Inhalt: Als
Commissario Caneparo (Luc Merenda) endlich seinen Dienst beendet, begegnet er
einem Polizisten, der gerade mit der Arbeit beginnt. Um etwas für seine Familie
dazu zu verdienen, übernimmt er eine Zusatzschicht bei einem Gefangentransport.
Nur wenige Stunden später wird Caneparo alarmiert, denn den Gangstern war der
Ausbruch aus dem Zug gelungen, bei dem sie mehrere Polizisten erschossen hatten
- auch den Mann, mit dem Caneparo früh am Morgen eine Zigarette geraucht hatte.
Als die flüchtigen Verbrecher merken, dass sie der Polizei nicht entkommen
können, wollen sie aufgeben, was Caneparo nicht davon
abhält, sie zu erschießen.
Sein Chef,
der ihn mag, kritisiert diese Vorgehensweise, aber der Commissario glaubt nicht
daran, dass er suspendiert wird, denn er hätte viele Zeugen, die für ihn
aussagen werden. Genau das beunruhigt den Polizeichef, der es für falsch hält,
Verbrecher mit ihren eigenen Methoden zu bekämpfen. Doch als er auf offener
Straße erschossen wird und die Ermittlungen keine Ergebnisse bringen, beginnt
Caneparo rigoros auf eigene Faust vorzugehen…
Bis heute
halten sich eine Vielzahl von Mythen zum "Poliziesco all'italiana",
die die zeitlichen Abläufe und tatsächlichen Zusammenhänge häufig
vernachlässigen. Das Don Siegels erstmals 1971 aufgetauchter "Dirty
Harry" Vorbild für den harten, das Gesetz in die eigenen Hände nehmenden
Polizeioffizier gewesen sein soll, lässt außer Acht, dass diese Figur vom
"Italo-Western" beeinflusst wurde, an dem viele italienische Filmemacher,
die später den "Poliziesco all'italiana" prägten, schon beteiligt
waren. Nachdem das Western-Genre Ende der 60er Jahre seinen Zenit überschritten
hatte, wandten sie sich unterschiedlichen Sujets zu, die Anfang der 70er Jahre
auch zu einer Blüte des "Giallo" führte, dessen Grenzen zum
Kriminalfilm zwar fließend blieben, dessen Konzentration aber nicht der
Polizeiarbeit galt.
Ausgelöst
wurde der spezifisch italienische Polizeifilm - als dessen erster
prototypischer Vertreter "La polizia ringrazia" (Das Syndikat) von
1972 gilt - erst durch die gesellschaftspolitischen Ereignisse in Italien, die
nicht nur zu einem starken Anstieg der Verbrechensrate führte, sondern die
gesamte freiheitliche Demokratie in Italien in Frage stellte. Auch Regisseur
Sergio Martino und sein Drehbuchautor Ernesto Gastaldi hatten ihre Wurzeln im
"Italo-Western", bevor sie zu führenden Vertretern des
"Giallo" wurden. Ihr Schritt hin zum "Poliziesco all'italiana", den sie erstmals 1973 mit "Milano trema : la polizia
vuole giustizia" (wörtlich "Mailand zittert - die Polizei will
Gerechtigkeit" - einen deutschen Verleihtitel gibt es nicht) gingen, ist
ohne diese Voraussetzung nicht vorstellbar, denn Beide schufen damit einen der
ersten harten Polizeifilme, der sich kompromisslos mit der Selbstjustiz der
Exekutive auseinandersetzte.
Auch wenn
Maurizio Merli als schnauzbärtiger Fahnder heute über einen höheren
Bekanntheitsgrad verfügt, spielte er diese Rolle erstmals 1975 in "Roma
violenta" (Verdammte, heilige Stadt). Und Franco Nero ermittelte im
parallel 1973 entstandenen "La polizia incrimina la legge assolve"
(Tote Zeugen singen nicht) noch im Rahmen der Gesetze. Es war der französische
Darsteller Luc Merenda, der als Commissario Caneparo zuerst zwei Verbrecher erschoss,
die ihre Waffen schon niedergelegt hatten. Doch anders als Don Siegel in
"Dirty Harry" zeigte Martino die Selbstjustiz seines Protagonisten
schon nach wenigen Minuten, ohne zuvor eine emotional nachvollziehbare
Situation zu entwickeln, um diese Vorgehensweise zu rechtfertigen. Stattdessen
beginnt er damit einen Exkurs über die Legitimation, Verbrecher mit ihren
eigenen Mitteln zu bekämpfen, den er bis zum bitteren Ende des Films durchhält.
Ähnlich wie
"La polizia ringrazia" und dessen Nachfolger "La polizia sta a guardare" (Der unerbittliche Vollstrecker, 1973) erzählt "Milano
trema : la polizia vuole giustizia" von einer politisch motivierten Gruppe
einflussreicher Persönlichkeiten, die versucht die Kontrolle über das Land zu
erlangen, um damit auf ihre Weise das Chaos zu beseitigen - eine in den frühen
"Polizieschi" häufig geschilderte Konstellation, die den politischen
Thrillern eines Damiano Damiani noch nahe stand und die sich an der konkreten
Gefahr einer erneuten Diktatur in Italien orientierte. Commissario Caneparo
gerät in die Nähe dieser Gruppe, als er mit unorthodoxen Methoden versucht, das
Attentat auf seinen Chef aufzuklären, der auf offener Straße hingerichtet
wurde. Dieser hatte ihn einerseits freundschaftlich unterstützt, war
gleichzeitig aber auch der größte Kritiker seiner Methoden, die Caneparo jetzt
wieder anwendet, um seinen Mörder fassen zu können.
So plakativ
diese Vorgehensweise klingt, die Martino zudem mit viel Action unterstützt, so
komplex entwickelt sich letztlich seine Sichtweise. Caneparo muss erfahren,
dass sein rigoroser Umgang Sympathien bei Personen erzeugt, die nicht zwischen
Verbrechern und politisch missliebigen Personen unterscheiden. Sehr schön
vermittelt das der Film an der Figur der "Maria Ex", wie Caneparo die
junge Frau (Martine Brochard) nennt, die er dazu benutzt, sich in eine
kriminelle Gruppe einzuschleusen. Sie ist der Prototyp einer gescheiterten
Ex-Studentin, die sich das Bett mit unterschiedlichen Typen in einem
heruntergekommenen Gebäude teilt und damit jedes Klischee zur Entstehungszeit
des Films erfüllte. Doch Sergio Martino schildert sie als tragische Figur, die
gewissen Herren bald als lästige Zeugin im Wege steht.
Es stellt
sich die abschließende Frage, warum "Milano trema :la polizia vuole
giustizia" heute wenig bekannt ist und noch keine adäquate
Veröffentlichung in Deutschland erfuhr, obwohl der Film viele Stilelemente
späterer "Polizieschi" vorweg nahm? Vielleicht wurde damals erwartet,
dass die gesellschaftskritische Thematik ähnlich differenziert betrachtet
werden sollte wie zuvor in "La polizia ringrazia" (Das Syndikat),
weshalb die Vorgehensweise des Commissario, die auch von Maurizio Merli später
nicht mehr gesteigert werden konnte,
noch als zu plakativ und unrealistisch galt. Zudem konnte Luc Merenda, häufig
despektierlich als "Schönling" bezeichnet, nicht an dessen
Sympathiewerte heranreichen.
Auch Sergio
Martino war die Angelegenheit scheinbar zu ernsthaft, denn in seinem zweiten
Poliziesco "Morte sospetta di una minorenne" (1975) brach er die Handlung
ironisch. Die Szene, in der eine Verfolgungsjagd im Innenhof des
Polizeigebäudes endet, wiederholte er dort exakt, nur mit einem wesentlich
komischeren Ergebnis. Beiden unterschätzten Filmen ist gemeinsam, dass sie
ungewöhnliche Genre-Beiträge ablieferten:
"Morte sospetta di una minorenne" verband einen harten
Poliziesco mit komödiantischen Elemente, "Milano trema :la polizia vuole
giustizia" eine gesellschaftskritische Thematik mit einer weniger an einer
differenzierten Ausgestaltung als an einer guten Show interessierten Action,
die auf die zukünftige Entwicklung des Genres hinwies.
"Milano trema : la polizia vuole giustizia" Italien 1973, Regie: Sergio Martino, Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Darsteller : Luc Merenda, Silvano Tranquilli, Richard Conte, Lia Tanzi, Martine Brochard, Luciano Bartoli, Laufzeit : 98 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Martino:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen