Giuseppe De Santis, Regisseur und Drehbuchautor, verdankt seinen heutigen eher geringen Bekanntheitsgrad ausschließlich seinem zweiten Kinofilm "Riso amaro" (Bitterer Reis) von 1949, obwohl er tiefer gehende und kontroversere Filme gedreht hatte. Sein Einfluss auf das italienische Kino ist von der Entstehung seines ersten Kinofilms "Caccia tragica" nicht zu trennen, weshalb dessen Besprechung mit einem Porträt über den Regisseur De Santis einhergeht, von dessen Filmen bis jetzt noch keiner auf DVD oder Blue-Ray in Deutschland veröffentlicht wurde - nur "Bitterer Reis" erschien vor vielen Jahren auf Video.
Inhalt: Michele
(Massimo Girotti) und Giovanna (Carla Del Poggio), gerade frisch verheiratet,
küssen sich auf der Ladefläche eines LKW, der unterwegs zu einer Landwirtschaft
- Kooperative ist, um dieser die dringend benötigten Gelder für die Bezahlung
der Pacht zu bringen. Giovanna ist es ein wenig peinlich, dass sie Jeder
beobachten kann, aber Michele lässt seine junge Frau nicht aus seinen Armen,
bis ein Priester am Straßenrand steht, den die Fahrer auch zusteigen lassen.
Als ein
Krankentransporter den LKW überholt und kurz darauf stoppt, müssen sie
erfahren, dass es sich um keinen echten Priester handelt, sondern um einen
Kumpanen der Bande, die ihnen das Geld für die Kooperative abnehmen will. Die
Fahrer werden kaltblütig mit einem Maschinengewehr erschossen und Michele
bleibt allein zurück, nachdem sie seine Frau als Geisel genommen hatten. Damit
wollen sie ihn einschüchtern, weil er in Alberto (Andrea Checchi) einen der
Verbrecher erkannt hatte, einen Freund aus der gemeinsamen Zeit im Kriegsgefangenenlager
der Nazis, der deshalb nicht in der Lage war, ihn zu töten. Aus Angst um seine
Frau verrät er ihn nicht gegenüber den empörten Mitgliedern der Kooperative,
aber er will sich allein auf die Suche machen, während die Anderen beginnen,
die Diebe zu jagen...
Obwohl
Giuseppe De Santis nur elf Filme zwischen 1947 und 1969 als Regisseur
verantwortete, ist sein Name untrennbar mit dem Stil des
"Neorealismus" verbunden, der das Medium grundsätzlich erneuerte und
die Jahrzehnte lang anhaltende Hochphase des italienischen Kinos einleitete.
Zurecht wurde De Santis 1995, zwei Jahre vor seinem Tod, der Orden
"Commendatore Ordine al Merito della Repubblica Italiana" verliehen
und erhielt er im selben Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig den
"Goldenen Löwen" für sein Lebenswerk, denn sein Einfluss auf die
Entwicklung des Filmschaffens generell, ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Giuseppe De
Santis, am 11. Februar 1917 in Fondi geboren, studierte von 1935 bis 1940
Philosophie und Literatur an der Universität in Rom, bevor er in den folgenden
zwei Jahren sein Regie-Diplom an der "Centro sperimentale di
cinematografia" ablegte. Schon früh schloss er sich einer intellektuellen
Gruppierung an, die interkulturelle Disziplinen pflegte und sich gegen die Leitlinien
des Mussolini-Regimes richtete, dabei regelmäßig die "l'Osteria Fratelli
Menghi" frequentierend, in der sich seit 1940 Maler, Regisseure,
Bühnenbildner, Schriftsteller und Dichter austauschten. Aus dieser Zeit stammen
nicht nur seine Kontakte zu den späteren Regisseuren Carlo Lizzani, Antonio
Pietrangeli und Gianni Puccini, sondern auch zu einer Gruppe junger römischer
Antifaschisten - bestehend aus den Journalisten Mario Alicata, Antonello
Trombadori, Pietro Ingrao, spätere wichtige Vertreter der kommunistischen
Partei Italiens, und dem Schriftsteller Giaime Pintor - die seine
sozialkritische Haltung prägten.
De Santis
Zusammenarbeit mit Regisseur Luchino Visconti, sowie Mario Alicata, Gianni
Puccini und Antonio Pietrangeli aus seinem Freundeskreis am Drehbuch von
"Ossessione" (Besessenheit, 1942), der heute als erster neorealistischer Film gilt,
war ebenso folgerichtig, wie seine Mitarbeit als Autor an der Seite Roberto
Rossellinis bei "Desiderio" (1946) und Aldo Verganos "Il sole
sorge ancora" (1946), gemeinsam mit Carlo Lizzani. Entsprechend
beeindruckend liest sich die Liste der Mitwirkenden an seinem ersten als Regisseur verantworteten Kinofilm "Caccia tragica" (Tragische Jagd). Nicht nur Cesare
Zavattini, einer der einflussreichsten Drehbuchautoren des Neorealismus, der
eng mit den schon etablierten Alessandro Blassetti ("Quattro passi fra lenuvole" (Lüge eine Sommernacht, 1942)) und Vittorio De Sica
("Scuscia" (Schuhputzer, 1946)) zusammen arbeitete, war daran
beteiligt, auch Michelangelo Antonioni in einer seiner wenigen Autorenarbeiten
für andere Regisseure, sowie Carlo Lizzani
und Gianni Puccini, De Santis ständige Mitstreiter.
Ähnliches
gilt für die Darstellerriege, die von Massimo Girotti angeführt wurde, der auch
in "Ossessione" und "Desiderio" die Hauptrolle übernommen
hatte. Der erfahrene Mime Andrea Checchi war De Santis spätestens seit dessen
Rolle in "Ultimo amore" (1947) bekannt, zu dem er ebenfalls das
Drehbuch geschrieben hatte, Carla del Poggio hatte neben Anna Magnani in
Alberto Lattuadas erstem Film "Il bandito" (Der Bandit, 1946)
gespielt und Vivi Gioi war nicht nur die Lebensgefährtin Vittorio De Sicas,
sondern dank ihrer Mitwirkung in dem deutschen Film "...und die Musik
spielt dazu" (1943, Regie Carl Boese) in der Rolle der "Lissy
Müller" auch in der Lage, die schwierige Rolle der ehemaligen deutschen
Spionin authentisch zu verkörpern, die regelmäßig in das deutsche Idiom
wechselt.
Angesichts
dieser Ansammlung an Kreativität und Mut, stellt sich die Frage, wieso
"Caccia tragica" heute nicht nur nahezu unbekannt ist, sondern nicht
einmal zur Liste der "Hundert zu bewahrenden Filme Italiens" gehört -
im Gegensatz zu dem deutlich plakativeren, inhaltlich die sozialkritische
Thematik nur oberflächlich berührenden "Riso amaro" (Bitterer Reis,
1949), mit dem Giuseppe De Santis heute fast ausschließlich in Zusammenhang
gebracht wird. Obwohl De Santis 1948 das "Silberne Band" für die
beste Regie verliehen bekam, Vivi Gioi als beste Nebendarstellerin ebenfalls
vom Journalistenverband ausgezeichnet wurde, und "Caccia tragica" als
"bester italienischer Film" des Jahres 1947 in Venedig ausgezeichnet
wurde, blieb er ebenso im Schatten von "Riso amaro" wie seine
folgenden, ebenfalls dem neorealistischen Stil zugehörigen Filme "Non c'è
pace tra gli ulivi" (Kein Frieden unter den Olivenbäumen, 1950) und
"Roma ore 11" (Es geschah Punkt 11, 1952), an dem der junge Elio
Petri mitwirkte. Selbst "La strada lunga un anno" (1958), eine
italienisch-jugoslawische Co-Produktion, ist inzwischen vollständig in
Vergessenheit geraten, obwohl er den "Golden Globe" als bester
fremdsprachiger Film verliehen bekam und in dieser Kategorie auch für den
"Oscar" nominiert worden war.
"Riso
amaro" gewann dagegen zurecht keine Preise, gilt aber heute neben
"Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1949) von Vittorio De Sica als
der bekannteste Vertreter des Neorealismus, nicht zuletzt wegen der freizügigen
Aufnahmen schöner Frauen, die Hauptdarstellerin Silvana Mangano zu einem großen
Filmstar werden ließen. Dass der von Dino de Laurentiis geschickt vermarktete
„Riso amaro“ diese Popularität erreichte, erklärt aber nicht, warum „Caccia
tragica“ keinen ähnlichen Bekanntheitsgrad aufweisen kann, denn er weist schon
alle Stärken des Regisseurs auf, eine spannende und action-geladene Story mit
einem realistischen Szenario zu verbinden, dabei große Menschenmengen geschickt
zu dirigieren und die Beziehungen unter den Protagonisten melodramatisch
zuzuspitzen – genau die Zutaten, die zum Erfolg von „Riso amaro“ beitrugen. Selbst
die Aufnahmen leicht bekleideter Frauen, die in „Riso amaro“ zu einem Skandal
hochstilisiert wurden, gab es schon in „Caccia tragica“. Zudem beginnt er damit,
wie Michele (Massimo Girotti) seine ihm frisch angetraute Giovanna (Carla del
Poggio) hemmungslos vor den Augen der Öffentlichkeit küsst, als sie sich auf
der Ladefläche eines LKW zu ihrer Landwirtschaft - Kooperative transportieren
lassen, begleitet von den anzüglichen Kommentaren ihrer Umgebung.
Die geradlinige
Story ist schnell erzählt: der LKW wird überfallen und Geld, dass für die Kooperative
überlebenswichtig ist, gestohlen. Micheles junge Frau nehmen die Verbrecher
mit, um ihn zu zwingen, seinen früheren Freund Alberto (Andrea Checchi) bis zu
ihrer Flucht nicht zu verraten, den er wieder erkannt hatte. Michele hält sich
daran, kann aber nicht verhindern, dass die Menschen der Kooperative, die um
ihre Existenz kämpfen, eine gnadenlose Jagd auf die Diebe beginnen. Die
Komplexität der inneren Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten
entsteht aus einer Nachkriegszeit, die „Caccia tragica“ in ihrer
anarchistischen, die bürgerlichen Regeln außer Kraft setzenden Situation wie
kaum ein zweiter Film authentisch erfasste. Inmitten einer zerstörten Umwelt –
beeindruckend etwa die Szene, als in einer Wohnung, in der Kinder spielen, der
Vorhang beiseite gezogen wird, hinter dem die Außenwand verschwunden ist – und
einer nicht existierenden staatlichen Ordnung, versuchen die Menschen Nahrung
und Arbeit zu finden
Die von
ihren Mitgliedern selbst verwaltete Landwirtschaft - Kooperative, die den
Hintergrund der Handlung bildete, war ein früher Versuch nach dem Krieg, eine
neue Lebensgrundlage zu schaffen, mit der die Menschen auf eine durch den
Faschismus zerstörte, ursprünglich von der katholischen Kirche initiierte Verwaltungsform,
zurückgriffen. Durch den Diebstahl des Geldes ist die Kooperative nicht mehr in
der Lage ihre Pacht zu bezahlen, auf die die Verwalter (Folco Lulli, Alfredo
Salvatori) schon auf dem Bauernhof-Gelände warten. Ohne zu zögern, nehmen sie
den Tierbestand und die Gerätschaften mit, als der Diebstahl bekannt wird, was
wiederum die verzweifelten Mitglieder der Kooperative dazu veranlasst, selbst
die Verfolgung der Diebe aufzunehmen. Parallel dazu zeigt der Film, der wie
„Riso amaro“ in der „Po-Ebene“ des nördlichen Italien spielt, eine mit einem
riesigen Topf über das Land fahrende Gruppe, die für die zwei Millionen
Kriegsveteranen Geld sammelt. Auch Michele und Alberto, die gemeinsam in einem
Gefangenlager der Nationalsozialisten eingesperrt waren, gehören zu den
ehemaligen Soldaten, gekennzeichnet durch ein Brandzeichen am Unterarm – doch
während der eine wieder Arbeit in der Kooperative fand, zerstört der andere
durch seinen Diebstahl deren schwache Grundlage.
Doch der
Film geht über diesen persönlichen Konflikt hinaus und beschreibt eine chaotische
Situation, in der Solidarität oder ethische Überlegungen kaum eine Chance
haben, sobald das nackte Überleben auf dem Spiel steht. Damit verstieß „Caccia
tragica“, der nur geschnitten in die italienischen Kinos kam, gegen jede
Heroisierung der Überlebenden, unabhängig davon, ob es sich um die zu Hause Gebliebenen
oder die aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Soldaten handelte. Nicht
nur, dass die Verwalter selbst hinter dem Raub stecken, um sowohl von der Beute,
als auch dem geringen Besitz der Kooperative zu profitieren - dabei skrupellos
deren Scheitern in Kauf nehmend – innerhalb der Gruppe der Banditen befindet
sich neben einem deutschen Gefängnisaufseher, mit Daniela (Vivi Gioi) eine
frühere deutsche Spionin, die mit Alberto, der als Kriegsgefangener nur knapp
überlebte, in einer Liebesbeziehung steht. Dank Vivi Giois überzeugendem Spiel
gelingt es Sympathien für diese so gewalttätige, wie liebesbedürftige Frau zu
entwickeln. Auch ihr Verhältnis mit Alberto wird nachvollziehbar, obwohl sie
mit den Deutschen kollaboriert hatte.
Die Figur
der Daniela, die auf Grund ihrer Rolle während des Krieges „Lilli Marleen“
gerufen wird und der zur Strafe die Haare abrasiert wurden, symbolisiert die
nach dem Krieg vorherrschenden Emotionen – Verzweiflung und Hoffnung, Liebe und
Hass, Widerstandsgeist und Mitläufertum – womit es der Film wagte, keine
Schuldigen zu suchen, sondern Menschen jeglicher Couleur in den Mittelpunkt zu
stellen, die nur versuchen weiter zu leben. „Caccia tragica“ ist in der Beschreibung
dieses inneren Konflikts eine seltene Ausnahme, da er mit der Illusion von
automatischer Solidarität und gemeinsamen Wideraufbaugeist bricht, sondern erst
deren Notwendigkeit einfordert. Auch in „Riso amaro“ lassen sich ähnliche
Intentionen erkennen, aber die Charakterisierungen in „Caccia tragica“ gingen
tiefer und rührten damit unmittelbar an das Selbstverständnis der Betrachter.
Dass der Film trotz seiner eindeutigen Qualitäten und der unterhaltenden
Inszenierung im Schatten von „Riso amaro“ blieb, war deshalb nur folgerichtig,
denn dessen Spiel mit klischeehaften Figuren und einer oberflächlichen,
melodramatisch aufgeheizten Kontroverse, war den hier geschilderten realen
Konflikten in der Publikumsgunst überlegen.
Ein Erfolg,
an den Giuseppe De Santis nicht mehr herankam, der 1971 seinen letzten Kinofilm
„Un apprezzato professionista di sicuro
avvenire“ drehte, nachdem es in den 60er
Jahren schon sehr ruhig um ihn geworden war. Somit blieb sein Name mit „Riso amaro“ (Bitterer Reis) verbunden und im weiteren Sinn mit dem Neorealismus,
ohne das seine generelle Fähigkeit zu einer gleichzeitig spannenden,
sozialkritischen und melodramatischen Erzählweise, die den italienischen Film
maßgeblich beeinflusste, ausreichend gewürdigt wird.
"Caccia tragica" Italien 1947, Regie: Giuseppe De Santis, Drehbuch: Cesare Zavattini, Michelangelo Antonioni, Carlo Lizzani, Gianni Puccini, Lamberto Rem-Picci, Giuseppe De Santis, Darsteller : Massimo Girotti, Andrea Checchi, Vivi Gioi, Carla Del Poggio, Folco Lulli, Laufzeit : 85 Minuten
Giuseppe De Santis - Regisseur, Regista:
"Giorni di gloria" (Tage des Ruhms, 1945)
- Dokumentation gemeinsam mit Luchino Visconti, Marcello Pagliero und Mario Serandrei
"Caccia tragica" (Tragische Jagd, 1947)
"Riso amaro" (Bitterer Reis, 1949)
"Non c'è pace tra gli ulivi" (Kein Frieden unter den Oliven, 1950)
- Dokumentation gemeinsam mit Luchino Visconti, Marcello Pagliero und Mario Serandrei
"Caccia tragica" (Tragische Jagd, 1947)
"Riso amaro" (Bitterer Reis, 1949)
"Non c'è pace tra gli ulivi" (Kein Frieden unter den Oliven, 1950)
"Un marito per Anna Zaccheo" (Fluch der Schönheit, 1953)
"Giorni d'amore" (Tage der Liebe, 1954)
"Uomini e lupi" (Frauen und Wölfe, 1957) - gemeinsam mit Leopoldo Savona
"Cesta duga godinu dana" (La strada lunga un anno, 1958)
"La garconnière" (1960)
"Italiani brava gente" (1964)
"Un apprezzato professionista di sicuro avvenire" (1971)
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