Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Dienstag, 23. September 2014

Salvatore Giuliano (Wer erschoß Salvatore G.?) 1961 Francesco Rosi

Inhalt: 05.Juli 1950 - auf dem staubigen Boden in dem kleinen sizilianischen Dorf Castelvetrano liegt die Leiche eines Mannes. Während die Carabinieri geschäftsmäßig die äußeren Umstände aufnehmen und erste Zeugen vernommen werden, wächst die mediale Aufmerksamkeit rasant an – bei dem Toten handelt es sich um Salvatore Giuliano, einem seit Jahren gesuchten Banditen, der sich in den sizilianischen Bergen versteckte und auf dessen Konto eine Vielzahl an Morden, besonders auch an Polizisten, geht. Allerdings fallen den herbei geeilten Journalisten einige Ungereimtheiten auf. Der bei einem angeblichen Schusswechsel von Carabinieri getötete, von den Einheimischen als Held verehrte Mann liegt in keiner Blutlache und Zeugen erinnern sich an zeitlich weit auseinander liegende Schüsse.

Sieben Jahre zuvor hatte Giuliano erstmals fliehen müssen, nachdem er nach einem Diebstahl einen Polizisten erschossen hatte, und war zu einem gefürchteten Bandenchef aufgestiegen, bevor er von der sizilianischen Separatistenbewegung zum Offizier ernannt wurde. Er und seine Männer fühlten sich als Freiheitskämpfer, aber als die Bewegung nach dem Krieg an Kraft verlor, wendete sich das Blatt für sie...


Eine ganze Generation junger italienischer Filmschaffender wurde in den 40er Jahren durch den "Neorealismus" sozialisiert, dessen Einfluss sich in vielen ihrer späteren Werke nachvollziehen lässt. Beispielhafte Filme wie Pier Paolo Pasolinis "Accattone" (1961), Damiano Damianis "Il sicario" (Das bittere Leben, 1961) oder Elio Petris "I giorni contati" (1963) entstanden ganz im Geist des gesellschaftskritisch motivierten Realismus - Pasolini besetzte zudem größtenteils Laien, wie in den frühen neorealistischen Filmen üblich - aber Niemand entwickelte den Stil konsequenter weiter als Francesco Rosi, dessen "Salvatore Giuliano" (Wer erschoss Salvatore G.?) die fundamentale Tradition eines authentischen Handlungsorts unter Beteiligung der dort heimischen Bevölkerung aufnahm, um ein tatsächlich stattgefundenes Ereignis auf Basis von Zeugenaussagen nachzustellen.

Damit ging er über Luchino Viscontis Grundidee hinaus, bei dessen "La terra trema" (Die Erde bebt, 1948) Rosi erstmals assistierte. Visconti wollte mit einer erdachten Handlung an einem originalen Schauplatz die Gegenwarts-Realität dokumentieren, während sich Rosi einem zurückliegenden Geschehen widmete - der Tod Salvatore Giulianis, mit dem sein Film beginnt, lag zum Entstehungszeitpunkt schon mehr als 10 Jahre zurück. Trotzdem wäre es falsch, "Salvatore Giuliano" als historischen Film anzusehen, denn der Regisseur, der mit "Il caso Mattei" (Der Fall Mattei, 1972) und "Lucky Luciano" (1973) zwei ähnlich konzipierte Filme folgen ließ, betrachtete die Vergangenheit von einem gegenwärtigen Standpunkt aus, der unmittelbar von den damaligen Ereignissen beeinflusst wird.

Mit "Salvatore Giuliano" wählte er eine Figur, die exemplarisch für die Phase der letzten Kriegsjahre und folgende Nachkriegszeit in Italien steht, nicht nur für dessen Heimat Sizilien. Seine kriminelle Laufbahn ging einher mit der vorherrschenden Armut - auf der Flucht nach einem Diebstahl erschießt er einen Polizisten und wird zum gesuchten Outlaw - und sein Aufstieg zu einem Volkhelden, eine Art "Robin Hood", wäre ohne die widerstreitenden Machtinteressen nach dem Krieg nicht möglich gewesen. Erst als Freiheitskämpfer für ein unabhängiges Sizilien zum Befehlshaber ernannt, wird er fallengelassen, als die separatistische Bewegung politisch an Kraft verliert. Nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen, hinter denen auch die auf Sizilien omnipotente Mafia stand, unter deren Schutz sich Salvatore Giuliano lange Zeit befand, der nur so eine Vielzahl an Morden und Entführungen begehen konnte. Trotzdem wurde die Verantwortung für das 1947 begangene Massaker an Mitgliedern der kommunistischen Partei, die ihren Wahlerfolg im Kreis ihrer Familien feiern wollte - bekannt als das "Blutbad von Portella della Ginestra"  - gerichtlich allein Giuliano und seinen Männern zugesprochen - ein bis heute umstrittenes Urteil, da die Frage nach den Hintermännern nie geklärt wurde, obwohl konservativen Kräften der Aufstieg der KPI ein Dorn im Auge war.

Ähnlich strittig sind die Umstände des Todes Salvatore Giulianis, der angeblich bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei in den Straßen Castelvetranos am 05.Juli 1950 erschossen wurde, dessen Leiche aber trotz ihrer schweren Verletzungen nicht in einer Blutlache, sondern auf staubigem Boden vorgefunden wurde - offensichtlich nicht der tatsächliche Sterbeort. Die Inszenierung der polizeilichen Untersuchung zu Beginn und die damit verbundene mediale Aufregung wurde von Francesco Rosi mit einer pedantischen Genauigkeit nachgestellt, die keinen Zweifel an der Authentizität entstehen lassen sollte. Er vermied jede Spekulation, sondern schilderte die Ereignisse nur aus der Sicht von Zeugen und zu Akten gebrachten Aufzeichnungen. Der Widerspruch zwischen den angeblichen Todesumständen und den Zeugenaussagen entsteht von allein, ohne dass der Film die Ereignisse beurteilen muss.

Im Gegenteil sind Rosis aus dem Off gesprochene Sätze von größtmöglicher Neutralität, signifikant für einen fast technokratisch zu nennenden Stil, der prägend für seine semi-dokumentarischen Filme wurde. Während die frühen neorealistischen Filme aus ihrer dem linken politischen Spektrum nahestehenden Haltung kein Geheimnis machten und ihre Anklagen gegen damalige Missstände noch emotional betonten, zwang sich Francesco Rosi zu Zurückhaltung. Die Bewertung Salvatore Giulianos, der zu den meist beschriebenen Persönlichkeiten Italiens nach dem Krieg gehört, ging zwischen Verbrecher und Volksheld weit auseinander und ist nicht von den Interessengruppen – Politiker, Wirtschaftsbosse und Mafia - zu trennen, die ihn für ihre Zwecke instrumentalisierten. Auf welch vermintes Feld er sich damit Anfang der 60er Jahre begab, wird an den mehrfachen Morddrohungen deutlich, die er während der Dreharbeiten erhielt. Eine Erfahrung, die sich bei den Vorbereitungen zu "Il caso Mattei" zehn Jahre später wiederholen sollte.

Rosis Auseinandersetzung mit Salvatore Giuliano und Sizilien, verbunden mit den bedrohlichen Umständen seiner Regie-Arbeit, führten zu seinem Ruf als „Mafia“-Spezialisten, eine typische mediale Vereinfachung, die der tatsächlichen Tragweite seiner Filme nicht gerecht wird. Erst in dem mehr als 10 Jahre später entstandenen „Lucky Luciano“ stand die Mafia wieder konkret im Mittelpunkt – erneut stellvertretend für die Entwicklung Italiens nach dem Krieg - während Rosis folgender Film „Le mani sulla città“ (Hände über der Stadt, 1963) die manipulativen Vorgänge im Zusammenhang mit der Vergabe von Bauprojekten am Beispiel eines Stadtparlaments durchspielte, dabei bewusst auf die Verantwortung einer kriminellen Vereinigung verzichtend.

Auch Salvatore Giuliano spielt in dem nach ihm benannten Film nur eine untergeordnete Rolle. Eine logische Konsequenz, denn von dem sich jahrelang in den sizilianischen Bergen aufhaltenden Banditen existieren keine verlässlichen Aussagen. Die Interviews, die er Pressevertretern in seinem Versteck gab, dienten nur seiner heroischen Außendarstellung, weshalb sie für Rosi keinen Wert besaßen. Außer Salvo Randone als Vorsitzender Richter und Frank Wolff als Giulianos engstem Vertrauten Gaspare Pisciotta, der sich bei dem Ginestra-Mord-Prozess als dessen Mörder selbst bezichtigte, nachdem er mit den Carabinieri kollaboriert hätte – eine Aussage, deren Tragweite sich erst durch den minutiösen Beginn um das Auffinden der Leiche erschließt - besetzte Rosi nur Laien, darunter viele Zeitzeugen, die Salvatore Giuliano noch persönlich gekannt hatten. Dass der Prozess gegen die des Massakers von Ginestra beschuldigten Bandenmitglieder in der zweiten Hälfte des Films eine zentrale Position einnahm, war nur folgerichtig, da Rosi auf eine detaillierte Dokumentation zurückgreifen konnte und dem Betrachter auf diese Weise sowohl die widerstreitenden Aussagen, wie das abschließende Gerichtsurteil vor Augen führen konnte.

Gemeinsam mit Suso Cecchi D’Amico, Enzo Provenzale und Franco Salinas („La battaglia di Algeri“ (Schlacht um Algier, 1966)) entstand auf Basis historisch verbürgter Abläufe, Zeugenaussagen und den Prozess-Akten ein Drehbuch, dass weniger die Frage nach dem Mörder Salvatore Giulianos stellte, wie es der deutsche Titel suggeriert, sondern mehr das Machtgeflecht hinter dieser Figur offenbarte, dass nur Opfer kennt – die sizilianische Bevölkerung, besonders aber die Männer, die sich an der Seite Giulianos als Freiheitskämpfer fühlten. Damit entzauberte Rosi auch den als Helden verehrten Salvatore Giuliano, dessen Rolle vor allem der Mafia und ihren Verbündeten diente, bis er als Zeuge für die tatsächlichen Hintergrunde des Attentats auf die KPI zu unbequem wurde. So sachlich sich Rosi dieser Thematik näherte und damit wenig Rücksicht auf jeweilige Befindlichkeiten nahm, wollte und konnte er seine subjektive Ansicht nicht verbergen, die sich schon in der sparsam eingesetzten Musik gleich zu Beginn andeutet – die Darstellung eines manipulativen, die Öffentlichkeit täuschenden bis in die Gegenwart andauernden mörderischen Systems.

"Salvatore Giuliano" Italien, Frankreich 1961, Regie: Francesco Rosi, Drehbuch: Francesco Rosi, Suso Cecchi D'Amico, Enzo Provenzale, Franco Salinas, Darsteller : Salvo Randone, Frank Wolff, Laufzeit : 118 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Francesco Rosi:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.