Inhalt: Jane
(Mara Maryl) und Harry (Walter Maestosi), ein gut situiertes Ehepaar, will ein
Wochenende am Meer verbringen, in einem einsam an einem großen weiten
Sandstrand gelegenen Ferienhaus. Während sie schon am Strand spazieren geht,
kümmert er sich beflissen um ihre Unterkunft, was aber nicht verhindert, dass
sie seine abendlichen Annäherungsversuche im Bett zurückweist. Auch sprachlich
kommt ihre Beziehung über den Austausch von Floskeln nicht hinaus. Doch ihr
Aufenthaltsort erweist sich als weniger einsam als gedacht, denn am Morgen
stehen vier Männer mit langen Haaren und Ledermontur vor ihrem Fenster und
treten ungebeten ein.
Sie fackeln nicht lange und Fred (Robert Hoffmann), ihr
Anführer, nimmt Jane mit nach oben, während die übrigen Männer auf Harry
aufpassen, der kaum aufbegehrt. Sie würfeln aus, wer als Nächster ran darf,
während sich Fred und Jane bei der Vergewaltigung näher kommen als sie beide
wollten. Trotzdem überlässt er seinen Kumpanen die Frau, während er
melancholisch auf den Strand hinaus tritt. Nur sein Freund Speed (Fabian
Cevallos) folgt ihm, der kein Interesse an erzwungenem Sex zeigt. Nachdem die
Männer wieder verschwunden sind, machen sich Jane und Harry gegenseitig
Vorwürfe – er wirft ihr vor, Spaß gehabt zu haben, sie bezeichnet ihn als
Feigling, was ihn nicht davon abhält, möglichst schnell das Weite zu suchen.
Doch ihr Auto wurde sabotiert und die Flucht zu Fuß erweist sich als wenig
erfolgreich…
Wenn zu
Beginn die Kamera zu Stelvio Cipriatis rhythmisch melancholischer Musik die
rötliche Sonne über einem sanft bewegten Meer erfasst, bevor sie zu der
unendlich scheinenden Weite eines menschenleeren Sandstrands überblendet,
vermittelt "La lunga spiaggia fredda" (wörtlich "Der lange kalte
Strand") einen Moment lang den Eindruck eines Sommers voller Freiheit, der
langsam zu Ende geht - eine Symbolik, die für den Film bestimmend bleiben wird.
Jane (Mara
Maryl) und Harry (Walter Maestosi), die mit ihrem Auto durch die Dünen zu einem
einsam am Strand gelegenen Haus fahren, wirken wie Wochenendurlauber, die sich
eine kurze Auszeit vom Alltagsleben nehmen wollen. Während Harry noch von
seinen Geschäften redet und die Einkaufsbeutel in das Haus trägt, spaziert Jane
schon halbnackt entlang des Strands und atmet die Atmosphäre ein. Auch darüber
hinaus scheint das Ehepaar nur wenige Gemeinsamkeiten zu haben, denn ihre
Gespräche wirken teilnahmslos und trotz Harrys Bemühungen verweigert die
hübsche Jane jede körperliche Nähe. Beide verkörpern ein typisches noch recht
junges, kinderloses amerikanisches Mittelklasse-Ehepaar der frühen 70er Jahre -
finanziell gut situiert, modisch gekleidet und gesellschaftlich integriert.
Während er einem gut bezahlten Bürojob nachgeht, trifft sie sich mit anderen
gelangweilten Ehefrauen zum gemeinsamen Shoppen.
Die
Konfrontation mit diesem Muster an Bürgerlichkeit lässt erwartungsgemäß nicht
lange auf sich warten. Am nächsten Morgen stehen vier Rocker vor dem Haus, die
in der Nähe am Strand gecampt hatten und die blonde Jane von dort aus
erblickten. Ohne zu Zögern schlagen sie Harry zusammen und beginnen Jane der
Reihe nach zu vergewaltigen. Damit entwirft "La lunga spiaggia
fredda" eine typische Sexploitation -Konstellation zwischen klischeehaften
Gegnern, wie sie im Genre-Kino häufig für Gewaltdarstellungen und Sexszenen
genutzt wurde, worauf auch der deutsche Titel "Rocker sterben nicht so
leicht" hinzuweisen scheint. Doch der erfahrene Drehbuchautor Vittorio
Salerno, der mit "Fango bollente" 1975 einen ähnlich vielschichtigen
Film auf Basis einer plakativ wirkenden Story entwickeln sollte (und dabei auch
Regie führte), nutzte diese Ausgangssituation für eine komplexe
Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Veränderungen der 60/70er Jahre.
Unterstützt
wurde er bei dem Entwurf eines Kammerspiel artigen Szenarios, das den großen,
weiten Strand an beengten Raum wirken lässt, von Ernesto Gastaldi, einem der
wichtigsten Drehbuchautoren des italienischen Genre-Films der 60er bis 80er
Jahre. Beginnend mit "L'amante del Vampiro" (Die Geliebte des
Vampirs, 1960), hatte er eine Vielzahl an Drehbüchern zu Italo-Western
("Arizona Colt" (1966), "Il mio nome e nessuno" (Mein Name
ist Nobody, 1973)), Gialli ("I corpi presentano tracce di violenza
carnale" (Die Säge des Teufels, 1973)) und Polizieschi ("Milano odia:la polizia non può sparare" (Der Berserker, 1974)) geschrieben, um nur
wenige stilbildende Beispiele zu nennen. Bei "La lunga spiaggia
fredda" übernahm er eine seiner seltenen Regiearbeiten, nicht zufällig in
Zusammenarbeit mit Vittorio Salerno, mit dem er auch "Libido" (1965,
zudem mit Mara Maryl als Drehbuchautorin und Darstellerin), "Cin... cin...
cianuro" (1968) und später "Fango bollente" gemeinsam
verantwortete.
Die
Konfrontation eines Ehepaars mit Motorrad-Rockern bestätigte zur
Entstehungszeit des Films die typischen Vorurteile einer bürgerlichen
Gesellschaft gegenüber langhaarigen Anarchisten und protestierenden Studenten.
Die mehrfache Vergewaltigung der Ehefrau bediente darüber hinaus die Angst vor
der sexuellen Revolution, die die moralischen Standards und damit die
bisherigen Geschlechterrollen bedrohte. Dass Jane sich in Fred (Robert
Hoffmann) verliebt, obwohl dieser sie als Erster vergewaltigte, erschiene heute
als unerträgliche Verharmlosung eines Gewaltakts, provozierte damals aber die
patriarchaisch geprägte Gesellschaft. So sehr sich die konservativen Kräfte
auch bemühten, die 68er Bewegung zu diskreditieren, war die Attraktivität einer
freien, die gesellschaftlichen Zwänge hinter sich lassenden Jugend nicht zu
leugnen - gegen den abenteuerlichen, freiheitsliebenden Fred hat der angepasste
Harry bei Jane keine Chance mehr.
Doch
Gastaldi und Salerno ist nicht an einer vordergründigen Provokation gelegen,
sondern sie nutzen den Konflikt, um beide Seiten differenziert zu betrachten.
Nicht nur Jane verliebt sich in den Rocker, auch Fred erwidert ihre Gefühle und
verstößt damit ebenso gegen Regeln. Die aus vier Männern bestehende
Rocker-Gruppe verfügt im Inneren nicht über die nach außen behauptete
Homogenität aus Lederkleidung, langen Haaren und bemalten Choppern. Fred ist
seit vielen Jahren mit Speed (Fabian Cevallos) befreundet und der Beginn ihres
freien Lebens auf dem Motorrad klingt in Speeds Erinnerung ähnlich den
Intentionen der von Peter Fonda und Dennis Hopper verkörperten Männer in "Easy
Rider" (1969) - brüderliche Gleichheit ohne jeden Besitzanspruch. Doch
anders als diese werden sie nicht von Reaktionären getötet, ohne ihre Ideale
zerstören zu können, sondern haben ihre früheren Absichten längst verraten.
Die
Vergewaltigung wird nicht beschönigt, sondern steht in ihrer Kriminalität
signifikant für den Niedergang einer Idee. Die sich daraus entwickelnde Liebe
zwischen Jane und Fred wirkt wie ein letzter Versuch, die jeweiligen Seiten
miteinander zu verbinden - sie, die Bürgerliche, wünscht sich den Ausbruch aus
ihrem normierten, unemotionalen Leben, er, der Anarchist, will wieder zurück zu
seinen alten Idealen. Das Scheitern dieses Ansinnens steht im Film symbolisch
für das Scheitern des gesellschaftlichen Umbruchs der 68er. Ein Konsens ist
nicht mehr möglich, denn die jeweiligen Haltungen stehen sich unversöhnlich
gegenüber. Jonathan (Riccardo Salvino) und Thomas (Gianni Loffredo), die erst
später zu Fred und Speed stießen, halten Freds Absicht, Jane nicht mehr mit
ihnen teilen zu wollen, für Verrat an der gemeinsamen Sache, obwohl er weiter
mit ihnen fahren will. Als er dem Ehepaar ermöglicht zu fliehen, kommt es zum
offenen Ausbruch ihres inneren Konflikts.
Der tiefe
Pessimismus des Films zeigt sich aber weniger in der Beschreibung dieses
Niedergangs als in der Rolle des Harry, der vordergründig unattraktivsten
Figur. Anders als in typischen Revenge-Filmen, in denen der Gedemütigte
irgendwann aufsteht und zurückschlägt, ist Harry dazu nicht in der Lage. Seine
Frau verweigert ihm den Sex, verliebt sich in ihren Vergewaltiger und beleidigt
ihn mehrfach als Feigling, den sie nie geliebt hätte. Selbst als er seine Waffe
in der Hand hält, die im Handschuhfach seines Autos versteckt war, trifft er
Jonathan nicht einmal aus nächster Nähe, da er sich nicht traut dabei
hinzusehen. Er wird mehrfach verprügelt und gefesselt, erweist sich in fast
allen Situationen als hilflos und geht doch als Sieger aus dem Konflikt hervor,
denn anders als Fred und Jane zweifelt er nicht an seiner inneren Haltung und
bleibt seinen bürgerlichen Ansichten treu. Er muss nur abwarten bis sich die
Anderen selbst zerstören.
Entsprechend
verlässt Harry den Ort des Geschehens so wie er gekommen war - seine Frau an
seiner Seite, keinen Gedanken mehr an die Ereignisse der letzten Tage
verschwendend, sondern schon auf einen kommenden Arbeitstermin vorausblickend -
das Altbewährte hat gesiegt, der Sommer der Freiheit ist zu Ende.
"La lunga spiaggia fredda" Italien 1971, Regie: Ernesto Gastaldi, Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Vittorio Salerno, Alberto Cardone, Darsteller : Robert Hoffmann, Mara Maryl, Riccardo Salvino, Walter Maestosi, Gianni Loffredo, Fabian Cevallos, Laufzeit : 85 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme des Drehbuchautoren Ernesto Gastaldi:
"L'amante del Vampiro" (1960), Regie Renato Poselli
"La decima vittima" (1965), Regie Elio Petri
"Arizona Colt" (1966), Regie Michele Lupo
"Per 100,000 Dollari ti ammazzo" (1967), Regie Giovanni Fago
"Milano trema: la polizia vuole giustizia" (1973), Regie Sergio Martino
"Milano odia: la polizia non può sparare" (1974), Regie Umberto Lenzi
"Morte sospetta di una minorenne" (1975), Regie Sergio Martino
"Fango bollente" (1975), Regie Vittorio Salerno
"La decima vittima" (1965), Regie Elio Petri
"Arizona Colt" (1966), Regie Michele Lupo
"Per 100,000 Dollari ti ammazzo" (1967), Regie Giovanni Fago
"Milano trema: la polizia vuole giustizia" (1973), Regie Sergio Martino
"Milano odia: la polizia non può sparare" (1974), Regie Umberto Lenzi
"Morte sospetta di una minorenne" (1975), Regie Sergio Martino
"Fango bollente" (1975), Regie Vittorio Salerno
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