Inhalt:
Leonardo Treffi (Franco Nero) ist ein erfolgreicher avantgardistischer
Künstler, dessen Freundin und Managerin Flavia (Vanessa Redgrave) sein Leben
und seine Geschäfte organisiert. Doch seit einiger Zeit hat er eine innere
Blockade, weshalb Flavia eine mondäne Villa auf dem Land angemietet hat, damit
er dort in Ruhe arbeiten kann. Sie ahnt nicht, dass ihn zunehmend Fantasien
plagen, in denen er gefesselt ihren Konsumgütern ausgesetzt ist oder von ihr im
Rollstuhl herum gefahren wird. Er bricht aus der Veranstaltung aus, die sie für
ihn in der Villa organisiert hat, um mit potenten Käufern seiner Bilder zu
kommunizieren, und entdeckt ein verlassenes, riesiges Anwesen, das ihn sofort
in seinen Bann zieht.
Als er dort
eindringt, begegnet er dem Verwalter Attilio (Georges Géret), der ihm von der
Contessa Wanda berichtet, die hier kurz nach dem Krieg getötet wurde. Seit
dieser Zeit steht das Anwesen leer, da es Niemand kaufen will. Treffi überredet
Flavia, es ihm zu besorgen, obwohl sie dafür keinen finanziellen Spielraum
sieht. Nur von dem Hausmädchen Egle (Rita Calderoni) versorgt, beginnt Leonardo
endlich wieder zu arbeiten, aber das geheimnisvolle Haus beginnt zunehmend, ihm
Angst einzujagen…
Für Elio
Petri war "Un tranquillo posto di campagna" sein letztes Werk, bevor
er versuchte, mit seinen Filmen etwas zu bewegen, wie er selbst einmal anmerkte
- aus heutiger Sicht befindet sich der Film im Zentrum seines Schaffens als
Regisseur, entstanden 1968 als Sechster von elf Langfilmen, die Petri zwischen
1961 und 1979 drehte. Oberflächlich betrachtet wirkt die Tour de Force eines
zeitgenössischen avantgardistischen Künstlers, die Elio Petri gemeinsam mit
Drehbuchautor Tonino Guerra schon 1962 erdachte, ohne Zusammenhang zu Petris
sonstigen Filmen - weder der zuvor entstandene "A ciascuno il suo"
(Zwei Särge auf Bestellung, 1967), der sich ernsthaft den sozialen
Abhängigkeiten auf Sizilien widmete, noch der folgende "Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" (Ermittlungen gegen einen über
jeden Verdacht erhabenen Bürger, 1970), eine Satire über die Allmacht der
Executive in Italien, verfügen über inhaltliche Parallelen - typisch für Petris
gesamtes Oevre.
Doch obwohl
die Idee zu dem Film sechs Jahre vor dessen Realisierung entstand, traf
"Un tranquillo posto di campagna" - wörtlich "Ein ruhiger Ort
auf dem Land", leider mit dem zu sehr den Horror-Aspekt betonenden Titel
"Ein verfluchtes Haus" in Deutschland veröffentlicht - den Nerv seiner
Zeit, Ende der 60er Jahre, und wurde zu einem wichtigen Bindeglied in Petris
Werk. Der Regisseur betrachtete seinen Film an der Schwelle zu den 68ern
stehend, als Darstellung eines bürgerlich, intellektuellen Künstlers, der
versucht, der von ihm geforderten Serienproduktion und der damit verbundenen
materiellen Abhängigkeit zu entkommen - womit Petri ein politisches Statement
abgab, das davon ausgeht, das bürgerliche Grenzen nicht mit bürgerlichen
Mitteln überwunden werden können.
Die
Eingangssequenz - die Fantasie des an
einen Stuhl gefesselten Künstlers Leonardo (Franco Nero), der von seiner
Freundin und Managerin Flavia (Vanessa Redgrave) mit den modernsten
elektronischen Geräten traktiert wird - lässt schon dessen Aversion erkennen,
aber es gelingt ihm nicht, sich ihrem Einfluss zu entziehen. Flavia verkörpert
in Perfektion die moderne Frau - modisch gekleidet und in einer Pop-Art-Wohnung
lebend, die auch in Petris Zukunftsvision "La decima vittima" (Das
zehnte Opfer, 1965) gepasst hätte - die sich, immer auch die wirtschaftlichen
Aspekte mit einbeziehend, aufopferungsvoll um einen Künstler bemüht, der
sprunghaft und unberechenbar wie ein Kind agiert. Während sie eine Ausstellung
in einer mondänen Villa organisiert, um die reichen Sammler zu weiteren Käufen
zu animieren, bevor er sich dort für drei Monate zurückziehen soll, entdeckt er
stattdessen ein seit Jahren leer stehendes Anwesen auf dem Land, in das er
unbedingt einziehen möchte, um wieder arbeiten zu können. Trotz des
finanziellen Aufwands erfüllt sie ihm diesen Wunsch, weil sie hofft, dass er so
seine Blockade überwindet.
Flavia
wirkt in ihrer geduldigen, immer freundlichen Art wesentlich sympathischer als
Leonardo, der hektisch Leinwände bemalt, getrieben durch das geheimnisvolle
Haus streift und seine Umgebung abweisend behandelt. Er erfährt von dem Hausverwalter
Attilio (Georges Géret), dass nach dem Tod der schönen Contessa Wanda kurz nach
dem Krieg Niemand mehr in dem Haus gelebt hatte - die Kugeln der
Maschinengewehrsalve, die sie angeblich getötet hatten, sind noch gut in einer
Mauer zu erkennen - und er beginnt ihr nachzuforschen. Immer mehr scheint das
Haus ein Eigenleben zu entwickeln und die Fantasien um Wanda nehmen konkretere
Züge an. Petris Vorliebe für Genre-Elemente zeigt sich in dieser Konstellation,
die Anleihen bei Horror- und Giallo-Szenarien nimmt, aber ohne damit
Erwartungen an einen Unterhaltungsfilm zu erfüllen, weshalb Genre-Liebhaber von
"Un tranquillo posto di campagna" häufig enttäuscht werden. Denn
Petri nutzt diese als das, was sie tatsächlich sind - als Ablenkung von der
Realität.
Das gilt
auch für eine Sexualität, die hier anders als in Petris sonstigen Filmen visuell
stärker in den Vordergrund rückt. Prinzipiell spielte Sexualität in allen
seinen Filmen eine wichtige Rolle als Ausdruck einer degenerierten
Sozialisation, aber in der Regel verwendete Petri sie unterschwellig. War sie
in "La decima vittima" Teil einer generellen Emotionslosigkeit,
beruhte die Motivation des Protagonisten in "A ciascuno il suo" auf seiner
verklemmten sexuellen Begierde. Im folgenden Film "Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" basierte die Story auf dem Mord an
der Geliebten, die den Täter ob seiner sexuellen Obsessionen zunehmend der
Lächerlichkeit aussetzte und damit seine männliche Dominanz in Frage stellte,
und in "La classe oparaia va in paradiso" (Die Arbeiterklasse kommt
ins Paradies, 1972) ist der Protagonist impotent bis auf einen kurzen Moment
des persönlichen Triumphs, der zu einem ungeschickt, verkrampften Sexualakt
führt.
In "Un
tranquillo posto di campagna" zitiert Petri dagegen konkret die
aufkommende sexuelle Revolution, lässt seinen Protagonisten stapelweise
Sex-Hefte beim Zeitschriftenhändler erwerben und verschiedene Frauenbrüste
betasten, um damit deren ablenkenden Konsum-Charakter zu betonen - selbst der
sexuelle Akt zwischen Leonardo und Flavia vermittelt keine intensiven Gefühle,
sondern ihren Versuch, ihn bei Laune zu halten. Doch das misslingt, denn
Leonardo steigert sich zunehmend in seine Ablehnung, um den an ihn gestellten
Erwartungen zu entkommen. Franco Nero spielt Leonardo überzeugend als Künstler,
der seine Intellektualität und sein künstlerisches Vermögen verweigert, doch er
muss damit scheitern, da er die grundsätzlichen Voraussetzungen nicht in Frage
stellt.
Eine
entscheidende Rolle spielt die Musik in Petris Film, die von der „Gruppo di
improvvisazione nuova consonanza“ eingespielt wurde, unter der Leitung von
Franco Evangelisti mit Ennio Morricone an der Trompete. Diese
avantgardistische, üblichen Hörgewohnheiten widersprechende atonale Musik wurde
nicht extra für den Film ersonnen, sondern Petri gab Morricone und seinen
Mitstreitern die Gelegenheit, ihre seit 1964 entwickelte musikalische
Ausrichtung kongenial mit der Handlung zu verbinden. Nicht nur die innere
Zerrissenheit des Künstlers und seine Horror-Fantasien werden so erfahrbar -
diese Musik ist auch eine Alternative zu den bürgerlichen Gewohnheiten, in einer
Konsequenz, die Leonardo nicht gelingt.
"Un tranquillo posto di campagna" Italien, Frankreich 1968, Regie: Elio Petri, Drehbuch: Elio Petri, Tonino Guerra, Luciano Vincenzoni, Darsteller : Franco Nero, Vanessa Redgrave, Georges Géret, Rita Calderoni, Gabriella Grimaldi, Laufzeit : 102 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Elio Petri:
"La decima vittima" (1965)
"A ciascuno il suo" (1967)
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