Inhalt: Ein scheinbar friedlicher Morgen wird durch die
atonalen Töne eines Streichinstruments gestört und reißt den Schwager (Rocco
D’Assunta) des engagierten Musikers aus den Federn. Wütend läuft dieser in das
Zimmer des mittellosen Bruders seiner Frau, um ihn zur Rede zu stellen, aber Antonio
Scannagatti (Totò) nutzt jeden seiner Ausbrüche nur dazu, neue Klanggebilde
daraus zu entwerfen – ganz von seiner eigenen musikalischen Genialität
überzeugt. Dass er damit allein steht, lässt er nicht gelten, fordert
selbstverständlich, „Maestro“ genannt zu werden, und hinterlässt jedes Mal
fassungslose Zeitgenossen.
Besonders Tiburzi (Virgilio Riento), der Dirigent des
örtlichen Orchesters, steht ihm feindlich gegenüber, muss aber nach einem
Schlaganfall hilflos mit ansehen, wie die Honoratioren der Stadt Scannagatti
darum bitten, dass Orchester zu dirigieren. Anlass ist eine Parade zum Besuch
eines in die USA ausgewanderten Sohns der Stadt, Joe Pellecchia (Idolo
Tancredi), der es dort zum einflussreichen Mafiosi brachte. Doch Scannagatti
zeigt sich keineswegs bereit, diese Aufgabe zu übernehmen, sondern kann nur mit
dem Versprechen der US-Amerikanerin Poppy (Fulvia Franco) überredet werden,
ihre Beziehungen zum Mailänder Musikverlag Tiscordi spielen zu lassen, auf dem
die Hoffnungen Scannagattis ruhen…
Der "Maestro" (Totò) legt sich mit Jedem an... |
"Totò a colori" (Totò in Farbe) steht in
mehrfacher Hinsicht am Beginn einer Entwicklung, auch wenn es sich nicht um den
ersten italienischen Farbfilm handelt, wie häufig geschrieben steht.
"Mater Dei" (1950) entstand schon zwei Jahre zuvor auf Ansco Color,
bei "Totò a colori" kam aber erstmals Ferraniacolor zur Anwendung,
eine italienische Entwicklung auf Basis des Agfacolor-Verfahrens, die in den
50er Jahren einige der schönsten italienischen Farbfilme ermöglichte ("La spiaggia" (Der Skandal, 1954)). Für Regisseur und Drehbuchautor Steno
bedeutete "Totò a colori" nicht nur in dieser Hinsicht eine Premiere,
sondern er führte erstmals Regie ohne seinen langjährigen Compagnon Mario
Monicelli, mit dem er sich bei seinen ersten sechs Filmen seit "Vita da
cani" (Hundeleben, 1949) die Dreharbeiten gleichwertig geteilt hatte – als
Co-Autor blieb Monicelli ihm aber erhalten. Für die Regie-Assistenz holte er
sich stattdessen einen Neuling ins Team, der in den folgenden Jahren bei zwölf
weiteren Filmen, teilweise nur als Autor, an seiner Seite stehen sollte, bevor
er 1959 ("I ladri" (Jeder Dieb braucht ein Alibi)) begann,
eigenständig Regie zu führen - Lucio Fulci.
...dem Dorfdirigenten (Virgilio Rienti)... |
In einer entscheidenden Hinsicht setzte Steno aber auf einen
langjährigen Vertrauten - den seit den 40er Jahren auch international bekannten
Komiker Totò, der nicht nur in drei seiner bisherigen Filme die Hauptrolle
übernommen hatte, sondern den er seit 1943
("Due cuori fra le belve") als Drehbuchautor am Film-Set
kennengelernt hatte. Für den damals 54jährigen Neapolitaner Totò war "Totò
a colori" zwar sein insgesamt schon 26.Film, wurde aber nicht nur wegen
der Farbgebung auch für ihn zu etwas Neuem in seiner Rückbesinnung auf die „Commedia
dell'Arte“, nach deren Traditionen Totò noch ausgebildet worden war. Erstmals beteiligte
er sich direkt an einem Drehbuch gemeinsam mit Steno und Monicelli, sowie den
ebenfalls fest zum Autoren-Team gehörenden Age (Agenor Incrocci) und Furio
Scarpelli – eine Gemeinschaft, die in unterschiedlicher Zusammensetzung und
Funktion die „Commedia all’italiana“ entscheidend prägen sollte. Hinzugezogen
wurde für „Totò a colori“ noch Totòs neapolitanischer „Landsmann“ Michele
Galdieri, ein bekannter Texter komödiantischer Akte. Eine logische
Zusammenarbeit, denn anders als in ihren bisherigen Filmen, entwickelten sie
für „Totò a colori“ keine klassisch dramaturgisch aufgebaute Story, sondern
reihten unabhängige Szenen aneinander, eher lose thematisch verknüpft.
...den Honoratioren und ihrem hohen Besuch (Idolo Tancredi)... |
Der mittellose Musiker Antonio Scannagatti (Totò) lebt bei
seiner Schwester (Rosita Pisano) in einem kleinen Ort in Campania, einem
Landstrich in der Umgebung Neapels, und quält schon ab den frühen Morgenstunden
seinen Schwager (Rocco D’Assunta) mit seinen atonalen Klangexperimenten, so
dass diesen Mordgedanken aus dem Bett treiben - quasi die erzählerische Klammer, denn
ihr erneutes von Aggressionen begleitetes Aufeinandertreffen in Mailand
beschließt den Film. Über mehrere Stationen war Scannagatti nach Mailand gelangt,
dem Hort seiner Hoffnungen, denn dort sind die Musikverlage Tiscordi und
Zozzogno ansässig - eine Anspielung auf die weltbekannten Verlage Ricordi und
Sonzogno. Im Glauben, Tiscordi (Luigi Pavese) persönlich würde ihn empfangen,
um seine Musik zu verlegen und seine Oper an der Scala herausbringen, war er in
dessen Büro gekommen. Ein Irrtum, der nicht allein auf falschen Versprechungen
beruhte, sondern von Scannagattis unerschütterlicher Überzeugung seiner eigenen
Genialität genährt wurde.
...dem Abgeordneten (Mario Castellani)... |
Denn der verkannte Künstler, der nur das schlichte „Maestro“
als Anrede gelten lässt und jeden verbessert, der ihn nicht so anspricht,
begibt sich nicht einfach in die Niederungen des Musikschaffens. Selbst nachdem
der Ortsdirigent Tiburzi (Virgilio Riento), mit dem sich Scannagatti eine
Dauer-Fehde über musikalische Qualität liefert, einen Schlaganfall erlitten
hatte, zeigt er sich nicht sofort bereit, für diesen einzuspringen, obwohl ihn
der Bürgermeister (Armando Migliari) notgedrungen darum gebeten hatte. Anlass
ist die Parade zu Ehren des Besuchs von Joe Pellecchia (Idolo Tancredi), einem
Sohn der Stadt, der es in den USA zum erfolgreichen Mafiosi gebracht hatte. Nur
das vorgetäuschte Versprechen der US-Amerikanerin Poppy (Fulvia Franco), ihre
Beziehungen zum Tiscordi-Verlag spielen zu lassen, kann ihn umstimmen. Doch
Scannagatti, ganz in seinem Element, lässt jedes Mal das Orchester aufspielen, sobald
der US-Mafiosi zu seiner Rede ansetzt – bis dieser erbost und ohne die
erhofften Zuwendungen fluchtartig den Ort verlässt. Ein Ergebnis, dass den
„Maestro“ aber nicht davon abhält, die Gegenleistung von Poppy einzufordern. Als
er erfährt, dass sie inzwischen nach Capri abgereist ist, macht er sich sofort
auf den Weg dahin.
...und Verleger Tiscordi (Luigi Pavese). |
Es wäre naheliegend, diesen sich selbstüberschätzenden,
eitlen und ignoranten Zeitgenossen von Herzen abzulehnen, aber weit gefehlt –
Totò verlieh seiner Figur eine entwaffnende Ehrlichkeit und authentische Begeisterung,
die in starkem Kontrast zu seiner berechnenden und egoistischen Umgebung steht.
Scannagatis unangepasste, bürgerliche Verhaltensweisen aushebelnde Art hält
seinem Gegenüber den Spiegel vor und reizt ihn damit zur Weißglut. Besonders
die ständigen Sprachverwirrungen sind urkomisch, denn Scannagatti weigert sich,
kleinste Abweichungen im Dialekt zu verstehen. Nach Missverständnissen und
aufbrausenden Streitgesprächen, stellen die Gesprächspartner oft fest, sich von
Beginn an einig gewesen zu sein – ein unmöglich zu synchronisierender
Sprachwitz. Einzig die reiche und exzentrische Gesellschaft, die Scannagatti
auf seiner Suche nach Poppy auf Capri antrifft, ist durch nichts zu erschüttern.
Zum Vergnügen der gelangweilten Gäste in dem mondänen, hypermodern
eingerichteten Haus von Giulia Sofia (Franca Valeri) wird er dazu überredet, als
"Pupetto Montmartre von der Champs-Élysées" aufzutreten, eine Art
überkandidelter, homosexueller Mode-Designer – eine Umkehrung der sonst im Film
gezeigten bürgerlich konservativen Verhältnisse ins andere Extrem.
Doch so gut seine Verkleidung als Pinocchio gelingt... |
Als Beginn der „Commedia all’italiana“, die ihre
Gesellschaftskritik hinter einem oft beißenden Humor verbarg, gilt heute „I soliti ignoti“ (Diebe haben‘ schwer), der 1958 von Mario Monicelli inszeniert
wurde, unter Mitwirkung von Age und Scarpelli. Dagegen scheint „Totò a colori“ noch
dem klassischen Sketch verpflichtet, doch das ließe dessen subversiven Witz
übersehen. Sowohl in der Szene mit dem Mafiosi, als auch mit dem Musikverleger
Tiscordi, der glaubt in Scannagatti einen sensiblen Krankenpfleger vor sich zu
haben, der ihm eine Spritze in den Hintern geben soll, untergräbt der Film
anerkannte Autoritäten. Besonders die längste Sequenz im Schlafwagenabteil mit
dem Abgeordneten Cosimo Trombetta (Mario Castellani) – Trombetta bedeutet
„kleine Trompete“, was von Scannagatti ausführlich thematisiert wird – ist ein
unglaublicher Parforceritt auf den Nerven des Politikers, für den nach einer
späteren Aussage Totòs der Christdemokrat Giulio Andreotti Pate gestanden haben
soll. Schließlich gipfelt der Film in der grandiosen Szene, in der sich
Scannagatti auf der Flucht vor seinem Schwager zwischen Marionetten versteckt.
Als die Puppenspieler mit der Vorstellung beginnen, mimt Totò einen hölzernen,
an Fäden hängenden Pinocchio – großartige Schauspielkunst in der Tradition der
„Commedia dell’arte“.
...sein Schwager (Rocco D'Assunta) findet ihn. |
Helfen kann Scannagatti diese Aktion nicht mehr, denn sein
Schwager erkennt ihn und geht mit gezücktem Messer auf ihn zu. Steno schob zwar
noch ein übertriebenes, unrealistisch wirkendes Happy-End hinterher, aber
selbst das mündet wieder in einem wütenden Angriff auf Scannagatti. Kein
Zweifel – ein Mann mit seinen Qualitäten hat in einer Welt voll Anpassung und verlogenen
Verhaltensmustern nur geringe Überlebenschancen.
"Totò a colori" Italien 1952, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Mario Monicelli, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Totò, Michele Galdieri, Darsteller : Totò, Mario Castellani, Virgilio Riento, Luigi Pavese, Rocco D'Assunta, Fulvia Franco, Galeazzo Benti, Lucio Fulci, Laufzeit : 103 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Steno:
"L'uomo, la bestia e la virtù" (1953)
"Un Americano a Roma" (1954)
"Le avventure di Giacomo Casanova" (1955)
"Guardia, ladro e cameriera" (1958)
"Letti sbagliati" (1965)
"La polizia ringrazia" (1972)
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