Inhalt: Albrecht
von Gerlach (Fredric March), schwerreicher Industrieller und Besitzer einer
Reederei und Schiffswerft in Hamburg, erfährt von seinem Arzt, dass er in
spätestens 6 Monaten an Kehlkopfkrebs sterben wird. Er ruft deshalb die Familie
zusammen, von der seine Tochter Leni (Francoise Prévost) mit ihm in seiner
großen, alten Villa in Hamburg-Altona lebt. Sein Sohn Werner (Robert Wagner)
arbeitet als Anwalt in Düsseldorf, soll erstmals aber auch seine dort als
Schauspielerin in einem Brecht-Stück auftretende Frau Johanna (Sophia Loren)
mitbringen, die das konservative Familienoberhaupt bisher ablehnte.
Als Von
Gerlach sie äußerst liebenswürdig empfängt, ahnt Johanna schon, dass etwas
Schwerwiegendes bevor steht, aber sie weiß noch nicht, dass der als verstorben
geltende Franz von Gerlach (Maximilian Schell) seit seiner Rückkehr aus dem
Krieg 1945 im Keller der Villa lebt und nur seine Schwester Leni zu sich lässt.
Während ihr Schwiegervater mit ihrem Mann über seine Nachfolge verhandelt,
folgt sie nachts heimlich Leni und entdeckt das Versteck. Sie imitiert das
verabredete Klopfzeichen und wird von Franz hereingelassen…
Es gehört
zu den Binsenweisheiten der Filmhistorie, dass die Mehrheit an Kinofilmen in
Vergessenheit gerät - ein Fakt, der sich weniger mit der Qualität, als mit
äußeren Parametern begründen lässt. Mangelnder Publikumserfolg, aus der Mode
gekommene Stilrichtungen bzw. Themen oder unbekannt gewordene Darsteller
verhindern ein Wiederaufleben auf einem modernen Medium und verurteilen den
Film im besten Fall zu einem Nischendasein für speziell Interessierte. Ein
Schicksal, das auch "I sequestrati di Altona" (Die Eingeschlossenen
von Altona, 1962) widerfuhr, über den es nur wenige Informationen gibt, obwohl
sich die italienisch-französische Co-Produktion auf Basis eines der letzten
Theaterstücke Jean-Paul Sartres der gesellschaftspolitischen Vergangenheit und
Gegenwart Deutschlands widmete, wie der im Filmtitel genannte Hamburger
Stadtteil Altona schon andeutet.
Mehr noch
als diese nationalen Bezüge wirft die geballte Qualität der an dem Projekt
beteiligten Künstler die Frage auf, wieso "I sequestrati di Altona"
heute keine Erwähnung mehr findet? - Nur
wenige Filme können eine nach ähnlich hohen Kriterien zusammengestellte Crew
vorweisen wie die von Carlo Ponti verantwortete Produktion. Offensichtlich
plante er nach dem Erfolg von "La ciociara" (Und dennoch leben sie,
1960), der seiner Frau Sophia Loren den begehrten "Oscar" als
Hauptdarstellerin eingebracht hatte, eine weitere Veränderung ihres bisherigen
Images als schöne, temperamentvolle Süditalienerin, dem sie zwar ihre
Popularität verdankte, das aber keine Kritiker-Lorbeeren versprach. Nicht nur
der Rückgriff auf die Schwarz-Weiß-Optik - erst kurz zuvor war Sophia Loren in
schönsten Farben in einer für sie typischen Rolle in "Boccaccio 70"
(1962, Episode „La Riffa“)) zu sehen - sondern die ernste Thematik der
Schuldfrage an den Verbrechen im III.Reich, mit der Sartre auch auf die
Verantwortung der Franzosen im Algerien-Konflikt anspielte, belegte Pontis
Versuch, seiner Frau ein artifiziell-intellektuelles Umfeld zu verschaffen.
Dass er
dafür wieder auf Regisseur Vittorio De Sica und Drehbuchautor Cesare Zavattini
zurückgriff, die schon an "La ciociara" beteiligt waren, lag nah,
aber Ponti dachte darüber hinaus und stellte ein internationales Team zusammen,
mit dem er an die Reputation des Hollywood-Films „Judgment at Nuremberg"
(Das Urteil von Nürnberg, 1961) anknüpfen wollte, der von einem Prozess gegen
vier führende Nazi-Richter handelte. Neben Zavattini engagierte er
Drehbuchautor Abby Mann und Maximilian Schell für die Hauptrolle, die für ihre
Mitwirkung an „Das Urteil von Nürnberg“ im Frühjahr 1962 einen Oscar gewonnen
hatten. Nur Spencer Tracy, der als oberster Richter in dem Gerichts-Drama
aufgetreten war, lehnte es ab, die Rolle des Familienoberhaupts der Von
Gerlachs zu übernehmen. Eine nachvollziehbare Entscheidung, denn Tracy wäre in
dieser Rolle auf die Gegenseite eines vom Nationalsozialismus profitierenden
Chefs eines Rüstungskonzerns gewechselt. Dagegen weisen die beiden von
Maximilian Schell verkörperten Figuren Parallelen in der Frage nach der
Mitschuld an den Nazi-Verbrechen auf. Seine Argumentation als Verteidiger eines
der angeklagten Richter begründete sich darauf, dass sich dieser nach damals
geltendem Recht verhalten hätte, während sich der von ihm in "I
sequestrati di Altona" gespielte ehemalige Wehrmachtsoffizier nach dem
Ende des Kriegs in der Villa seines Vaters einschließt, jeglicher Verantwortung
entzieht und sich der Realität verweigert.
Mit der
Verpflichtung des zweifachen Oscar-Preisträgers Fredric March („The best years
of our life“ (Die besten Jahre unseres Lebens, 1946) statt Tracy gelang Ponti
adäquater Ersatz, so wie die Besetzung von Robert Wagner in der Rolle des
jüngeren und angepassten Bruders Werner von Gerlach nur vordergründig
überrascht. Selten wirkte Wagner schmächtiger und passiver auf der Leinwand,
aber sein Aussehen und seine hintergründige Coolness nahmen dieser Figur ihre
Eindimensionalität und vermittelten gleichzeitig Mitläufermentalität und
Faszination, die auch seine Beziehung zu Johanna verständlich werden lässt.
Leider erweist sich einzig Sophia Loren in dieser Rolle als Schwachpunkt der
Besetzung, obwohl sie Sartres Kriterium der Attraktivität selbstverständlich
erfüllte. Optisch reduziert gekleidet, spielte sie in der ersten Hälfte des
Films kühl und zurückhaltend, verfiel aber ab der Begegnung mit Franz in ihr
altes Rollenmuster, auch bedingt durch die Abschwächung dieser Figur im Vergleich
zu Sartres Original-Fassung.
Anders als
die zweite weibliche Protagonistin Lena von Gerlach, die von Francoise Prévost
konsequent in ihrer egoistischen Liebe zu ihrem Bruder gespielt wurde, trotz
des im Film schwächer ausgearbeiteten Inzest-Aspekts, gibt Johanna hier das
emotionale Gewissen – zuerst in ihrer kritischen Haltung gegenüber der
Vergangenheit der Familie Gerlach, dann in Ihrer Ablehnung ihres Ehemanns, als
dieser sich bereit erklärt, die Nachfolge des todkranken Vaters anzutreten, bis
zu ihrer abschließenden Reaktion auf die tatsächliche Wahrheit um Franz.
Offensichtlich sollte Sophia Loren als positive Identifikationsfigur dienen –
eine von Jean-Paul Sartre in seinem Stück nicht vorgesehene Position. Auch von
dessen generell zu verstehender Intention, eine Bevölkerung nicht von Mitschuld
an im Namen ihres Landes begangener Barbarei freizusprechen – er versetzte die
Handlung nach Deutschland, um Ärger mit der französischen Zensur zu vermeiden –
blieb bei Abby Manns Adaption wenig übrig. Dieser legte das Gewicht
ausschließlich auf die deutsche Rolle, kritisierte aber nicht nur die mangelnde
Aufarbeitung der Nazi-Gräuel, sondern zeichnete auch ein negatives
Gegenwartsbild Westdeutschlands, Anfang der 60er Jahre.
Angesichts
der fast 6stündigen Aufführungszeit von Sartres Bühnenstücks, lag eine
deutliche Straffung des Stoffs nahe, aber Mann reduzierte nicht nur die
Dialoge, sondern erweiterte die Handlung um längere außerhalb der Villa
spielende Sequenzen, die er mehrfach dafür nutzte, die wirtschaftliche
Vormachtstellung Deutschlands nur wenige Jahre nach dem verlorenen Krieg zu
betonen. Dokumentarische Aufnahmen von der Wiedereinführung einer deutschen
Armee, unterlegt mit einer Rede des damaligen Verteidigungsministers
Franz-Josef Strauß, Bilder von der Reeperbahn mit betrunkenen Menschen und die
riesige Schiffswerft im Hamburger Hafen symbolisierten eine prosperierende
Gesellschaft, die nichts aus ihrer Vergangenheit gelernt zu haben schien. Mit
dieser Interpretation kontrastierte der Film die Vorstellungen des sich in der
Villa seines Vaters verbergenden Franz von Gerlach (Maximilian Schell), der
wegen seiner Kriegsverbrechen beim Russland-Feldzug vor Gericht gestellt werden
sollte, offiziell aber als tot gilt. Er lebt in dem Glauben, dass Deutschland
in Ruinen liegt und die Menschen leiden – nur so gelingt es ihm, seine eigene
Schuld und die des gesamten Volkes zu verarbeiten.
Nur
folgerichtig bricht Franz gegen Ende aus seinem selbst gewählten Gefängnis aus
und wird mit der offensichtlichen Dekadenz einer zu Wohlstand gekommenen
Bevölkerung konfrontiert – und damit mit seiner eigenen Lebenslüge. Bei seinem
Irrweg durch Hamburg gerät er auch in ein Theater, in dem Johanna eine Rolle in
„Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ von Bertolt Brecht spielt - eine
Parabel über Hitlers Machtergreifung. Kein Geringerer als Ekkehart Schall, der
1952 von Brecht an das „Berliner Ensemble“ gerufen und 1962 mit dem
„Nationalpreis der DDR 1.Klasse“ ausgezeichnet wurde, spielte in dieser Szene
seine Paraderolle als Arturo Ui, in die Franz laut schreiend „Führer! Er lebt!“
einbricht – das Publikum, das hier stellvertretend für die westdeutsche
Gesellschaft steht, beschimpft er, nachdem er sie zuerst auch als „Führer“
bezeichnete, als „Schweine“.
Von Sartres
existentialistischem Diskurs über Schuld und Mitschuld, der die grundsätzliche
Frage aufwirft, wer in der Lage ist, darüber ein Urteil zu sprechen, blieb in
der filmischen Adaption wenig übrig. Stattdessen wurde „I sequestrati di
Altona“ zu einer polemischen Abrechnung mit der Nachkriegs-BRD, unterstützt von
DDR-Staatsschauspielern und unterlegt mit Schostakowitschs 11.Sinfonie – ein
Erklärungsansatz dafür, warum der Film in Deutschland heute nahezu unbekannt
ist. Ironischerweise erhielt Vittorio De Sica für seine Regie die höchste
italienische Auszeichnung, den „David di Donatello Award“, obwohl der Film kaum
inhaltliche Parallelen zu seinen sonstigen Werken aufweist. Auch für Sophia
Loren blieb es ein einmaliger Ausflug in ein untypisches Rollenfach – gemeinsam
sollten sie mit dem komödiantisch-kritischen Episodenfilm „Ieri, oggi e domani“
(Gestern, heute und morgen, 1963) im folgenden Jahr einen großen Erfolg bei
Kritik und Publikum feiern.
„I
sequestrati di Altona“ fand dagegen keine Erwähnung bei den zahlreichen
Nachrufen nach Maximilian Schells Tod am 31.01.2014, obwohl er in der Rolle des
ehemaligen Wehrmachtssoldaten brillierte. Mit Charme und Furor gab er das
Zentrum eines einseitigen, zynischen und konsequent pessimistischen Films, an
dessen Wirkung auch Sophia Lorens betroffen blickendes Gesicht nichts ändern
konnte. Kritikpunkte lassen sich problemlos finden, aber der Film wagte einen
unverfälschten, Differenzierungen missachtenden Blick in die menschliche
Psyche, der sich seine Faszination bis ins Detail bewahrt hat.
weitere im Blog besprochene Filme von Vittorio De Sica:
"Ladri di biciclette" (1948)
"Miracolo a Milano" (1951)
"Umberto D." (1952)
"Stazione Termini" (1953)
"L'oro di Napoli" (1954)
"Il tetto" (1956)
"La ciociara" (1960)
"Boccaccio '70" (1962)
"Ieri, oggi, domani" (1963)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen