Inhalt: Die
Hochzeit von Luisa (Gabriella Pallotta) und Natale Pilon (Giorgio Listuzzi) ist
schnell vorbei. Natales Geld reicht für ein paar Hochzeitsfotos und Luisas
Kleid ist geliehen. Nachdem sie seine Eltern mit einem Taxi abgesetzt haben,
fahren sie mit einem Bus ans Meer, wo Luisas Familie lebt. Doch ihr Vater, ein
Fischer, der gegen ihre Hochzeit mit dem einfachen Hilfsarbeiter war, ist schon
aufs Meer gefahren und will nicht mit ihr sprechen. Bevor er am nächsten Morgen
wieder zurückkommt, müssen Luisa und Natale wieder den ersten Bus nach Rom nehmen.
Zu den
menschlichen Grundbedürfnissen nach Maslow gehört neben den körperlichen
Bedürfnissen wie Nahrung und Kleidung, besonders das Sicherheitsgefühl, das
sich im Recht auf einen eigenen Wohnraum ausdrückt - das sprichwörtliche
"Dach über dem Kopf". Miserable Lebensverhältnisse zeichnen sich in
der Regel dadurch aus, das Menschen in primitiven Behausungen leben, die in der
Peripherie von Großstädten zu riesigen Slums ausgewuchern - ein Sinnbild für
die Unfähigkeit eines Landes, ausreichenden und geeigneten Wohnraum für die
eigene Bevölkerung beschaffen zu können. Im bürokratisch durchorganisierten
Europa gelten solche Verhältnisse als überwunden, aber die Grenze ist schmal,
wie auch im überteuerten Wohnraum deutscher Großstädte zu beobachten ist - wer es
sich nicht leisten kann, muss an den Rand der Stadt oder in ländliche Gebiete
ziehen, wo es weniger Arbeitsplätze und eine schwächer ausgebaute Infrastruktur
gibt.
Nach dem
2.Weltkrieg gehörte die schnelle Bereitstellung neuen Wohnraums zu den wichtigsten
organisatorischen Aufgaben in den vom Bombardement zerstörten Ländern, denn der
intakt gebliebene Bestand war hoffnungslos überbelegt. In Italien erschwerte
eine zusätzliche Entwicklung die Beseitigung dieses Notstands - die enorme
Zuwanderung aus ländlichen Gebieten in die Großstädte. Während die
Einwohnerzahl der zweitgrößten Stadt Deutschlands, Hamburg, zwischen 1950 und
1970 um ca.200tsd auf 1,8 Millionen anstieg, verzeichnete Rom in diesem
Zeitraum einen Zuwachs von 1,2 Millionen Menschen. Seit 1936, als Rom noch 1,16
Millionen Einwohner hatte, hatte sich ihre Zahl auf fast 2,8 Millionen mehr als
verdoppelt. Auch in Mailand und Turin entstanden eine Vielzahl von
Schwarzbauten, aber besonders Rom bekam die entstehenden Slums auf den
Freiflächen am Rand der Stadt nicht in den Griff, obwohl gleichzeitig ganze
Neubau-Stadtteile entstanden.
Das
Menetekel dieser mangelhaften und menschunwürdigen Wohnsituation wurde die
Hauptstadt Italiens lange Zeit nicht mehr los und zieht sich wie eine rote
Linie durch das Filmschaffen kritischer Regisseure und Drehbuchautoren. Galt
der zerstörte und überbelegte Wohnraum in den frühen neorealistischen Werken
noch als unmittelbare Folge des Krieges, gab dieser Missstand in den späteren
Filmen Anlass zu unterschiedlichen Interpretationen. Während Totò 1949 in einem
Vorläufer der "Commedia all'italiana" in "Totò cerca casa"
von Mario Monicelli und Steno auf eine absurde Wohnraumsuche geschickt wurde,
betrachtete Vittorio De Sica diese Situation in "Miracolo a Milano"
(Das Wunder von Mailand, 1951) von der ernsthaften Seite. Der Slum war noch
Zufluchtsort, weshalb dessen rigorose Beseitigung die Bewohner vor erneute
Probleme stellte. Dem entgegengesetzt schilderte Ettore Scola in "Brutti,sporchi e cattivi" (Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen)
1976, ein Vierteljahrhundert später, die römischen Slums fatalistisch als einen
Ort, an dem es sich seine Bewohner längst eingerichtet haben.
Für Pier
Paolo Pasolini gab es aus den menschenunwürdigen Verhältnissen am Rande Roms in
"Accattone" (Accattone - wer nie sein Brot mit Tränen aß, 1961) kein Entrinnen mehr und erneut Monicelli beschrieb
in der ersten Episode von "Boccaccio '70" (1962), wie schwierig es
für junge Paare war, eine Beziehung im überfüllten Haus der Eltern zu führen.
Seinen Protagonisten gelingt es am Ende, ein Appartement in den neu gebauten
Wohntürmen zu erlangen. Wie sich herausstellt auch keine ideale Situation, aber
De Sicas Protagonisten in "Il tetto" (Das Dach) wären mehr als
dankbar dafür gewesen. Denn der erste Eindruck des Films täuscht - die Hochzeit
von Luisa (Gabriella Pallotta) und Natale Pilon (Giorgio Listuzzi) ist nur
einen Moment lang feierlich. Danach stürzen die Gäste davon und Luisa zieht ihr
geliehenes Hochzeitskleid noch im Taxi aus, während ihr frisch Vermählter
versucht, den Preis beim Fahrer herunter zu handeln. Sie eilen zu einem Bus,
der sie ans Meer zu Luisas Eltern bringt, um diesen die Nachricht ihrer
Hochzeit zu überbringen. Doch vergebens, denn Luisas Vater, der strikt dagegen
war, dass sie einen Hilfsarbeiter heiratet - Natale schleppt Steine auf einer
der großen Baustellen Roms - will nicht mit seiner Tochter sprechen.
Die Stärke
des Duos De Sica/Zavattini, der ihre Popularität zu verdanken war, lag in der
emotionalen Ebene, mit der sie die gezeigten Missstände für den Betrachter
erträglicher werden ließen. Wenn am Ende von "Ladri di biciclette"
der verzweifelte Vater versucht, selbst ein Fahrrad zu stehlen, dann fühlte das
Publikum mit ihm, ebenso wie mit dem einsamen alten Mann in "Umberto D." (1952), dem immer noch die Liebe zu seinem kleinen Hund blieb. Die
Tragik dieser Geschichten ergab sich auch aus dem wachsenden Egoismus einer
Gesellschaft, in der Jeder seinen eigenen Vorteil suchte, womit gleichzeitig
eine dezente Schuldzuweisung verbunden war. Auf solche relativierende oder
emotional abschwächende Elemente verzichteten De Sica und Zavattini in "Il
tetto", was den Film sperriger und weniger tröstlich wirken lässt, weshalb
er innerhalb ihres Gesamtwerks ein ungerechtfertigtes Schatten-Dasein fristet.
Zudem entstand der Film in einer für Vittorio De Sica schwierigen Phase als
Regisseur, denn sein Ruhm aus der neorealistischen Ära begann zu verblassen.
Dass er noch einmal auf seinen früheren Erfolgsstil zurückgriff, wirkte 1956
rückständig und konnte diese Entwicklung nicht stoppen. Erst "La ciociara" (Und dennoch leben sie, 1960), ein während des Kriegs spielender
Film, den Carlo Ponti für seine Frau Sophia Loren produzierte und der ihr den
Oscar einbrachte, sollte De Sica wieder in die Erfolgsspur zurückbringen.
Wie heikel
die Thematik der Schwarzbauten Mitte der 50er Jahre in Italien offensichtlich war,
wird auch an der größtmöglichen Objektivität sichtbar, um die sich De Sica und
Zavattini bemühten. Es existieren weder böswillige, noch sture Charaktere in
ihrem Film - selbst die Behörden hinterlassen keinen negativen Eindruck,
sondern wirken eher hilflos angesichts der schwierigen Umstände. Die wenigen
zwischenmenschlichen Animositäten bleiben nachvollziehbar angemessen, während
die gegenseitige Hilfsbereitschaft einen stärkeren Eindruck hinterlässt. Mit
Luisa und Natale stehen zudem zwei Protagonisten im Mittelpunkt, die
anständiger und fleißiger kaum vorstellbar sind. Damit wollte der Film konkret
dem Vorurteil widersprechen, die Slums wären die Folge asozialer Verhältnisse
oder beherbergten nur verantwortungslose Zeitgenossen.
Die soziale
und berufliche Situation des jungen Paares, ihre Unterbringung im Haus der
Eltern Natales, wo zehn Menschen auf engstem Raum schlafen müssen, und ihr
verzweifelter Versuch, eine eigene Wohnung zu finden, verlässt nie die Ebene
einer für Jeden nachvollziehbaren Realität. Dass sie schließlich wie viele Andere
auch versuchen, zwischen Tiber und einer stark frequentierten Eisenbahnlinie
ein winziges Häuschen über Nacht zu bauen, ist ihre einzige Möglichkeit. Zudem
eine sehr riskante, denn nur wenn auch das Dach fertig gestellt wurde,
verzichteten die Behörden am nächsten Morgen darauf, die Hütte wieder abreißen
zu lassen. Der Film mündet in einen Wettlauf gegen die Zeit, doch mit der
klassischen Frage nach Sieg oder Niederlage haben diese Vorgänge nichts mehr
gemeinsam - einen Gewinner kann es hier nicht geben.
"Il tetto" Italien 1956, Regie: Vittorio De Sica, Drehbuch: Cesare Zavattini, Darsteller : Gabriella Pallotta, Giorgio Listuzzi, Gastone Renzelli, Maria Di Rollo, Maria Di Fiori, Laufzeit : 94 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Vittorio De Sica:
"Ladri di biciclette" (1948)
"Miracolo a Milano" (1951)
"Umberto D." (1952)
"Stazione Termini" (1953)
"L'oro di Napoli" (1954)
"La ciociara" (1960)
"Boccaccio '70" (1962)
"I sequestrati di Altona" (1962)
"Ieri, oggi e domani" (1963)
"Miracolo a Milano" (1951)
"Umberto D." (1952)
"Stazione Termini" (1953)
"L'oro di Napoli" (1954)
"La ciociara" (1960)
"Boccaccio '70" (1962)
"I sequestrati di Altona" (1962)
"Ieri, oggi e domani" (1963)
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