Doch den
Räubern würde Niemand diese Rolle abnehmen, weshalb sie einen Ritter brauchen,
der Aurocastro übernimmt und sie zur Hälfte daran beteiligt. Ihre Wahl fällt
auf Brancaleone (Vittorio Gassman), da dieser selbst völlig verarmt ist. Umso
stärker ist sein Stolz und Ehrgefühl, weshalb er das Angebot des Gesindels
hochmütig ablehnt und sein Heil in einem Ritterturnier sucht, um die Hand einer
Tochter aus gutem Hause zu erobern. Das misslingt schmählich, weshalb er sich
gezwungen sieht, wieder auf die armselige, kleine Gruppe zurück zu kommen,
nicht ohne diese zu seiner Armee zu ernennen, bevor er sich in das Abenteuer
stürzt…
Für seine
Idee, einen Film im Stil eines Schelmenromans über die tragikomischen Abenteuer
des Ritters Brancaleone da Norcia (Vittorio Gassman) zu drehen, hatte Mario
Monicelli wieder sein bewehrtes Team an der Seite. Agenore Incrocci, genannt
"Age", und Furio Scarpelli hatten schon eine Vielzahl an Drehbüchern
gemeinsam mit ihm erarbeitet, darunter mit "I soliti ignoti" (Diebe
haben's schwer, 1958) den Film, der heute als Beginn der "Commedia
all'italiana" angesehen wird, die in der Tradition des Neorealismus ihren kritischen
Gestus geschickt unter einer komödiantischen Handlung verbarg. "L'armata
Brancaleone" (Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters
Branca Leone) war in seiner Anlage nicht weniger originell und neuartig, nicht
nur wegen der ins 11.Jahrhundert versetzten Handlung, sondern besonders
hinsichtlich der Tatsache, dass eine eigene Sprache dafür kreiert wurde -
italienische Dialekte, vermischt mit spätlateinischen Elementen und dem
studentischen Jargon der Gegenwart, zudem noch nach den Eigenarten der
Charaktere unterschiedlich gestaltet. Gassman als adliger Ritter hält seine
häufig theatralischen Reden in einem mit Latein vermischten Hochitalienisch,
der Händler Abacus (Carlo Pisacane) spricht eine jüdisch gefärbte Version,
während die einfachen Räuber eine vulgäre Ausdrucksweise pflegen.
Auch die
Darstellerriege bestand aus alten Bekannten. Vittorio Gassman und Carlo
Pisacane hatten ebenfalls in "I soliti ignoti" mitgewirkt, Gian Maria
Volontè, der den byzantinischen Jung-Ritter Teofilatto spielt, der sich nach
einem unentschiedenen Duell mit Brancaleone der kleinen Gruppe anschließt,
hatte in "A cavallo della tigre" (Vergewaltigt in Ketten, 1961), zu
dem Monicelli, Age und Scarpelli unter der Regie von Luigi Comencini das Drehbuch
schrieben, eine frühe Rolle inne gehabt, und Enrico Maria Salerno als religiöser
Eiferer hatte ein Jahr zuvor in Monicellis "Casanova '70" (1965)
gespielt. Catherine Spaak arbeitete zwar noch nicht direkt mit Monicelli
zusammen, wurde aber seit ihrer Rolle an der Seite von Vittorio Gassman in
"Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven, 1962) mehrfach in
italienischen Komödien besetzt.
Diese
Vertrautheit unter den Beteiligten war eine wichtige Voraussetzung für das
Gelingen eines Films, dessen absurde, teils urkomische Handlung nie in
Albernheit abdriftet, sondern immer mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und
Authentizität in den Charakteren vorgetragen wird. Schon der Beginn
verdeutlicht, dass es im Mittelalter nicht harmlos zuging, denn als eine
Räuberbande ein Dorf überfällt, wird ohne Rücksicht vergewaltigt und gemordet.
Dem zu Hilfe eilenden Ritter Arnolfo (Alfio Caltabiano) gelingt es zwar, die
Räuber zu töten oder zu verjagen, aber er wird Opfer von Pecoro (Folco Lulli)
und Taccone (Gianluigi Crescenzi), die ihn aus dem Hinterhalt niederschlagen
bis sie seinen vermeintlich toten Körper in den Fluss schmeißen. Nicht ohne ihn
zuvor zu berauben, weshalb ihnen eine Schriftrolle in die Hände fällt, die sie
nicht entziffern können.
Gemeinsam
mit dem Räuber Mangold (Ugo Fangareggi), der als Einziger außer ihnen den
Überfall überlebte, begeben sie sich zu dem jüdischen Händler Abacus, der
sofort begreift, welchen Wert die Schriftrolle hat. Der Inhaber dieses Papiers
darf Aurocastro, eine Festung und die sie umgebende Stadt, sein Eigen nennen.
Allerdings benötigen sie dafür einen Ritter, der diesen Besitz mit ihnen teilt,
womit Brancaleone da Norcia ins Spiel kommt. Dieser, obwohl mittellos und
herunter gekommen, denkt gar nicht daran, mit dem Gesindel zusammen zu arbeiten.
Viel mehr will er bei einem Turnier die Hand einer Tochter aus wohlhabendem
Hause gewinnen, scheitert aber schon am ersten Wettkampf, als sein gelb
gestrichenes Pferd Aquilante davon läuft. Schnell ändert er deshalb seine
Meinung und macht sich mit den vier Männern, die er zu seiner Armee ernennt,
auf den Weg nach Aurocastro.
Nach dieser
Einleitung erleben sie gemeinsam eine Vielzahl von Abenteuern, deren
Reihenfolge beliebig änderbar ist, nachdem sich mit dem Ritter Teofilatto ein
weiterer Mann angeschlossen hatte. Monicelli gibt das die Gelegenheit,
unterschiedliche Szenarien durchzuspielen, die trotz ihrer Einbettung in das
Mittelalter eine unverkennbare Nähe zu bis heute aktuellen Themen aufweisen.
Das Bild, dass er vom Mittelalter zeichnet, ist zwar komödiantisch gebrochen -
besonders die schönen Frauen sind optisch bewusst der Gegenwart angelehnt -
aber der gesamte Eindruck einer gewalttätigen, dummen und ärmlichen
Sozialisation wirkt wesentlich realistischer als die üblichen
Ritter-Geschichten. Die Konfrontation der einfachen Männer unter der Leitung
eines Ritters, dessen beste Absichten regelmäßig in der Katastrophe enden, mit
der herrschenden Klasse, nutzt Monicelli entsprechend, um unverhohlene
Seitenhiebe auf Moral und Sozialisation der sich verändernden italienischen
Gesellschaft Mitte der 60er Jahre auszuteilen.
Ob sie sich
dem religiösen Fanatiker Zenone anschließen, der seine Gottesurteile nach
Gelegenheit anpasst, Abacus als Ungläubigen bezeichnet und ihn zur Taufe
zwingt, ob sich eine schöne Witwe sexuell Brancaleone hingeben will, bis er
merkt, dass die Stadt, in der sie sie als einzige Überlebende angetroffen
hatten, von der Pest heimgesucht wurde, ob er sein Versprechen zu halten
versucht, eine Jungfrau (Catherine Spaak) heil ihrem zukünftigen Gemahl zu
übergeben oder ob sie versuchen für Teofiletto bei dessen Vater ein Lösegeld zu
erpressen - natürlich unter Mithilfe ihres Kameraden - immer geraten sie in
Schwierigkeiten. Nichts bleibt ihnen erspart - Eisenkäfig, vergiftete Pfeile, Pfählung
oder Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. So einfältig, abgerissen und
egoistisch Brancaleone und seine kleine Truppe daher kommen - im Vergleich zu
ihrer verlogenen und missgünstigen Umgebung werden sie zunehmend zu
Sympathieträgern.
Das ist
besonders Vittorio Gassman zu verdanken, der mit Ernsthaftigkeit und Verve
einen Mann spielt, der trotz seiner Selbstüberschätzung und Eitelkeit, immer
auch Anstand und Würde ausstrahlt. Sein ständiges Scheitern hält ihn nicht
davon ab, auch in niederschmetternden Momenten pathetische Reden zu halten.
Dank Gassmans Spiel gleitet diese Figur nie ins Lächerliche ab, sondern
verkörpert ganz ohne heroisches Benehmen Standfestigkeit und Haltung.
"L'armata Brancaleone" ist eine derbe, nicht vor drastischen Bildern
haltmachende Komödie, zudem in ihrem hohen, die Schauplätze häufig wechselndem
Tempo von großem Unterhaltungswert, aber sie bleibt in sich schlüssig, da sie
ihre satirischen Mittel immer nur so weit ausreizt, dass der realistische
Hintergrund spürbar bleibt. Es erstaunt nicht, dass Brancaleone in „Brancaleone
alle grociate“ (Brancaleone auf Kreuzzug ins heilige Land, 1970) in seiner
unkonventionellen Art erneut gegen die Mächtigen und Meinungsmacher antreten
durfte, denn man möchte ihm mit der großartigen Musik Carlo Rustichellis
hinterher rufen: Branca! Branca! Branca! Leone! Leone! Leone!
"L'armata Brancaleone" Italien 1966, Regie: Mario Monicelli, Drehbuch: Mario Monicelli, Furio Scarpelli, Agenore Incrocci (Age), Darsteller : Vittorio Gassman, Gian Maria Volonté, Catherine Spaak, Enrico Maria Salerno, Carlo Pisacane, Folco Lulli, Laufzeit : 115 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Mario Monicelli:
"I soliti ignoti" (1958)
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