William
Friedkin widmete seinen Film „Sorcerer“ Henri-Georges Clouzot und dessen italienisch / französischem Film "Le salaire de la peur" (Lohn der Angst) von 1953. Seine Interpretation der
Romanvorlage von Georges Arnaud gelang eigenständig, konnte sich aber in
der Meinung des Publikums nie von seinem Vorbild lösen – eine genaue Analyse:
Inhalt: Vera
Cruz - Nilo (Francisco Rabal) kommt in eine Wohnung und erschießt einen unbewaffneten
Mann, bevor er in aller Ruhe wieder das Haus verlässt.
Jerusalem -
Kassem (Amidou) wartet mit ein paar Freunden auf den Bus. Als sie einsteigen,
lassen sie wie zufällig ihre Taschen zurück, die wenig später explodieren. Schnell gelingt es der Polizei ihren Stützpunkt auszumachen, aber Kassem kann inmitten der
aufgebrachten Menge unerkannt entkommen.
Paris – der
reiche Geschäftsmann Victor Manzon (Bruno Cremer) erhält von seiner Frau eine
Uhr als Geschenk, aber er hat nicht viel Zeit, sich darüber zu freuen. Ihm
steht ein unangenehmer Termin bei der Börsenaufsicht bevor, denn er hatte
falsche Angaben gemacht, weshalb er innerhalb von 24 Stunden einen hohen
Millionenbetrag aufbringen muss, um nicht wegen Börsenbetrugs angezeigt zu
werden. Nur der Vater seines Partners kann die Firma noch retten, aber er wagt
es nicht, mit ihm zu sprechen, weil er dessen unbarmherzige Reaktion ahnt. Als
Manzon während des Mittagessens mit seiner Frau und Freunden aus dem Restaurant
heraustritt, um noch einmal auf seinen Partner einzudringen, erschießt sich dieser kurz darauf selbst. Ohne zu seiner Frau zurückzukehren, flieht Manzon.
Elizabeth,
New Jersey - Jackie Scanlon (Roy Scheider) hält gemeinsam mit drei Männern vor einer
Kirche, wo eine Hochzeitsgesellschaft zur Messe eintrifft. Sie gehen in die
Kirche, in deren Nebenräume die Einnahmen aus den Bingospielen gezählt werden.
Während der Priester dem Brautpaar– die Braut hat ein blaues Auge – einen
Vortrag hält, überfallen Scanlon und seine Kumpane die Geldsammelstelle und
entkommen mit großer Beute. Doch die Flucht misslingt, denn der Wagen gerät in
einen Unfall. Nur Scanlon kann verletzt entkommen, wird aber von der
Organisation gesucht, die das Bingo-Spiel kontrolliert. Er ist gezwungen, zu fliehen.
Sie landen
an einem verwahrlosten Ort in Südamerika, dessen Bewohner für eine nahe gelegene Ölraffinerie
unter erbärmlichen Bedingungen arbeitet. Auch die Männer übernehmen kleinere
Jobs, haben aber zu wenig Geld, um sich wieder absetzen zu können. Als die Anlage
nach einem Anschlag brennt, scheint sich die Gelegenheit zu bieten, ausreichend
Geld zu verdienen, denn die Firma braucht vier Männer für einen sehr
gefährlichen Job…
"Sorcerer"
- Abgesang auf "New Hollywood" und Blick in die Zukunft
Als William
Friedkin "Sorcerer" (wörtlich "Zauberer" - deutscher Titel
"Atemlos vor Angst", um die Nähe zum bekannteren Vorgänger "Lohn
der Angst" herzustellen) 1977 herausbrachte, waren nicht nur vier Jahre
seit seinem letzten Film "The exorcist" (Der Exorzist) vergangen,
sondern hatte er auch eine Vielzahl an Problemen bei der Fertigung seines neuen
Films zu bewältigen. Zuerst musste er auf Steve McQueen verzichten, weshalb er
Roy Scheider für die Hauptrolle besetzte, dann stellten sich die Dreharbeiten
vor Ort als so schwierig heraus, dass er sowohl das Budget, als auch die
Zeitvorgabe deutlich überschritt - auch weil er nicht bereit war, Kompromisse
einzugehen. Mit welcher Konsequenz er vorging, wird allein daran deutlich, dass
er "Tangerine Dream" bei der Komposition des Scores freie Hand ließ -
sie sollten sich nicht nach Rahmenbedingungen richten, sondern unabhängig
künstlerisch arbeiten können.
Das
Ergebnis war mehr als ernüchternd. Die Kritik verriss den Film, der in den
Kinos nur einen Bruchteil seiner Kosten wieder einspielte. In Deutschland kam
"Sorcerer" zudem ohne Friedkins Autorisierung ummontiert und deutlich
gekürzt in die Kinos, obwohl sogar Szenen verwendet wurden, auf die der
Regisseur in der von ihm geschnittenen 119 Minuten langen Fassung verzichtet
hatte. Der Grund dafür lässt sich leicht feststellen. Es sind die Szenen, die
die größte Nähe zur ersten Verfilmung von Georges Arnauds Roman "Le salaire de la peur" - "Lohn der Angst" unter der Regie von
Henri-Georges Clouzot aus dem Jahr 1953 - aufwiesen. Sieht man von der
grundsätzlichen auf dem Roman basierenden Thematik ab, bemühte sich Friedkin um
eine eigenständige Interpretation und Umsetzung, konnte aber aus dem langen
Schatten des großen Vorbilds nicht heraustreten.
"Sorcerer" vs. "Le salaire de la peur"
Auch
Clouzot hatte den Roman frei adaptiert, verfilmte ihn aber kurz nach dessen
Erscheinen an der Schnittstelle zwischen Nachkriegsdepression und
prosperierendem Wirtschaftswachstum, Anfang der 50er Jahre – eine Phase, die von
Zukunftsglauben, aber auch von rücksichtsloser Ausbeutung geprägt wurde. Seine
Protagonisten sind Gestrandete einer vergangenen Zeit, die versuchen, wieder
Anschluss an die Zukunft zu finden. Um nicht als endgültige Verlierer zurück zu
bleiben, sind sie bereit, sich zu erniedrigen und jedes Risiko dafür
einzugehen. Die Einöde - von Clouzot im ersten Drittel seines Films
eindringlich beschrieben - symbolisiert den inneren Stillstand, aus dem sie
auszubrechen versuchen, aber es handelt sich um keinen Zufluchtsort wie in Friedkins
Film.
Als der bis
dahin ausschließlich als Dokumentarfilmer tätige Walon Green sein Drehbuch
Mitte der 70er Jahre entwarf, musste er sich mit einer vollständig gewandelten
Sozialisation auseinander setzen. Nach dem 2.Weltkrieg war alles dem Wirtschaftswachstum
und einem ungebremsten Fortschrittsglauben untergeordnet worden, aber in Folge
des Vietnamkriegs kam es zu Massen-Protesten, die das bisherige Establishment
in Frage stellten. Eine allgemeine Ernüchterung trat ein, nachdem auch die
Wirtschaft in eine Krise geriet und die Arbeitslosenzahlen stiegen. Nicht nur
der Wachstumsglauben zeigte erste Nebenwirkungen, auch der seit drei
Jahrzehnten andauernde "Kalte Krieg" hatte an vielen Orten der Welt
neue Brennpunkte geschaffen, deren Folgen bis heute andauern. Auch Hollywood
reagierte darauf, setzte jahrzehntelang gültige Codes außer Kraft und brachte
politisch relevante Stoffe in die großen Kinos - später unter dem Begriff
"New Hollywood" zusammen gefasst.
Im
Vergleich zum Attentäter Kassem (Amidou), dem Auftragskiller Nilo
(Francisco Rabal), sowie dem Finanzbetrüger Victor Manzon (Bruno Cremer) wirkt Jackie Scanlons (Roy Scheider) Beteiligung an einem
Überfall einer Bingo-Geldsammelstelle eher gewöhnlich, aber Friedkin gelang in
dieser kurzen Sequenz das eindringliche Bild einer maroden Sozialisation,
fernab jeder Hollywood-Idealisierung. Während der Priester bei einer Hochzeit
eine verlogene Moral predigt, werden in den Hinterzimmern der Kirche die
Einnahmen aus dem Bingo-Spiel gezählt, das von der Mafia kontrolliert wird.
Zwar gelingt der Raub, aber bei der Flucht vor der Polizei verunglückt ihr
Wagen so schwer, dass nur Scanlon ohne Beute entkommen kann. Doch die
Organisation verzeiht weder den Eingriff in ihre Hoheitsrechte, noch das der Bruder des Bosses dabei angeschossen wurde, weshalb Scanlon nur die
Flucht in einen abgelegenen und verwahrlosten Ort in Südamerika bleibt, wo er
den anderen Männer begegnet. Die Besetzung Roy Scheiders anstatt des coolen
Steve McQueen erscheint aus heutiger Sicht ideal, denn Scanlon ist zwar fähig
und abgeklärt, aber auch ein Verlierer, der in die Mühlen aus
wirtschaftlicher Notlage und Kriminalität geriet. Scheider konnte die Ambivalenz seiner Situation authentisch vermitteln.
Diesen vier
der Handlung vorangestellten „Biografien“ gilt die häufigste Kritik im
Vergleich zu Clouzots „Lohn der Angst“, der bewusst auf nähere Hintergründe
seiner Protagonisten verzichtete, um den existentialistischen Charakter seines
Films noch zu betonen. Die Vergangenheit existierte nur noch in ihrer
Erinnerung, Stillstand war gleichbedeutend mit dem Tod und für die Chance auf
eine Zukunft waren sie bereit, ein hohes Risiko einzugehen. Friedkin hätte
diese Konstellation wiederholen können, aber Mitte der 70er Jahre war sie nicht
mehr authentisch. Die vergangenen Jahrzehnte haben ihre Spuren hinterlassen –
der Zufluchtsort ist eine elende Ansammlung baufälliger Baracken, die
Arbeitskraft und Gesundheit seiner Bewohner wurde von der nahe liegenden
Raffinerie ausgebeutet und der Militär-Diktator des südamerikanischen Staats laviert zwischen
Kapitalinteressen gegenüber der US-Ölgesellschaft und dem Versuch, die stärker werdende Opposition im Zaum zu halten. Das gilt auch für die vier Männer, die ihrer Vergangenheit nicht
entkommen können und die auch keine Zukunft mehr haben. In Clouzots „Le salaire de la peur" existierte noch die Illusion, in der Heimat neu anfangen zu
können, in „Sorcerer“ geht es nur noch darum, an einem anderen Ort unter
halbwegs menschlichen Bedingungen weiter zu existieren.
Auch wenn
sich das Grundgerüst beider Filme ähnelt, verdient Friedkins Interpretation
eine unabhängige Beurteilung. Clouzots Film ist in der Demaskierung menschlicher Verhaltensmuster zeitlos, Friedkins Gewicht liegt mehr auf einer sich
selbst zerstörenden übergeordneten Sozialisation, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Sein Film ist emotionsloser und sperriger als „Le salaire de la peur", der auch tragische Momente und zwischenmenschliche Vertrautheit zulässt. In "Sorcerer" ist dagegen jede Annäherung zwischen den Protagonisten gleichbedeutend mit dem Vorboten eines Todes. Untermalt von der elektronischen Musik
Tangerine Dreams, entsteht so der Eindruck einer technokratischen Welt, die das Handeln der Menschen bestimmt. Nur ein Zauberer könnte den vier Männern aus ihrer widrigen Situation helfen, aber der "Sorcerer" existiert hier nur als verblassender Schriftzug unter der Tür eines rostigen LKW's.
"Sorcerer" USA 1977, Regie: William Friedkin, Drehbuch: Walon Green, Georges Arnaud (Roman), Darsteller : Roy Scheider, Francisco Rabal, Bruno Cremer, Amadou, Friedrich von Ledebur, Laufzeit : 119 Minuten
1 Kommentar:
Die Screenshots sind nicht im korrekten Format, da keine vollständige, adäquate Fassung des Films vorliegt
Das wird sich in Küprze ändern: Die Restauration ist in vollem Gange. Die Neuabstastung wird ihre Premiere in Venedig feiern, kurz darauf erscheint der Film im korrekten Format auf DVD/BD.
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