Die Polizei
zeigt nur wenig Initiative bei der Ermittlung wegen Mordes an einer
minderjährigen Prostituierten, aber Paolo Germi will den Fall nicht auf sich
beruhen lassen, sondern versucht mit unkonventionellen Methoden an weitere
Informationen zu gelangen. Dabei kommt ihm der Taschendieb Giannino (Adolfo
Caruso) gelegen, der die Tasche des ermittelnden Kommissars gestohlen hatte, in
der dieser seine Toto-Scheine aufbewahrte. Mit seiner Hilfe beginnt er die
Prostituierten am Straßenstrich zu bestehlen, was ihn auf eine entscheidende
Spur bringt…
Mitte der
70er Jahre befand sich das italienische Kino auf seinem letzten Höhepunkt,
bevor der Niedergang Ende des Jahrzehnts langsam eintrat. Noch zehrte die
Filmbranche von ihrer großen Genre-Vielfalt, die zunehmend zu
interdisziplinären Werken führte. Ob ein Regisseur gesellschaftskritischer
Filme wie Elio Petri in "Todo modo" (1976) Anleihen beim
"Giallo" nahm, Francesco Rosi seinen Polit-Film "Cadaveri eccellenti" (Die Macht und ihr Preis, 1976) im Stil eines Poliziesco
gestaltete oder Ettore Scola seinen zutiefst pessimistischen Film "Brutti,sporchi e cattivi" (Die Schmutzigen, die Hässlichen und Gemeinen) als
Komödie erscheinen ließ - zunehmend wurde ein freier, kreativer Umgang mit den
unterschiedlichen Stilmitteln deutlich. Selbst ein bisher so konsequenter
Polizeifilm-Regisseur wie Umberto Lenzi verband seinen letzten Poliziesco
"La banda del gobbo" (Die Kröte, 1978) mit einem sensiblen Drama,
während er die Action-Elemente deutlich herunter fuhr.
Diese
Vorgehensweise war auch der Tatsache geschuldet, dass die stilistischen
Gesetzmäßigkeiten formuliert und die entsprechenden Referenzwerke mehrfach
zitiert worden waren. Zudem waren die Grenzen besonders zwischen dem
"Giallo" und dem jüngsten Genre-Spross "Poliziesco"
fließend, genauso wie die moralischen Standards des Italo-Western generell
Einfluss genommen hatten. Auch Regisseur Sergio Martino blickte Mitte der 70er
Jahre schon auf eine Werksliste zurück, die vom Italo-Western ("Arizona si
scatenò... e li fece fuori tutti" (An den Galgen, Hombre, 1970)) über
mehrere prägende Gialli (,Tutti i colori del buio" (Die Farben der Nacht,
1972)), erotische Komödien ("Giovannona Coscialunga disonorata con
onore" (1973)) bis zum Poliziesco ("Milano trema - la polizia vuole giustizia" (1973)) in wenigen Jahren kaum etwas ausgelassen hatte.
Ähnliches gilt für seinen Drehbuch-Co-Autor Ernesto Gastaldi, der dank seiner
längeren Schaffenszeit noch am Sandalen-Film der frühen 60er Jahre und intensiv
am Italo-Western-Genre mitgewirkt hatte.
In
"Morte sospetta di una minorenne" (wörtlich "Mordverdacht bei
einer Minderjährigen") werden diese Einflüsse auf Basis eines klassischen
Poliziesco sichtbar. Dem Hauptstrang der Handlung - die Untersuchung eines
Mordes an einer minderjährigen Prostituierten - werden Elemente des Giallo, der
Komödie und des Buddy-Movie zugefügt, ohne den grundsätzlich ernsthaften
Charakter des Films in Frage zu stellen. Seltsamerweise ist es diese originelle
Gestaltung, der aus heutiger Sicht die Kritik gilt, als ob die Genres im
Nachhinein nach starren Grenzen katalogisiert werden müssten. Zum Zeitpunkt der
Entstehung des Films hatten sich inzwischen gültig scheinende Filmklischees
noch nicht verfestigt, weshalb Martino geschickt mit der Rolle Claudio
Cassinellis spielte, der im ersten Drittel des Films einen zwiespältigen
Charakter abgibt. Er hatte mit der jungen Prostituierten (Patrizia Castaldi)
getanzt, die ihr enges Zusammensein allerdings nur dafür nutzte, ihrem
Verfolger zu entkommen, was ihr trotzdem nicht gelingt. Nach dem brutalen Mord
an ihr, der im Stil eines Giallo inszeniert wird, beginnt Paolo Germi (Claudio
Cassinelli) auf eigene Faust und mit unorthodoxen Methoden zu ermitteln, sich
dabei von der Polizei weit fern haltend.
Sergio
Martino nahm diese Ausgangssituation zum Anlass, mit Giannino (Adolfo Caruso) dem
Protagonisten einen jungen Mann zur Seite zu stellen, der unmittelbar aus
seinen Erotik-Komödien stammen könnte. Der Kleinkriminelle verkörpert den Typus
des sympathischen, aber wenig attraktiven Verlierers, der in der aufkommenden
Erotik-Film-Welle immer den witzigen Side-Kick gab, der selber kein oder nur
das unattraktivste Mädchen abbekam. Auch auf die Figur des „Bombolo“, der in
der „Superbullen“ – Reihe mit Tomas Milian („Delitto a porta romana“ (Elfmeter
für den Superbullen, 1980)) zu dessen „Buddy“ wurde, weist Martino hier schon hin.
Dass sich die in dem Fall offiziell ermittelnden Polizisten nur wenig mit Ruhm
bekleckern, gehörte dagegen zum Standard eines Polizeifilms, der meist eine
kritische Distanz zu den Behörden einnahm. Dass Martino aus ihnen noch
zusätzlich Witzfiguren machte, die nur an ihre Fußball-Toto-Wette denken,
persifliert diese Sichtweise ebenso, wie er aus einer Auto-Verfolgungsjagd –
ein klassisches Element des Poliziesco – eine irre Slapstick-Nummer entwickelt.
Das verstößt zwar gegen die Regeln eines ernsthaften Polizeifilms, wirkt aber
keineswegs unpassend, da Martino damit die generell übertrieben inszenierten
Elemente des Genres ins Aberwitzige steigert.
Trotzdem –
und das lässt "Morte sospetta di una minorenne" gleichzeitig so
unterhaltend, wie spannend bleiben – nimmt der Film seine Figuren ernst und
entwickelt eine überraschende Story, deren Verlauf gegen die übliche
Erwartungshaltung entworfen wurde - auch in ihrer pessimistischen Sichtweise.
Neben Cassinelli, dessen intellektuelle Interpretation eines eigenwillig vorgehenden
Verbrechensbekämpfers („La polizia ha le mani legate“ (Killer Cop, 1974)) heute
leider gegenüber den von Maurizio Merli verkörperten harten Typen in
Vergessenheit geraten ist, können Mel Ferrer als zwar kritischer, aber fähiger
Polizeichef und Massimo Girotti als seriös scheinender Geschäftsmann
überzeugen. In dieser gestalterischen Mischung erinnert der Film an den
Italo-Western „Sugar Colt“ (Rocco mit den zwei Gesichtern, 1966), dem es auch
gelang, witzige Momente in den ernsthaften Zusammenhang zu integrieren und der
damit einen Ausblick auf die spätere Entwicklung des Western-Genres warf, das
zunehmend komödiantisch verarbeitet wurde.
Gerade
Liebhaber des Poliziesco sollten sich an der abwechslungsreichen Story erfreuen
und weniger den Vergleich zu Martinos früheren Filmen oder „ernsthaften“
Polizieschi der Marke Umberto Lenzi suchen, denn der Niedergang des
italienischen Films ging einher mit der nachlassenden Lust an der Vielfalt. Allein an der
„Superbullen“ – Reihe, die ein Jahr nach "Morte sospetta di una
minorenne" mit „Squadra antiscippo“ (Der Superbulle mit der Strickmütze)
startete, wird diese Entwicklung sichtbar. Zuerst noch als Mischung aus ernstem
Polizeifilm und Komödie angelegt, wurde die Filmreihe zum reinen
Klamaukspektakel. „Eindeutigkeit“ galt Anfang der 80er Jahre als scheinbar
verkaufsfördernd an den Kinokassen, egal ob als Komödie oder Horrorfilm – Genre
übergreifende Filme wie "Morte sospetta di una minorenne" hätten zu
diesem Zeitpunkt keine Chance mehr gehabt. Aus heutiger Sicht sollte sich das
wieder geändert haben.
"Morte sospetta di una minorenne" Italien 1975, Regie: Sergio Martino, Drehbuch: Sergio Martino, Ernesto Gastaldi, Darsteller : Claudio Cassinelli, Mel Ferrer, Massimo Girotti, Adolfo Caruso, Lia Tanzi, Laufzeit : 96 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Martino:
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