwar dem französischen Widerstand während des 2.Weltkriegs widmete, dabei aber ähnliche Mechanismen anwendete - vermittelt in der oberflächlichen Zusammenfassung eine inhaltliche Homogenität, die Melvilles Filme nicht haben. Trotz der stilistischen Verwandtschaft entwickelte Melville bei jedem Film eine individuelle Intention, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führte. Das gilt besonders für "Un flic", der eine thematische Umkehr zu seinem Vorgängerfilm "Le cercle rouge" bedeutete und kaum noch Ähnlichkeiten mit Melvilles früheren Filmen aufweist.

Der Beginn ist äußerlich noch typisch. Mit einem perspektivisch weiten Blickwinkel erfasst die Kamera den amerikanischen Straßenkreuzer - für den USA - Fan Melville ein klassisches Element - der entlang einer einsamen Strandpromenade fährt, über die starker Wind und Regen fegt. Das Fahrzeug hält in der Nähe einer Bank, die sich in einem Gebäude der ausgestorben wirkenden Gegend befindet. Drei seriös gekleidete Männer steigen aus und betreten die Filiale, während der Fahrer freien Blick auf die weitläufigen, leeren Straßen hat. Der Raub verläuft nach Plan, außer das ein Angestellter noch den Helden spielt und einen der Bankräuber bei einem Schusswechsel verletzt. Unabhängig davon, gelingt die Flucht wie geplant und die vier Männer erreichen Paris unbehelligt mit der Beute.

Wie gewohnt schildert Melville die Abläufe detailliert in Echtzeit, aber er verzichtet erstmals auf eine Vorgeschichte. Die genaue Planung, die sehr viel über die beteiligten Charaktere ausgesagt hätte, entfällt, was zur Konsequenz hat, das das angeschossene Bandenmitglied anonym bleibt. Da sein Zustand lebensgefährlich ist, wird er von den Kameraden in ein Krankenhaus gebracht. Seine Ermordung, um bei dem Bewusstlosen eine spätere Aussage zu verhindern, wird von den drei anderen Bandenmitgliedern Simon (Richard Crenna), Louis Costa (Michael Conrad) und Paul Weber (Riccardo Cucciolla) mit Hilfe von Cathy (Catherine Deneuve) ausgeführt, die als verkleidete Krankenschwester einen Herzinfarkt auslöst. So nüchtern und in der Sache konsequent diese Aktion von Melville gezeigt wird, bricht er damit die Regeln, die in seinen früheren Filmen noch galten.

Die Protagonisten seiner Filme konnten demoralisiert und ohne Zukunftsaussicht sein, doch galten für sie noch immer die Regeln der persönlichen Ehre. Diese auch unter Einsatz des eigenen Lebens zu verteidigen, besonders innerhalb des Kreises ihrer Kameraden, blieb in Melvilles Kriminalfilmen immer die wichtigste Motivation. Selbst der Profi-Killer Jef Costello in "Le samouraï", fälschlicherweise als „Der eiskalte Engel“ im deutschen Filmtitel bezeichnet, handelte nach dieser Maxime. Während Melvilles Sympathien in seinen früheren Filmen den Kriminellen galten, deren Charaktere er vielschichtig ausarbeitete, verliert die Bande um Simon schon zu Beginn ihre Unschuld. Das diese Gewichtung nicht unmittelbar auffällt, liegt an der Rolle Alain Delons als Kommissar Edouard Coleman, die in ihrem kompromisslosen Ehrgeiz weder Ähnlichkeiten zu seinen früheren Rollen unter Melville, noch zu den bisherigen Polizisten aufweist, die mit psychologischen Methoden Zeugen und Verfolgte zu überführen versuchten.

Auffällig bleibt in „Un flic“, das sich Melville, anders als in seinen bisherigen Filmen, nicht um die Vertiefung der Charaktere kümmert. Außer über den bürgerlichen Paul Weber, der seiner Frau nichts von seiner kriminellen Karriere erzählt, sondern vorgaukelt, sich weiterhin um einen neuen Job zu bewerben – offensichtlich ein aussichtsloses Unterfangen für den über 50jährigen – erfährt der Betrachter keine Hintergründe oder Motive. Doch Weber bleibt eine Randfigur, während das Dreiecksverhältnis zwischen dem Meisterdieb Simon, dem Kommissar und der schönen Cathy eine Konstruktion bleibt, die Melville nicht mit Leben erfüllt. Offensichtlich variiert Melville in „Un flic“ seinen eigenen Stil, indem er Typen in den Mittelpunkt stellt, die in ihrer Optik und im Gestus seinen früheren Protagonisten ähneln, deren Handeln er aber von menschlichen Gefühlen endgültig befreit hat.

Das Bild von Kommissar Coleman bleibt in Erinnerung, wenn er teilnahmslos in seinem Auto herumfährt, darauf wartend, das ein Telefonanruf ihn zum nächsten Tatort beordert. Ein Privatleben existiert nicht mehr und die Aufklärung eines Verbrechens wird zum einzigen Lebensinhalt. Ähnliches lässt sich auch über seinen Gegenspieler und Nachtclub-Besitzer Simon sagen, dessen Intention, geniale Verbrechen zu begehen – wie der Raub von einem Hubschrauber aus – nur in der Aktion selbst zu liegen scheint. Von einer Freundschaft zwischen den Männern zu sprechen oder von deren Liebe zu Cathy, die sich als kaltblütige Mörderin erwiesen hatte und auch im Umgang mit ihren Liebhabern emotionslos bleibt, wäre ein Versuch, Gefühle in Melvilles Film zu transportieren, die nicht vorhanden sind.

Deutlich wird das auch an der Gesamtanlage des Films, der trotz zweier detailliert gezeigter Verbrechen nicht über die epische Breite seiner früheren Filme verfügt. Den Interaktionen und Gesprächen zwischen den Protagonisten wird nur wenig Raum gegeben, längere Dialoge finden nicht statt. Wie sehr Melville jede Emotion reduziert, wird daran erkennbar, das er das Polizeiverhör von Louis Costa gar nicht erst zeigt. Der Versuch der Polizei, Kriminelle zum Sprechen zu bringen, war immer ein wesentlicher Bestandteil seiner Filme, signifikant für den Charakter beider Seiten. Hier wird nur das Ergebnis gezeigt, gibt der Film Costa keine Chance zur Relativierung. Auch die Interpretation, durch Delons Wechsel auf die Polizeiseite, hätte Melville die Ähnlichkeit beider Seiten betonen wollen, greift zu kurz, denn die von Delon zuvor gespielten kriminellen Charaktere blieben trotz ihrer Coolness immer emotional nachvollziehbar.

Aus dieser Sichtweise entsteht die Irritation, die Melville mit „Un flic“ erzeugte, der eine konsequente Weiterführung seiner fatalistischen Sichtweise auf die menschlichen Verhaltensweisen wurde. Trotz des Pessimismus in seinen früheren Filmen, lag noch eine gewisse Romantik in den engagiert geplanten Raubzügen und dem respektvollen gegenseitigen Umgang, war noch eine Identifizierung mit den Protagonisten möglich. Davon blieb in „Un flic“ nichts mehr übrig, weshalb dem Film die verdiente Anerkennung oft vorenthalten wurde. Leider konnte Jean-Pierre Melville seinen Weg nicht mehr weiter gehen.

"Un flic" Frankreich / Italien 1972, Regie: Jean-Pierre Melville, Drehbuch: Jean-Pierre Melville, Darsteller : Alain Delon, Richard Crenna, Catherine Deneuve, Riccardo Cucciolla, Michael Conrad, Laufzeit : 99 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Jean-Pierre Melville:

"Le samourai" (1967)

Montag, 6. August 2012

La polizia incrimina la legge assolve (Tote Zeugen singen nicht) 1973 Enzo G. Castellari


Inhalt: Die Polizei unter der Führung von Commissario Belli (Franco Nero) beobachtet die Ankunft eines Kontaktmannes der Drogen-Mafia am Hafen von Genua, der aus Marseille gekommen war. Als sich dieser einer Verhaftung entzieht, verfolgt Belli das Fluchtfahrzeug mit einer waghalsigen Fahrt über Genuas Straßen, bis die Verfolgten verunglücken. Beim Transport des möglichen Zeugen zum Polizeipräsidium werden sie kurz vor der Ankunft von einem Lastwagen aufgehalten. Als Belli den Fahrer deshalb anspricht, muss er mit ansehen, wie das Auto von einer Bombe in die Luft gejagt wird.

Noch frustriert von diesem Ereignis besucht Belli den alten Clanchef Cafiero (Fernando Rey), der sich nur noch dem Garten seiner herrschaftlichen Villa über Genua widmet. Diesem war nicht entgangen, dass inzwischen eine andere Gruppierung versucht, den Drogenmarkt zu übernehmen, aber er behauptet, damit nichts mehr zu tun zu haben. Sein Mitarbeiter Rico (Daniel Martin) reagiert deutlich unfreundlicher auf Belli, als dieser das Anwesen wieder verlässt, aber Cafiero beruhigt ihn und bespricht mit ihm die Situation. Am selben Abend kommt es am Hafen von Genua zu einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen den konkurrierenden Drogen-Kartellen…


Der Filmtitel "La polizia incrimina la legge assolve" (wörtlich "Die Polizei klagt an, das Gesetz spricht frei") ähnelt in seiner ironischen Anspielung dem ein Jahr zuvor erschienenen Poliziesco "La polizia ringrazia" (Das Syndikat, 1972) und dessen Nachfolger "La polizia sta a guardare" (Der unerbittliche Vollstrecker, 1973), aber Regisseur und Drehbuchautor Enzo G.Castellari trieb das Genre in seinem ersten Polizeifilm zu einer kompromissloseren Sichtweise, ist wütender und härter, ohne dabei die Realität aus den Augen zu verlieren.

Die von Franco Nero verkörperte Figur des Commissario Belli wird zwar - anders als sein Kollege in Stenos "La polizia ringrazia" - von keinem Vorgesetzten oder Staatsanwalt bei seiner Arbeit überwacht oder eingeschränkt, handelt auch sehr direkt, unter Einsatz von körperlicher Gewalt, bleibt aber weit von Selbstjustiz oder anderen fragwürdigen Polizeimethoden entfernt. Nur dadurch funktioniert die Diskussion mit seinem Vorgesetzten Aldo Scavino (James Withmore), die ihre Aktionen danach hinterfragen, ob sie sinnvoll und zielführend sind oder nur die Spirale der Gewalt sinnlos antreiben. Belli vertritt in dieser Konstellation den treibenden Part, der seine Wut durch die täglichen Erlebnisse auf Genuas Straßen kaum noch bändigen kann, Scavino dagegen liegt an der Ermittlung von stichfesten Beweisen, um auch die Hintermänner vor Gericht bringen zu können.

Diese unterschiedliche Sichtweise erinnert nicht zufällig an Damianis "Confessione di un commissario di polizia al procuratore della repubblica" (Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauerte, 1971), aber Castellaris Film lebt den Konflikt offener aus, lässt Belli seinen Vorgesetzten angreifen, ihm Feigheit und mangelnde Unabhängigkeit vorwerfen. Zudem gesellt sich mit dem alten Bandenchef Cafiero (Fernando Rey), der sich angeblich zur Ruhe gesetzt hat, noch eine weitere Person hinzu, dessen so realistische wie fatalistische Sichtweise die Diskussion der beiden Polizeioffiziere zunehmend als müßig erscheinen lässt - eine Haltung, der sich "La polizia incrimina la legge assolve" insgesamt anschließt.

Denn in Castellaris Film wird jeder konstruktive Versuch, der Drogen-Mafia Einhalt zu gebieten, durch deren unmittelbare Gewalt torpediert. Nach einer grandiosen Verfolgungsjagd über Genuas Straßen, bei der auch die Hochstraße - wie später erneut in "Genova a mano armata" (1976) - eine optisch eindrucksvolle Rolle spielt, gelingt es Belli einen aus Marseille kommenden Kontaktmann, genannt der "Libanese", zu verhaften, nur um mit ansehen zu müssen, wie das Polizeiauto vor dem Polizeipräsidium mit dem möglichen Zeugen in die Luft gejagt wird. Er selbst entkommt dem Bombenanschlag nur durch Zufall.

Diesen schnellen Rhythmus aus Aktion und Gegenaktion behält der Film über die gesamte Laufzeit, denn jeder scheinbare Erfolg der Polizei wird durch eine sofortige Reaktion der Verbrecherbanden beantwortet, die vor den erschreckendsten Gewalttaten nicht zurückschrecken. In "La polizia incrimina la legge assolve" gibt es für keinen Beteiligten eine Überlebensgarantie und dank der Auseinandersetzung der zwei Banden, wird auch nie deutlich, welche Interessen gerade vertreten werden. Selbst Täter können in kürzester Zeit zum Opfer werden - Rico (Daniel Martin), eigentlich ein Handlanger Cafieros, der eigene Ziele verfolgt, wird kurz nach einem brutalen Mord, bei dem er sein Opfer zudem kastriert hatte, selbst von gegnerischen Bandenmitgliedern hingerichtet. Nur der Industrielle Franco Griva (Silvano Tranquilli), ein unbescholtener Bürger, der bis in die höchsten politischen Kreise Kontakte pflegt, bleibt von diesem Chaos scheinbar unberührt. Er lässt sich auch nicht durch Scavinos und Bellis Besuch aus der Ruhe bringen. 

An Castellaris kritischer Sicht auf eine Gesellschaft, die längst von Kriminalität unterwandert wurde, gibt es keinen Zweifel, aber ihm geht es weder um Ausgewogenheit, noch um moralische Fingerzeige, sondern um den präzisen Blick auf eine Situation, die nicht mehr beherrschbar ist. Besonders deutlich werden diese Momente, wenn er Gedanken und Erinnerungen mit der Gegenwart optisch verzahnt und damit die Hilflosigkeit der Protagonisten noch versinnbildlicht - ihre Erkenntnisse kommen fast immer zu spät. Begleitet von der aufwühlenden Musik der Brüder De Angelis treibt Castellari Commissario Belli, dem nur wenige, zerbrechliche private Momente mit seiner Freundin (Delia Boccardo) und seiner Tochter ( Stefania Girolami Goodwin (Castellaris Tochter)) vergönnt sind, immer tiefer ins Geschehen und wurde damit stilbildend für das Genre.

"La polizia incrimina la legge assolve" Italien, Spanien 1973, Regie: Enzo G. Castellari, Drehbuch: Enzo G. Castellari, Tito Carpi, Maurizio Amati, Darsteller : Franco Nero, Fernando Rey, James Whitmore, Delia Boccardo, Silvano Tranquilli, Laufzeit : 98 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Enzo G. Castellari:

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.