„Elio Petri
– das vergessene Genie“? – Dem werden einige Filmkenner sofort widersprechen,
denn immerhin erschienen 2012 vier seiner Filme auf DVD in Deutschland. Angesichts
eines Gesamtwerks von elf Langfilmen - hinzu kommen noch die Beteiligungen an
dem Episodenfilm „Alta Infedeltà“ (1964) und dem politischen Manifest
„Documenti su Giuseppe Pinelli“ (1970), sowie die TV-Serie „Le mani sporche“
(1978) – kein schlechter Wert. Zudem ist Petri als „linker Regisseur“ bekannt –
ein wiederholt geäußertes Attribut, dass nur wenig aussagt, da der Großteil der
namhaften italienischen Regisseure, deren Wurzeln im Neorealismus der
Nachkriegszeit liegen, mit dem linken Spektrum sympathisierten. Der 1929
geborene Petri war noch sehr jung, als die ersten neorealistischen Filme
gedreht wurden, befand sich als gebürtiger Römer aber unmittelbar am Ort des
Geschehens. Zuerst arbeitete er als Filmkritiker bei einer Zeitung und
organisierte parallel kulturelle Veranstaltungen für die Kommunistische Partei
Italiens, in die er als Sohn eines Arbeiters früh eintrat, bevor er erstmals am
Drehbuch für Giuseppe De Santis Film „Roma ore 11“ (1951) mitarbeitete – der
Beginn eines Jahrzehnts als Drehbuchautor bis er mit „L’assassino“ (Trauen sie
Alfredo einen Mord zu?) 1961 seinen ersten Film drehte.
Doch was
auf den ersten Blick konsequent und folgerichtig klingt, hatte bei Elio Petri
nie die äußere Stringenz, die die Einschätzbarkeit und damit den
Bekanntheitsgrad steigert. Deutlich wird das etwa an seinem vierten Film „La decima vittima“ (Das zehnte Opfer) von 1965. In diesem verband Petri eine
satirisch makabre Story mit einem Science-Fiction Szenario, optisch als 60er Jahre
Overkill gestaltet, was dem Film wahlweise einen „Trash“- oder einen „Kult“- Status
einbrachte, aber selten als Teil seines Gesamtwerks angesehen wird. Sein
zweiter Film „I giorni contati“ (1962) – der dazwischen entstandene „Il maestro di vigevano“ (1963)
war eine Auftragsarbeit im Stil der „Commedia all’italiana“ - in dem sich Petri
in einem an den Neorealismus erinnernden Film, den er seinem Vater widmete, mit
der sozialen Situation der Arbeiter beschäftigte, ist den Anhängern von „La decima vittima“ dagegen kaum bekannt. Auch sein folgender Film „A ciascuno il suo“ (1967), der in Deutschland dank des Titels „Zwei Särge auf Bestellung“
Petris Betrachtungen der Verflechtungen auf Sizilien unnötig martialisch
betonte, verfolgte einen völlig anderen Stil.
Elio Petris
Auseinandersetzung mit der menschlichen Sozialisation, sei es in
zwischenmenschlicher oder gesellschaftspolitischer Hinsicht, zieht sich wie ein
roter Faden durch alle seine Filme, aber er machte es dabei weder sich selbst,
noch seinen Betrachtern leicht, und erfüllte nie irgendwelche nahe liegenden
Erwartungen. „Un tranquillo posto di campagna“ (Das verfluchte Haus) von 1968
wird häufig als Horror-Film beworben, zudem mit Franco Nero in der Hauptrolle
prominent besetzt, doch der Film wurde ein schwer zugängliches artifizielles
Werk, das Ennio Morricone die Gelegenheit gab, seine avantgardistische Musik,
die er parallel zu seinen populären Kompositionen (unter anderen zu „C’era una volta il west“ (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968)) gemeinsam mit der „Gruppo di
improvvisazione nuova consonanza“ unter der Leitung von Franco Evangelisti entwickelte,
als Soundtrack einzuspielen – eine einmalige Konstellation, die sich nicht nach
dem Publikumsgeschmack richtete.
Petris
folgende Filme „Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto“
(Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger, 1970) und „La classe oparaia va in paradiso“ (Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies, 1971),
mit denen er – nach eigener Aussage - seine ersten politisch relevanten Filme entwickelte,
die in Folge der gesellschaftspolitischen Spannungen der späten 60er Jahre
herauskamen, bildeten den Höhepunkt seiner Karriere. In jener kurzen Phase, in
der Hollywood zu „New Hollywood“ und der politisch linksgerichtete Film
hoffähig wurde, erhielt Elio Petri 1971 den Oscar für den besten
fremdsprachigen Film für „Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto“, dem die „Goldene Palme“ von Cannes 1972 für „La classe oparaia va in paradiso“ folgen sollte - ein Erfolg, den nur wenige Regisseure erreichten. Zwar
gibt es an Petris kritischer Haltung keinen Zweifel, aber auch diese beiden
Filme waren keine einseitigen Abrechnungen mit dem Bürgertum oder der
herrschenden Klasse, sondern warfen im Gegenteil einen absurden Blick auf
gegenseitige Abhängigkeiten, ohne das eine Seite unbeschadet davon kam,
verfügten aber über einen hohen Unterhaltungswert.
Elio Petri
mochte keine einfachen Lösungen, unabhängig vom jeweiligen Standpunkt des
Betrachters, wie sein nächster Film „La proprietà non è più un furto“ (1973)
beweisen sollte, der in Deutschland nur auf der Berlinale lief, aber keinen
Verleih fand – trotz des internationalen Erfolgs der Vorgängerfilme. Mit
„Besitz ist kein Diebstahl mehr“, wie der Film wörtlich heißt, stieß Petri auch
der Linken vor den Kopf, die seinem ironischen Blick auf den Materialismus
nicht folgen wollte. Der Kritik an seinem Film und damit der wirtschaftliche
Misserfolg, warfen Elio Petri, dessen Produktionen immer ein Kampf um die
Finanzierung voraus ging, auch psychisch erheblich zurück, weshalb er erst drei
Jahre später mit „Todo modo“ (1976) einen neuen Film herausbrachte, erneut nach
einer Literaturvorlage von Leonardo Sciascia wie zuvor in „A Ciascuno il suo“.
Doch dieser
brachte keine Wende, sondern steigerte noch den Abwärtsstrudel, in den Elio
Petri geriet. Seine politische Satire über Aldo Moro wurde zudem zwei Jahre
später bittere Realität, weshalb der Film nach dem Mord an Aldo Moro
jahrzehntelang in Italien nicht mehr gezeigt wurde - in Deutschland war er erst
gar nicht zur Aufführung gekommen. Seine Frau, von der er sich Mitte der 70er
Jahre getrennt hatte, berichtete in einer Dokumentation über den Regisseur,
dass er auch körperlich immer mehr abbaute, weshalb sein letzter Film „Le buone
notizie“ von 1979 zu einem zutiefst pessimistischen Blick auf das Leben und die
menschliche Sozialisation wurde, dessen Zustandekommen nur der Freundschaft zu
seinem Produzenten zu verdanken war. Obwohl Elio Petri zu diesem Zeitpunkt erst
50 Jahre alt war, fehlt dem Film jede Geste eines Ausblicks, sondern wirkt stattdessen wie
das Werk eines Todgeweihten. Drei Jahre später, am 10.November 1982, starb Elio
Petri mit 53 Jahren an Krebs – schon zu diesem Zeitpunkt war er in
Vergessenheit geraten.
Elio Petri - seine Filme:
"Il maestro di Vigevano" (1963)
"Alta infedeltà" (Ehen zu Dritt, 1964) - Episode "Peccato nel pomeriggio"
"La decima vittima" (Das zehnte Opfer, 1965)
"A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung, 1967)"Un tranquillo posto di campagna" (Das verfluchte Haus,1968)
"Documenti su Giuseppe Pinelli" (1970) - Materiale No.2 "Ipotesi sulla morte di G.Pinelli"
"Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger, 1970)
"La classe oparaia va in paradiso" (Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies, 1971)
"La proprietà non è più un furto" (1973)
"Todo modo" (1976)
"Le mani sporche" (1978) - TV-Serie
"Le buone notizie" (1979)
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