Inhalt: Rambo
(Tomas Milian) besucht nach vielen Jahren seinen alten Freund Pino (Mario
Piave) und dessen Familie in Mailand. Pino will Rambo dazu überreden, ebenfalls
bei dem privaten Sicherheitsdienst mitzumachen, für den er seit neuestem
arbeitet. Auf Grund der steigenden Anzahl an Entführungen haben diese Dienste
Konjunktur und Pino erhofft sich davon, endlich Karriere zu machen. Rambo tut
ihm den Gefallen und besucht ihn auf dem Trainingsgelände seiner Firma, aber
obwohl er sowohl im Nahkampf, als auch im Schießen überzeugen kann, lehnt er
die Offerte des Chefs dankend ab - für den Individualisten ist das kein
geeigneter Job.
Auch Pino
verfolgt eigene Pläne, denn er will die Entführung des Sohnes des reichen
Industriellen Dr. Marco Marsili (Silvano Tranquili) aufklären, um sich weiter
zu profilieren. Er entdeckt eine Spur zu der Bande von Conti (Luciano
Catenacci) und bittet Rambo, ihn als Freund zu unterstützen, aber bevor dieser
eingreifen kann, wird Pino ermordet am Straßenrand aufgefunden. Jetzt wird der
Fall zu einer persönlichen Angelegenheit für Rambo...
Umberto
Lenzis zweiter gemeinsam mit Tomas Milian gedrehter Film "Il giustiziere
sfida la città" (Der Scharfrichter fordert die Stadt heraus) wirkt
zwischen "Milano odia: la polizia non può sparare" (Der Berserker,
1974) und "Roma a mano armata" (Die Viper, 1976) wie ein Fremdkörper.
In Deutschland wurde der Film erst in den 80er Jahren unter dem stimmigen Titel
"Flash Solo", der die alleinige Vorgehensweise des von Milian
gespielten Individualisten betonte, auf Video veröffentlicht, später wurde
daraus "Der Vernichter", der eine stringente Linie zwischen den
Milian / Umberto Lenzi Filmen vermitteln sollte, die nicht existiert. Hatte er
als "Berserker" und "Viper" (später noch als
"Kröte" in "La banda del gobbo" (1978)) jeweils gefährliche
Verbrechertypen verkörpert, ist er in "Il giustiziere sfida la città"
der eindeutige Sympathieträger, der im Alleingang den Mord an seinem Freund
Pino (Mario Piave) rächt.
Auf Grund
der Veröffentlichungspraxis in Deutschland, aber auch in Unkenntnis über den
genauen Erscheinungszeitpunkt, wird "Il giustiziere sfida la città"
häufig als typischer Vertreter des 70er Jahre Polizieschi-Genres angesehen,
auch wenn die Polizei im Film kaum eine Rolle spielt. Übersehen wird dabei,
dass der Film einen vollständig neuen Helden-Typus schuf, der nicht nur
entscheidenden Einfluss auf Tomas Milians weitere Karriere haben sollte. Das
Drehbuch stammte von Vincenzo Mannino, der zuvor an Enzo G.Castellaris "La polizia incrimina la legge assolve" (Tote Zeugen singen nicht, 1973)
mitgearbeitet hatte und Maurizio Merlis ersten Auftritt als knallharter Cop in
"Roma violenta" (Verdammte heilige Stadt) verantwortete, der fast
zeitgleich zu "Il giustiziere sfida la città" in die italienischen
Kinos kam und auch darüber hinaus Parallelen aufweist.
Milian und
Merli, die in Lenzis "Roma a mano armata" wenig später zu erbitterten
Gegnern wurden, verkörpern Beide einen Typus, der das Gesetz in die eigenen
Hände nimmt, dabei auch vor Selbstjustiz nicht zurückschreckend. Diese
Konstellation war nicht neu, sondern griff ein Motiv aus dem Italo-Western auf,
das angesichts steigender Kriminalitätsraten, Anfang der 70er Jahre, zunehmend
die Charakterisierung von Gesetzesvertretern veränderte, die bereit waren, die
Verbrecher mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen. In den frühen
"Polizieschi" wurde diese Vorgehensweise noch kontrovers betrachtet,
aber schon in Sergio Martinos "Milano trema - la polizia vuole giustizia" von 1973 erschießt Luc Merenda in seiner Rolle als Commissario
gleich zu Beginn zwei unbewaffnete Gangster, ohne dafür zur Rechenschaft
gezogen zu werden.
Trotz
dieses offensichtlichen Einflusses ging der von Tomas Milian gespielte Rambo in
"Il giustiziere sfida la città" einen neuen, eigenständigen Weg, der
ihn unmittelbar zu seiner Figur Nico Giraldi in "Squadra antiscippo"
(Der Superbulle mit der Strickmütze, 1976) führen sollte - bekanntlich der
Beginn der langjährigen "Superbullen" - Reihe. Zwar startet Rambo
seinen Rache-Feldzug genretypisch erst nachdem sein Freund Pino ermordet wurde,
aber anders als in klassischen Revenge - Filmen, in denen aus einem friedlichen
Bürger ein rächender Killer wird, veränderte er seinen Charakter nicht. Im
Gegenteil bleibt sich Rambo im gesamten Film treu und verlässt Mailand auf
gleiche Weise, wie er gekommen ist - cool, immer überlegt agierend und
jederzeit freundlich. Die Zwiespältigkeit dieser Figur ist aus heutiger Sicht
kaum noch nachzuvollziehen, aber der aus dem kriminellen Milieu stammende Motorradfahrer,
immer in Lederkluft gekleidet, war 1975 ein klassischer Bürgerschreck, dem
Niemand als Tomas Milian besser hätte Leben einhauchen können.
Als
"Superbulle" Nico Giraldi griff er ein Jahr später erneut auf das
Motorrad zurück (allerdings eine geländetaugliche Maschine), auch die
Strickmütze zitierte die hier etwas gefälligere Kopfbedeckung, aber Milian
kombinierte diese Figur noch mit seinem "Er monnezza" aus "Il trucido e lo sbirro" (Das Schlitzohr und der Bulle, 1976), womit er Nico
Giraldi einen komischeren Anstrich gab. Dagegen bleibt er als Rambo jederzeit
ernst und verfällt der Film weder in trashige, noch alberne Momente, auch wenn
die Story um die beiden Gangsterbosse Conti (Luciano Catenacci) und Paternò
(Joseph Cotten), die Rambo gegeneinander ausspielt, vorhersehbar bleibt. Cotton
und Catenacci agieren zwar wie gewohnt souverän, aber die Rolle von Paternòs
Sohn Ciccio (Adolfo Lastretti) bleibt zu inkonsequent, um wirkliche Gefahr
ausstrahlen zu können.
Zudem lässt
der Film schon in den den ersten Minuten deutlich werden, dass Rambo ein in
jeder Hinsicht fähiger Mann ist, dem Niemand wirklich gewachsen ist. Auch die
Szene mit der Schutzweste, die ihm sein Freund Pino vorführt, als Rambo sich
dessen Firma - es handelt sich um einen privaten Sicherheitsdienst - ansieht,
lässt eine erneute Verwendung im Film erwarten. Doch das spielt in "Il
giustiziere sfida la città" letztlich keine Rolle, denn Programm ist nur
Tomas Milian in einer Rolle, die einen individualistischen, außerhalb der
bürgerlichen Gesellschaft stehenden Mann in den Mittelpunkt rückt, der weder
das Gesetz vertritt, noch Anpassung anstrebt. Gleichzeitig gibt es keinen
sozialeren und vorurteilsfreieren Menschen im Film, was seinen
Selbstjustiz-Aktionen die Schärfe nimmt, da Milian Emotionen wie Hass,
Verzweiflung oder übertriebene Befriedigung vermeidet.
Rambo ist
eine konsequent künstliche Figur, die dank des Gleichgewichts zwischen
Outlaw-Attitüde und Kumpeltyp sympathisch bleibt - und stilprägend für Milians
späteren Rollentypus wurde. Dahinter verbarg sich ein politisches Statement des
politisch links stehenden Mimen, der sich am Set häufige Wortgefechte mit dem
konservativen Maurizio Merli lieferte und auch den von ihm gespielten
Verbrechertypen zunehmend menschlichere Züge verlieh ("La banda del gobbo"), denn sein Protagonist wurde nicht zum Vorbild für Vigilantismus,
sondern - besonders im Zeitkontext betrachtet - für mehr Toleranz.
"Il giustiziere sfida la città" Italien 1975, Regie: Umberto Lenzi, Drehbuch: Vincenzo Mannino, Darsteller : Tomas Milian, Joseph Cotton, Luciano Catenacci, Silvano Tranquilli, Mario Piave, Femi Benussi, Laufzeit : 90 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Umberto Lenzi:
"Roma a mano armata" (1976)
"Il trucido e lo sbirro" (1976)
"La banda del gobbo" (1978)
"Incubo sulla città contaminata" (1980)
1 Kommentar:
Sehr schöner Text mit einigen erhellenden Hinweisen. Zwar kenne ich zahlreiche Milian- sowie italienische Polizei- und Gangsterfilme jener Zeit, habe mir aber auch noch nie die Mühe gemacht, eine Entwicklung nachzuzeichnen. Wahrscheinlich verfährt man mit diesem Genre in Deutschland immer noch zu lax und zu wenig systematisch. Schön, dass du da eine Alternative bietest.
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