Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Dienstag, 29. Oktober 2013

Schundromane, Misogynie und gesellschaftlicher Umbruch - die Frühphase des "Giallo" vor Dario Argento

Der frühe "Giallo" 1963 bis 1969

Während Genre-Bezeichnungen wie Komödie, Western, Horror oder Thriller für die Kunstform "Film" leicht verständlich sind, hat sich der "Giallo" seine geheimnisvolle Aura bis heute bewahrt. Im aktuellen Kinogeschehen als Kategorisierung unüblich geworden, vermittelt der Begriff dem cinephil Interessierten einen Blick zurück in die 60er und 70er Jahre, als das italienische Kino noch stilprägend für das Medium war und der "Giallo" zum Vorreiter des heutigen Spannungs-Kinos bis zum modernen "Slasher"-Film wurde. Sobald ein Regisseur eine mörderische oder thrillerartige Handlung farbenprächtig und oppulent inszeniert, Wert auf eine originelle Kameraführung legt und Genre immanente Gegenstände wie Lederhandschuhe oder Messer verwendet, liegt der Verweis auf den "Giallo" nah, als dessen herausragende Vertreter Mario Bava, Dario Argento, Sergio Martino oder Lucio Fulci gelten.

So diffus der "Giallo" für den Uneingeweihten einzuschätzen ist, so festgelegt scheinen die äußeren Parameter für den Kenner. Regisseur Mario Bava gilt als "Erfinder" oder "Urvater" des Genres, dessen inneren Gesetze er mit "Sei donne per l'assassino" (Blutige Seide) schon 1964 bestimmte. Je nach Sichtweise wird sein zuvor noch in Schwarz-Weiß gedrehter Film "La ragazza che sapeva troppo" (Das Mädchen, das zuviel wusste, 1963) als Initialzündung hinzugezogen, der schon auf Bavas späteres Werk hinwies. Zudem hält die Protagonistin in der ersten Szene des Films einen Kriminalroman des Verlagshauses Arnaldo Mondadori in ihren Händen, die ab 1929 in der Reihe "I libri gialli" erschienen, bevor diese nach dem Krieg in "Il giallo mondadori" umbenannt wurde. Die gelben Umschläge der Taschenbücher spielten auf den Begriff "Giallo" (Gelb) an, der schon im 19. Jahrhundert in Italien als Bezeichnung für die aufkommende Massenliteratur entstanden war und keineswegs nur den Kriminalroman einschloss (beispielsweise "Giallo storico" für populäre historische Romane). Das mit "Giallo" in den 20er Jahren auch Radiosendungen und später Filme bezeichnet wurden, war nur folgerichtig, aber zu einem feststehenden Filmgenre-Begriff wurde "Giallo" erst mit Bavas Filmen.

Dass Mario Bava bei der Entwicklung seiner Filme ebenfalls auf Vorbilder zurückgriff, liegt in der Natur der Sache, umstrittener sind die genauen Einflüsse. Lange bevor er in "I vampiri" (1956) erstmals Regie führte (er komplettierte den von Riccardo Freda begonnenen Film) konnte er als Kameramann seine atmosphärische Bildsprache entwickeln, mit dem er zu einem führenden Vertreter des Gothic-Horror wurde ("La maschera del demonio" (Die Stunde, wenn Dracula kommt, 1960)), der stilistisch stark auf den "Giallo" abfärbte, weshalb einige der Gothic-Horror-Streifen der 60er Jahre je nach Interpretation auch dem "Giallo"-Genre zugeordnet werden. Deutlich wird daran aber auch, dass Bavas "Sei donne per l'assassino" nicht über die direkte Wirkung anderer Schlüsselwerke verfügte, da der "Giallo" weniger eindeutig abgegrenzt werden konnte, wie es heute vielfach dargestellt wird. Erzeugten Filme wie Viscontis erster neorealistischer Film "Ossessione" (Besessenheit, 1942) oder Sergio Leones Italo-Western-Urmeter "Per un pugno di Dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) einen regelrechten Boom ähnlich konzipierter Filme, waren die Filme, die dem "Giallo"-Genre zugeordnet werden konnten, breiter gestreut und zeigten fließende Grenzen zu anderen Genres.

Der Grund dafür lässt sich in den stilistischen und gesellschaftspolitischen Strömungen der frühen 60er Jahre finden, die sich zu unterschiedlichen Konglomeraten verbanden - darunter die beginnende Erotikwelle, der politisch motivierte Film und ein vom "Film noir" beeinflusster Kriminalfilm, der gewalttätiger und zynischer wurde und schon auf den "Polizieschi" der 70er Jahre hinwies (Massimo De Rita, Prozent von "La ragazza che sapeva troppo" schrieb später das Drehbuch zu "Banditi a Milano" (1968) von Carlo Lizzani). Als Einfluss auf den "Giallo all'italiana" werden entsprechend auch die Edgar-Wallace-Filme deutscher Machart betrachtet, die seit 1959 auch in den italienischen Kinos liefen. Ein nahe liegender Gedanke, da allein 40 der 100 ersten Ausgaben der seit den 20er Jahren erschienenen "I libri gialli" von dem englischen Kriminalautor stammten und Filme wie "Der Frosch mit der Maske" (1959) schon einen Blick in die Abgründe der menschlichen Seele gewährten. Eindeutig abgrenzen lassen sich die gegenseitigen Beeinflussungen nicht - auch Hitchcocks "Psycho" (1960) stand Pate für den "Giallo" und die spätere "Slasher"- Welle - aber unabhängig davon, wer zuerst welche stilistischen Standards setzte, entscheidend war für den gesamten medialen Bereich eine sich im Umbruch befindliche Gesellschaft, die Sexualität, Gewalt und die Geschlechterrollen neu definierte.

Die parallel zu den Horror- und Edgar-Wallace-Filmen Ende der 50er Jahre/Anfang der 60er Jahre entstandenen Filme wie Alberto Lattuadas "I dolci inganni" (Süße Begierde, 1960), Luciano Salces "La voglia matta" (Lockende Unschuld, 1962) oder Dino Risis "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven, 1962) beschrieben in komödiantisch-ironischer Form die Schwierigkeiten der Männer, angesichts eines zunehmend selbstbewusster auftretenden, sich selbst bestimmenden weiblichen Geschlechts. Gleichzeitig bereiteten die gesellschaftskritischen, bewusst gegen bürgerliche Moralvorstellungen verstoßenden Filme damit die Basis für eine Liberalisierung, die den Erotik-Film der 60er und 70er Jahre erst ermöglichte, dessen Grenzen zum "Giallo" ebenfalls häufig verwischten. "Sei donne per l'assassino" blieb in dieser Hinsicht noch sehr zurückhaltend und zeigte seine vielen schönen Darstellerinnen meist hoch geschlossen, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die hier gezeigte Konstellation, selbstbewusst agierender Models, die ihre eigenen schicken Autos fahren und sich sexuell offensiv verhalten, 1964 nicht der bürgerlichen Realität entsprach, sondern sich als Provokation verstand, quasi als Horrorvorstellung männlicher Fantasie, weshalb der Mörder die Frauen nicht nur umbringt, sondern auch ihre Schönheit zerstört.

Dem Film und dem "Giallo" deshalb Frauenfeindlichkeit vorzuwerfen, wie es von Kritikerseite häufig geäußert wurde, ist zu oberflächlich. Vielmehr bediente Bavas Film, der keine Partei ergriff und über keine Identifikationsfigur verfügt, damit die latente Misogynie, die Schadenfreude und den wachsenden Voyeurismus eines Publikums, dessen Ängste vor den kommenden Veränderungen sich in den Horrorgeschichten des Genres spiegelten. "Giallo" war entsprechend kein Qualitäts-Prädikat, sondern sollte den trivialen, oberflächlichen Charakter betonen, auch weil die Bereitschaft Mitte der 60er noch gering ausgeprägt war, sich zuzugestehen, dass die Filme einen Nerv trafen. Welche davon schon in den 60er Jahren als "Giallo" bezeichnet wurden, lässt sich nur noch schwer feststellen. Heute werden meist individuelle, mit den neuen gesellschaftlichen Strömungen spielende Filme, die sexuelle, kriminalistische und fantastische Elemente zusammenführten, so dass sie keinem eindeutigen Genre zuzuordnen sind, als "Giallo" eingeordnet.

Streng genommen ließe sich auch ein Film wie Marco Bellocchios "I pugni in tasca" (Mit der Faust in der Tasche, 1965) dazu zählen, in dem ein Psychopath seine Familienmitglieder tötet, aber da seine Taten gesellschaftskritisch motiviert sind, genießt der Film unter Kritikern eine hohe Anerkennung. Auch "Blow up" (1966) von Michelangelo Antonioni erfüllt entsprechende Kriterien und galt Dario Argento für "Profondo rosso" (Rosso - die Farbe des Todes, 1975) als Vorbild. Eine Liste von 60er-Jahren "Gialli" bleibt deshalb eine individuelle, übersichtliche Angelegenheit, denn erst als 1970 die Hochphase des Genres anbrach, wurden die von Mario Bava früh vorgegebenen stilistischen Elemente wieder aufgenommen, neu interpretiert und konsequent weiter entwickelt. Der lange zeitliche Abstand zu Bavas "Sei donne per l'assassino" lässt sich am ehesten durch die fortschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen nach 1968 erklären - erst jetzt war der Nährboden für den Erfolg des Genres bereitet.


Tavola cronologica  / Zeittafel   --------------------------------   Persone importante /Protagonisten

1963:  10.02. "La ragazza che sapeva troppo"  Mario Bava / Massimo De Rita (Produzent)
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1964:  14.03. "Sei donne per l'assassino" (Blutige Seide)  Mario Bava
           17.03.  "Delitto allo specchio" Jean Josipovici / Ambrogio Molteni
           24.03.  "24 ore di terrore" (24 Stunden Terror)  Gastone Grandi
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1965:  10.08. "La donna del lago" Luigi Bazzoni / Franco Rossellini / Giulio Questi (Drehbuch)
           12.08. "Libido" Ernesto Gastaldi / Vittorio Salerno
           28.11. "Il boia scarlatto" (Scarletto - Schloss des Blutes) Massimo Pupillo
           16.12. "La vendetta di Lady Morgan" (Das Folterhaus der Lady Morgan) Massimo Pupillo
           29.12. "Le notti della violenza" (Der Killer der sündigen Mädchen) Roberto Mauri
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1966:  17.03. "La lama nel corpo" (Das Monster auf Schloss Moorley) Elio Scardamaglia
                                                                          / Sergio Martino / Ernesto Gastaldi (Drehbuch)
            11.06. "Il terzo occhio" (Das dritte Auge) Mino Guerrini
            08.07. "A...come assassino" Angelo Dorigo / Ernesto Gastaldi (Drehbuch)
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1967:   07.08. "I diamanti che nessuno voleva rubare" Gino Mangini
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1968:  09.01. "La morte ha fatto l'uovo" (Die Falle) Giulio Questi
           20.02. "Morte...si muore" (Sieben Jungfrauen für den Teufel) Antonio Margheriti
           20.07. "Assassino senza volto" (Der Killer ohne Gesicht) Angelo Dorigo
           26.07. "Una iena in cassaforte" Cesare Canevari
           11.08. "La morte non ha sesso" (Das Geheimnis der jungen Witwe) Massimo Dallamano
           01.12. "Omicidio per vocazione" (Tödliches Erbe) Vittorio Sindoni     
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1969 07.02."Orgasmo" Umberto Lenzi
           12.06."La bambola di satana" Ferruccio Casapinta
           04.07."A doppia faccia" (Das Gesicht im Dunklen) Riccardo Freda / Lucio Fulci (Drehbuch)
           14.08."Femminine insaziabili" (Exzess) Alberto De Martino
           15.08."Una sull'altro" (Nackt über Leichen) Lucio Fulci
           23.08."Sedia elettrica" Demofilo Fidani
           31.10."Cosi dolce...cosi perversa" Umberto Lenzi
           07.12."Scacco alla regina" Pasquale Festa Campanile
           31.12."Interrabang" Giuliano Biagetti

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.