Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Sonntag, 20. Januar 2013

Pane, amore e fantasia (Liebe, Brot und Fantasie) 1953 Luigi Comencini


Inhalt: Der aus der Gegend um Neapel stammende Maresciallo Carotenuto (Vittorio De Sica) wird als Leiter einer kleinen Carabinieri-Station in ein Dorf in die Abruzzen versetzt. Dass es sich bei dem 50jährigen noch um einen Junggesellen handelt, sorgt in der kleinen Gemeinde sofort für Aufruhr, denn dem attraktiven, charmanten Carotenuto wird allerhand zugetraut. Besonders die junge, aus einer armen Familie stammende Maria (Gina Lollobrigida), genannt "Bersagliera", fällt dem alten Schwerenöter ins Auge, ohne dass er ahnt, dass ein junger Brigadier (Roberto Rossi) in sie verliebt ist. Dem schüchternen jungen Mann war es in acht Monaten nicht gelungen, die kecke "Bersagliera" anzusprechen, weshalb sie sich von ihm zurückgewiesen fühlt.

Doch auch eine andere Frau weckt Carenutos Interesse, die Hebamme Annarella (Marisa Merlini), die aber regelmäßig für ein paar Tage nach Rom verschwindet, weshalb er befürchtet, dass sie dort schon vergeben ist. Da er nicht weiß, dass "Bersagliera" ebenfalls den Brigadier liebt, hält er ihre freche, offene Art ihm gegenüber für ein Entgegenkommen und macht sich Hoffnungen...







Luigi Comencini hatte schon seit Mitte der 40er Jahre als Drehbuchautor gearbeitet, bevor er 1948 mit "Proibito rubato" (Razzia in Neapel) seinen ersten Film drehte, an dem mit Suso Cecchi D'Amico eine wichtige Autorin des Neorealismus ("Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1948)) beteiligt war. Obwohl "Proibito rubato" neorealistische Elemente aufwies, zählt der Film in seiner optimistischeren Anlage nicht zum inneren Kreis des Genres, wies aber schon auf Comencinis späteren Durchbruch als Regisseur mit "Pane, amore e fantasia" (Liebe, Brot und Fantasie) hin.

Als dieser 1953 entstand, lag die Hochphase des kritischen, marxistisch geprägten Neorealismus schon einige Jahre zurück. Vittorio De Sicas hatte ein Jahr zuvor in "Umberto D.", einem der letzten exemplarischen Werke des Neorealismus, von dem Schicksal eines alternden Mannes innerhalb einer sich erneuernden Gesellschaft erzählt, die den Krieg hinter sich lassen wollte. Der enorme Erfolg von "Pane, amore e fantasia", dem Comencini mit "Pane, amore e gelosia" (Liebe, Brot und Eifersucht, 1954) ein Jahr später eine inhaltlich unmittelbar anschließende Fortsetzung folgen ließ, lässt darauf schließen, dass inzwischen generell ein humorvoller, optimistischer Umgang mit der Realität gefragt war. Mit "Pane, amore e ..." (Liebe, Brot und tausend Küsse) wurde 1955 sogar noch ein weiterer Film nach der Erfolgsformel gedreht, an dem allerdings nur noch Vittorio De Sica und der Co-Autor Ettore Margadonna von der Stammbesetzung dabei waren (die sogar noch an dem 1958 gedrehten spanischen Ableger "Pan, amor y ...Andalucia" beteiligt waren). Sophia Loren hatte unter der Regie von Dino Risi den Part des schönen italienischen Mädchens von Gina Lollobrigida übernommen, inhaltlich und formal hatte sich der komödiantischer angelegte Film aber von seinen beiden Vorgängern entfernt.

"Pane, amore e fantasia" weist dagegen noch eine deutliche Nähe zum Neorealismus auf. Das kleine Dorf in den Bergen der Abruzzen, in dem die Story spielt, wurde zwar für die Filmhandlung erfunden, könnte aber real existieren. Als der Maresciallo Carotenuto (Vittorio De Sica) dort seine Stelle als Leiter einer Carabinieri-Station antritt, fallen ihm die Ruinen mitten im Ort auf. Auf seine Frage, ob das noch die Folge eines Bombardements aus dem Krieg wäre, wird ihm als Ursache ein Erdbeben genannt. Als er entsprechend bei einer weiteren Ruine mutmaßt, sie wäre ebenfalls bei einem Erdbeben entstanden, heißt es diesmal, das Haus wäre von Bomben zerstört worden. Dieser trocken vorgetragene Humor ist signifikant für einen Film, der die Missstände nicht leugnet, sie aber nicht mehr tragisch nimmt. Das gilt ebenso für die "Fantasie" im Filmtitel, die einem Dialog des Maresciallo mit einem alten Mann zu verdanken ist, der auf seine Frage, welchen Belag er auf seinem Brot hätte, die beiden Hälften auseinander nimmt und die Leere als "Fantasie" bezeichnet. Die Menschen sind arm und haben nur wenig zu essen, aber sie verlieren deshalb noch lange nicht ihre gute Laune.

Doch weniger dieser lässige Umgang mit den äußerlichen Realitäten erzeugte den Erfolg an den Kinokassen, als die Konzentration auf die eher zwischenmenschlichen "Realitäten", zusätzlich noch mit einer spezifisch italienischen Eigenart gewürzt. Schon der zu Beginn eingeblendete Text weist auf die Situation der Carabinieri hin, die zwar normale Männer mit üblichen Bedürfnissen wären, gleichzeitig aber den Regeln und Gesetzen der Armee verpflichtet sind. Obwohl die Carabinieri zivile Aufgaben als Polizisten übernahmen, gehörten sie zu den italienischen Streitkräften (seit 2000 als eigenständige Teilstreitkraft), weshalb die Männer für einige Jahre an den Ort in den Abbruzzen versetzt wurden, selbst aber aus entfernten Regionen stammen. Die sich daraus ergebenden sprachlichen und moralischen Verwicklungen, sind wesentlich für die Wirkung des Films, denn der zwar schon leicht gealterte, aber sehr charmante Maresciallo, der aus Sorrento in der Nähe von Neapel stammt, wird mit den altertümlichen Regeln des Bergdorfes konfrontiert und gerät zunehmend in Schwierigkeiten. Wie die beiden berühmten Figuren Statler und Waldorf viele Jahre später in der "Muppet Show", kommentieren zudem in "Pane, amore e fantasia" drei kauzige Greise, teilweise mit Fernrohr bewaffnet, von ihrer Bank aus alle Regungen ihrer Mitbürger, selbstverständlich ganz ihrer erzkonservativen Haltung verpflichtet.

Entscheidend für die Popularität des Film, aber auch für ihren eigenen Aufstieg zu "Gina nazionale" im Herzen der Italiener, ist die von Gina Lollobrigida gespielte Rolle der Maria, genannt "La Bersagliera" (etwa "die Freche, Aufmüpfige"). Sie hatte schon unter Carlo Lizzani in dem neorealistischen Film "Achtung! Banditi!" (1951) die Hauptrolle gespielt, zudem in zwei internationalen Produktionen mitgewirkt ("Fanfan, la tulipe" (Fanfan, der Husar, 1952) und "Beat the devil" (Schach dem Teufel, 1953) unter John Huston, aber erst die Rolle des schönsten und gleichzeitig ärmsten Mädchens des Dorfes, ließ sie zum großen Star werden.

In ihrer Figur verbanden sich Realität und die Sehnsüchte ihrer Zeit. Barfuß in einem schäbigen Kleid herumlaufend oder auf einem Esel, ihrem einzigen Besitz, reitend, versucht sie mit nicht immer ganz legalen Methoden ihre Mutter zu unterstützen, die alleine eine Vielzahl von Kindern durchbringen muss. Gleichzeitig tritt sie selbstbewusst und emotional auf und ist dem einflussreichen Pfarrer Don Emidio (Virgilio Riento) ein Dorn im Auge, da er ihre Schönheit und gleichzeitige Bedürftigkeit als große Versuchung für die Männer ansieht. Doch Maria hat nur Augen für den schüchternen Carabinieri Pietro (Roberto Russo), der heimlich in sie verliebt ist, von dem sie sich wegen dessen Tatenlosigkeit, aber auch wegen ihrer Armut abgelehnt fühlt, weshalb sie ihn bewusst schlecht behandelt. Maresciallo Carotenuto, dessen Single-Dasein bei den Bewohnern des Ortes sofort Misstrauen auslöste, hat dagegen weniger Probleme, sich dem weiblichen Geschlecht zu nähern. Natürlich gefällt ihm „La Bersagliera“, aber auch die Hebamme Annarella (Marisa Merlini) besitzt seine Aufmerksamkeit, allerdings irritiert es ihn, dass sie regelmäßig für ein Wochenende nach Rom fährt – hat sie dort einen Verehrer?

„Pane, amore e fantasia“ wird häufig als erster Vorläufer der „Commedia all'italiana“ bezeichnet, fügt sich aber stimmig in eine Entwicklung ein, die in den späten 40er Jahren begann. Schon die unter der gemeinsamen Regie von Steno und Mario Monicelli entstandenen Filme mit Totò in der Hauptrolle (unter anderen „Guardi e ladri“ (Räuber und Gendarm, 1951)), verbanden Alltagsrealität mit Humor. Auch Comencinis Film verliert trotz seiner Leichtigkeit und den im Mittelpunkt stehenden Liebesverwirrungen nie die Realität aus den Augen – selbst das Happy-End wird ein wenig einschränkt – vorherrschender Eindruck blieb aber die allgemeine Lebensfreude, während eine Komödie wie „I soliti ignoti“ (Diebe haben's schwer, 1958) von Mario Monicelli, die heute als Beginn der „Commedia all'italiana“ in ihrer bissig, ironischen Form gilt, ihr kritisches Potential nicht verloren hat.

Zeitgenössisch betrachtet war Comencinis Kritik an der damals vorherrschenden Moral sicherlich gewagt, so wie Gina Lollobrigidas Auftreten erste Anzeichen einer weiblichen Emanzipation aufwies, auch wenn sie sich letztlich noch in ihre Rolle als anständige junge Frau fügte. Doch damit ebnete der Film eher den Weg in Richtung leichterer Komödien, die die folkloristisch italienischen Eigenarten betonten, wie die zweite Fortsetzung „Pane, Amore e...“ oder der ähnlich geartete  „It started in Naples“ (Es begann in Neapel, 1960), jeweils mit Sophia Loren und Vittorio De Sica in wichtigen Rollen, dessen Karriere als Regisseur sich später in eine vergleichbar oberflächliche Richtung entwickelte. Doch das ändert nichts an dem sehr guten Gesamteindruck eines auch unbequeme Konsequenzen nicht scheuenden Films, dem es gelang einer harten Realität Hoffnung und Freude abzuringen. Und der damit den Nerv seiner Zeit und seiner Landsleute traf.

"Pane, amore e fantasia" Italien 1953, Regie: Luigi Comencini, Drehbuch: Luigi Comencini, Ettore Maria Mergadonna, Darsteller : Gina Lollobrigida, Vittorio De Sica, Marisa Merlini, Roberto Risso, Maria Pia Casilio, Virgilio Riento, Laufzeit : 87 Minuten


weitere im Blog besprochene Filme von Luigi Comencini:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.