Inhalt: Die
17jährige Francesca (Catherine Spaak) erwacht mit einem seltsamen Gefühl am
Morgen. Sie hatte intensiv von Enrico (Christian Marquand) geträumt, einem 20
Jahre älteren Architekten, in den sie sich verliebt hat. Ihr Bruder Eddy
(Oliviero Prunas) denkt dagegen an den Nachmittag, an dem er mit Freunden eine
Ausfahrt nach Frascati mit ihren Autos machen will. Francesca ist noch nicht
klar, ob sie mit ihm fahren will, aber sie weiß, dass sie auf die Schule
definitiv keine Lust hat.
Stattdessen geht sie zu Enrico, der im Zentrum von Rom lebt und besucht ihn, immer noch verwirrt von ihren nächtlichen sexuellen Emotionen. Doch Enrico, der parallel mit einer eifersüchtigen Freundin telefoniert, gelingt es nicht, sich auf Francesca einzulassen, weshalb sie kurzerhand entscheidet, doch in die Schule zu gehen...
Im
Gegensatz zu berühmten und ausgezeichneten Werken des Neorealismus wie
"Roma, città aperta" (Rom, offene Stadt, 1945) von Roberto Rossellini
oder "Sciuscia" (Schuhputzer, 1946) von Vittorio De Sica, ist Alberto
Lattuadas ebenfalls unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkriegs
entstandener Film "Il bandito" (Der Bandit, 1946) in Vergessenheit
geraten. Schon in diesem, einem seiner ersten Filme, wurde der Stilwillen des
studierten Architekten deutlich, der ein Heimkehrer-Drama mit einer Film-Noir-Story
verband. Als der aus dem Gefangenenlager entlassene Soldat vor seinem von
Bomben zerstörten Elternhaus steht, erfasst die Kamera diesen Moment mit einer
360 Grad Fahrt, unterlegt von Jazz-Musik. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen,
die in der frühen Phase des Neorealismus versuchten, die Realität möglichst
ungeschönt einzufangen, war für Lattuada die Ästhetik in der Bildsprache immer
ein wesentliches Kriterium.
In "I dolci inganni" (Süße Begierde) war sein Stil schon zur
Perfektion gereift. Ähnlich wie Michelangelo Antonioni in "La notte"
(Die Nacht, 1961) Mailand darstellte, ist Rom hier eine Stadt ohne Verfall und Armut. Doch während
Antonioni mit seinen bis ins Detail komponierten Bildern die Kälte der modernen
Sozialisation versinnbildlichen wollte, nutzte Lattuada den Hintergrund aus
historischen Gebäuden und zeitgenössischer Architektur für die Schilderung
eines Tages einer 17jährigen aus reichem Elternhaus. Nicht nur der Außenraum in
Rom vermittelt ein Leben allererster Güte, auch Kleidung, Accessoires und die
Zugehörigkeit zu Personen aus gesellschaftlich hochstehenden Kreisen sind
selbstverständlich. Allein die Autos erfüllen den Anspruch an einen Concours,
abgesehen davon, dass jeder junge Erwachsene über ein eigenes schickes
Cabriolet zu verfügen scheint. Entsprechend ist die zentrale Szene des Films
eine minutenlang gefilmte Sequenz, in der eine Gruppe junger Menschen in ihren
offenen Fahrzeugen von Rom aufs Land fahren – während die langen Haare der
Mädchen im Wind flattern, überholen sich übermütige junge Männer gegenseitig.
Mit der Realität des italienischen Alltags haben diese Szenen wenig gemeinsam,
aber das täuscht, denn Lattuada benötigte diese ästhetische Optik, um sich
einem Lieblingsthema nähern zu können – der Sexualität. Schon in seiner Episode
„Gli Italiani si voltano“ in „L’amore in città“ (Liebe in der Stadt, 1953)
beobachtete er den schönen weiblichen Körper, genauso wie die sich daraus
ergebenden Reaktionen der Männer, in „La spiaggia“ (Der Skandal, 1954)
konfrontierte Lattuada sein Publikum mit der Geschichte über eine ehemalige
Prostituierte, deren Vorleben an ihrem Urlaubsort bekannt wird, und in
„Guendalina“ (1957) inszenierte er mit der damals 17jährigen Jacqueline Sassard
erstmals eine sehr junge Darstellerin, was ihn zum „Entdecker junger Mädchenblüte“
(Corriere della sera) werden ließ, einem wenig vorteilhaften Ruf, den er sich
bis zu einem seiner letzten Filme „Cosi come sei“ (Bleib wie du bist, 1978),
mit dem er die damals 17jährige Nastassja Kinski international bekannt werden
ließ, bewahrte. In „I dolci inganni“ wurde seine Vorliebe für sehr junge
Darstellerinnen zum Anlass für einen veritablen Skandal, nicht nur weil die
Hauptdarstellerin Catherine Spaak damals erst 15 Jahre alt war, sondern weil
Lattuada seinen Film offensiv sexuell gestaltete.
Allein die ersten Minuten, in denen die Kamera die erwachende Francesca
(Catherine Spaak) genau beobachtet, ihren verklärten und gleichzeitig
verwirrten Gesichtsausdruck dokumentiert, ihren Körper umschmeichelt, ihre
Selbstberührungen zeigt - dabei ihre Brüste durchschimmern lassend - bis sie
sich räkelnd in ihrem knappen Pyjama erhebt, erfüllten jede schwülstige
Männerfantasie, hätte Lattuada diese Szene nicht gleichzeitig in seiner klaren,
ästhetischen Bildsprache inszeniert. Äußerlich beginnt damit der Tag, an dem
sie ihre Sexualität entdeckt - von dem deutschen Filmtitel „Süße Begierde“
zusätzlich noch betont - inhaltlich aber geht es um Selbstständigkeit und
Befreiung, im weiteren Sinn um weibliche Emanzipation. „I dolci inganni“
bezeichnet wörtlich „die süßen Betrüger“ und vermittelt damit ein Verhalten,
dass sich den Erwartungshaltungen an die weibliche Rolle entzieht.
Diese Intention des Films wird erst durch den zeitlichen Kontext
offensichtlich, denn Alberto Lattuada verband mit der Sexualität eine
anti-bürgerliche Haltung, mit der er die italienische Nachkriegsgesellschaft
provozierte und Ärger mit der Zensur bekam. Dabei wirken seine Filme, trotz der
genauen Beobachtung des weiblichen Körpers, nicht voyeuristisch, sondern
vermitteln seine generelle Suche nach Schönheit. Mit dieser Haltung stand er
nicht allein, wie an einer Vielzahl an Parallelen erkennbar wird. Jacqueline
Sassard drehte 1957 parallel zu „Guendalina“ auch einen Film („Nata di marzo“)
mit Antonio Pietrangeli, der für seine Inszenierungen großartiger Frauenrollen
später bekannt wurde. Dort spielte sie ebenfalls ein Mädchen namens Francesca,
ein Name der kaum zufällig wiederholt für diesen Rollentypus verwendet wurde.
Nicht nur Catherine Spaak spielte unter diesem Namen in „La voglia matta“
(Lockende Unschuld, 1962) erneut eine lolitahafte Verführerin, auch Nastassja
Kinski hieß so in „Cosi come sei“. Zudem hatte Valerio Zurlini das Drehbuch zu
„Guendalina“ geschrieben und besetzte Jacqueline Sassard als weibliche
Nebenrolle in seinem folgenden Film „Estate violenta“ (Wilder Sommer, 1959),
während Catherine Spaak in „La parmigiana“ (1963) unter Antonio Pietrangeli
drehte. Doch keiner von ihnen spielte so offensichtlich mit der Erotik der
jungen Frauen wie Alberto Lattuada.
Nachdem Francesca am Morgen aufgestanden war, verspürt sie wenig Lust in die
Schule zu gehen, sondern begibt sich zu dem Stadthaus im Zentrum Roms, in dem
Enrico (Christian Marquand) wohnt, der Mann von dem sie in der Nacht geträumt
hatte. Der 20 Jahre ältere Architekt ist allerdings wenig aufmerksam, da er mit
seiner offensichtlich eifersüchtigen Freundin telefoniert, weshalb Francesca
sich doch entscheidet, noch zur Schule zu gehen. Die Story selbst ist wenig
aufregend, sondern schildert einen Tagesablauf, der sie nach der Schule zu
einer Freundin führt, bevor sie mit deren exaltierter Mutter (gespielt von der Sängerin
Milly) einkaufen geht und in einem Palazzo landet, wo sie Zeuge der Beziehung
zwischen der Principessa und ihrem Liebhaber aus einfachen Verhältnissen (Jean
Sorel) wird. Später begleitet sie ihren Bruder bei dessen Teilnahme an der
Ausfahrt aufs Land, bevor sie ihn überredet zu einem Restaurierungsobjekt zu
fahren, wo sie erneut auf den Architekten Enrico trifft.
Es ist nicht die Story selbst, sondern die Nuancen im Verhalten untereinander, die den Film nicht altmodisch wirken lassen, obwohl die Konzentration auf die Sexualität heute nicht mehr als Provokation verstanden werden kann. Die Oberfläche eines luxuriösen Lebens wird dabei mehrfach gebrochen, ohne das Lattuada damit dramatisieren oder Kritik daran üben will. Viel mehr geht es um generelle Muster, die sich auf allen Ebenen abspielen und denen sich niemand entziehen kann.
Es ist nicht die Story selbst, sondern die Nuancen im Verhalten untereinander, die den Film nicht altmodisch wirken lassen, obwohl die Konzentration auf die Sexualität heute nicht mehr als Provokation verstanden werden kann. Die Oberfläche eines luxuriösen Lebens wird dabei mehrfach gebrochen, ohne das Lattuada damit dramatisieren oder Kritik daran üben will. Viel mehr geht es um generelle Muster, die sich auf allen Ebenen abspielen und denen sich niemand entziehen kann.
Der am Morgen noch ignorante Enrico nimmt, nachdem diese ihm am Abend ihre
Liebe offeriert hatte, die Position eines verantwortungsvollen Mannes ein, der
ihre Beziehung gesellschaftlich legitimieren will. Dass es zum Sex zwischen
ihnen kommt, liegt einzig an ihr. Er sprach im Gegenteil davon, noch ein Jahr
bis zu ihrem 18. Geburtstag warten zu wollen – die Selbstverständlichkeit ihrer
Jungfräulichkeit voraussetzend. Diese Wendung lässt ihn seine Verantwortung für
sie noch aufgeregter betonen, während sie ganz entspannt, fast erwachsener als
der ältere Mann wirkt. Sie ist keine „Femme fatale“ und sie verstößt ihn auch
nicht, aber sie lässt ihr weiteres Handeln offen. Die Erfahrung der Sexualität
hat sie befreit und Lattuada entlässt sie mit einem sanften Lächeln in ihrem
Gesicht. Mit diesem selbstbewussten, unabhängigen Ende verstieß der Film gegen
die damaligen moralischen und gesellschaftlichen Regeln, aber auch im Vergleich
zu populären Filmen der Gegenwart wirkt er nicht nur wegen seiner Ästhetik
immer noch modern.
"I dolci inganni" Italien, Frankreich 1960, Regie: Alberto Lattuada, Drehbuch: Alberto Lattuada, Franco Brusati, Claude Brulé, Darsteller : Catherine Spaak, Jean Sorel, Christian Marquand, Juanita Faust, Milly, Laufzeit : 95 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Alberto Lattuada:
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