Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Freitag, 17. Mai 2013

Gli specialisti (Fahrt zur Hölle, ihr Halunken) 1969 Sergio Corbucci


Inhalt: Die Insassen einer Postkutsche werden von mexikanischen Banditen an einer Station aufgefordert, ihre Habseligkeiten heraus zu geben. Die vier Vagabunden unter ihnen schmeißen sie in eine Pfütze, wo sie unter dem Gelächter der Mexikaner im Schlamm wühlen müssen. Hud (Johnny Halliday), der sich in der Station befand, will sich das Schauspiel nicht mehr länger ansehen und erschießt die Männer, die zur Bande von „El Diablo“ (Mario Adorf) gehören. Danach verfolgt er seinen Weg weiter, der ihn zu der Hütte von Boot (Serge Marquand) führt.

Die Bewohner von Blackstone wissen schon von seiner baldigen Ankunft und beschwören den Sheriff (Gastone Moschin), gegen Hud vorzugehen. Sie befürchten, dass er seinen Bruder rächen will, den sie vor zwei Monaten nach dessen Bankraub gelyncht hatten, um sich die Beute selbst holen, die bisher nicht gefunden wurde. Doch der Sheriff bleibt ruhig und reitet Hud entgegen, um ihm die sein Gewehr und den Revolver abzunehmen, da sich Niemand bewaffnet im Dorf aufhalten darf. Hud willigt ein, entgeht aber nur knapp einem Anschlag, da die Direktorin der Bank, die Witwe Virginia Pollywood (Françoise Fabian) für ein Empfangskomitee in Blackstone gesorgt hatte…


Sergio Corbuccis "Gli specialisti" (Fahrt zur Hölle, ihr Halunken) entstand 1969 mitten in einer Phase, die seine Entwicklung von einer ernsthaften, auch politisch relevanten Interpretation des Western-Genres zu einer zunehmend ironischen Sichtweise kennzeichnete. Corbuccis Revolutions-Western "Il mercenario" (Mercenario - der Gefürchtete) und "Il grande silenzio" (Leichen pflastern seinen Weg), dessen Pessimismus unmittelbar auf den Vietnam-Krieg reagierte, entstanden 1968 kurz hintereinander und sind ohne die politisch-gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit nicht vorstellbar. Der 1970 folgende "Vamos a matar, compañeros" (Lasst uns töten, Companeros) nahm die Thematik des Revolutions-Western zwar erneut auf, betonte aber mehr den komödiantisch, unterhaltenden Charakter, und wies schon auf Corbuccis späte Western-Parodien ("Il bianco il giallo il nero" (Drei Halunken erster Klasse, 1975) hin.

Doch anders als die genannten Filme seiner intensiven Schaffensphase Ende der 60er Jahre, findet "Gli specialisti" heute kaum noch Erwähnung, obwohl der Einfluss der Hippie-Ära und der anti-bürgerlichen Protestbewegung hier - zudem in einer für das Western-Genre fremdartig wirkenden Umsetzung - sehr deutlich ist. Die vier unbewaffneten und ungepflegten Vagabunden, denen Hud (Johnny Halliday) zu Beginn das Leben rettet, als einige Bandenmitglieder von El Diablo (Mario Adorf) ihre Spielchen mit ihnen treiben, wirken in einem Western deplaziert. In einer grotesken Szene konfrontiert Corbucci den traditionellen Western mit der Gegenwart der späten 60er Jahre – die vier an Hippies erinnernden Herumtreiber wollen die hübsche Sheba (Silvie Fennec) dazu nötigen, an ihrem Joint zu ziehen, was sie mit den Worten, sie sei doch ein Mädchen, entrüstet ablehnt. Worauf sich eine der Vier als kurzhaarige Frau entpuppt, die ihr Geschlecht dadurch beweist, dass sie eine ihrer Brüste vorzeigt. Die Charakterisierung dieser sich respektlos und vulgär benehmenden Figuren ist offenkundig negativ, was noch in weiteren Szenen betont wird, die weder mit der eigentlichen Story, noch mit dem Western generell etwas zu tun haben.

Diese seltsame Konstellation lässt sich am ehesten durch die ungewöhnlichen Umstände einer italienisch/deutsch/französischen Co-Produktion erklären, die wie ein Mix aus einem klassischen Western und einem 60er Jahre Experimentalfilm wirkt. Sie war gleichzeitig ein Vehikel für einen der größten französischen Stars, dem Rock-Musiker Johnny Hallyday, der in „Gli specialisti“ seine erste Hauptrolle spielte. Bis heute hält Hallyday sämtliche Zuschauerrekorde für Live-Konzerte in Frankreich, aber in den 60er Jahren stand er auch für den Protest gegen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. 1963, nach einem Konzert in Paris vor 150000 Zuschauern wurde die Innenstadt stark verwüstet und fanden Straßenkämpfe mit der Polizei statt – eine Entwicklung, die sich fortsetzte und die Auswirkungen der späten 60er Jahre schon vorweg nahm. Ohne dieses Image ist Hallyday als schweigsamer Pistolero Hud nicht korrekt einzuordnen. Vordergründig wirkt er in dieser Rolle ähnlich deplaziert wie die vier Vagabunden, aber zur Entstehungszeit des Films - besonders in Frankreich - war keine weit reichende Charakterisierung notwendig, um ihn als Klassenkämpfer zu personifizieren.

Hud (in der deutschen Synchronisation "Brad") kommt wieder zurück in seine alte Heimatstadt, um die Unschuld seines Bruders zu beweisen, der wegen eines angeblichen Bankraubs vom Mob gelyncht wurde. Zwar zeigt Hud in der ersten Szene seine überragenden Schießkünste, aber danach sieht man ihn nur noch selten in Aktion. Stattdessen übergibt er dem Sheriff (Gastone Moschin) ohne Widerstand seine Waffen, die Niemand im Ort bei sich tragen darf. Äußerlich gibt sich Hallyday zwar cool, aber mit den zwiespältigen Revolverhelden eines Clint Eastwood oder Giuliano Gemma hat er wenig gemein. Auch über seine bisherige Rolle als Revolverheld erfährt man nichts, aber er handelt nie zum eigenen Vorteil. Er schießt nur in Notwehr oder um Andere zu beschützen und verfolgt keine egoistischen Ziele. Zwar wird ihm von den Bürgern des Ortes unterstellt, er wäre auf der Suche nach der bisher verschwundenen Beute seines Bruders, aber hinter dieser falschen Behauptung verbirgt sich nur der wahre Bösewicht des Films – eine egoistische, nur an ihrem Geld interessierte, feige Gesellschaft.

Viele Western Corbuccis verwendeten als Hintergrund eine Bürgerschaft, die ihre Interessen rücksichtslos verfolgte, aber in „Gli specialisti“ geht er darüber hinaus. Françoise Fabian verkörpert als Witwe Virginia Pollywood - die Anspielung ist offensichtlich - den Kapitalismus in Reinkultur. Ungeniert ihre körperlichen Reize einsetzend - im damaligen Westen unvorstellbar für eine Frau der besseren Gesellschaft - setzt die Bankdirektorin ihre Pläne ohne Skrupel um. Zwar gibt es mit dem mexikanischen Bandenboss „El Diablo“ auch einen echten Banditen, aber im Vergleich zu der verschlagenen Pollywood und den anderen Honoratioren der Stadt bis zum zwielichtigen Sheriff, ist er nur ein sympathischer Grobian. Schon zu Jugendzeiten war er ein Freund von Hud, mit dem er sich immer sportlich fair duellierte. Und seine Angewohnheit, seine heroischen Taten einem Jungen in dessen Schreibblock zu diktieren, verleiht dem sonst ernsthaften Film ein wenig Humor.

Die abschließende, knapp zehnminütige Sequenz des Films treibt die Verfremdung des Western auf die Spitze. Die Rache-Story ist beendet und die Schuldigen sind bestraft, aber die Demütigung der Bürger steht noch aus. Hud, schwer verletzt und mehr an einen Märtyrer als an einen Revolverhelden erinnernd, verbrennt das wieder gefundene Geld vor den Augen der Bewohner der Stadt, die jammernd versuchen, noch einen Rest davon zu erhaschen. Doch damit endet ihre Tortur noch nicht, denn die vier Hippies bekommen noch ihren großen Auftritt und zwingen sie, sich nackt auszuziehen, auch um Hud damit herausfordern. Ein letztes Mal rafft er sich auf, um sie mit einer ungeladenen Pistole in die Flucht zu schlagen, bevor er allein davon reitet – einen Moloch aus nackten, verängstigten und erniedrigten Leibern hinter sich lassend, während Orgelmusik erklingt.

„Gli specialisti“ kam stark gekürzt in die deutschen Kinos, obwohl der Film nur wenige Gewaltszenen beinhaltet. Dahinter verbarg sich der Versuch, einen „normalen“ Italowestern zu kreieren, was schon daran scheitern musste, dass Johnny Hallydays Interpretation eines Westernhelden nicht den Standards entsprach. Dass „Gli specialisti“ heute kaum noch bekannt ist, erklärt sich durch diese Umstände, ist aber nicht gerechtfertigt. Als „Italo-Western“ hinterlässt er zwar einen uneinheitlichen, phasenweise fremdartigen Eindruck, aber als Gesamtwerk im zeitlichen Kontext ist er von großer Originalität.

"Gli specialisti" Italien / Frankreich / Deutschland 1969, Regie: Sergio Corbucci, Drehbuch: Sergio Corbucci, Sabatino Ciuffini, Darsteller : Johnny Hallyday, Francoise Fabian, Sylvie Fennec, Gastone Moschin, Mario Adorf, Laufzeit : 99 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Corbucci:

"Django" (1966)
"Navajo Joe" (1966)
"Il mercenario" (1968)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.