Dabei
begann Umberto Lenzi, 1931 in Massima Marittima in der Toskana geboren, seine
Karriere ganz konventionell und machte 1956 sein Regie-Diplom an der „Centro
sperimentale di cinematografia“ in Rom. Als Diplomarbeit drehte er den - an den
späteren Pasolini erinnernden - Kurzfilm “I ragazzi di Trastevere” über die
einfache Bevölkerung eines römischen Viertels. Bevor es zu seinem ersten selbst
verantworteten Film „Le avventure di Mary Read“ (1961) als Regisseur kam, hatte
er als Regie-Assistent bei „Il terrore di mari“ (Die Piraten der
Totenkopfinsel, 1961) mitgewirkt – bei beiden Filmen arbeitete er mit den
Drehbuchautoren Luciano Martino und Ernesto Gastaldi zusammen, was sich prägend für sein
kommendes Werk auswirken sollte. Luciano Martino, älterer Bruder von Sergio Martino, der ähnlich
wie Lenzi in allen populären Genres erfolgreich Regie führte, sollte Lenzi besonders als
Produzent in den 70er Jahren begleiten und Gastaldi verfasste später noch die Drehbücher zu zwei wichtigen Filmen.
1961 hatte
Luciano Martino gemeinsam mit Sergio Leone und Duccio Tessari das Drehbuch zu
Leones Film „Il colosso di Rodi“ (Der Koloss von Rhodos) geschrieben, was schon
auf die zukünftige Entwicklung des Italo-Western hinwies, den sie
entscheidend beeinflussten. Auch Umberto Lenzi drehte mit „Una pistola per
cento bare“ (Ein Colt für 100 Särge) und „Tutto per tutto“ (Zwei Aasgeier) 1968
noch zwei Italo-Western, die an der Schnittstelle zwischen seiner
„Agenten-Phase“ und
seinem ersten Giallo „Orgasmo“ (1969) häufig unbeachtet blieben, obwohl sie
verdeutlichen, dass Lenzi in sämtlichen Genre-Sparten zu Hause war. Seine
Karriere startete er aber im damals sehr populären „Historien/Abenteuer Film", unabhängig
davon ob es sich um Robin Hood („Il trionfo di Robin Hood“ (Robin Hood – der
Löwe von Sherwood, 1962)), Katharina die Große („Caterina di Russia“ mit
Hildegard Knef in der Hauptrolle, 1963) oder diverse Sandalenfilme handelte
(„Sandokan“ mit Steeve Reeves (1964)). Bis zu „I pirati della Malesia“ (Die
schwarzen Piraten von Malaysia, 1964 - einem „Sandokan“ – Sequel und vorletzten
Film von Steve Reeves, dessen Karriere eng mit den „Sandalen" - Filmen verbunden
blieb - drehte Umberto Lenzi zwölf Filme innerhalb von vier Jahren, denen die seriellen Produktionsbedingungen anzumerken sind, die aber schon phasenweise
Lenzis Talent zu einer dynamischen Zuspitzung der Handlung aufblitzen ließen.
Luciano
Martino war in den 60er Jahren nur an „L’invincibile cavaliere mascherato“ (Robin
Hood in der Stadt des Todes, 1962 – obwohl der Film nichts mit Robin Hood zu
tun hat) beteiligt, dessen Drehbuch er gemeinsam mit Lenzi schrieb, der
zunehmend seine Drehbücher selbst verfasste. Erst mit „Milano odia: la polizia non può sparare“ (Der Berserker, 1974) - Lenzis erstem „Poliziesco
all’italiana“, der das Genre entscheidend beeinflussen sollte, begann ihre
intensive Zusammenarbeit, denn Luciano Martino produzierte ab diesem Zeitpunkt
sämtliche Polizieschi unter Lenzis Regie. Das Drehbuch zu „Milano odia: la polizia non può sparare“ entwarf Ernesto Gastaldi, womit das Team aus Lenzis erstem Film wieder zusammen kam und den Höhepunkt seiner Karriere einleitete.
Doch bevor
es zu seinem fulminanten Einstieg in den Poliziesco kam, widmete er sich auf
ganz eigene Art dem „Giallo“, den er um eine erotische Variante erweiterte – „Orgasmo“
(1969), „Cosi dolce…cosi perversa“ (1969), „Paranoia“ (1970) und „Il cotello di
ghiaccio“ (1972) - immer mit Carroll Baker in der Hauptrolle, deren erster Film „Baby
Doll“ (1956) ihr Image als erotische Versuchung langfristig prägen sollte,
waren elegante, optisch versierte Filme, die weniger auf äußere Action als auf
hintergründige Spannung setzten. Wenig überraschend, dass diese Filme, an denen
mit Jean Sorel, Jean-Louis Trintignant und Lou Castel internationale Stars des
europäischen Kinos beteiligt waren, heute ein Schattendasein fristen und bisher
keine adäquaten deutschen Veröffentlichungen erfahren haben. Parallel zu diesen
Filmen drehte Lenzi mit „La legione dei dannati“ (Die zum Teufel gehen, 1969) schon früh einen Kriegsfilm - der 1967 entstandene "Attentato ai tre grandi" (Fünf gegen Casablanca) verband die Thematik noch stark mit einem Abenteuer-Charakter - ein Genre, dass es in Italien besonders in der zweiten Hälfte der 70er
Jahre zu einiger Popularität brachte, weshalb Lenzi später weitere
Kriegsfilme folgen ließ („La grande attacco“ (Die große Offensive, 1978)), die
er unter Pseudonym drehte – verständlich, angesichts einer wenig kritischen, vor allem an der Action interessierten Umsetzung.
Bei „La
legione dei dannati“ kam es zu einer Begegnung mit dem jungen Dario Argento,
der das Drehbuch schrieb. Obwohl sie danach nicht mehr zusammen arbeiteten,
zeigen sich Parallelen in ihren Regiearbeiten der frühen 70er Jahre, denn auch Umberto
Lenzi stärkte zunehmend den Thriller-Charakter in seinen „Gialli“, weshalb es
zu einer eher ungewollten Gemeinsamkeit zwischen ihm und Argento kam – sowohl
sein „Sette orchidee macchiate di rosso“ (Das Rätsel des silbernen Halbmonds,
1971), als auch Argentos erster Film „L’uccello dalle piume di cristallo“ (Das
Geheimnis der schwarzen Handschuhe, 1970) wurden der absterbenden Edgar-Wallace-Filmreihe hinzugefügt,
da sie mit deutschen Produktionsgeldern entstanden waren. Doch Lenzis weiterer Weg
führte ihn vom Giallo direkt zum aufkommenden Polizeifilm. Auch wenn sein erster Versuch „Milano
rovente“ (1973) noch etwas halbherzig geriet und im Gangster-Milieu spielte,
wurden seine acht zwischen 1974 und 1978 entstandenen Polizieschi zum Herzstück
des Genres und spiegelten Aufschwung und Niedergang des Genres wider – mit „La banda del gobbo“ (Die Kröte, 1978) als atmosphärisch stimmigem Abgesang, der
keine übertriebene Action und Gewalt mehr nötig hatte.
Umberto
Lenzi war kein Genre-Erfinder – selbst der 1972 erschienene „Il paese del sesso
selvaggio“ (Mondo Cannibale) bedeutete keine Gründung eines neuen Kannibalismus-Genres,
sondern variierte nur die seit den frühen 60ern populären „Mondo“-Filme, die
unter dem Deckmäntelchen der Dokumentation über Abstrusitäten berichten konnten - aber er bewies ein Gespür für die Chancen eines neuen
Trends, das ihm zu eigenständigen Umsetzungen verhalf. Seine enge
Zusammenarbeit mit Darstellern wie Carroll Baker, Tomas Milian, der in sechs
seiner Polizieschi mitspielte und in „La banda del gobbo“ seine Dialoge selbst
schrieb, oder dem Produzenten Luciano Martino verdeutlicht seine Bereitschaft
zur Auseinandersetzung und Entwicklung – wie fast alle erfolgreichen
italienischen Regisseure war auch Lenzi ein Teil der eng verzahnten Zusammenarbeit
unter den Filmschaffenden. Aber auch er konnte den Niedergang der italienischen
Filmindustrie nicht aufhalten, der Ende der 70er Jahre zunehmend Gestalt
annahm. Seine Ausflüge ins Komödien - Fach, das seinen Zenit auch schon
überschritten hatte, nahm ihm Niemand mehr ab („Scusi, lei è normale?“
(Entschuldigen Sie, sind Sie normal?, 1979)), und seine Konzentration auf den
Horror-Film („Mangiati vivi!" (Lebendig gefressen, 1980), der wenig mit Deodatos „Mondo cannibale“ gemein hat) förderte zwar seinen Ruf bei Anhängern des Genres, beschleunigte aber die ungerechtfertigt klischeehafte Beurteilung seines Gesamtwerks.
Umberto
Lenzi hat keinen Preis als Regisseur gewonnen und keiner seiner Filme schaffte
es auf irgendeine offizielle Bestenliste, aber deshalb sind seine Filme weder
„Trash“, noch „Crash“, wie sie gerne – positiv gemeint – von Anhängern
bezeichnet werden, sondern spiegeln einen freien, fast anarchischen Umgang mit
den Möglichkeiten der 60er und 70er Jahre wider, mit denen er unmittelbar auf
Zeitgeist, gesellschaftspolitische Ereignisse, Ängste und Emotionen reagierte, die er mit seiner schnellen, schnörkellosen und besonders in den Polizieschi der damaligen Realität verpflichteten Bildsprache umsetzte –
näher dran als er waren nur Wenige.
Umberto Lenzi - seine Filme bis 1980:
1. Abenteuer / Sandalen - Filme:
"Le avventure di Mary Read" (Piratenkapitän Mary, 1961)
"Catarina di Russia" (Katharina von Russland, 1962)
"Sandokan, la tigre di Monpracem" (Sandokan, 1963)
"I pirati della Malesia" (Die schwarzen Piraten von Malaysia, 1964)
2. Die "Agenten" Phase :
"A 008, operazione sterminio" (Heiße Grüße vom CIA, 1965)
"Superseven chiama Cairo" (Höllenhunde des Secret Service, 1965)
3. Kriegsfilme I :
"Attentato ai tre grandi" (Fünf gegen Casablanca, 1967)
"La legione dei dannati" (Die zum Teufel gehen, 1969)
4. Italo-Western:
"Tutto per tutto" (Zwei Aasgeier, 1968)
"Una pistola per cento bare" (Ein Colt für 100 Särge, 1968)
5.Gialli:
5.1. Giallo erotico (mit Carroll Baker):
"Orgasmo" (1969)
"Cosi dolce...cosi perverse" (1969)
"Paranoia" (1970)
"Il coltello di ghiaccio" (1972)
5.2. Gialli:
"Un posto ideale per uccidere" (1971)
"Sette orchidee macchiate di rosso" (Das Rätsel des silbernen Halbmonds, 1972)
"Spasmo" (1974)
"Gatti rossi in un labirinto di vetro" (Labyrinth des Schreckens, 1975)
5.3. Mondo-Film:
"Il paese del sesso selvaggia" (Mondo cannibale, 1972)
6. Poliziesco all'italiana:
"Milano Rovente" (1973)
"Milano odia: la polizia non può sparare" (Der Berserker, 1974)
"Le avventure di Mary Read" (Piratenkapitän Mary, 1961)
"Duello nella sila" (Einer gegen Sieben, 1962)
"Il trionfo di Robin Hood" (Robin Hood - der Löwe von Sherwood, 1962)"Catarina di Russia" (Katharina von Russland, 1962)
"L'invincibile cavaliere mascherato" (Robin Hood in der Stadt des Todes, 1962)
"Zorro contro Maciste" (Zorro gegen Maciste - Kampf der Unbesiegbaren, 1963)"Sandokan, la tigre di Monpracem" (Sandokan, 1963)
"Sandok, il Maciste della giungla" (Im Tempel des weißen Elefanten, 1963)
"L'ultimo gladiatore" (Der letzte der Gladiatoren, 1964)"I pirati della Malesia" (Die schwarzen Piraten von Malaysia, 1964)
"I tre sergente del Bengala" (Die drei Sergeanten von Bengali, 1964)
"La montagna di luce" (1965)2. Die "Agenten" Phase :
"A 008, operazione sterminio" (Heiße Grüße vom CIA, 1965)
"Superseven chiama Cairo" (Höllenhunde des Secret Service, 1965)
"Le spie amano i fiori" (Die Höllenkatze des Kong-Fu, 1966)
"Un millioni dollari per sette assassini" (Der King hetzt 7 Killer, 1966)
"Kriminal" (1966) - nach einem Fumetti-Comic"Un millioni dollari per sette assassini" (Der King hetzt 7 Killer, 1966)
3. Kriegsfilme I :
"Attentato ai tre grandi" (Fünf gegen Casablanca, 1967)
"La legione dei dannati" (Die zum Teufel gehen, 1969)
4. Italo-Western:
"Tutto per tutto" (Zwei Aasgeier, 1968)
"Una pistola per cento bare" (Ein Colt für 100 Särge, 1968)
5.Gialli:
5.1. Giallo erotico (mit Carroll Baker):
"Orgasmo" (1969)
"Cosi dolce...cosi perverse" (1969)
"Paranoia" (1970)
"Il coltello di ghiaccio" (1972)
5.2. Gialli:
"Un posto ideale per uccidere" (1971)
"Sette orchidee macchiate di rosso" (Das Rätsel des silbernen Halbmonds, 1972)
"Spasmo" (1974)
"Gatti rossi in un labirinto di vetro" (Labyrinth des Schreckens, 1975)
5.3. Mondo-Film:
"Il paese del sesso selvaggia" (Mondo cannibale, 1972)
6. Poliziesco all'italiana:
"Milano Rovente" (1973)
"Milano odia: la polizia non può sparare" (Der Berserker, 1974)
"Il giustiziere fida città" (Flash Solo, 1975)
"Napoli violenta" (Camorra - ein Bulle räumt auf, 1976)"Roma a mano armata" (Die Viper, 1976)
"Il trucido e lo sbirro" (Das Schlitzohr und der Bulle, 1976)
"Il cinico, L'infame, il violento" (Die Gewalt bin ich, 1977)
"La banda del gobbo" (Die Kröte, 1978)
"Da Corleone a Brooklyn" (Von Corleone nach Brooklyn, 1979)
7. Kriegsfilme II:
"Il grande attacco" (Die große Offensive, 1978)
"Contro 4 bandiere" (Nur Drei kamen durch, 1979)
8. Horror:
"Mangiati vivi!" (Lebendig gefressen, 1980)
"Incubo sulla città contaminata" (Großangriff der Zombies, 1980)
9. Komödie:
"Scusi, lei è normale?" (Entschuldigen Sie, sind Sie normal?, 1979)
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