Inhalt: Celestine (Jeanne Moreau) tritt, aus
Paris kommend, ihre neue Stelle als Kammerzofe im Hause Monteuil an. Schon die
unfreundliche Begrüßung des wortkargen Joseph (George Géret), der sie am
Bahnhof abholt, deutet auf eine nicht ganz einfache Anstellung hin. Madame
Monteuil stellt sich als leicht verbitterte Dame des Hauses heraus, die ihre
sexuellen Probleme am liebsten mit dem katholischen Pfarrer teilt. Ihr Mann
(Michel Piccoli) hat aus Notgeilheit schon die letzte Kammerzofe geschwängert,
was seine Frau vor allem wegen der zu zahlenden Alimente ärgert. Und Madames
Vater nutzt Celestines elegante Pariser Erscheinung, um seinem
Schuh-Fetischismus zu frönen.
Auch die
Dienstboten führen ein Eigenleben. So ist Joseph nicht nur ein unsympathischer
Zeitgenosse, sondern auch ein rechtsradikaler Aktivist, der zusammen mit seinen
Kameraden Hetzschriften gegen Juden und Bolschewisten verfasst. Eine solche
Umgebung erfordert eine gewisse Anpassungsfähigkeit, aber Celestine zeigt sich
der Situation gewachsen...
„Le journal
d’une femme de chambre“ (Tagebuch einer Kammerzofe) läutete Buñuels letzte Schaffensperiode ein,
die ihn nach seinem langen Aufenthalt in Mexiko wieder in Europa arbeiten ließ.
Auf Grund der nach wie vor in seinem Heimatland Spanien herrschenden Franco-Diktatur,
die die Dreharbeiten zu "Viridiana" (1961) stark behinderte, ging er
wie schon zu Beginn der 30er Jahre nach Frankreich, wo er unter italienisch /
französischer Produktion seinen Film herstellte. Doch auch seine Erinnerungen
an Frankreich waren keineswegs positiv. Der rechtsradikale Mob hatte die Vorführung
seines zweiten Films "L'age d'or" (Das goldene Zeitalter, 1930) angegriffen, worauf dieser in Frankreich 50
Jahre lang verboten war. Bunuel machte aus seiner kritischen Haltung gegenüber
dem reaktionären, fremdenfeindlichen und selbstverliebten Bürgertum kein
Geheimnis, was ihn im Auge der staatstragenden Institutionen grundsätzlich verdächtig
werden ließ und ihn nach dem Krieg ins mexikanische Exil trieb.
„Le journal
d’une femme de chambre“ behielt in seinem Oevre lange Zeit den Ruf, einer
seiner schwächeren Filme zu sein, als ob der 64jährige Schwäche gezeigt hätte, um
wieder nach Europa zurückkehren zu können. Zwar fehlen dem Film die surrealen
Effekte, für die Luis Buñuel berühmt
wurde, aber genauso bestimmend für seine Filme blieb auch immer ihr
unterhaltender Charakter. Hier bediente er sich zwar einer prägnanten
Schwarz/Weiß Optik, die den historischen Charakter der 1928 spielenden Geschichte
– also wenige Jahre bevor „L’age dor“ in Frankreich erschien – unterstreicht,
aber er bleibt optisch konventionell. Ähnliches lässt sich zur
Erzählstruktur sagen, die auf Octave Mirbeaus gesellschaftskritischem Roman aus
dem Jahr 1900 basiert.
Buñuel schildert die
Geschichte um die Erlebnisse der Pariser Kammerzofe Celestine (Jeanne Moreau) in
einem kleinen Ort in der Normandie abwechslungsreich und mit hohem
Unterhaltungswert. Sie tritt ihre Stelle in einem herrschaftlichen Anwesen an,
in dem neben dem Ehepaar Monteil nur noch der Vater der Hausherrin lebt. Sofort
stellt sich heraus, dass Madame Monteuil (Françoise Lugagne) hier das Sagen
hat, weshalb sie Celestine auf kleinliche Art und Weise einweist. Der erste Bruch in der bis zu diesem Zeitpunkt homogen wirkenden Story,
zeigt sich, als eine andere Hausangestellte Celestine nach ihrem Eindruck zu
Madame befragt, und diese, die sich bis dahin nur eines äußerst gepflegten
Sprachstils befleißigt hatte, die Hausherrin als "Hure" bezeichnet.
Buñuel seziert
die hier versammelten Personen genau und ohne Relativierung ihrer Charaktere,
dabei einen beiläufigen Stil annehmend, der bewusst auf künstliche Zuspitzungen
verzichtet, um damit die menschlichen Abgründe erst ernsthaft erfahrbar werden
zu lassen. Angesichts aktueller Inszenierungen,
in denen extreme Verhaltensweisen selten ohne Übertreibungen auskommen und
damit von der Konfrontation eher ablenken, lassen die Protagonisten hier keinen
Zweifel an ihren wahren Charakter, auch dank des hervorragenden
Darsteller-Ensembles. Michel Piccoli spielt die Figur des verklemmten und
notgeilen Hausherrn äußerlich mit angenehmen Umgangsformen und bürgerlichem
Anstand, allerdings unfähig auf das weibliche Geschlecht zuzugehen, authentisch
und vertraut. Er wird von seiner Frau gehasst wird und kann sich gegen sie nicht
durchsetzen, weshalb er nur in der Lage ist, sich am schwächsten Glied einer
Kette zu vergehen.
Im
Gegensatz dazu hält seine Frau immer die Fassade der verantwortlichen
Hausherrin aufrecht, ohne deshalb in despotische Verhaltensmuster zu verfallen.
Sie ist freundlich und keineswegs besonders autoritär, nur in wenigen Momenten
durchbricht sie diese Fassade, wenn sie sich mit einem Einlauf auf den Besuch
des Priesters vorbereitet und diesen unverhohlen mit ihrer gehemmten Sexualität
konfrontiert. Auch ihr Vater (Jean Ozenne) wirkt fast liebenswert in seiner
Höflichkeit gegenüber Celestine und nahezu schüchtern, sie dazu aufzufordern, seinen
Schuh-Fetischismus mit ihm zu frönen. Als er tot, dabei die zuvor von Celestine
getragenen Schuhe im Arm haltend, fast nackt in seinem Bett liegt, wirkt er in
seiner Embryo-Haltung wie ein Kind.
Buñuel liegt es fern,
die herrschende bürgerliche Klasse direkt zu diskreditieren, vielmehr
verdeutlicht er menschlich nachvollziehbar die tatsächlichen Verhaltensmuster
hinter deren äußerlicher Fassade. Wesentlich unbarmherziger ist sein Blick auf
das "normale" Volk, das sich ständig in antisemitischen und
rechtsradikalen Äußerungen vergeht, was Frankreichs Rolle während der nationalsozialistischen Besatzungszeit im 2.Weltkrieg in einem Licht erscheinen lässt, dass noch heute konfrontiert. Besonders Joseph (Georges Géret), der schon
lange im Hause Monteuil angestellt ist, gebiert sich als Radikaler, der
zusammen mit einem Kollegen Flugblätter mit rechtsradikalen Hetzreden entwirft
und dem es sichtlich Vergnügen bereitet, andere zu quälen. Captain Mauger
(Daniel Ivernel) verkörpert das verlogene Beispiel eines Soldaten im Ruhestand,
der auf der einen Seite die modernen Zeiten beschwört, um zu rechtfertigen, dass
seine Hausangestellte unverheiratet mit ihm schläft, auf der anderen Seite
rücksichtslos seine Armeevergangenheit zu seinem eigenen Vorteil nutzt.
Doch das
Herzstück des Films bleibt Jeanne Moreau als Kammerdienerin, deren Spiel erst
die Abläufe zwischen den Protagonisten glaubwürdig werden lässt. Ihre
Anwesenheit in dem kleinen Ort in der Normandie fördert erst die Veränderungen,
die Buñuel die Gelegenheit
geben, ein abgrundtief pessimistisches Bild der französischen Gesellschaft zu
zeichnen. Ihre ungewöhnliche Schönheit, gepaart mit einer absoluten Coolness
und dem leicht verbitterten Mundzug, macht es nachvollziehbar, dass ihr nicht
nur diverse Herren zu Füßen liegen, sondern sie auch über ein überlegenes
Selbstwertgefühl verfügt. Nur sie strahlt so etwas wie Gewissen und
Verantwortungsgefühl aus, aber gleichzeitig ist sie sich ihrer schwachen gesellschaftlichen
Position bewusst und entscheidet letztlich wie alle Anderen - zum eigenen
Vorteil. Damit nimmt Buñuel dem
Betrachter die letzte Hoffnung, irgendeiner moralisch vertretbaren Handlung
beiwohnen zu können. Angesichts des brutalen pädophilen Verbrechens, dass
er ins Zentrum des Geschehens stellt, ein nur schwer zu ertragener Zustand. Celestine,
die den Ort schon verlassen wollte, kehrt aus diesem Grund zwar wieder zurück,
aber nicht um einen Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.
Selbst in
diesem leicht erzählten, unterhaltenden Film, bleibt Buñuel in seiner Sezierung des Bürgertums konsequent und
keineswegs zu Kompromissen bereit. Eine Identifikation mit einer der handelnden
Personen wird von ihm nicht angestrebt. Im Gegenteil fällt sein letzter Blick
auf den marschierenden rechtsradikalen Mob, der die Parole "Frankreich den
Franzosen" schreit - dabei von Josephs begeisterten Rufen begleitet, der
jetzt eine Kneipe führt. Wenig später lassen sie den Polizeipräfekten Chiappe
hochleben und damit den Mann, der 1930 Bunuels zweiten Film verbieten ließ - trotz
aller gesellschaftskritischen Gedanken kann Bunuel seinem Film am Ende noch
einen gewissen selbst ironischen Humor abgewinnen.
"Le journal d'une femme de chambre" Frankreich / Italien 1964, Regie: Luis Bunuel, Drehbuch: Luis Bunuel, Jean-Claude Carrière, Octave Mirbeau (Roman), Darsteller : Jeanne Moreau, Michel Piccoli, Francoise Lugagne, Georges Géret, Daniel Ivernel, Laufzeit : 94 Minuten
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